Streitgespräch Ist Wachstum zerstörerisch?

Der Ökonom Karl-Heinz Paqué und der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel streiten über ein tragfähiges Wohlstandsmodell.

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Der Ökonom Karl-Heinz Paqué (links) und der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel im Streitgespräch. Quelle: Christoph Busse für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Miegel, die Zahl der Erdenbewohner steigt, eine Milliarde Menschen hungern. Sind wir zum Wachstum verdammt?

Miegel: Zweifellos brauchen viele Hundert Millionen Menschen Nahrungsmittel, Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser. Sie sind auf Wachstum existenziell angewiesen. Das gilt aber längst nicht mehr für alle. Wir Deutschen beispielsweise benötigen nicht länger von allem mehr.

Sagen Sie das mal einem Niedriglohnbezieher.

Miegel: Auch er gehört heute zum wohlhabendsten Fünftel der Menschheit. Seine Kaufkraft ist so hoch wie die eines durchschnittlichen Einkommenbeziehers in den 1960er Jahren. Schlimm für ihn ist, dass er nicht mit den vielen Wohlhabenden mithalten kann.

Stillstand und Schrumpfung bedeuten Verlust an Lebensstandard. Warum sollten wir den freiwillig in Kauf nehmen?

Miegel: Was heißt freiwillig? Niemand wird uns fragen. Vielmehr werden wir von Jahr zu Jahr deutlicher feststellen, dass unser spektakulär hohes Wohlstandsniveau – es ist zehn Mal so hoch wie vor 100 Jahren – nicht zu halten ist. Denn das Wachstum, das uns diesen Wohlstand beschert hat, zerstört die Grundlagen seines eigenen Erfolgs. Für die heute wohlhabenden Völker kann deshalb die Zukunftsformel nur lauten: So viel Wachstum wie unbedingt nötig – und so wenig wie möglich.

Wachstum der Mega-Metropolen
Platz 10: N.Y.-Newark (USA)Bereits 1960 lebten rund 14 Millionen Menschen im Großram New York- Newark. Laut Prognosen sollen es 2020 über 20 Millionen sein. Das würde einem Wachstum von 44 Prozent entsprechen. (Quelle: UN) Quelle: dapd
Platz 9: Tokio (Japan)Um 122 Prozent soll Japans Hauptstadt zwischen den Jahren 1960 und 2020 wachsen. Schon 1960 lebten in Tokio 16,5 Millionen Menschen - 2020 sollen es aber fast 38 Millionen sein. Zwar reicht es mit dieser Wachstumsprognose nur für einen der hinteren Plätze - allerdings wäre Tokio mit dieser Bevölkerungszahl 2020 die weltweit größte Stadt! Quelle: Reuters
Platz 8: Shanghai (China)Fast 20 Millionen Menschen sollen im Jahr 2020 in Shanghai leben - 1960 belief sich die Zahl der Einwohner noch auf 6 Millionen. Dieser Anstieg würde einem Wachstum von 180 Prozent entsprechen. Quelle: Reuters
Platz 7: Kalkutta (Indien)Knapp 6 Millionen Menschen lebten im Jahre 1960 in Kalkutta. Die Zahl der Einwohner soll bis 2020 um 227 Prozent steigen - dann soll die Stadt laut Prognosen Platz für über 18 Millionen Menschen bieten. Quelle: Reuters
Platz 6: Mexiko-Stadt (Mexiko)Ein Wachstum von 309 Prozent hat Mexiko-Stadt zu erwarten. 4,5 Millionen Menschen lebten hier 1960 - im Jahr 2020 sollen es bereits über 20 Millionen sein. Quelle: dapd
Platz 5: São Paulo (Brasilien)Noch stärker fällt der Wachstum mit 445 Prozent in Brasiliens größter Stadt aus. 2020 sollen in São Paulo fast 22 Millionen Menschen Platz finden - 1960 belief sich die Zahl der Einwohner auf "nur" 4 Millionen. Quelle: Reuters
Platz 4: Mumbai (Indien)Mit stolzen 484 Prozent Wachstum muss eine der wichtigsten Hafenstädte Indiens rechnen. Auch Mumbai fasste im Jahr 1960 nur knapp 4 Millionen Einwohner. Allerdings soll die Stadt 2020 fast 24 Millionen Menschen Platz zum Leben bieten. Quelle: dapd

Herr Paqué, brauchen wir zwei Wachstumsmodelle? Ein Modell für Entwicklungs- und Schwellenländer – und ein Modell für Industrienationen?

Paqué: Ich bin zunächst einmal froh, dass Herr Miegel dem ärmeren Teil der Welt – und damit 80 Prozent der Weltbevölkerung – Wachstum gönnt. Schade nur, dass er es den anderen 20 Prozent vorenthalten will. Warum nur? In den Industrieländern haben wir doch längst qualitatives Wachstum erreicht – ein Wachstum des Wissens, das uns Ressourcen und Umwelt schonende Produktionsverfahren beschert. Da frage ich mich schon, warum

Herr Miegel ausgerechnet bei uns das Wachstum ausbremsen will. Mit den Autos, die vor 30 Jahren über unsere Straßen rollten, werden wir die Erde bestimmt nicht retten.

Miegel: Ich wäre einverstanden, wenn ihre Aussage stimmte, dass Wachstum hierzulande eine bloßes Wachstum des Wissens sei. Zwar gibt es ein solches Wachstum, aber die Masse unseres Wachstums geht nach wie vor einher mit Ressourcenverbrauch und Umweltbeeinträchtigung. Würde die Menschheit so wirtschaften wie wir Deutschen, bräuchte sie 2,6 Erden. Wir sind also wirklich kein Vorbild. Doch weil uns viele nacheifern, verschlechtern sich die Lebensgrundlagen aller dramatisch. Auf diesem Pfad können wir nicht weiter marschieren.

Und auf welchen Pfad müssen wir Ihrer Meinung nach einbiegen?

Miegel: Auf den Pfad zukunftsfähiger Wohlstandsmehrung. Wachstum bedarf einer Art Unbedenklichkeitsbescheinigung. Denn nicht alles, was wächst, ist gut. Vieles ist sogar ausgesprochen schlecht. Die entscheidende

Frage ist daher: Welcher Wohlstand ist möglich, ohne dass Lebensgrundlagen beschädigt oder gar zerstört werden?

Paqué: Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass alles Positive in der Welt durch Wachstum erzielt wird. Und natürlich weiß ich, dass Wachstum die Menschen ab einem bestimmten Niveau nicht unbedingt glücklicher macht. Aber was daraus politisch folgt, ist offen. Die amerikanische Verfassung etwa garantiert den Menschen das „Verfolgen des Glücks“, nicht das Erreichen. In jedem Fall ist unbestreitbar, dass die Produktion in den Industriestaaten heute weniger Ressourcen verschlingt als früher. Auch steht für mich außer Frage, dass künftige Techniken noch schonender mit den vorhandenen Knappheiten umgehen werden. Die einzigen Systeme in der Geschichte, die sich nicht entwickelt haben, sind solche, die Marktsignale ignoriert haben. Der Kommunismus ist dafür das beste Beispiel. Der wollte die Menschen zu ihrem Glück zwingen und hat eine ökologische Katastrophe produziert.

Die Belastung des Planeten

Schmutziges Wachstum
Brasilien Quelle: dpa
Platz 12: ChinaVeränderung CO2-Ausstoß (zum Vorjahr): +10,4% Zuwachs Bruttoinlandsprodukt: +10,3% Quelle: dpa
Platz 11: IndienVeränderung CO2-Ausstoß (zum Vorjahr): +9,1% Zuwachs Bruttoinlandsprodukt: +9,7% Quelle: dapd
Südkorea Quelle: AP
Japan Quelle: AP
Russland
USA Quelle: Reuters

Haben wir denn noch die Zeit, darauf zu warten, dass der technische Fortschritt das Wachstum möglicherweise umweltverträglich macht? Die Belastung des Planeten stößt doch längst an Grenzen.

Miegel: Das ist der Punkt. Herr Paqué verbreitet einen wirklich ansteckenden Optimismus.

Paqué: Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich Sie hätte anstecken können.

Miegel: Zu recht. Aber ich frage mich schon, woher sie diesen Optimismus nehmen. Fakt ist doch, dass ein Großteil des heutigen Wachstums durch aufgebauschte Nutzlosigkeiten erzielt wird: durch Marketingaktionen, die verbergen sollen, dass angebliche Innovationssprüngen in Wahrheit nicht anderes als kleine Produktmodifikationen sind. Als ich vor rund 50 Jahren meinen ersten elektrischen Rasierapparat in Gebrauch genommen habe, war der nicht so viel anders als mein heutiger. Er rasierte.

Paqué: Ich rasiere mich nass – aus Energiegründen.

Miegel: Sind Sie sicher, dass die Rasierklingen eine bessere Ökobilanz haben? Aber im Ernst: Ob Auto, Flugzeug, Eisenbahn: Keine bedeutsame Innovation der Moderne hat das Grundproblem gelöst, nämlich die Hebung materiellen Wohlstands ohne Beeinträchtigung der Lebensgrundlagen.

Ressourcenverbrauch der Industrieländer im Überblick (zum Vergrößern bitte Bild anklicken).


Es gibt heute Computer, Mobiltelefone, Windräder und das Internet – alles Erfindungen, auf die auch Sie nicht werden verzichten wollen.

Miegel: Wer will das schon. Dennoch ist es aberwitzig, den Durchsatz von mehr oder minder gleichen Produkten zu forcieren, um Umsatz und Gewinn zu steigern. So nach dem Motto: Weg mit den alten Klamotten – her mit den neuen, den flotten. Da ist weit und breit keine Innovation.

Paqué: Wollen Sie wirklich behaupten, der Großteil neuer Produkte sei nutzlos? Wollen Sie zurück vom Handy zum Festnetztelefon, vom iPad zur Schreibmaschine, vom Internet zur gelben Post? Und wollen sie Produktinformation, Marketing und Werbung verbieten?

Miegel: Das nicht. Aber wenn an jeder Straßenecke steht: Iss was, trink was, kauf was, dann darf dies gesellschaftlich geächtet werden.

Paqué: Was wollen Sie dagegen tun? Es ist doch eine merkwürdige Vorstellung Unternehmen verbieten zu wollen, für ihre Produkte zu werben.

Miegel: Diese Vorstellung ist durchaus nicht merkwürdig, wenn Herstellung, Verbrauch und Bewerbung eines Produkts Schäden verursachen, die dessen Nutzen übersteigen.

Paqué: Umso größer ist die Notwendigkeit für technologische Innovationen. Ein Beispiel: Israel hat eine hervorragende Wassertechnologie, die Pflanzen genau so viel Wasser zuführt, wie diese brauchen. Praktisch nichts verdunstet oder versickert ungenutzt. Das versetzt Israel in die Lage, in einer wasserarmen Region große Mengen landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen und so die eigene Ernährungsgrundlage zu sichern. Nur auf solchen Pfaden kommen wir ökologisch voran.

Tatsache ist dennoch, dass die Kurven des Ressourcenverbrauchs steil steigen. Wie wollen Sie diesen Trend umkehren?

Paqué: Technischer Fortschritt entsteht als Reaktion auf veränderte Preise. Die Ölpreiskrisen sind dafür ein wunderbares Beispiel – sie haben zu einer völligen Revision des Kapitalstocks in den Industrieländern geführt. Oder nehmen Sie die Seltenen Erden. Diese Hightech-Metalle sind plötzlich knapp und teurer. Und wenn sie teurer werden, werden wir das tun, was vernünftig ist: Unsere Handys recyceln. Kurzum: Krisen erzeugen Anpassungsdruck.

Ressourcen und Umwelt

Aber bestimmte Knappheiten, die man für unendlich verfügbar hielt – Land, Wasser, Luft – wurden nie mitgerechnet? Wie kann es gelingen, diese knappen Ressourcen in den Preisen zu berücksichtigen

Miegel: Der Markt alleine schafft das nicht. Er hat seine unüberbietbaren Stärken. In Bezug auf Ressourcen und Umwelt sind seine Mechanismen jedoch nicht ausreichend. Und bei langfristigen Entwicklungen von Gesellschaften oder gar der Menschheit, ist er weitestgehend überfordert. Das ist nicht sein Wirkungsbereich.

Paqué: Was schlagen Sie vor? Wollen Sie den Ölpreis durch noch höhere Steuern verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen? Sie müssen doch – außer Appellen zur Umkehr – eine Konzeption im Kopf haben! Haben Sie aber nicht. Meine Sicht der Dinge ist: Wir können uns nur auf der Basis dessen, was wir heute wissen, tastend vorwärts bewegen – und genau das tun wir. Der Ölpreis steigt, in den Energiepreis werden alle möglichen Umweltkosten eingerechnet – und wir alle helfen mit unseren Steuergeldern, uns Optionen künftiger Mobilität und Energiegewinnung offen zu halten. Politisch geht es nicht darum, das Steuer mit einem kräftigen Schwung herumzureißen, sondern den Prozess mit Augenmaß zu lenken.

Miegel: Der Staat hat immer wieder handeln müssen, weil der Markt es nicht tat. Vermutlich führen wir noch heute ohne Katalysatoren in unseren Autos herum, wenn der Staat ihre Einführung nicht erzwungen hätte. Übrigens gegen den massiven Widerstand der Industrie.

Paqué: Das ist doch genau der Prozess, von dem ich spreche.

Miegel: Dann sind wir uns ja einig., dass es ein Zusammenwirken von Markt und Staat geben muss.

Paqué: Natürlich, aber welche technologischen Durchbrüche wann passieren, kann niemand voraussagen – weshalb sich der Staat in der Feinsteuerung vornehm zurückhalten sollte. Es ist vermessen zu glauben, wir seien in der Lage, technologische Innovationen zu prognostizieren. Sicher ist nur, dass es sie geben wird.

Miegel: Das ist ein kühner Salto. Eben haben sie uns noch aufgefordert, auf technischen Fortschritt zu setzen und jetzt erklären sie, dass niemand diesen Fortschritt vorhersehen könne. Was gilt denn nun?

Paqué: Mit Angstszenarien kommen wir jedenfalls nicht weiter. Ihre Frage erinnert mich an die Diskussion um die atomare Bedrohung in den Achtzigerjahren. Die einen beschworen die Apokalypse herauf, die anderen sagten: Keine Panik – es wird schon eine angemessene Reaktion auf die Gefahr geben. Und so ist dann auch gekommen.

Miegel: Was ist gekommen. Die atomare Apokalypse wurde doch nicht durch technischen Fortschritt abgewendet. Aber lassen wir das. Der Grundwiderspruch ihrer Argumentation ist doch, dass sie unendliches Wachstum in einer endlichen Welt propagieren. Das geht nur, wenn wir dieses Wachstum entweder weitgehend entstofflichen oder in völlig geschlossene Kreisläufe lenken. Von beidem sind wir weit entfernt. Und deshalb explodieren die Energie- und viele Rohstoffpreise, die Ernährungsgrundlage wird schmaler und vieles andere mehr.

Neue Technologien zur Energiegewinnung
Solarzellen gehören in der Stadt von Morgen zu den wichtigsten Technologien bei der Energiegewinnung. Die Integration in die Gebäudehüllen spart Material und verbilligt den Sonnenstrom. Illustration: Javier Martinez Zarracina
Strom erzeugende Straßen gehören zu der Vision des amerikanischen Startup Solar Roadways. Die Oberfläche besteht aus einem extrem harten Glas, darunter befinden sich Solarzellen. Im US-Bundesstaat Idaho wurde so der erste Strom erzeugende Parkplatz aus Solarmodulen gebaut. Illustration: Javier Martinez Zarracina
Durch transparente Farbstoffsolarzellen können zusätzlich Fassadenflächen zur Energiegewinnung genutzt werden. Das australische Solarunternehmen Dyesol und der US-Glashersteller Pilkington wollen bereits in wenigen Jahren damit beginnen, Glas mit Solarzellen aus Farbstoffen zu bedrucken. Illustration: Javier Martinez Zarracina
Einzelne Haushalte können sich zukünftig durch Kleinwindräder, die sich leicht auf Hausdächern und an Balkonbrüstungen montieren lassen, mit Strom versorgen. Der Branchenverband RenewableUK rechnet damit, dass in England bis 2020 Kleinwindräder mit einer Gesamtleistung von 1,3 Gigawatt installiert sein werden - so viel wie ein großes Atomkraftwerk derzeit produziert. Illustration: Javier Martinez Zarracina
Elektroautos könnten in den zukünftigen Megacities direkt am Parkplatz aufgeladen werden - durch Windenergie. Sanya Skypump heissen diese Windturbinen, die vom New Yorker Kleinwindanlagen-Startup Urban Green Energy entwickelt wurden. Illustration: Javier Martinez Zarracina
Selbst Biomasse lässt sich in den Städten zur Energiegewinnung nutzen. Durch Fermentierungsanlagen wird aus dem angefallenen Müll Biogas erzeugt - womit sich wiederum gasbetriebene Fahrzeuge antreiben lassen. Zudem... Illustration: Javier Martinez Zarracina
...lässt sich das gewonnene Biogas problemlos in das Gasleistungsnetz mischen. So können auch hocheffiziente Blockheizkraftwerke betrieben werden, die dann in den Kellern von Gebäuden Wärme und Strom erzeugen. Illustration: Javier Martinez Zarracina

Herr Paqué, ist es nicht unbestreitbar, dass das heutige Wachstum die Reserven des gesamten Planeten überfordert?

Paqué: Natürlich brauchen wir ein verstärktes Wirtschaften in Kreisläufen. Nur die Vorstellung, dass wir im Voraus genau wissen, wo Engpässe auftreten – die widerspricht aller geschichtlichen Erfahrung. Ich halte es mit Trial and Error, also einem Prozess, an dessen Ende sich zeigen wird, welche Technologien uns weiterhelfen. Sobald am Markt Knappheiten auftauchen, werden sich Wege finden, damit umzugehen.

Wir reden nicht von Knappheiten, sondern von Endlichkeiten.

Paqué: Knappheiten sind stets das Ergebnis von Endlichkeiten.

Miegel: Das ist der Unterschied. Weil wir wirtschaften wie wir wirtschaften, verschlechtern sich fortwährend die Grundlagen dieses Wirtschaftens: Überfischte und übersäuerte Meere, sterbende Korallenriffe, vermüllte Ozeane. Und bisher hat kein technischer Fortschritt diese Entwicklung umgekehrt oder beendet oder auch nur verlangsamt, im Gegenteil.

Wachstumszwang der Unternehmen

Wie soll unsere Industrie wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihr Wachstum drosseln soll?

Miegel: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sind doch nicht das Gleiche. Ein Unternehmen kann wettbewerbsfähig bleiben, ohne zu wachsen.

Aber jedes Unternehmen steckt doch in einem Wachstumszwang. Es muss der Konkurrenz trotzen – und genügend Geld für die Entwicklung marktfähiger Produkte verdienen.

Miegel: Das soll es ja auch. Ich plädiere doch nicht für die Beendigung von Erkenntnisprozessen. Dafür bedarf es aber nicht ständiger Expansion.

Paqué: Weg vom Wettbewerb wollen Sie, denn der erzeugt fast automatisch Wachstum.

Herr Miegel, wir können Sie da nicht rauslassen. Was für ein Wirtschaftssystem schwebt Ihnen vor? Ohne Wachstum gibt es keinen Zins, keine Dividende.

Miegel: Bei Licht betrachtet gibt es die in den entwickelten Ländern schon heute nicht mehr. Was da als Zinsen und Dividenden ausgegeben wird, ist doch zumeist nur ein aufgeschäumtes Geldsubstrat ohne eigentliche Fundierung. Im Übrigen hat die Menschheit während des längsten Teils ihrer Geschichte ohne Zinsen und Dividenden gewirtschaftet. Doch entscheidend ist: Auch künftig wird es Zinsen und Dividenden geben, allerdings werden sie nur von einer recht kleinen Minderheit erwirtschaftet werden.

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Herr Paqué, hat der Bankrott des Finanzmarktkapitalismus nicht vorweg genommen, was uns bei der hemmungslosen Übernutzung der Umwelt noch bevorsteht? Wir haben uns Zukunft gekauft, uns eine Weile an den Renditen berauscht – und werden jetzt auf eine Gegenwart zurückgeworfen, die ihre künftigen Potenziale schon verbraucht hat.

Paqué: Es ist unbestritten, dass im letzten Jahrzehnt die Bewertung der Vermögen der Vermögenssubstanz davongeeilt ist. Das war eine Ursache der anschließenden Krise. Aber an deren Ende, da bin ich sicher, werden wir wieder zu realen Renditen zurückkehren. Es widerspricht aller Erfahrung, dass wir keine echten Renditen mehr erwirtschaften können. Welcher Lenkungsmechanismus sollte wirtschaftliches Handeln sonst steuern?

Miegel: Was da als Wirtschaftswachstum ausgegeben wird, ist schon lange eine Fiktion, die seit den 1970er Jahren s durch kreditfinanzierte Konjunkturprogramme aufrecht erhalten wird. Die Schuldenberge, unter denen wir heute ächzen, können unschwer auf diese Wachstumspolitik zurückgeführt werden. Daher ist es blanker Hohn,wenn es heute heißt: Wir brauchen weiteres Wachstum, um unsere Schulden abzubauen. So wird seit 40 Jahren argumentiert und die Schuldenberge werden immer höher.

Das mag ja sein. Dennoch brauchen wir Wachstum auch, um die Renten und das Arbeitslosengeld zu finanzieren. Oder sehen Sie das anders?

Miegel: Wieso braucht eine Volkswirtschaft, die so gigantische Gütermengen wie die deutsche bereitstellt, noch größere Gütermengen, um die Sozialsysteme finanzieren zu können? Noch vor 30 Jahren hätten die Menschen gar nicht verstanden, wovon wir reden. Ebenso lässt sich die Beschäftigungsfrage außerhalb des Wachstumsparadigmas lösen. Das ist eine Verteilungsfrage.

Paqué: Ein Rückgang der Gütermengen und -werte soll es Ihrer Meinung nach richten? Was ist denn das für eine Vorstellung? Sie sagen, Sie sind für Innovationen in einer Welt, die nicht wächst. Mir ist schleierhaft, wie die aussehen soll. Noch schleierhafter ist mir, wie Sie Ihren Wunschzustand der „wohlwollenden Stagnation“ aufrecht erhalten wollen. Würde der deutschen Industrie nichts mehr einfallen, was sie verkaufen kann – ihr Niedergang wäre programmiert. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet eine Verarmung relativ zu anderen Ländern. Entschuldigung, aber: Ihr Stagnationsbild ist Schönfärberei. Denken Sie mal an Großbritannien

Gewinner und Verlierer des Wachstums

Die größten Anlagenbauer
NordexNach zwei verlustreichen Jahren und vielen Einsparungen lief es 2013 für Nordex wieder besser. Der Windturbinenbauer kehrte in die Gewinnzone zurück. In der Vergangenheit trennte sich Nordex unter anderem verlustreichen Produktionsstätten in den USA und China und konzentrierte sich ganz auf den Bau von Onshore-Anlagen. Mit der Strategie konnte das Unternehmen in Deutschland Marktanteile gewinnen. 2012 kam Nordex auf 3,5 Prozent, 2013 waren es im On- und Offshore-Bereich zusammen bereits sieben Prozent. Auch die Aussichten sind gut: Für 2014 rechnet der Vorstand mit neue Aufträge im Umfang von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Siemens WindenergiesparteSiemens ist Weltmarktführer bei Offshore-Windrädern und dominiert auch in Deutschland diesen Bereich. Hierzulande kommt das Unternehmen in dem Segment auf 52,1 Prozent Marktanteil. Im On- und Offshore-Bereichen zusammen hatte Siemens Wind Power 2013 einen Anteil von 9,8 Prozent und liegt damit auf Platz vier. Nach dem Verkauf der gefloppten Solarsparte will sich Siemens künftig noch mehr auf die Energie aus Wind und Wasser zu konzentrieren. Das Geschäft lief zuletzt insbesondere im Ausland gut. Im Dezember 2013 erhielt das Unternehmen mehrere Großaufträge in den USA. In Deutschland gibt es aber auch Probleme: Bei der Anbindung von vier Offshore-Windparks in der Nordsee liegt Siemens dem Zeitplan um mehr als ein Jahr hinterher. Die Verzögerungen sollen Siemens bereits mehr als 600 Millionen Euro gekostet haben. Quelle: dpa
SenvionDas Hamburger Unternehmen Senvion (ehemals Repower ) ist eine Tochter des indischen Windkraftkonzerns Suzlon. Wie Nordex ist es auch dem Hamburger Unternehmen gelungen, Marktanteile zu gewinnen. 2013 installierte Senvion Anlagen mit rund 484 Megawatt und nun einen Markanteil von insgesamt 13,5 Prozent. Im Onshore-Bereich sind es sogar 16,2 Prozent. Das sind drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Deutschland hat das Unternehmen nach eigenen Angaben nun eine Gesamtleistung von 2,8 Gigawatt installiert. Im März 2014 hat Senvion die Schwelle von 10 Gigawatt weltweit installierter Leistung überschritten. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen allerdings auch mit deutlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen. Quelle: dpa
VestasDer weltgrößte Windturbinenhersteller Vestas hatte in Deutschland 2013 einen Marktanteil von 16,7 Prozent (Onshore 20 Prozent). Damit hat der Anlagenbauer zwar rund sechs Prozent an die kleineren Mitbewerber verloren, liegt aber weiterhin klar auf Platz zwei. Allein 2013 stellte das dänische Unternehmen Anlagen mit einer Leistung von 598,9 Megawatt in Deutschland auf. Wirtschaftlich ist Vestas offenbar auf einem guten Weg: Nach massiven Sparmaßnahmen in den Vorjahren hat das Unternehmen im letzten Quartal 2013 erstmals seit Mitte 2011 wieder einen Gewinn erwirtschaftet. Der Jahresverlust lag bei 82 Millionen Euro, nach 963 Millionen Euro 2012. Quelle: ZB
EnerconDas vom Windpionier Aloys Wobben gegründete Unternehmen ist unangefochtener Marktführer in Deutschland bei Anlagen auf dem Festland (49,6 Prozent Marktanteil). Onshore-Anlagen mit einer Leistung von 1.484,6 Megawatt hat Enercon allein 2013 aufgestellt. Auf dem Gesamtmarkt musste der Windanlagenbauer allerdings Verluste hinnehmen. Lag der Markanteil 2012 bei 54,3 Prozent, betrug er zuletzt noch bei 41,4 Prozent. Weltweit hat das Unternehmen mittlerweile mehr als 20.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 28 Gigawatt installiert. Laut den Wirtschaftsforscher von Globaldata liegt Enercon im globalen Vergleich damit auf Platz. Geschlagen werden die Ostfriesen von der dänische Konkurrenz Vestas. Quelle: dpa

Der Niedergang der Industrie hat dort das Aufblühen einer Finanzindustrie begünstigt, die das fehlende Wachstum künstlich erwirtschaften sollte. Ist das erstrebenswert?

Miegel: Wollen Sie mich nicht verstehen? Ich sage: Man kann innovativ sein, ohne expansiv zu sein.

Paqué: Erzählen Sie das mal einem Unternehmer. Wie stellen Sie sich das vor? Da geht der Chef in seine Forschungsabteilung und sagt: Leute, wir wollen keine neuen Märkte mehr erobern, wir verfolgen jetzt eine gezielte Strategie der Saturierung? Und was, wenn die Konsumenten das ganz anders sehen und das neue Produkt kaufen? Plötzlich haben sie – oh Schreck! – Wachstum!

Miegel: Sie wollen mich immer noch nicht verstehen. Das viel wahrscheinlichere Szenario ist doch, dass der Chef in seine Forschungsabteilung geht und sagt: Leute, die Rohstoffpreise und Umweltschutzauflagen erdrosseln uns. Lasst uns dringend etwas erfinden, das uns aus diesem Dilemma herausbringt. Auch wenn wir selbst dann eine Schrumpfung nicht ganz vermeiden können.

Paqué: Natürlich wird es immer Gewinner und Verlierer des Wachstums geben, aber insgesamt für die Gesellschaft ein Mehrwert herauskommen. Und der heißt Wachstum.

Aber was, meine Herren, sind die Lösungen? Sie, Herr Miegel, argumentieren apokalyptisch – und weichen der Frage nach den praktischen Konsequenzen einer Schrumpfkur aus. Sie, Herr Paqué, argumentieren zwangsoptimistisch: Nur mit mehr Wachstum überholen wir den wachsenden Ressourcenverbrauch – wie stellen Sie sich das vor?

Miegel: Ich rede vom Ende einer bestimmten Art zu wirtschaften und nicht vom Weltenende. Und die praktischen Konsequenzen hieraus, habe ich angesprochen. Ich sehe keine, die nicht zu handhaben wären. Und glücklicherweise hat das Umdenken ja auch schon eingesetzt. Das Problem ist: Es ziehen noch nicht alle mit. Deshalb stellt sich die Frage: Kann, darf und soll ein einzelner Staat vorangehen? Meine Antwort ist: Ja! Wer kann, muss jetzt das Notwendige tun.

Paqué: Wenn die Lage wirklich so dramatisch ist, wie Sie sagen, dann nutzt es überhaupt nichts, dass Deutschland vorangeht. Vor allem warne ich davor, Chinesen und Inder in ein Wachstumskorsett zu zwängen oder noch schlimmer: sie an den Pranger zu stellen.

Miegel: Das tut doch niemand.

Paqué: Was wir jetzt brauchen, sind geduldige Verhandlungen, bis diese Länder ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht haben – und einen Bewusstseinswandel erleben. In 20, 30 Jahren wird China an einem Punkt sein, an dem sich auch dort andere Präferenzen durchsetzen werden. Und bis dahin müssen wir China mit einem Mix aus politischem Druck und technologischen Innovationen auf die Sprünge helfen.

Miegel: Sie kommen mir vor wie ein Autofahrer, der mit 100 Sachen auf eine Wand zurast und sagt: Bis jetzt ist doch alles gut gegangen. Das stimmt sogar. Aber irgendwann kommt aber der Punkt, da kann er so viel auf die Bremse treten, wie er will – er wird gegen die Wand prallen. Ihre Sicht mag ja realistisch sein, aber ich empfinde sie als zutiefst resignativ und folglich deprimierend.

Paqué: Ich warne vor überspannten Erwartungen, das ist alles. Und ich warne vor allem vor einem moralisierenden Ton. Ich verstehe mich nicht als verantwortungslosen Gesellen, der nicht vom Gaspedal runtergeht, sondern als nüchternen Beobachter, der weiß, dass zwischen Erkenntnis und Umsetzung politische Prozesse liegen, die Zeit brauchen. Wir müssen die Menschen in der ganzen Welt mitnehmen, und zwar auch jene, die heute noch mit bitterer Armut kämpfen.

Miegel: Also die Vorstellung, alles solle weiter wachsen, bis wir in einer Zeit angelangt sind, in der dieses Wachstum nicht mehr gebraucht wird – diese Vorstellung halte ich für abenteuerlich.

Paqué: Was empfehlen Sie denn?

Lässt sich die Erde mit Wachstum retten?

Die zehn größten Klimasünder
Iran Quelle: REUTERS
Auf Platz neun liegt Saudi-Arabien. Im Jahr 2010 lag der Ausstoß an CO2 bei 563 Millionen Tonnen. Ein Plus von 19 Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorjahr. Quelle: dpa
Kanada Quelle: dapd
Im Vergleich zu 1990 hat Südkorea seinen Ausstoß an dem Treibhausgas um 179 Prozent erhöht. 2010 lag der komplette Kohlenstoffdioxid-Ausstoß bei 716 Millionen Tonnen. Damit liegt das Land auf Platz sieben. Quelle: dpa
Um immerhin 20 Prozent hat Deutschland seinen CO2-Ausstoß seit 1990 gesenkt. Trotzdem lag er im Jahr 2010 noch bei 828 Millionen Tonnen. Quelle: dapd
Japan hat sowohl den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß seit 1990 gesteigert, als auch den Ausstoß im Vergleich zum Vorjahr. Mit 1308 Millionen Tonne liegt das Land auf Platz fünf der größten Klimasünder. Quelle: REUTERS
Platz vier für Russland. Mit 1700 Millionen Tonnen hat das Land seinen CO2-Ausstoß zwar um 28 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt - im Vergleich zu 2009 ist es aber eine Plus in Höhe von 166 Millionen Tonnen. Quelle: dpa-tmn

Miegel: Erstens, wir nehmen den Fuß vom Gaspedal.

Paqué: In Deutschland. In China und Indien ja wohl nicht.

Miegel: In Deutschland und in den anderen entwickelten Ländern.

Paqué: Was wollen Sie damit erreichen? Wir sprachen am Anfang schon davon. In den entwickelten Ländern leben 20 Prozent der Weltbevölkerung.

Miegel: Aber diese 20 Prozent verbrauchen mindestens ebenso viele Ressourcen und belasten die Umwelt mindestens ebenso stark wie die übrigen 80 Prozent. In Sachen Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung stehen sich also zwei gleichgewichtige Blöcke gegenüber.

Paqué: Wie viel wollen Sie denn in Deutschland einsparen an Ressourcenverbrauch? Fünf Prozent, zehn Prozent, 20 Prozent? Über welchen Zeitraum? Wenn Sie jetzt sagen, Deutschland solle in den nächsten zehn Jahren zehn Prozent schrumpfen, dann sage ich Ihnen: Das bringt gar nichts. Wenn sich in den nächsten 30 Jahren drei Milliarden Menschen industrialisieren, dann ist das schlicht irrelevant.

Miegel: Wenn es nach ihnen ginge, könnten wir also die Hände in den Schoß legen. Das ist nicht meine Vorstellung von Zukunftsgestaltung. Vielmehr sollten wir in den entwickelten Ländern der übrigen Welt zeigen, wie es gehen kann.

Paqué: Ich habe nichts gegen Vorbilder, aber ich habe etwas dagegen, dass unsere Industrien abwandern und anderswo weniger umweltfreundlich produzieren als hier. Das ergibt global keinen Sinn.

Die OECD hat ausgerechnet, dass die Weltwirtschaft bis 2050 um das 15-fache wachsen muss, um neun Milliarden Menschen unseren Wohlstand zu ermöglichen. Ist das überhaupt denkbar?

Paqué: Na ja, 1820 hat man auch nicht gedacht, dass die Industrielle Revolution all das in Gang bringen würde. Aber natürlich, Sie haben Recht: Die Dramatik der heutigen Situation besteht darin, dass wir es nicht mit wenigen kleinen Tigerstaaten zu tun haben, die rasant wachsen, sondern mit zwei, drei Riesen. Und diese Riesen verändern die ganze Fragestellung.

Miegel: Sie verschlimmern die Situation.

Paqué: Sie lassen das Problem der Ressourcenknappheit drängender werden. Sie machen uns klar, dass wir einer Lösung nur dann näher kommen, wenn wir ihre Entwicklung begleiten.

Herr Paqué: Können wir unsere Erde mit Wachstum retten?

Paqué: Warum nicht? Ich meine, ich kenne die Zukunft nicht, Sie, Herr Miegel, allerdings auch nicht. Aber als überzeugter Liberaler habe ich das aufklärerische Grundvertrauen, dass die Menschheit in der Lage ist, ihre Probleme in den Griff zu bekommen – und zwar durch wohldurchdachtes politisches und wirtschaftliches Handeln, und nicht durch radikale Maßnahmen aus Angst vor der Zukunft.

Herr Miegel, lassen sich mit Verzichtaufrufen Mehrheiten gewinnen?

Miegel: Ich rufe nicht zum Verzicht auf, sondern sage: Stellen wir uns darauf ein, dass es weniger werden wird und lernen wir, mit dieser Situation umzugehen. Abgesehen davon hätte ich es noch vor zwei Jahren nicht für möglich gehalten, dass sich 2012 die FDP und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft veranlasst sehen, großformatig für Wachstum zu werben.

Das zeigt, dass sich das Klima deutlich verändert hat, dass an der Frage: „Hat sich unser Wachstumsmodell überlebt?“ keiner mehr vorbei kommt. Das heißt: Ich bin mir bewusst, dass sich vorläufig nur eine Minderheit von meinen Positionen angesprochen fühlt. Aber ich bin mir sicher, dass es sich dabei um eine rasch wachsende Minderheit handelt.

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