Recycling Vom Kaffee-Pad zur Klamotte

Tagtäglich landen Tausende Tonnen Kaffeereste im Abfall. Dabei sind die feuchten Krümel ein kostbarer Rohstoff. Unternehmen verarbeiten ihn zu Fußballtrikots, Teppichen oder Briketts. Über smartes Recycling.

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Welcher Kaffeetyp sind Sie?
Ohne kommen die Deutschen nicht aus dem Bett: Eine Tasse Kaffee gehört für fast zwei Drittel der Bundesbürger (63,6 Prozent) zum Start in den Tag. Laut dem Deutschen Kaffeeverband verbrauchten die Deutschen vergangenes Jahr 6,4 Kilogramm Rohkaffee - im internationalen Vergleich liegen sie damit auf Platz sieben. Die Finnen haben es mit 12,01 Kilogramm Kaffee auf Platz eins geschafft. Grund genug für die Redaktion von brandeins Wissen, das Magazin "Kaffee in Zahlen" herauszugeben. Demnach gibt es verschiedene Kaffeetypen, wie beispielsweise den... Quelle: dpa
Mit Kaffee, Filtertüte und Filter wird eine Tasse Kaffee aufgebrüht Quelle: dpa
Paar in einem Schlafzimmer Quelle: gms
Zuckerverpackungen mit der Aufschrift "Suedzucker" l Quelle: dapd
two cats sitting in the Cats Coffee House 'Neko' in Vienna, Austria, Quelle: dpa
Mit Elvis zum Frühstück: WMF rockt die IFA und bringt Entertainment in die Küche! Neben zahlreichen neuen Serien rund um Frühstück und Kaffee ist das besondere Highlight bei WMF die Only you! Quelle: obs
 A cappuccino is prepared at a Nairobi Java House outlet in Nairobi Quelle: REUTERS

Um die Jahrtausendwende stand der taiwanische Textilfabrikant Jason Chen kurz vor der Pleite. Seine Firma Singtex Industrial hatte sich auf moderne und innovative Stoffe spezialisiert. „Doch jedes Mal, wenn wir eine neue Textilart produzierten, haben uns Hersteller in Südostasien kopiert und billiger produziert“, erinnert sich der Singtex-Chef.

Das ist vorbei. Inzwischen hat Chen die Billigkonkurrenz weit hinter sich gelassen – und sich zu einem der weltweit führenden Anbieter von Funktionstextilien entwickelt. Das Geheimnis des Erfolgs ist dunkelbraun und krümelig – und landete bisher auf dem Müll: mikroskopisch klein zermahlener Kaffeesatz, den Chen zu fünf Prozent in die Textilgarne mischt.

Die ungewöhnliche Zutat verleiht T-Shirts, UnteCvere Ideen rwäsche und Sportklamotten der Produktlinie S.Café ganz neue Eigenschaften: Sie trocknen schneller und miefen nicht, denn der Kaffeesatz absorbiert Feuchtigkeit und schlechte Gerüche – vom Achselschweiß bis zum Zigarettenqualm.

Die Idee für das inzwischen patentierte Verfahren hatte Chens Frau, als sie mit ihrem Mann bei Starbucks saß. Den Kaffeebecher in der Hand, fiel ihr ein altes Hausmittel ein: Ein Schälchen Kaffeesatz in den Kühlschrank gestellt, saugt die Gerüche auf. Da regte sich Chens Geschäftssinn. Wenn der Kühlschrank damit besser riecht, sollte nicht auch Kleidung mit Kaffee frischer duften? Noch am selben Tag prüfte er, ob ein Patent auf einen derart geruchsabweisenden Stoff existiert.

Dass sich mit Kaffeesatz viel mehr anfangen lässt, als bloß die Zukunft daraus zu lesen, spricht sich herum, auch weit über die Grenzen der Textilbranche hinaus: Lebensmittelmultis wie Nestlé, Pflanzenkohlehersteller wie Swiss Biochar oder Pilzzüchter wie die Berliner Gründung Chido’s Mushrooms sehen in dem Abfall den perfekten Rohstoff. Sie lassen darauf Pilze wachsen, stellen aus der braunen Masse Dämm- und Verpackungsmaterial, Trikots, Krawatten und Teppiche her. Oder sie machen daraus Kohlen und Briketts, die besser brennen als Holz.

Der Abfallstrom an Kaffeesatz scheint dabei fast unerschöpflich. Etwa 8,5 Millionen Tonnen Bohnen produzierten Bauern weltweit im Jahr 2012. Über eine Million Tonnen Kaffee führte Deutschland im selben Jahr ein. Jeder trank im Schnitt knapp einen halben Liter täglich. Doch nur zwei Promille des Kaffees landen in der Tasse: 99,8 Prozent davon enden im Müll.

Die Vorteile von Kaffeesatz

Dabei ist lange bekannt, dass viel mehr als Röstaroma im überbrühten Kaffeemehl steckt: Etwa, dass es den Kompost auflockert, weil die organische Substanz Würmer anlockt. Und weil Kaffeesatz den pH-Wert im Boden senkt, mengen Gärtner ihn in die Erde unter säureliebende Pflanzen wie Azalee, Rhododendron oder Hibiskus.

Nur, rentabel im großen Stil war das alles nicht. Erst der Boom der Coffee-to-go-Kultur und der Kaffeeautomaten, die mit Pads und Kapseln funktionieren, beschert der Welt einen recyclingfähigen Abfallstrom. Allein Nestlé, einer der größten Verarbeiter von Kaffee, erzeugt bei der Herstellung von löslichem Nescafé weltweit etwa drei Millionen Tonnen Abfall an Kaffeeschalen und unverkäuflichem Kaffeepulver pro Jahr.

Derartige Mengen lassen sich leicht kanalisieren und nutzen. Dagegen wäre es ein aberwitziger logistischer Aufwand die Kaffeefilter der Haushalte einzusammeln. Deshalb verrottete die braune Pampe bisher im Biomüll.

Damit ist jetzt zumindest in Taiwans Hauptstadt Taipeh Schluss. Dort sammelt Singtex bei Cafés, Kiosken und Supermärkten täglich bis zu 500 Kilogramm Kaffeesatz ein und veredelt ihn zu Funktionstextilien. Das kommt gerade bei umweltbewussten Verbrauchern gut an. So fertigen Singtex-Kunden wie Puma, Vaude, Nike, Timberland und Hugo Boss aus dem Stoff Sport- und Outdoorbekleidung, T-Shirts, Hosen und Krawatten. Ab 2014 wollen zwei Textil- und Teppichhersteller – die belgische Domo Group und Interface aus USA – auch kaffeehaltige Teppiche anbieten. Sie sollen schneller trocknen und erst gar keine Gerüche mehr annehmen.

Der Trick dabei: Garn mit einer Prise Kaffeepulver saugt Gerüche quasi auf. Denn jedes Kaffeekörnchen beinhaltet unzählige Poren, in denen Geruchsmoleküle eingeschlossen werden. Das noch verbliebene Koffein hält außerdem Motten fern, die gerne Löcher in Teppiche fressen.

Weltweite Kaffeesatzverwerter

So sauber sind unsere Modelabels
Eine Frau mit einer Zara-Tasche Quelle: REUTERS
Ein Laden von Tommy Hilfiger Quelle: AP
Platz 12: PrimarkEs ist gar nicht einfach, den H&M-Herausforderer aus Irland zu kontaktieren. Primark hat weder in Deutschland noch im Rest der Welt eine Pressestelle, an die Journalisten ihre Anfragen richten können. Erst nach einer knappen Woche melde sich eine externe PR-Agentur und beantwortet einige Fragen zu Recherchen der WirtschaftsWoche: Dass eine Primark-Bestellung bei einem Zulieferer landete, der westlichen Standards nicht entspricht, sei ein Einzelfall gewesen. Ein lizenzierter Lieferant habe die Order ohne Kenntnis und Einverständnis der Iren an diese Fabrik ausgelagert. Was eigentlich gar nicht passieren darf, denn über seine Homepage verpflichtet nagelt sich der irische Discounter auf „ethischen Handel“ und höchste Sozialstandards bei Lieferanten fest. Dies wird allerdings nicht nur durch die Recherchen der WirtschaftsWoche konterkariert – zumal der Hersteller insgesamt bei Details merkwürdig mauert: Primark will weder die Zahl der Lieferanten oder die der internen Auditoren kommunizieren, noch die wichtigsten Lieferländer und den Anteil der Direktimporte nennen.Transparenz -Kontrolle -Verantwortung - Quelle: Screenshot
Ein New Yorker-Store in Braunschweig Quelle: Screenshot
Menschen vor einer Ernsting's Filiale Quelle: Presse
Das Logo der Modekette Tom Tailor Quelle: dapd
Eine Verkäuferin reicht in einem Esprit-Store in Düsseldorf eine gepackte Einkaufstasche über die Kasse Quelle: dpa

Zehn Millionen Dollar setzt Chen heute pro Jahr mit seinen S.Café-Produkten um. Noch in diesem Jahr will er mit Singtex an die Börse gehen.

Bis die Kaffee-Stoffe tragbar waren, dauerte es allerdings Jahre. Seit 2005 trockneten Chens Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung den Kaffeesatz und entfernten das Kaffeeöl, das dem Pulver die braune Farbe verleiht. Das entölte, beige Pulver vermengten sie mit den Resten von PET-Flaschen. Aus dieser Mixtur stellen sie Polyestergarne mit einer Prise Kaffeesatz her.

Die erste Generation der Kaffeekleidung testeten Chens Mitarbeiter persönlich beim Wandern und Radfahren. Doch die anfängliche Begeisterung verflog bald. Die Prototypen rochen nur anfangs angenehm nach Kaffee, nach einigen Monaten wurde der Kaffeegeruch aber penetrant. Chen ließ die Rezeptur verändern, bis die Kleidung auch nach längerem Tragen neutral roch und nichts mehr an den Rohstoff erinnerte.

Heute veredelt das Unternehmen Monat für Monat 100 Tonnen Stoff mit Kaffeeabfällen. Seit vergangenem Jahr beliefert es auch den US-Hersteller Warrior Sports, der aus dem Kaffeefasergemisch Fußballtrikots für den FC Liverpool näht. Rund eine Million Stück hat das Textilunternehmen schon unter die Fans und die Spieler gebracht. „In jedem Shirt steckt der Satz von drei Tassen Kaffee“, sagt Chen.

Seit diesem Frühjahr bietet der japanische Unterwäschehersteller Wacoal auch Damenunterwäsche aus dem Kaffeetextil an. Weil die Poren im entölten Kaffeepulver den Schweiß sofort in ihr Inneres verbannen, trocknet die Kollektion schnell und kühlt den Körper angeblich um ein bis zwei Grad, verspricht der Fabrikant.

Damit gehören Singtex und seine Kunden zu den elaboriertesten Kaffeesatzverwertern weltweit. Mengenmäßig haben dagegen die Kaffeeverarbeiter selbst die Nase vorn – mit eher klassischen Verfahren der pflanzlichen Reststoffverwertung.

Etwa das Unternehmen Mondelez (ehemals Kraft Foods), das in seinem Jacobs-Kaffeewerk in Bremen-Hemelingen den sogenannten Kaffeegrund verfeuert. Dieser organische Reststoff fällt bei der Produktion von gefriergetrocknetem Kaffeepulver an. Der Kaffeegrund wird mit hohem Wirkungsgrad verbrannt – und erzeugt so heißen Dampf für die Produktion.

Während Mondelez lediglich die Werksabfälle verheizt, will Nestlé auch den Kaffeesatz der Verbraucher recyceln. Zuvor war Nestlé in die Schusslinie von Umweltorganisationen geraten, weil es Kaffeeautomaten verkauft, die mit Kaffeekapseln aus Aluminium funktionieren. 2010 verbrauchten Konsumenten etwa sieben Milliarden der bunten Kapseln. Es sei ökologischer Wahnsinn, kostbares Aluminium als Verpackung zu nutzen, das dann im Restmüll landet und verbrannt wird, kritisierte unter anderem das Umweltbundesamt und rät bis heute von den Kapseln ab.

Kaffeekapsel-Sammelsystem

Der Konzern reagierte mit dem Programm Ecolaboration. Die Herstellung der Kapseln soll nachhaltiger und das Aluminium zu 75 Prozent recycelt werden. Dafür errichtete Nestlé in der Schweiz ein Rückgabesystem für gebrauchte Kaffeekapseln. Unter jedem Briefkasten befindet sich eine kleine Klappe, in die man die Kapseln legt. Der Briefträger nimmt sie dann mit, berichtet Anja Stubenrauch, die mit Nestlé zusammenarbeitet.

Seit 2011 leitet sie das Schweizer Unternehmen 3R Company in Schaffhausen, das den Kaffeerest aus den Kapseln zu Briketts für den heimischen Ofen und zum Verfeuern für Fabriken und Zementwerke verarbeitet.

Die Zahlen sprechen für sich: 60 Prozent der verkauften Kapseln gaben die Eidgenossen zurück. Die Aludöschen gehen zurück an die Metallindustrie. Das braune Pulver aus den Kapseln liefert mehr Wärme als Holz. Und weil es in den Kapseln quasi trocken ist, lohnt es sich, daraus Brennstoff zu pressen. Reste aus gewöhnlichen Filtern wären zu feucht. „Sie zu trocknen würde zu viel Energie kosten und wäre ökologisch unsinnig“, sagt Stubenrauch.

Das Geschäft mit Kaffeebriketts

Erfolgreiche Gründer und ihre Geheimnisse
Renzo Rosso Quelle: REUTERS
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Doch ganz reibungslos laufen die Geschäfte mit den Kaffeebriketts namens Cafuego nicht. 2011 untersagte das schweizerische Bundesamt für Umwelt den Verkauf an Privatkunden. Denn Kaffeesatz gilt rechtlich als Abfall und darf folglich nicht im Kachelofen landen. Das Amt forderte Stubenrauch auf, nachzuweisen, dass keine giftigen Abgase entstünden. Die Firmenchefin beteuert zwar: „Es entstehen nicht mehr Feinstaub, Stickoxide und Schwefeldioxid als beim Verbrennen von Holz.“ Aber dem Bundesamt legte sie noch immer keine Daten dazu vor.

Noch 2011 hieß es, dass die 3R Company aus 2000 Tonnen Kaffeesatz Briketts und Pellets herstellte und vertrieb. Heute mag Stubenrauch keine Angaben zu Verkaufsmengen mehr machen. „Das ist ein Firmengeheimnis“, wehrt sie ab und fügt hinzu: „Die Nachfrage ist sehr groß. Wir bekommen nicht genug Kaffeesatz.“

Tatsächlich hat die Rangelei um den kostbaren Wertstoff schon begonnen. „Ein Großteil der Kaffeereste von Nestlé wird inzwischen bei Swiss Biochar bei Lausanne angeliefert“, sagt Hans-Peter Schmidt, Leiter des Ökoforschungsinstitut Delinat im schweizerischen Arbaz. Das Institut finanziert sich als Forschungsstiftung über Spenden, öffentliche Gelder und Auftragsforschung wie etwa für die Swiss Biochar.

Das Unternehmen kompostiert jedes Jahr 35.000 Tonnen Grünschnitt, anderen Biomüll und eben auch Kaffee. Doch seit 2010 betreibt das Unternehmen auch eine weltweit einzigartige Anlage, die aus dem Kaffeesatz samt etwas Grünschnitt Kohle erzeugt. „Diese Pflanzenkohle ist schwarz und brennt genauso gut wie Holzkohle“, sagt Delinat-Forscher Schmidt.

Die Verwandlung zum Energieträger ist einfach. Der Kaffeesatz wird in einer Anlage ohne Luft auf 600 Grad Celsius erhitzt und unter Sauerstoffabschluss verschwelt. Binnen einiger Stunden entsteht so pulverförmige Kohle – 350 Tonnen im Jahr. Bauern kaufen sie gerne, weil sie, im Stall ausgestreut, den Tiergestank beseitigt und, auf Feldern ausgebracht, den Humusgehalt erhöht. Die Biokohle eignet sich als Aktivkohle aber genauso zur Wasserreinigung und auch zum Verfeuern in Kraftwerken.

Kohle aus Kaffee ist allerdings nicht das hochwertigste Produkt. Der belgische Unternehmensgründer, Ökonom und Nachhaltigkeitspionier Gunter Pauli findet: „Zum Verbrennen ist Kaffeesatz, ob direkt oder indirekt, einfach zu schade.“ Pauli ist der Erfinder eines Konzepts, das er Blue Economy nennt. „Blau wie die Erde aus dem All“, erklärt er.

Einfache ökologische Ideen sind seine Losung: „Die besten Anwendungen sind die, bei denen wir mit einfachen Mitteln besonders hochwertige Produkte machen.“ Seit Jahren reist Pauli, der zurzeit in Tokio lebt, um die Welt und verbreitet die Vorzüge seiner Blue Economy. In keinem Vortrag fehlt dabei die Pilzzucht auf Kaffee, denn sie ist Paulis Favorit.

2000 stellte er die Idee, Pilze mitten in der Stadt auf Kaffeesatz zu züchten, auf der Expo in Hannover vor. Schon 1994 hatte der chinesische Wissenschaftler Shuting Chang erstmals beschrieben, dass auf Kaffeesatz Shiitakepilze sprießen. Doch erst seit Pauli mit missionarischem Eifer die Idee verkündet, breiten sich urbane Pilzzuchtanstalten rund um den Globus aus.

Gourmetpilze aus altem Kaffee

Starbucks steigert Gewinn um ein Viertel
Ein Starbucks-Mitarbeiter füllt Kaffeebohnen nach Quelle: AP
Ein Mann trinkt aus einer Tasse Kaffee mit Balzac-Logo Quelle: Pressebild
Angestellte von McCafé bereiten Cappuccino zu Quelle: REUTERS
Becher von San Franciso Coffee Company Quelle: Pressebild
Filiale von Coffeeshop Company Quelle: Pressebild

Auch in Berlin. Dort hat sich im Bezirk Kreuzberg das Startup Chido’s Mushrooms der Zucht von Gourmetpilzen verschrieben. Der Weg dorthin ist unheimlich. An Laderampen eines Einkaufszentrums und Müllcontainern vorbei nähert sich der Besucher der Rückseite eines Gebäudekomplexes. Kein Mensch weit und breit, bis sich unversehens eine Stahltür öffnet. Hannes Dettmann, Experte für technischen Umweltschutz bei Chido’s, bittet eine steile Stahlrosttreppe hinab in einen dunklen Betonkeller, der nur von Neonröhren erhellt wird. Die Mischung aus Büro und Werkstatt gäbe die perfekte Filmkulisse für ein Drogenlabor.

Aber dann steigt der Geruch von Kaffee und Pilzen in die Nase. Nicht von ungefähr. Die sechs Mitarbeiter von Chido’s Mushrooms züchten aus Starbucks Kaffeeabfällen edle Pilze. Zehn Eimer Kaffeesatz schickt die Starbucks-Filiale am Brandenburger Tor Tag für Tag. Gratis. Darauf gedeihen pro Monat 150 Kilogramm Austernpilze, Limonen- und Rosaseitlinge. Bald sollen sogar Shiitakepilze und Kräuterseitlinge aus dem Pulver sprießen.

Die Ware liefert Chido’s an Edelrestaurants der Hauptstadt wie das Vau von Kolja Kleeberg. „Die Pilze nehmen kein Koffein auf und schmecken auch nicht nach Kaffee“, sagt Dettmann. Nur die am Fuß anhaftenden Kaffeereste müssen die Mitarbeiter bei der Ernte gründlich entfernen, damit sie nicht im Essen landen.

Gourmetpilze aus altem Kaffee – das klingt abstrus und nach einer Eintagsfliege. Doch als zellulosereicher Reststoff ist Kaffeesatz für Pilze geradezu unwiderstehlich.

Dettmann setzt Ohrenschützer auf und verquirlt den schwarzen Kaffeesatz mit einem etwa einen Meter langen Mixer. Dann kommen Kaffeeschalen dazu, Müll von einer Hamburger Rösterei. Die Schalen lassen die Pilze besser wachsen. Nun noch etwas Kalkpulver, damit nichts schimmelt. Und etwas Wasser, damit die Pilze genug Feuchtigkeit haben. Anschließend mischt Dettmann ein wenig Pilzmyzel unter die Kaffeemischung, quasi als Starterkultur.

Nun schaufelt er die schwarzbraune Mischung in DIN-A4-große Plastikbeutel, verschweißt sie und hängt die Beutel in einen großen Raum, der nur von gedämpftem rotem Licht erhellt wird. Vier Wochen lang durchwuchern die Pilzfäden nun den Kaffeeabfall. Hinterher ist dieser schimmelig-weiß. Die Plastiksäcke werden dann aufgeschnitten und im mollig-warmen Nebenraum aufgehängt. Wo dann Büschel von Pilzen aus den Kaffeeballen sprießen.

Damit spart das Unternehmen massenhaft Holz, sagt Chido’s-Chef Philipp Buddemeier: „Pro Kilo Speisepilz werden sonst drei bis vier Kilo Holz oder Stroh benötigt.“

Der Kreativität, aus Kaffeesatz Neues zu machen, scheinen keine Grenzen gesetzt. Künstler malen Bilder mit der braunen Masse. In New York stellt die Designerin Vilma Silveira Farrell Lampen aus gebrauchten Kaffeefiltern her.

Kunstwerke und Dämmstoffe

Aus dem Kaffeeabfall ließe sich sogar eine Art biologisches Styropor für die Dämmung von Häusern und zum Verpacken von elektronischen Geräten erzeugen.

Tatsächlich hat das Startup Ecovative Design im US-Bundesstaat New York mit einer ähnlichen Idee Erfolg. Als Nährboden für ihre Pilze verwenden die Amerikaner allerdings Getreideschalen statt Kaffeesatz. Doch das Startup zeigt, was mit Styroporersatz aus Pilzen alles möglich ist.

Interessiert ist Ecovative-Gründer Eben Bayer dabei nicht an den Pilzfruchtkörpern, die in der Pfanne landen, sondern am dichten Geflecht aus Pilzmyzelien, die in den Nährboden aus Getreideschalen einwachsen. Das stoßfeste Material dämmt heute schon eine Schule im Bundesstaat Vermont. Büromöbelhersteller Steelcase verpackt seine Ware darin. Und es schützt Weinflaschen und Computer beim Transport. Nach Gebrauch lässt sich das Pilzpendant zum Styropor ganz einfach kompostieren.

Dabei ist es anders als Biokunststoffe so preiswert wie Pack- und Dämmmaterial aus Erdöl. Denn die Pilze wachsen quasi von selbst im Keller. Teure Spezialanlagen brauchen sie nicht. Das sei echte „Low-Tech-Biotechnologie“, ist Bayer begeistert.

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