Plastikmüll im Ozean Der junge Mann und das Meer

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Emotional aufgeladenes Plastik

Boyan Slat, 23, sitzt im 18. Stock eines Büroturms von Delft, an den Wänden der hellen Räume hängen Skizzen von den einzelnen Teilen des Fangarms. In dem länglichen Tisch im Besprechungsraum eingelassen und unter Glas gefasst, stapeln sich Plastikkrümel auf Strandsand. Von hier aus also steuert Slat sein großes Projekt. The Ocean Cleanup zählt inzwischen 80 Angestellte. Die Vereinten Nationen haben Slat als Global Champion ausgezeichnet. Der amerikanische Investor Peter Thiel und Marc Benioff, Gründer des Softwarekonzerns Salesforce, haben in seine Idee investiert. Er fühlt eine große Verantwortung, sagt Slat: „Eine Menge Menschen setzen ihr Vertrauen in uns.“ Und er fühlt sich berufen: „Wir Menschen haben das Plastikproblem geschaffen. Also sollten wir auch in der Lage sein, es zu lösen.“

Das eingesammelte Geld ist in die Konstruktion des Systems geflossen. Das Geld, um es zu betreiben, will Slat mit eingesammeltem Pazifikmüll verdienen. Er greift in eine Schale, nimmt ein paar Plastikteile in die Hand: „Der Unterschied zwischen normalem Plastik und Plastik aus dem Großen Pazifischen Müllfeld ist wie der Unterschied zwischen einem normalen Stein und einem Stück der Berliner Mauer.“ Das eine sei nichts wert, das andere sehr viel. Weil ein Stück Mauer ein emotional aufgeladenes Symbol sei – ganz so wie Plastikmüll aus dem Pazifik.

Schon heute zahle Procter & Gamble für am Strand eingesammeltes Plastik 30 Euro pro Kilo – um daraus Shampooflaschen herzustellen, erzählt Slat. Er hofft darauf, mit seinem aus dem Pazifik gefischten Plastik noch höhere Preis zu erzielen. Vor ihm liegt eine Sonnenbrille, blau schimmerndes Glas, schwarzer Rahmen, gefertigt aus Plastik aus dem Ozean. So etwas sei denkbar. Oder auch Stoßstangen fürs Auto. „Wir haben ein paar spaßige Ideen“, sagt Slat. Im nächsten Jahr will er verraten, welche sie umsetzen.

von Jacqueline Goebel, Silke Wettach, Cordula Tutt

Slat ist nur einer von vielen Meeresrettern. Zwei australische Surfer haben einen schwimmenden Mülleimer entwickelt, der Plastik ansaugen soll. Eine junge Architektin aus Aachen hat eine Crowdfunding-Kampagne für ein Kanalsystem gestartet, das dem absinkenden Plastik Auftrieb geben und dieses dann abschöpfen soll. Umweltverbände helfen Fischern, in deren Netzen sich Müll verfängt, bei der Entsorgung. Manche Länder sorgen mit Verboten und Steuern dafür, dass Plastik gar nicht erst ins Meer gelangt. Und Freiwillige sammeln Plastikmüll, nachdem er an Strände gespült wird.

Aber niemand begeistert die Menschen so wie Boyan Slat.

Mark Lenz, Meeresökologe am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, hält das für gefährlich: Er traut Slats Beteuerungen nicht, dass alle Tiere unter dem Fangarm durchtauchen können. Er sorgt sich, dass Quallen, Fischlarven oder Plankton zerrieben werden. Und er kann sich nicht vorstellen, dass dieses riesige System im offenen Meer sicher zu manövrieren sei. Zudem, gibt Lenz zu bedenken, sorgten Treibgutgemeinschaften, bestehend aus Holz, abgerissenen Großalgen und eben auch etwas Plastik, dafür, dass Arten sich ausbreiten, weite Strecken zurücklegen, Inseln besiedeln können. „Diese Vielfalt würde solch ein Gerät einfach mit einsammeln.“

Im Meer gesammelte Plastikteilchen. Quelle: PR

Lenz sagt, es wäre viel schlauer, den Plastikmüll abzufangen, bevor er ins Meer gelange. In Flussmündungen etwa, in den Buchten von Jakarta oder Rio de Janeiro. Dort also, wo das Plastik noch nicht in so viele kleine Partikel zerrieben wurde. Wo sich Auffangsysteme mit weniger Aufwand installieren ließen.

Am meisten stört Lenz, dass bei „vielen Leuten der Eindruck entsteht, dass das Problem nun gelöst sei – und sich der Einzelne nicht mehr kümmern müsse“. Dass jeder weiterhin sein Obst im Supermarkt in dünne Tütchen packen, weiter seinen Kaffee aus Wegwerfbechern schlürfen könne.

Lenz nennt das die „Silicon-Valley-Attitüde“: Slat erinnere ihn an die Gründer von Google und Tesla, die die Menschen glauben machen, dass es für jedes Problem eine ‧technische Lösung gibt. Mitunter sogar für Probleme, die sie selbst erst schaffen. „Slat tut so, als gebe es den großen Wurf. Und natürlich fasziniert das die Menschen.“

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