Sonnenenergie Solarbranche: Leben auf dem Sonnendeck

WirtschaftsWoche-Chefreporter Dieter Schnaas über die Zukunft der solaren Planwirtschaft in Deutschland – und über die drei großen Charakterköpfe der Branche: Immo Ströher, Frank Asbeck, Dieter Ammer.

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Wella-Erbe Immo Ströher

Ein Kaffee schwarz und ein Mettbrötchen, mit viel Salz und Pfeffer, das ist jetzt genau das Richtige. Immo Ströher hat gerade seine Yacht inspiziert, es ist Mai, es ist grau und windig und kalt, gestern ist die Tûranor von Kiel aus hier eingelaufen, morgen soll sie beim Hamburger Hafenfest paradieren. Die Tûranor, das ist Immo Ströhers Stolz, das Tarnkappenschiff eines Klimaaktivisten, das keinen Tank braucht und keine Flaute fürchtet, ein Katamaran ohne Diesel, Ruß und Röcheln, ohne Segel, Mast und Takelage, platt wie eine Flunder, wie aus einer besseren Zukunft ins Heute gefallen.

„Ich will zeigen, dass es geht“, sagt Immo Ströher. 13 Millionen Euro hat er lockergemacht für das größte Solarschiff der Welt, 825 Paneele, sechs mal zwölf Hochleistungsbatterien, vier Elektromotoren. In einem Jahr soll es so weit sein: in 160 Tagen um die Welt, 50 000 Kilometer durch die Kraft der Sonne, von Hamburg nach New York, San Francisco, Darwin, Singapur und Abu Dhabi.

Immo Ströher würde nie sagen, dass er mit der Route der Tûranor der Solarbranche den Weg weist. Dafür ist er zu höflich. Aber er weiß, dass sie raus muss aus Deutschland, aus der Enge des Subventionsparadieses, den Sonnenplätzen und dem Wettbewerb entgegen.

Staatlich organisierte Umverteilungsmaschine

In Deutschland herrscht solare Planwirtschaft, und deren Boom steckt voller Merkwürdigkeiten und Missverhältnisse: Eine Reißbrettindustrie rot-grün bewegter Ökologen hat einer Hand voll schlauer Investoren Hundert-Millionen-Vermögen beschert, die über Holdings in der Schweiz vor der rot-grünen Reichensteuer in Sicherheit gebracht werden. Eine staatlich organisierte Umverteilungsmaschine mästet mit Forschungsfördermitteln Manager, die sich jeden dritten ihrer Beschäftigten bei Zeitarbeitsfirmen ausleihen; ein aberwitzig kleiner Sektor der Energiebranche plustert sich im Namen des Weltklimas auf, um Hausbesitzern und Projektentwicklern satte Renditen zu bescheren.

Ein flüchtiger Blick auf die Zahlen genügt, um die komische Dimension der solaren Torheit zu verdeutlichen: Während der Anteil der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch (Strom, Wärme und Kraftstoff) im Jahr 2009 auf 10,1 Prozent emporgeschnellt ist, beträgt der Anteil der Fotovoltaik an diesen zehn Prozent nur 2,6 Prozent. Gut 97 Prozent liefern Wasser, Wind und Biomasse. Das heißt: Nur ein viertel Prozent seines Endenergieverbrauchs hat Deutschland 2009 aus Solar gespeist. Dafür wurden allein 2009 rund 17,3 Milliarden Euro neue Solarschulden aufgehäuft; Geld, das der Stromverbraucher dank staatlicher Solarförderung all denen überweist, die 2009 eine Anlage auf ihr Dach montierten.

Insgesamt, hat Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) ausgerechnet, steht der Stromkunde für alle Anlagen der Jahre 2000 bis 2009 bereits mit rund 52 Milliarden in der Kreide.

Die Profitabilität ist gefährdet

Das Ergebnis des Überförderungsirrsinns: Fast die Hälfte der weltweit installierten Solarstromleistung wird im kalten Dunkeldeutschland verbaut –  wovon dessen Solarindustrie immer weniger profitiert, weil mittlerweile zwei von drei Modulen importiert werden. Gleichzeitig schrumpfen die Marktanteile der Deutschen, weil China billiger liefert, der Preis für Anlagen seit 2006 um 40 Prozent gefallen ist — und weil die Märkte sich allmählich verlagern.

Die Profitabilität der einheimischen Fabriken ist gefährdet. Die angeschlagene Bitterfelder Q-Cells lässt jetzt in Malaysia fertigen; die Berliner Solon und die Hamburger Conergy stehen auf wackligen Beinen. Selbst Klassenprimus Solarworld ist auf eine konstante Zeitarbeitsquote von 30 Prozent angewiesen.

Hat die deutsche Solarindustrie ihre große Zukunft also schon hinter sich? Zeit für eine Zwischenbilanz – und das sehr persönliche Porträt einer Branche am Scheideweg.

Immo Ströher ist ein tätiger Träumer, ein mitfühlender Liberaler, ein angenehm bescheidener Multimillionär. Er engagiert sich gegen die Kernkraft, für Greenpeace und die Grünhelme, er greift sich an den Kopf, wenn er von der Uranmüllkippe „Asse“ hört, von der Walfängerei und den Arbeitsbedingungen in China.

Solarstrom-Anlage bei Quelle: AP

Man trifft nicht viele Ströhers in der Welt der Superreichen; wohl deshalb hält er sich selbst, so gut es geht, von ihnen fern. Ströher lebt in Darmstadt, unauffällig und zurückgezogen, er trägt meist ein Eterna-Hemd, eine Paisley-Krawatte und ein Tweed-Sakko, er fährt seit 40 Jahren Kombi, trinkt Wasser, Tee, nie Bier und manchmal auch einen Longdrink, er bastelt im Hobbyraum an einer historischen Hafenanlage mit japanischen Modellschiffen aus dem Zweiten Weltkrieg und verschlingt Fantasy-Romane: Jules Verne natürlich und vor allem Tolkien, den „Herr der Ringe“, immer wieder, in Englisch, Spanisch, Deutsch, zum 25. oder 26. Mal, ganz genau weiß Ströher es selbst nicht.

Natürlich trägt er am Zeigefinger „den einen Ring“, manchmal in Gold, das Geschenk seiner Kinder, manchmal in Schwarz, das Geschenk eines Bankmanagers, natürlich spricht er Sindarin, die Sprache der Elben, natürlich kennt er die Inschrift des Ringes und kann auf Kommando Min Gôr bauglo hain phain / min Gôr chebo hain… murmeln: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben, sie ewig zu binden…“

Dass Ströher einen so düsteren Spruch spazieren trägt, hat nichts weiter zu bedeuten. Der Ring zeugt davon, dass er Tolkiens Fantasie verehrt, nicht Herrschaft und Gewalt. Geld ist für Ströher kein Machtinstrument und Demonstrativgut, eher eine Möglichkeit zur Beförderung des zivilisatorischen Fortschritts. Man zögert nicht, ihn einen guten Menschen zu nennen; ein Reicher wie er passt durch jedes Nadelöhr. Seine Firmen hat er auf die Namen „Mithril“ und „Rivendell“ getauft; in Tolkiens Welt ist Mithril ein wertvolles Metall und Rivendell ein elbischer Außenposten; in Ströhers Welt ist Mithril sein Vermögen und Rivendell seine Schweizer Beteiligungsgesellschaft.

Der Investor

Produktion von Solarzellen

Ströher verwaltet seine Millionen, so gut es geht, das ist seit sieben Jahren sein Beruf. 200 Millionen Euro erlöst der Urenkel des Wella-Gründers, als die Haarpflege-Legende an Procter & Gamble verkauft wird. Einen guten Teil davon legt Ströher in der aufstrebenden Solarbranche an. An der Berliner Solon hängt bis heute sein Herz; noch immer hält er 36,1 Prozent der Aktien. Mit Q-Cells macht er sein finanzielles Glück. Als das Papier im April 2006 bei 77 Euro notiert, steigt Ströher aus – und kassiert 640 Millionen. Seither hat die Aktie 87 Prozent verloren.

Immo Ströher ist ein Solarrevolutionär der ersten Stunde. Wobei Revolutionär das falsche Wort ist. Ströher will die Welt verändern, sicher; aber genauso richtig ist, dass die Welt auch ihn verändert. So tätig er sein Leben lebt; es stößt ihm immer auch ein bisschen zu. Ströher ist gelernter Psychologe, mit Herz und Leidenschaft, in den Achtzigerjahren therapiert er lerngestörte Kinder und ihre verhaltensauffälligen Eltern; die Welt der Wirtschaft ist ihm fremd und fern. Als die Familie ihn in den Beirat der Wella ruft, ist er naiv genug zu glauben, er könne den Manager nebenberuflich geben.

In den Neunzigerjahren ist er dann viel im Sonnengürtel der Erde unterwegs, in Afrika und Südamerika. Er fängt an, sich für die Kraft der Sonne zu interessieren; als Freizeitingenieur sucht er den Kontakt mit Profis, trifft sich in Berlin mit Solartüftlern der ersten Stunde, mit Reiner Lemoine, Alexander Voigt, Paul Grunow, Holger Feist – und begleitet mit ihnen die Gründungen und Börsengänge von Solon (1996/1998) und Q-Cells (1999/-2005).

Traum vom Perpetuum mobile

Heute ist Ströher, nun ja, investierender Solaraktivist, ein Botschafter der Branche und zugleich ihr Profiteur, ein ökologisch Bewegter und monetär Bewegender, rund um die Uhr beschäftigt mit der überzeugungstäterischen Vorbereitung des postfossilen Zeitalters und der Mehrung seiner Millionen. Seine Firma Immosolar pumpt den Löwenanteil in das Projekt Weltumrundung, klar, aber sie projektiert auch Ökoresorts und schwimmende Klimahäuser, die eine lichtere Zukunft versprechen – und selbstverständlich mit Modulen von Solon ausgestattet sind.

Man könnte es Ströhers Kreislaufwirtschaft nennen, die umfassende Verschränkung von Mission und Geschäftsinteresse, von altruistischer Zukunftssicherung und egoistischer Vermögensvermehrung; die Realisierung des Traums von einem Perpetuum mobile, das ökonomische und ökologische Gewinne abwirft und alles Geld und Glück und Grün der Welt vervielfacht. Natürlich gibt es diese Welt nur im weiten Reich der Fantasie. Mit Ströhers Fantasie aber ist sie eben doch auch: ein Stück Wirklichkeit.

Wen immer man trifft in der Solarindustrie, mit wem man auch spricht über die Zukunft der Branche – alle reden von Frank Asbeck und seiner Bonner Solarworld AG. Frank Asbeck ist der Guru der Branche und ihr Gesicht, ihr Prophet und ihr Cheflobbyist, ihr Alphatier und Aushängeschild, kurz: die Personifikation ihres strahlenden Erfolgs. Frank Asbeck hat wahnsinnig viel getan für die Branche, sagt Immo Ströher. Frank Asbeck hat fast alles richtig gemacht, lobt Conergy-Chef Dieter Ammer. Frank Asbeck gelingt einfach alles, sagt Frank Asbeck.

Frank H. Asbeck, Quelle: APN

Frank Asbeck sitzt rechts hinten im Restaurant der Auberge Mistral, ein „provenzalisches Kleinod im Erzgebirge“, mit Zimmern, die „La Fleur Rose“ heißen und „Suite Louis XV.“, ganz wie es sich gehört für einen, der sich umdreht, wenn in seinem Rücken jemand „Sonnenkönig“ flüstert. Ein, zwei Mal im Monat ist er hier im sächsischen Freiberg, am deutschen Produktionsstandort der Solarworld-Familie, zurzeit etwas öfter, weil im Industriegebiet Ost vergangene Woche eine neue Waferfabrik für 350 Millionen Euro eingeweiht wurde und weil im Gewerbegebiet Saxonia derzeit viel Erde planiert wird für eine neue Modulfabrik, Fertigstellung Ende 2010.

Eine halbe Milliarde Euro an frischen Investments, Kapazitätsaufbau in den USA, dazu ein 500 Millionen Dollar schweres Joint Venture in Qatar... – ist das nicht ein bisschen viel für ein TecDax-Unternehmen, das 2009 erstmals die Umsatzmilliarde überschritten hat? Ist das nicht allzu weißmalerisch gedacht und fahrlässig wachstumsoffensiv angesichts fallender Preise, südwärts zeigender Aktienkurse, chinesischer Konkurrenz und einer Politik, die angefangen hat, der Industrie die Subventionen zu kürzen?

Die Kellnerin kommt. Frank Asbeck möchte was mit brauner Soße essen. Schweinebäckchen vielleicht? Ja, Schweinebäckchen. Also, sagt Frank Asbeck, holt tief Luft und sagt Sätze, die wie Offenbarungen vom Himmel fallen. Erstens: Die Streichung der Großflächenförderung juckt uns nicht; die trifft Produzenten minderwertiger Ware, vor allem den Marktführer First Solar und die Chinesen.

Die Fußlahmen werden aussortiert

Installation von Solarzellen

Zweitens: Die Menschen wollen saubere Module auf ihrem Hausdach, gute Qualität, made in Germany – Solarworld ist in diesem Segment Marktführer. Drittens: Die Branche steht vor ihrer Konzentration und Bereinigung, die Fußlahmen werden jetzt aussortiert, keine Frage, gnadenlos. Viertens: Die Politik beschleunigt diesen Prozess durch die Kürzung der Subventionen. Fünftens: Solarworld wird zu den großen Gewinnern gehören, weil der Konzern die gesamte Wertschöpfungskette vom Silizium bis zum Modul abdeckt, weil er Volumenvorteile genießt und mit seinen neuen Kapazitäten in die Lücken stoßen wird, die die Fußlahmen hinterlassen.

Sechstens: Der Preis für herkömmlich hergestellten Strom wird steigen, der für Solarstrom sinken; das heißt: Die Preise treffen sich – und der Boom der Branche geht erst…– Asbeck kommt nicht mehr dazu, „richtig los“ zu sagen. Die Kellnerin ist gestolpert und hat ein Glas Wasser über ihn entleert, o Gott o Gott, das tut mir leid, Verzeihung bitte, o Gott, o Gott! Aber das ist doch gar kein Problem, sagt Asbeck und lacht, wischt sich und den Tisch mit einer Serviette ab, ist doch nur Wasser, keine Buttersäure, nur bitte, sagt Asbeck: Sagen Sie nicht Gott zu mir, das ist wirklich nicht nötig.

Apropos Gott. Er gehe ja zuweilen in die Kirche, sagt Asbeck, liest die Dank- und Bittbücher – das feit einen gegen Überfliegerei. Natürlich mache ihm das manchmal Angst, dieser dauernde Erfolg, dieses glatte Gelingen, dieses grenzenlose Wachstum; natürlich frage er sich zuweilen, warum der liebe Gott es so gut mit ihm meint und wie lange das so weitergehen kann. Vor allem, wenn ich mich so angucke, sagt Asbeck und klopft auf seinen Bauch, denn gerade kommt das Schweinebäckchen mit den Saubohnen: 130 Kilo Lebendgewicht, ja ja, höchste Zeit für eine Phase der Konsolidierung.

Vorerst aber habe er Hunger, sagt Asbeck, Guten Appetit, schließlich geht es in den nächsten zwei Jahren um Marktanteile, da ist man dabei oder nicht, fressen oder gefressen werden. Die Schweinebäckchen sind gut, was meinen Sie, fragt Asbeck – und: Was wollen Sie denn sonst noch wissen? Vielleicht was über mein Damwild, meine Axishirsche oder die Hängebauchschweine? Stellen Sie sich vor: Die Schweine haben grade einen großen Wurf gelandet, 17 Junge, ausgerechnet 17, verstehen Sie: 17 Prozent Wirkungsgrad im industriellen Standardprozess, da wollen wir hin, die werden wir bald erreichen...

Sagenhaft schnell drehende Intelligenz

Man kann mit Frank Asbeck nicht über die Solarindustrie sprechen, ohne auch über sein Leben zu sprechen, das eine ist ihm so wichtig wie das andere, also spricht man auch über seinen Jagdinstinkt, seinen Glauben und seine Figur, über seinen Maserati, seine Gründerzeitvilla, seinen Wald und seinen Privatzoo, über seine Legasthenie, seine Trachtenjacken, seine Motorradtour durch Afrika und natürlich auch über seine politische Vergangenheit bei den Grünen.

Asbeck ist voller Esprit und Witz, voller Grillen und Geistesblitze, alles flackert, flunkert und zwinkert, wenn er erzählt, seine Gedanken sind immer hellwach unterwegs und immer ironisch gegen sich selbst gerichtet, es irrlichtert und tanzt, begleitet von spöttischen Spitzen, angetrieben von einer sagenhaft schnell drehenden Intelligenz, die fortlaufend kreist und kreißt und immer neue Meinungen, Ideen und Pläne produziert.

Mit Frank Asbeck Schweinebäckchen essen ist daher ein bisschen wie Karussell fahren. Lukas Podolski half er zurück zum FC nach Köln; dem Papst schenkte er ein Solardach für die Audienzhalle; General Motors bot er an, Opel zum ersten „grünen Autokonzern der Welt“ zu formen. In Frankfurt ist er bei der Privatbank Hauck & Aufhäuser eingestiegen; die Stadt Bonn hat er mit einer Million vor dem Verlust von August Mackes Selbstporträt bewahrt; in Freiberg hat er das „Tivoli“ vor der Pleite gerettet und renoviert – das „Tivoli“, wo die Puhdys ihren ersten Auftritt hatten und die Ostdeutschen Meisterschaften im Bodybuilding stattfinden – und wo es mittags ein Schweineschnitzel mit Pommes und Kaltgetränk für 3,90 Euro gibt: Man muss was tun für die Menschen, sagt Asbeck, die verdienen hier ja nicht so gut.

Conergy-Gründer Dieter Ammer

Neulich war Frank Asbeck bei einer bulgarischen Wahrsagerin, 30 Euro kostete das. Die Frau war gut, sagt Asbeck, sie hat ihm gesagt, dass er Probleme mit den Knien habe, dass er mehr Hühnchen essen solle und weniger Brot. Und sie hat ihm erzählt, dass er mit 74 ein gesundheitliches Problem bekommt. Und bis dahin will er weitermachen wie bisher? Kein Gedanke, die Millionen zu genießen und die Firma in die Hände eines Geschäftsführers zu legen? Aber nein, sagt Asbeck, doch nicht jetzt, wo’s richtig losgeht.

Natürlich, manchmal kommt er sich vor wie ein Soldat nach dem Krieg, die Kameraden alle gefallen: Von den Gründern sind ja kaum noch welche übrig, sagt Asbeck; zuletzt musste Anton Milner bei Q-Cells den Hut nehmen, davor Hans-Martin Rüter bei Conergy. Aber Asbeck ist eben Asbeck. Er möchte wissen, wie sich das anfühlt, wenn das Unternehmen erwachsen wird, zum Konzern reift und langsam ergraut. Asbeck möchte bleiben – und eine kleine Dynastie aufbauen. Seine Aktien gehen nach seinem Tod in eine Stiftung, die von seiner Frau oder seinen Kindern geführt wird, so ist es besprochen. Und er selbst will wirklich erst mit 74 Schluss machen? Wieso 74, fragt Asbeck: Ich habe der Wahrsagerin 30 Euro extra gegeben – da hat sie auf 84 erhöht.

Dieter Ammer weiß noch nicht genau, was er am 1. August dieses Jahres tun wird. Sehr wahrscheinlich eine Aspirin schlucken, sagt er und schmunzelt. Ammer steht in seinem Büro am Hamburger Anckelmannsplatz, siebter Stock, sein Blick schweift über das Fleet, in die Ferne, da zieht es ihn jetzt hin, möglichst weit weg von hier. Seine Frau und seine drei erwachsenen Kinder haben ihm vor zweieinhalb Jahren gesagt, er solle sich das gut überlegen. Ammer hat es sich damals gut überlegt – und sich entschieden, sein viertes Kind zu retten, die Conergy AG, ein seinerzeit schlimm pubertierendes Unternehmen, das versprach, zur „Microsoft der erneuerbaren Energien“ aufzusteigen – und das wegen einer Überdosis Größenwahn in akuter Lebensgefahr schwebte.

Der Sanierer

Nun also ist es so weit, Ammer hat sein Kind gerettet, jedenfalls scheint es so, noch liegt es auf der Intensivstation, aber seine Lebensfunktionen sind stabil; es muss jetzt allein zu Kräften kommen. Am 31. Juli ist Schluss für Ammer; am 1. August nimmt seine Abschiedsfeier mit einer Aspirin ihr Ende; am 5. August wird er 60 Jahre alt. Ammer freut sich. Die Zeit ist reif für Rückblicke auf ein erfolgreiches Managerleben, für lange Urlaube in Frankreich, für ein paar Segeltörns – und für viele verweilende Blicke auf die träumerische Unendlichkeit der Landschafts- und Wolkenbilder der amerikanischen Malerin Tula Telfair, mit denen Ammer sich so gerne umgibt.

Dieter Ammer ist Büchsenmacher von Beruf, Glaser und Diplom-Volkswirt. Er hat als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei Arthur Andersen gearbeitet, aus ein paar Zuckerrübenbauern die mächtige Nordzucker AG geformt, er hat die Bremer Brauerei Beck geführt und teuer an die belgische Interbrew verkauft, er hat Beiersdorf der Hamburger Tchibo Holding einverleibt – und jetzt, nach alledem, im Januar 2007, will Dieter Ammer seine hanseatische Kaufmannskarriere mit der Vermehrung seines Vermögens krönen.

Ammer hält Anteile an einem Hamburger Papier- und Zellstoffhändler und an einem Schweizer Mineralwasseranbieter, er hat 45 Millionen Euro beim Börsengang der Conergy AG (2005) erlöst und besitzt immer noch 12,7 Prozent der Aktien. So langsam kann die Karriere ausklingen. Wenn, ja wenn Conergy nicht plötzlich am Rand des Ruins stehen würde – ausgerechnet Conergy, das Unternehmen, das er 1998 mitgegründet hat, das Unternehmen, das nicht Ammers Managerkalkül herausfordert, sondern sein Unternehmerherz berührt.

Ohne Dieter Ammer würde es Conergy nicht mehr geben, darin sind sich alle in der Branche einig. Sein Vorgänger Hans-Martin Rüter, ein Enkel der Halbschwester von Ammers Mutter, hat das Unternehmen nach dem Börsengang wild wuchern lassen, es aufgebläht zu einem Mischkonzern ohne Fokus, Ziel und Richtung. Die Conergy AG ist überall dabei und nirgends gewinnbringend unterwegs, sie handelt mit Fotovoltaikprodukten und beschließt den Bau einer 250 Millionen Euro teuren Solarfabrik in Frankfurt/Oder; sie schließt auf dem Höhepunkt der Ressourcenknappheit einen acht Milliarden Dollar schweren Liefervertrag mit dem amerikanischen Siliziumhersteller MEMC ab und versteht sich zugleich als Alleskönnerin, als Unternehmen für Solarstrom und Solarthermie, für Windparks, Biomasse und Wärmepumpen – für eine blühende Zukunft als „grüne Siemens des 21. Jahrhunderts“.

Notfallmedizinische Maßnahmen

Im Vorstandszimmer des alerten Rüter stehen ein Stepper und eine Liege; manchmal sieht man den braungebrannten Chef auf einem Segway über die Flure flitzen, er grüßt nach links und grüßt nach rechts: Hallo, hier kommt Hans-Martin. Man kennt sich, und man duzt sich bei Conergy, die Stimmung ist ein bisschen Google – und so fällt es kaum auf, dass der Solarmodulhändler Conergy seine Waren nicht beim Solarmodulproduzenten Conergy kauft, weil die Konkurrenz viel billiger produziert. Das Ergebnis: Conergy schließt 2007 bei einem Umsatz von 706 Millionen Euro mit einem Minus von 248 Millionen Euro ab.

Im November kommt Ammer und räumt auf, er macht es nicht gern, das merkt er schon nach ein paar Wochen. Wenn man zu lange saniert, wird man zynisch, sagt er heute, alles Graue werde schwarz. Einem, der die Klinge mit sichtbarer Freude kreisen lässt, kündigt Ammer nach fünf Monaten; er kann beim Streichen von 1000 Arbeitsplätzen den Anblick von Freude nicht ertragen.

Zunächst verschafft Ammer dem Unternehmen Liquidität, sein guter Name zählt in Hamburg, die Banken räumen Conergy einen Brückenkredit ein, Ammers Freund Otto Happel, früher Großaktionär des Maschinenbauers Gea, lässt sich zum Einstieg überreden, Andreas und Thomas Strüngmann, die mit dem Verkauf des Generikaherstellers Hexal an Novartis reich geworden sind, beteiligen sich ebenfalls. Nach diesen ersten, notfallmedizinischen Maßnahmen sucht Ammer, sich mit MEMC zu vergleichen und seine Nachfolge zu regeln: Er gewinnt Andreas von Zitzewitz, den ehemaligen Chef des Halbleiterherstellers Infineon – wegen Bestechlichkeit verurteilt, sagt Ammer, ich weiß – aber wenn es nicht so wäre, hätte ich ihn vielleicht niemals nach Hamburg locken können.

Amerikaner vorn

Ammer konzentriert Conergy auf das Solargeschäft, stößt Rand- und Auslandsbeteiligungen ab, denkt über den Verkauf der Fabrik in Frankfurt/Oder nach. Die Preise für Silizium sind dramatisch gefallen, aus dem Rohstoffengpass, der die Produktion anfangs hemmte, ist ein Überangebot geworden; Conergy zahlt auf der Basis seines langfristigen Vertrags viel zu viel für seine Siliziumblöcke – und ist nicht konkurrenzfähig.

Erst als Ammer den Vertrag mit MEMC auf Eis legt, sich später mit dem Zulieferer vergleicht und den Vertrag auf ein Zehntel des ursprünglichen Volumens zusammenstreicht, gewinnt die Fabrik eine Perspektive. Seit Oktober 2009, so Werkschef Michael Erler, sei man endlich profitabel: sinkende Rohstoffpreise, Fixkostendegression, Prozessoptimierung – das Ruder sei herumgerissen. Erler zeigt stolz seine Lieblingsfolie, die mit der Kostenentwicklung: Ausgangswert 100 im Januar 2009, runter auf 42 im März 2010.

Heute, sagt Ammer, sei das Werk in Frankfurt die Visitenkarte des Unternehmens, die gläserne Fabrik der neuen Conergy – der perfekte Ausdruck des hohen Qualitätsanspruchs, den man als Hersteller und Händler von Solarmodulen an sich selbst stelle. Einen Ausbau der Produktion in Deutschland sieht Ammer nicht. Conergy werde seine besonders hochwertigen Produkte in Frankfurt/Oder herstellen, das ist alles – und das Handelsgeschäft im Übrigen mit einem möglichst hohen Anteil von Produkten aus Lizenzfertigungen im Ausland bestücken.

Entschlossenes Schweigen

Und das Unternehmen? Alles wieder in Butter? Weit gefehlt. Ammers Bilanz ist nicht fleckenlos. Conergy hat die Vorlage seiner Bilanz um etliche Wochen verlegt, weil sich die Gespräche mit den Banken zur Verlängerung von Kreditlinien in Höhe von 600 Millionen Euro hinziehen – und die Bilanz schließlich ohne Testat der Wirtschaftsprüfer vorgelegt. Großinvestor Happel hat seine Beteiligung am Unternehmen nicht auf 25 Prozent erhöht, wie geplant, sondern ist mit Verlust ausgestiegen – ein neuer Ankeraktionär wird dringender denn je gesucht.

Die Commerzbank, die 37 Prozent der Anteile hält, hat erst vor wenigen Wochen von der Europäischen Kommission grünes Licht für eine Übernahme erhalten, ist aber offensichtlich nicht interessiert, im Gegenteil: Sie möchte ihre Anteile loswerden, heißt es. Viel schlimmer ist, dass die Umstände eines Aktienverkaufs am 30. März 2007 noch immer nicht geklärt sind: Rüter hat damals Anteilsscheine im Wert von 16 Millionen verkauft – und Ammer, Chef des Aufsichtsrates, rund 11 Millionen erlöst.

Den im Raum stehenden Vorwurf des Insiderhandels und der Bilanzmanipulation weist Ammer weit von sich: Er habe nichts von einem drohenden Geschäftseinbruch geahnt; er finde es beschämend, verdächtigt zu werden, der Vorstand sei damals zuständig gewesen, nicht er – mehr wolle er dazu nicht sagen, das Verfahren schwebe noch. Mit Rüter habe er im Moment jedenfalls keinen Kontakt, sagt Ammer – und sein entschlossenes Schweigen spricht Bände: Mit dem bin ich fertig. Mit Happel aber, sagt Ammer, verbindet ihn weiterhin eine ganz gute Freundschaft. Trotz allem.

Veränderte Risikobewertung

Aber warum, um Himmels willen, hat der Aufsichtsrat Dieter Ammer die Katastrophe nicht bemerkt, die der Sanierer Ammer soeben noch verhindern konnte? Es ist diese Frage, die ihn nicht loslässt, die ihn vermutlich nie loslassen wird, die sein Selbstbild und seinen guten Buddenbrook-Ruf beschädigt: Ammer hat weggesehen, als Rüter den Konzern in die Katastrophe steuerte.

Es stimmt ja nicht, sagt Ammer, er habe nicht weggesehen, er habe die Wirtschaftsprüfer aufgefordert, sehr genau zu prüfen – und uneingeschränkte Testate vorgelegt bekommen.

Wissen Sie, sagt Ammer, man muss unterscheiden, was man damals unter Risiko verstand und was man heute darunter versteht; da liegen Welten zwischen. Und ein moderner Manager, der lebt immer nur in einer dieser Wirtschaftswelten – und blendet die jeweils andere aus? Der riskiert zu viel, weil alle zu viel riskieren – bis es zu spät ist? Vielleicht ist es so, sagt Ammer und zuckt die Schultern. Sein Problem ist es nicht mehr. Es ist genug, er hat seinen Teil getan, Conergy ist gerettet. Sicher?

Na ja, was ist schon sicher, sagt Ammer, aber bitte: Schreiben Sie’s nicht! Das sage ich ganz allgemein, als lebenserfahrener Exmanager – und nicht als Chef von Conergy!

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