Braune Brühe steht und stinkt in dem kleinen Bach, den sie Nairobi River nennen. Plastiktüten und Putzlumpen, Hühnerknochen und Hundehaufen, Turnschuhe, Tetrapaks – Dreck in Reinform verrottet in dem Gewässer, das den Slum in Nairobis Bezirk Kangemi in zwei Hälften teilt. Ältere Bewohner der Wellblechhütten behaupten allen Ernstes, sie hätten früher aus dem Bächlein trinken können. Dem Besucher wird bei dem Gedanken schlecht. Das Viertel am Fluss ist typisch für Afrikas Städte, die rasant wachsen und dabei nicht mit dem Konsumboom Schritt halten können. Die Folge: Sie versinken immer tiefer im Müll.
In Nairobi ist Abfall Teil des Stadtbilds. Wer ihn wie entsorgt, kümmert in Kenias Hauptstadt niemanden - außer Daniel Paffenholz. Der 27-Jährige hatte vier Jahre seiner Kindheit in der Stadt verbracht und als Spross eines Entwicklungshelfer-Paars früh verstanden, dass Armutsbekämpfung dann nachhaltig funktioniert, wenn sie auf unternehmerischen Gedanken fußt. Die Idee kam dem jungen Mann mit der trendigen Hornbrille, als er vor vier Jahren seinen Eltern in Kenia besuchte – und das Müllchaos leibhaftig erlebte. „Niemand holte unseren Müll ab, und die Nachbarn verbrannten ihn einfach“, erinnert sich Paffenholz, der in der Stadt blieb. Fortan hatte er eine Mission: Er will Nairobi sauberer machen, indem er Mülltrennung nach deutschem Vorbild organisiert. Nicht aus purer Nächstenliebe, sondern um damit Geld zu verdienen.
Abfälle als natürlicher Dünger, Textilien und Geschirr
Einfach war das natürlich nicht. Paffenholz hatte zuvor Philosophie in Schottland studiert. „Da lernt man zwar kritisch und umfassend zu denken, aber die unternehmerische Erfahrung hat mir komplett gefehlt“, sagt er. Oft zogen ihn Behörden über den Tisch, etliche Ideen musste er begraben – bis er irgendwann den Social Innovation Challenge-Preis der US-Computerfirma Dell gewann. Plötzlich waren Geld und Aufmerksamkeit da, Fachleute in Netzwerken boten Hilfe an.
Heute besitzt sein Start-up Taka Taka Solutions für vier Stadtviertel in Nairobi die Lizenz zum Sammeln von Taka, wie Abfall auf Suaheli heißt. Den lässt Paffenholz zu Gläsern, Textilien, Sofa-Füllstoff und Kompost verarbeiten: Kenias Landwirtschaft, sagt er, kann organischen Dünger als Ergänzung zur üblichen Chemiekeule brauchen. So sieht das auch die deutsche Entwicklungsbank DEG, eine Tochter der staatlichen KfW, die ihm einen Kredit für den Bau größerer Kompostieranlagen bewilligt hat.
Service als Statussymbol
Zu tun gibt es in Nairobi mehr als genug: 3,5 Millionen Einwohner produzieren täglich fast 2000 Tonnen Müll. Den müsste eigentlich die Stadtverwaltung abholen, doch deren acht Lkws können das nie und nimmer schaffen. Und was die Kipper abladen, pflücken die Ärmsten der Armen auseinander: Barfuß tapsen die Slum-Kinder auf der Suche nach Wertstoffen über Deponien, um später am Bunsenbrenner ein paar Tropfen Buntmetall aus dem Schrott zu kochen. Alt werden sie selten.
Der Kangemi-Slum ist eines der besseren Wellblechviertel von Nairobi. In einigen Hütten gibt es fließendes Wasser, auf den Dächern sind Satellitenschüsseln angebracht. Unweit des Bachs funken Mobilfunkmasten, viele Männer handeln mit Ersatzteilen oder Elektronik oben an der Waiyaki-Straße. Warum sie aber im Monat 100 Schilling, also 85 Cent für die Abholung des Taka zahlen sollen, erschloss sich ihnen nicht sofort.
„Am Anfang haben sie mich für verrückt erklärt“, erinnert sich Paffenholz an die ersten Tage vor drei Jahren, als er mit dem Entsorgungsdienst in Kangemi startete und seine ersten Mitarbeiter zu Infoveranstaltungen in Haushalte und Schulen schickte. Nur langsam fiel den Kenianern auf, wie sauber jene Hütten sind, an denen grüne Schilder hängen: Waste Management by Taka Taka Solutions. Heute legen die Bewohner im Viertel großen Wert darauf, dass solch ein Blechschild an der Tür hängt, sagt Paffenholz: „Unser Service ist zum Statussymbol geworden.“
Könige des Recyclings
Es ist früher Nachmittag, wie jeden Tag knallt die Sonne mit Wucht auf die rote Erde vor dem Taka-Hof. Zwei Jungs, kaum zwölf Jahre alt, schieben Karren mit Müll herbei und begrüßen Paffenholz mit dem Standardspruch für weiße Männer: „Hello Mister, how are you?“ Der antwortet vorwurfsvoll: „Ihr solltet jetzt eigentlich in der Schule sein.“ Die Kinder liefern den Müll im Auftrag ihrer Eltern ab. Für James Sunday bedeutet das zusätzliche Arbeit. „Die wenigsten Haushalte trennen so, wie wir das gerne hätten, darum sortieren unsere Leute beim Kunden vor“, sagt der Entsorger. Die grobe Sortierung muss er nun auf dem Hof übernehmen, ehe seine Kollegen weiter hinten den Müll von 4.000 Haushalten in 31 Fraktionen trennen – Papier, Glas, Metall, Elektroschrott und so weiter.
Aus den Wertstoffen stellt ein Glaser bunte Gläser her; Partnerfirmen holen die Textilien ab. Aus guten Stoffen wird Kleidung, das schlechte Material schreddern sie zu Sofa-Füllung. Afrikaner können Könige des Recyclings sein, wenn sich mal jemand die Mühe des Sammelns macht.
Glücklich trotz stinkendem Arbeitsplatz
An Sundays Arbeitsplatz stinkt es gewaltig, der Besucher hält die Hand vor die Nase. Der Mittdreißiger im orangenen Overall lächelt trotzdem. Wie die meisten seiner Kollegen verdient er im Monat 10.000 Schilling aufwärts, also 85 Euro und damit doppelt so viel wie im Land üblich.
Hinter der mit Holzbrettern vernagelten Sortierabteilung beginnt ein 15 Meter langer Komposthaufen. Fliegen summen über dem schwarzen Berg organischen Abfalls. Es dampft, aber es stinkt kaum. Sechs Monate rottet er dahin, bis der Dünger auf einer Farm landet, die Taka Taka Solutions im Norden von Nairobi betreibt, auf den Banana Hills: „Wir weisen in Studien nach, dass unser Kompost die Bodenqualität verbessert“, so Paffenholz. Die Ergebnisse sind ein gutes Verkaufsargument für den Biodünger, den er Landwirten ab Jahresende für 200 Dollar pro Tonne verkaufen will.
Farmen wollen Bio-Dünger
Irgendwann muss Paffenholz einen Gewinn vorweisen. Mit der DEG hat er einen Financier an Bord, der einen hieb- und stichfesten Geschäftsplan verlangt. „Wir denken, dass das Projekt Aussicht auf Erfolg hat, obwohl es mit höherem Risiko verbunden ist“, urteilt Tobias Bidlingmaier, der das Projekt betreut. Das Risiko sieht er darin, dass Paffenholz die Kompostmengen deutlich erhöhen muss: Nur wer Naturdünger tonnenweise liefern kann, kommt mit Kenias großen Agrarbetrieben ins Geschäft. Dazu braucht er Platz – und Müll. Ersteres ist das kleinere Problem; das DEG-Geld will der grüne Unternehmer in Kompost-Planen stecken. Das Volumen kann er nur erhöhen, indem er immer neue Lizenzen beschafft, immer neue Verträge abschließt. Ein aufwändiges Unterfangen, sagt Paffenholz: „Es ist nicht leicht, die Behörden von unserem Konzept zu überzeugen, die meisten Beamten haben von Mülltrennung nie etwas gehört.“ Einige wittern Betrug und halten die Erlaubnis zurück. Andere wollen Schmiergeld, das der Deutsche nicht zahlt.
Der Markt ist allerdings da, denn Kenias Felder lechzen nach organischem Dünger. Jahrzehntelang bauten lokale Bauern Mais an, der günstig und ertragreich ist – aber stickstoffreichen Mineraldünger erfordert. Der laugt aber die Böden aus, was die Produktivität sinken lässt. Inzwischen hat unter Kenias Farmern ein Umdenken begonnen, bemerkt Raimund Hoffmann von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Nairobi: „Es gibt eine steigende Nachfrage nach organischem Dünger, der die Bodenqualität verbessert und den Pflanzen die Aufnahme von Nährstoffen erleichtert.“ Vor allem für Kleinbauern sei dies eine Chance: Die meisten Betriebe könnten dreimal so effizient wirtschaften, wenn sie bessere Dünger und hochwertiges Saatgut verwenden würden.
Inzwischen lässt Paffenholz vermehrt in besseren Vierteln Nairobis sammeln. Dort produzieren die Bewohner mehr Müll und sind bereit, für dessen Entsorgung gutes Geld zu bezahlen. Sein Firmensitz ist weiter am Rande des Kangemi-Slums, wo die Schilder von Taka Taka Solutions fast an jeder zweiten Hütte hängen. Der Gründer will hier sehen, wie die Stadt seiner Kindheit jeden Tag ein bisschen sauberer wird. Vielleicht werden die Bewohner eines Tages wieder aus dem Nairobi River trinken, na ja, zumindest darin baden können.