WirtschaftsWoche: Herr Miegel, die Zahl der Erdenbewohner steigt, eine Milliarde Menschen hungern. Sind wir zum Wachstum verdammt?
Miegel: Zweifellos brauchen viele Hundert Millionen Menschen Nahrungsmittel, Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser. Sie sind auf Wachstum existenziell angewiesen. Das gilt aber längst nicht mehr für alle. Wir Deutschen beispielsweise benötigen nicht länger von allem mehr.
Sagen Sie das mal einem Niedriglohnbezieher.
Miegel: Auch er gehört heute zum wohlhabendsten Fünftel der Menschheit. Seine Kaufkraft ist so hoch wie die eines durchschnittlichen Einkommenbeziehers in den 1960er Jahren. Schlimm für ihn ist, dass er nicht mit den vielen Wohlhabenden mithalten kann.
Stillstand und Schrumpfung bedeuten Verlust an Lebensstandard. Warum sollten wir den freiwillig in Kauf nehmen?
Miegel: Was heißt freiwillig? Niemand wird uns fragen. Vielmehr werden wir von Jahr zu Jahr deutlicher feststellen, dass unser spektakulär hohes Wohlstandsniveau – es ist zehn Mal so hoch wie vor 100 Jahren – nicht zu halten ist. Denn das Wachstum, das uns diesen Wohlstand beschert hat, zerstört die Grundlagen seines eigenen Erfolgs. Für die heute wohlhabenden Völker kann deshalb die Zukunftsformel nur lauten: So viel Wachstum wie unbedingt nötig – und so wenig wie möglich.
Herr Paqué, brauchen wir zwei Wachstumsmodelle? Ein Modell für Entwicklungs- und Schwellenländer – und ein Modell für Industrienationen?
Paqué: Ich bin zunächst einmal froh, dass Herr Miegel dem ärmeren Teil der Welt – und damit 80 Prozent der Weltbevölkerung – Wachstum gönnt. Schade nur, dass er es den anderen 20 Prozent vorenthalten will. Warum nur? In den Industrieländern haben wir doch längst qualitatives Wachstum erreicht – ein Wachstum des Wissens, das uns Ressourcen und Umwelt schonende Produktionsverfahren beschert. Da frage ich mich schon, warum
Herr Miegel ausgerechnet bei uns das Wachstum ausbremsen will. Mit den Autos, die vor 30 Jahren über unsere Straßen rollten, werden wir die Erde bestimmt nicht retten.
Miegel: Ich wäre einverstanden, wenn ihre Aussage stimmte, dass Wachstum hierzulande eine bloßes Wachstum des Wissens sei. Zwar gibt es ein solches Wachstum, aber die Masse unseres Wachstums geht nach wie vor einher mit Ressourcenverbrauch und Umweltbeeinträchtigung. Würde die Menschheit so wirtschaften wie wir Deutschen, bräuchte sie 2,6 Erden. Wir sind also wirklich kein Vorbild. Doch weil uns viele nacheifern, verschlechtern sich die Lebensgrundlagen aller dramatisch. Auf diesem Pfad können wir nicht weiter marschieren.
Und auf welchen Pfad müssen wir Ihrer Meinung nach einbiegen?
Miegel: Auf den Pfad zukunftsfähiger Wohlstandsmehrung. Wachstum bedarf einer Art Unbedenklichkeitsbescheinigung. Denn nicht alles, was wächst, ist gut. Vieles ist sogar ausgesprochen schlecht. Die entscheidende
Frage ist daher: Welcher Wohlstand ist möglich, ohne dass Lebensgrundlagen beschädigt oder gar zerstört werden?
Paqué: Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass alles Positive in der Welt durch Wachstum erzielt wird. Und natürlich weiß ich, dass Wachstum die Menschen ab einem bestimmten Niveau nicht unbedingt glücklicher macht. Aber was daraus politisch folgt, ist offen. Die amerikanische Verfassung etwa garantiert den Menschen das „Verfolgen des Glücks“, nicht das Erreichen. In jedem Fall ist unbestreitbar, dass die Produktion in den Industriestaaten heute weniger Ressourcen verschlingt als früher. Auch steht für mich außer Frage, dass künftige Techniken noch schonender mit den vorhandenen Knappheiten umgehen werden. Die einzigen Systeme in der Geschichte, die sich nicht entwickelt haben, sind solche, die Marktsignale ignoriert haben. Der Kommunismus ist dafür das beste Beispiel. Der wollte die Menschen zu ihrem Glück zwingen und hat eine ökologische Katastrophe produziert.
Die Belastung des Planeten
Haben wir denn noch die Zeit, darauf zu warten, dass der technische Fortschritt das Wachstum möglicherweise umweltverträglich macht? Die Belastung des Planeten stößt doch längst an Grenzen.
Miegel: Das ist der Punkt. Herr Paqué verbreitet einen wirklich ansteckenden Optimismus.
Paqué: Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass ich Sie hätte anstecken können.
Miegel: Zu recht. Aber ich frage mich schon, woher sie diesen Optimismus nehmen. Fakt ist doch, dass ein Großteil des heutigen Wachstums durch aufgebauschte Nutzlosigkeiten erzielt wird: durch Marketingaktionen, die verbergen sollen, dass angebliche Innovationssprüngen in Wahrheit nicht anderes als kleine Produktmodifikationen sind. Als ich vor rund 50 Jahren meinen ersten elektrischen Rasierapparat in Gebrauch genommen habe, war der nicht so viel anders als mein heutiger. Er rasierte.
Paqué: Ich rasiere mich nass – aus Energiegründen.
Miegel: Sind Sie sicher, dass die Rasierklingen eine bessere Ökobilanz haben? Aber im Ernst: Ob Auto, Flugzeug, Eisenbahn: Keine bedeutsame Innovation der Moderne hat das Grundproblem gelöst, nämlich die Hebung materiellen Wohlstands ohne Beeinträchtigung der Lebensgrundlagen.
Es gibt heute Computer, Mobiltelefone, Windräder und das Internet – alles Erfindungen, auf die auch Sie nicht werden verzichten wollen.
Miegel: Wer will das schon. Dennoch ist es aberwitzig, den Durchsatz von mehr oder minder gleichen Produkten zu forcieren, um Umsatz und Gewinn zu steigern. So nach dem Motto: Weg mit den alten Klamotten – her mit den neuen, den flotten. Da ist weit und breit keine Innovation.
Paqué: Wollen Sie wirklich behaupten, der Großteil neuer Produkte sei nutzlos? Wollen Sie zurück vom Handy zum Festnetztelefon, vom iPad zur Schreibmaschine, vom Internet zur gelben Post? Und wollen sie Produktinformation, Marketing und Werbung verbieten?
Miegel: Das nicht. Aber wenn an jeder Straßenecke steht: Iss was, trink was, kauf was, dann darf dies gesellschaftlich geächtet werden.
Paqué: Was wollen Sie dagegen tun? Es ist doch eine merkwürdige Vorstellung Unternehmen verbieten zu wollen, für ihre Produkte zu werben.
Miegel: Diese Vorstellung ist durchaus nicht merkwürdig, wenn Herstellung, Verbrauch und Bewerbung eines Produkts Schäden verursachen, die dessen Nutzen übersteigen.
Paqué: Umso größer ist die Notwendigkeit für technologische Innovationen. Ein Beispiel: Israel hat eine hervorragende Wassertechnologie, die Pflanzen genau so viel Wasser zuführt, wie diese brauchen. Praktisch nichts verdunstet oder versickert ungenutzt. Das versetzt Israel in die Lage, in einer wasserarmen Region große Mengen landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen und so die eigene Ernährungsgrundlage zu sichern. Nur auf solchen Pfaden kommen wir ökologisch voran.
Tatsache ist dennoch, dass die Kurven des Ressourcenverbrauchs steil steigen. Wie wollen Sie diesen Trend umkehren?
Paqué: Technischer Fortschritt entsteht als Reaktion auf veränderte Preise. Die Ölpreiskrisen sind dafür ein wunderbares Beispiel – sie haben zu einer völligen Revision des Kapitalstocks in den Industrieländern geführt. Oder nehmen Sie die Seltenen Erden. Diese Hightech-Metalle sind plötzlich knapp und teurer. Und wenn sie teurer werden, werden wir das tun, was vernünftig ist: Unsere Handys recyceln. Kurzum: Krisen erzeugen Anpassungsdruck.
Ressourcen und Umwelt
Aber bestimmte Knappheiten, die man für unendlich verfügbar hielt – Land, Wasser, Luft – wurden nie mitgerechnet? Wie kann es gelingen, diese knappen Ressourcen in den Preisen zu berücksichtigen
Miegel: Der Markt alleine schafft das nicht. Er hat seine unüberbietbaren Stärken. In Bezug auf Ressourcen und Umwelt sind seine Mechanismen jedoch nicht ausreichend. Und bei langfristigen Entwicklungen von Gesellschaften oder gar der Menschheit, ist er weitestgehend überfordert. Das ist nicht sein Wirkungsbereich.
Paqué: Was schlagen Sie vor? Wollen Sie den Ölpreis durch noch höhere Steuern verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen? Sie müssen doch – außer Appellen zur Umkehr – eine Konzeption im Kopf haben! Haben Sie aber nicht. Meine Sicht der Dinge ist: Wir können uns nur auf der Basis dessen, was wir heute wissen, tastend vorwärts bewegen – und genau das tun wir. Der Ölpreis steigt, in den Energiepreis werden alle möglichen Umweltkosten eingerechnet – und wir alle helfen mit unseren Steuergeldern, uns Optionen künftiger Mobilität und Energiegewinnung offen zu halten. Politisch geht es nicht darum, das Steuer mit einem kräftigen Schwung herumzureißen, sondern den Prozess mit Augenmaß zu lenken.
Miegel: Der Staat hat immer wieder handeln müssen, weil der Markt es nicht tat. Vermutlich führen wir noch heute ohne Katalysatoren in unseren Autos herum, wenn der Staat ihre Einführung nicht erzwungen hätte. Übrigens gegen den massiven Widerstand der Industrie.
Paqué: Das ist doch genau der Prozess, von dem ich spreche.
Miegel: Dann sind wir uns ja einig., dass es ein Zusammenwirken von Markt und Staat geben muss.
Paqué: Natürlich, aber welche technologischen Durchbrüche wann passieren, kann niemand voraussagen – weshalb sich der Staat in der Feinsteuerung vornehm zurückhalten sollte. Es ist vermessen zu glauben, wir seien in der Lage, technologische Innovationen zu prognostizieren. Sicher ist nur, dass es sie geben wird.
Miegel: Das ist ein kühner Salto. Eben haben sie uns noch aufgefordert, auf technischen Fortschritt zu setzen und jetzt erklären sie, dass niemand diesen Fortschritt vorhersehen könne. Was gilt denn nun?
Paqué: Mit Angstszenarien kommen wir jedenfalls nicht weiter. Ihre Frage erinnert mich an die Diskussion um die atomare Bedrohung in den Achtzigerjahren. Die einen beschworen die Apokalypse herauf, die anderen sagten: Keine Panik – es wird schon eine angemessene Reaktion auf die Gefahr geben. Und so ist dann auch gekommen.
Miegel: Was ist gekommen. Die atomare Apokalypse wurde doch nicht durch technischen Fortschritt abgewendet. Aber lassen wir das. Der Grundwiderspruch ihrer Argumentation ist doch, dass sie unendliches Wachstum in einer endlichen Welt propagieren. Das geht nur, wenn wir dieses Wachstum entweder weitgehend entstofflichen oder in völlig geschlossene Kreisläufe lenken. Von beidem sind wir weit entfernt. Und deshalb explodieren die Energie- und viele Rohstoffpreise, die Ernährungsgrundlage wird schmaler und vieles andere mehr.
Herr Paqué, ist es nicht unbestreitbar, dass das heutige Wachstum die Reserven des gesamten Planeten überfordert?
Paqué: Natürlich brauchen wir ein verstärktes Wirtschaften in Kreisläufen. Nur die Vorstellung, dass wir im Voraus genau wissen, wo Engpässe auftreten – die widerspricht aller geschichtlichen Erfahrung. Ich halte es mit Trial and Error, also einem Prozess, an dessen Ende sich zeigen wird, welche Technologien uns weiterhelfen. Sobald am Markt Knappheiten auftauchen, werden sich Wege finden, damit umzugehen.
Wir reden nicht von Knappheiten, sondern von Endlichkeiten.
Paqué: Knappheiten sind stets das Ergebnis von Endlichkeiten.
Miegel: Das ist der Unterschied. Weil wir wirtschaften wie wir wirtschaften, verschlechtern sich fortwährend die Grundlagen dieses Wirtschaftens: Überfischte und übersäuerte Meere, sterbende Korallenriffe, vermüllte Ozeane. Und bisher hat kein technischer Fortschritt diese Entwicklung umgekehrt oder beendet oder auch nur verlangsamt, im Gegenteil.
Wachstumszwang der Unternehmen
Wie soll unsere Industrie wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihr Wachstum drosseln soll?
Miegel: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sind doch nicht das Gleiche. Ein Unternehmen kann wettbewerbsfähig bleiben, ohne zu wachsen.
Aber jedes Unternehmen steckt doch in einem Wachstumszwang. Es muss der Konkurrenz trotzen – und genügend Geld für die Entwicklung marktfähiger Produkte verdienen.
Miegel: Das soll es ja auch. Ich plädiere doch nicht für die Beendigung von Erkenntnisprozessen. Dafür bedarf es aber nicht ständiger Expansion.
Paqué: Weg vom Wettbewerb wollen Sie, denn der erzeugt fast automatisch Wachstum.
Herr Miegel, wir können Sie da nicht rauslassen. Was für ein Wirtschaftssystem schwebt Ihnen vor? Ohne Wachstum gibt es keinen Zins, keine Dividende.
Miegel: Bei Licht betrachtet gibt es die in den entwickelten Ländern schon heute nicht mehr. Was da als Zinsen und Dividenden ausgegeben wird, ist doch zumeist nur ein aufgeschäumtes Geldsubstrat ohne eigentliche Fundierung. Im Übrigen hat die Menschheit während des längsten Teils ihrer Geschichte ohne Zinsen und Dividenden gewirtschaftet. Doch entscheidend ist: Auch künftig wird es Zinsen und Dividenden geben, allerdings werden sie nur von einer recht kleinen Minderheit erwirtschaftet werden.
Herr Paqué, hat der Bankrott des Finanzmarktkapitalismus nicht vorweg genommen, was uns bei der hemmungslosen Übernutzung der Umwelt noch bevorsteht? Wir haben uns Zukunft gekauft, uns eine Weile an den Renditen berauscht – und werden jetzt auf eine Gegenwart zurückgeworfen, die ihre künftigen Potenziale schon verbraucht hat.
Paqué: Es ist unbestritten, dass im letzten Jahrzehnt die Bewertung der Vermögen der Vermögenssubstanz davongeeilt ist. Das war eine Ursache der anschließenden Krise. Aber an deren Ende, da bin ich sicher, werden wir wieder zu realen Renditen zurückkehren. Es widerspricht aller Erfahrung, dass wir keine echten Renditen mehr erwirtschaften können. Welcher Lenkungsmechanismus sollte wirtschaftliches Handeln sonst steuern?
Miegel: Was da als Wirtschaftswachstum ausgegeben wird, ist schon lange eine Fiktion, die seit den 1970er Jahren s durch kreditfinanzierte Konjunkturprogramme aufrecht erhalten wird. Die Schuldenberge, unter denen wir heute ächzen, können unschwer auf diese Wachstumspolitik zurückgeführt werden. Daher ist es blanker Hohn,wenn es heute heißt: Wir brauchen weiteres Wachstum, um unsere Schulden abzubauen. So wird seit 40 Jahren argumentiert und die Schuldenberge werden immer höher.
Das mag ja sein. Dennoch brauchen wir Wachstum auch, um die Renten und das Arbeitslosengeld zu finanzieren. Oder sehen Sie das anders?
Miegel: Wieso braucht eine Volkswirtschaft, die so gigantische Gütermengen wie die deutsche bereitstellt, noch größere Gütermengen, um die Sozialsysteme finanzieren zu können? Noch vor 30 Jahren hätten die Menschen gar nicht verstanden, wovon wir reden. Ebenso lässt sich die Beschäftigungsfrage außerhalb des Wachstumsparadigmas lösen. Das ist eine Verteilungsfrage.
Paqué: Ein Rückgang der Gütermengen und -werte soll es Ihrer Meinung nach richten? Was ist denn das für eine Vorstellung? Sie sagen, Sie sind für Innovationen in einer Welt, die nicht wächst. Mir ist schleierhaft, wie die aussehen soll. Noch schleierhafter ist mir, wie Sie Ihren Wunschzustand der „wohlwollenden Stagnation“ aufrecht erhalten wollen. Würde der deutschen Industrie nichts mehr einfallen, was sie verkaufen kann – ihr Niedergang wäre programmiert. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet eine Verarmung relativ zu anderen Ländern. Entschuldigung, aber: Ihr Stagnationsbild ist Schönfärberei. Denken Sie mal an Großbritannien
Gewinner und Verlierer des Wachstums
Der Niedergang der Industrie hat dort das Aufblühen einer Finanzindustrie begünstigt, die das fehlende Wachstum künstlich erwirtschaften sollte. Ist das erstrebenswert?
Miegel: Wollen Sie mich nicht verstehen? Ich sage: Man kann innovativ sein, ohne expansiv zu sein.
Paqué: Erzählen Sie das mal einem Unternehmer. Wie stellen Sie sich das vor? Da geht der Chef in seine Forschungsabteilung und sagt: Leute, wir wollen keine neuen Märkte mehr erobern, wir verfolgen jetzt eine gezielte Strategie der Saturierung? Und was, wenn die Konsumenten das ganz anders sehen und das neue Produkt kaufen? Plötzlich haben sie – oh Schreck! – Wachstum!
Miegel: Sie wollen mich immer noch nicht verstehen. Das viel wahrscheinlichere Szenario ist doch, dass der Chef in seine Forschungsabteilung geht und sagt: Leute, die Rohstoffpreise und Umweltschutzauflagen erdrosseln uns. Lasst uns dringend etwas erfinden, das uns aus diesem Dilemma herausbringt. Auch wenn wir selbst dann eine Schrumpfung nicht ganz vermeiden können.
Paqué: Natürlich wird es immer Gewinner und Verlierer des Wachstums geben, aber insgesamt für die Gesellschaft ein Mehrwert herauskommen. Und der heißt Wachstum.
Aber was, meine Herren, sind die Lösungen? Sie, Herr Miegel, argumentieren apokalyptisch – und weichen der Frage nach den praktischen Konsequenzen einer Schrumpfkur aus. Sie, Herr Paqué, argumentieren zwangsoptimistisch: Nur mit mehr Wachstum überholen wir den wachsenden Ressourcenverbrauch – wie stellen Sie sich das vor?
Miegel: Ich rede vom Ende einer bestimmten Art zu wirtschaften und nicht vom Weltenende. Und die praktischen Konsequenzen hieraus, habe ich angesprochen. Ich sehe keine, die nicht zu handhaben wären. Und glücklicherweise hat das Umdenken ja auch schon eingesetzt. Das Problem ist: Es ziehen noch nicht alle mit. Deshalb stellt sich die Frage: Kann, darf und soll ein einzelner Staat vorangehen? Meine Antwort ist: Ja! Wer kann, muss jetzt das Notwendige tun.
Paqué: Wenn die Lage wirklich so dramatisch ist, wie Sie sagen, dann nutzt es überhaupt nichts, dass Deutschland vorangeht. Vor allem warne ich davor, Chinesen und Inder in ein Wachstumskorsett zu zwängen oder noch schlimmer: sie an den Pranger zu stellen.
Miegel: Das tut doch niemand.
Paqué: Was wir jetzt brauchen, sind geduldige Verhandlungen, bis diese Länder ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht haben – und einen Bewusstseinswandel erleben. In 20, 30 Jahren wird China an einem Punkt sein, an dem sich auch dort andere Präferenzen durchsetzen werden. Und bis dahin müssen wir China mit einem Mix aus politischem Druck und technologischen Innovationen auf die Sprünge helfen.
Miegel: Sie kommen mir vor wie ein Autofahrer, der mit 100 Sachen auf eine Wand zurast und sagt: Bis jetzt ist doch alles gut gegangen. Das stimmt sogar. Aber irgendwann kommt aber der Punkt, da kann er so viel auf die Bremse treten, wie er will – er wird gegen die Wand prallen. Ihre Sicht mag ja realistisch sein, aber ich empfinde sie als zutiefst resignativ und folglich deprimierend.
Paqué: Ich warne vor überspannten Erwartungen, das ist alles. Und ich warne vor allem vor einem moralisierenden Ton. Ich verstehe mich nicht als verantwortungslosen Gesellen, der nicht vom Gaspedal runtergeht, sondern als nüchternen Beobachter, der weiß, dass zwischen Erkenntnis und Umsetzung politische Prozesse liegen, die Zeit brauchen. Wir müssen die Menschen in der ganzen Welt mitnehmen, und zwar auch jene, die heute noch mit bitterer Armut kämpfen.
Miegel: Also die Vorstellung, alles solle weiter wachsen, bis wir in einer Zeit angelangt sind, in der dieses Wachstum nicht mehr gebraucht wird – diese Vorstellung halte ich für abenteuerlich.
Paqué: Was empfehlen Sie denn?
Lässt sich die Erde mit Wachstum retten?
Miegel: Erstens, wir nehmen den Fuß vom Gaspedal.
Paqué: In Deutschland. In China und Indien ja wohl nicht.
Miegel: In Deutschland und in den anderen entwickelten Ländern.
Paqué: Was wollen Sie damit erreichen? Wir sprachen am Anfang schon davon. In den entwickelten Ländern leben 20 Prozent der Weltbevölkerung.
Miegel: Aber diese 20 Prozent verbrauchen mindestens ebenso viele Ressourcen und belasten die Umwelt mindestens ebenso stark wie die übrigen 80 Prozent. In Sachen Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung stehen sich also zwei gleichgewichtige Blöcke gegenüber.
Paqué: Wie viel wollen Sie denn in Deutschland einsparen an Ressourcenverbrauch? Fünf Prozent, zehn Prozent, 20 Prozent? Über welchen Zeitraum? Wenn Sie jetzt sagen, Deutschland solle in den nächsten zehn Jahren zehn Prozent schrumpfen, dann sage ich Ihnen: Das bringt gar nichts. Wenn sich in den nächsten 30 Jahren drei Milliarden Menschen industrialisieren, dann ist das schlicht irrelevant.
Miegel: Wenn es nach ihnen ginge, könnten wir also die Hände in den Schoß legen. Das ist nicht meine Vorstellung von Zukunftsgestaltung. Vielmehr sollten wir in den entwickelten Ländern der übrigen Welt zeigen, wie es gehen kann.
Paqué: Ich habe nichts gegen Vorbilder, aber ich habe etwas dagegen, dass unsere Industrien abwandern und anderswo weniger umweltfreundlich produzieren als hier. Das ergibt global keinen Sinn.
Die OECD hat ausgerechnet, dass die Weltwirtschaft bis 2050 um das 15-fache wachsen muss, um neun Milliarden Menschen unseren Wohlstand zu ermöglichen. Ist das überhaupt denkbar?
Paqué: Na ja, 1820 hat man auch nicht gedacht, dass die Industrielle Revolution all das in Gang bringen würde. Aber natürlich, Sie haben Recht: Die Dramatik der heutigen Situation besteht darin, dass wir es nicht mit wenigen kleinen Tigerstaaten zu tun haben, die rasant wachsen, sondern mit zwei, drei Riesen. Und diese Riesen verändern die ganze Fragestellung.
Miegel: Sie verschlimmern die Situation.
Paqué: Sie lassen das Problem der Ressourcenknappheit drängender werden. Sie machen uns klar, dass wir einer Lösung nur dann näher kommen, wenn wir ihre Entwicklung begleiten.
Herr Paqué: Können wir unsere Erde mit Wachstum retten?
Paqué: Warum nicht? Ich meine, ich kenne die Zukunft nicht, Sie, Herr Miegel, allerdings auch nicht. Aber als überzeugter Liberaler habe ich das aufklärerische Grundvertrauen, dass die Menschheit in der Lage ist, ihre Probleme in den Griff zu bekommen – und zwar durch wohldurchdachtes politisches und wirtschaftliches Handeln, und nicht durch radikale Maßnahmen aus Angst vor der Zukunft.
Herr Miegel, lassen sich mit Verzichtaufrufen Mehrheiten gewinnen?
Miegel: Ich rufe nicht zum Verzicht auf, sondern sage: Stellen wir uns darauf ein, dass es weniger werden wird und lernen wir, mit dieser Situation umzugehen. Abgesehen davon hätte ich es noch vor zwei Jahren nicht für möglich gehalten, dass sich 2012 die FDP und die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft veranlasst sehen, großformatig für Wachstum zu werben.
Das zeigt, dass sich das Klima deutlich verändert hat, dass an der Frage: „Hat sich unser Wachstumsmodell überlebt?“ keiner mehr vorbei kommt. Das heißt: Ich bin mir bewusst, dass sich vorläufig nur eine Minderheit von meinen Positionen angesprochen fühlt. Aber ich bin mir sicher, dass es sich dabei um eine rasch wachsende Minderheit handelt.