Wie soll unsere Industrie wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie ihr Wachstum drosseln soll?
Miegel: Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sind doch nicht das Gleiche. Ein Unternehmen kann wettbewerbsfähig bleiben, ohne zu wachsen.
Aber jedes Unternehmen steckt doch in einem Wachstumszwang. Es muss der Konkurrenz trotzen – und genügend Geld für die Entwicklung marktfähiger Produkte verdienen.
Miegel: Das soll es ja auch. Ich plädiere doch nicht für die Beendigung von Erkenntnisprozessen. Dafür bedarf es aber nicht ständiger Expansion.
Paqué: Weg vom Wettbewerb wollen Sie, denn der erzeugt fast automatisch Wachstum.
Herr Miegel, wir können Sie da nicht rauslassen. Was für ein Wirtschaftssystem schwebt Ihnen vor? Ohne Wachstum gibt es keinen Zins, keine Dividende.
Miegel: Bei Licht betrachtet gibt es die in den entwickelten Ländern schon heute nicht mehr. Was da als Zinsen und Dividenden ausgegeben wird, ist doch zumeist nur ein aufgeschäumtes Geldsubstrat ohne eigentliche Fundierung. Im Übrigen hat die Menschheit während des längsten Teils ihrer Geschichte ohne Zinsen und Dividenden gewirtschaftet. Doch entscheidend ist: Auch künftig wird es Zinsen und Dividenden geben, allerdings werden sie nur von einer recht kleinen Minderheit erwirtschaftet werden.
Herr Paqué, hat der Bankrott des Finanzmarktkapitalismus nicht vorweg genommen, was uns bei der hemmungslosen Übernutzung der Umwelt noch bevorsteht? Wir haben uns Zukunft gekauft, uns eine Weile an den Renditen berauscht – und werden jetzt auf eine Gegenwart zurückgeworfen, die ihre künftigen Potenziale schon verbraucht hat.
Paqué: Es ist unbestritten, dass im letzten Jahrzehnt die Bewertung der Vermögen der Vermögenssubstanz davongeeilt ist. Das war eine Ursache der anschließenden Krise. Aber an deren Ende, da bin ich sicher, werden wir wieder zu realen Renditen zurückkehren. Es widerspricht aller Erfahrung, dass wir keine echten Renditen mehr erwirtschaften können. Welcher Lenkungsmechanismus sollte wirtschaftliches Handeln sonst steuern?
Miegel: Was da als Wirtschaftswachstum ausgegeben wird, ist schon lange eine Fiktion, die seit den 1970er Jahren s durch kreditfinanzierte Konjunkturprogramme aufrecht erhalten wird. Die Schuldenberge, unter denen wir heute ächzen, können unschwer auf diese Wachstumspolitik zurückgeführt werden. Daher ist es blanker Hohn,wenn es heute heißt: Wir brauchen weiteres Wachstum, um unsere Schulden abzubauen. So wird seit 40 Jahren argumentiert und die Schuldenberge werden immer höher.
Das mag ja sein. Dennoch brauchen wir Wachstum auch, um die Renten und das Arbeitslosengeld zu finanzieren. Oder sehen Sie das anders?
Miegel: Wieso braucht eine Volkswirtschaft, die so gigantische Gütermengen wie die deutsche bereitstellt, noch größere Gütermengen, um die Sozialsysteme finanzieren zu können? Noch vor 30 Jahren hätten die Menschen gar nicht verstanden, wovon wir reden. Ebenso lässt sich die Beschäftigungsfrage außerhalb des Wachstumsparadigmas lösen. Das ist eine Verteilungsfrage.
Paqué: Ein Rückgang der Gütermengen und -werte soll es Ihrer Meinung nach richten? Was ist denn das für eine Vorstellung? Sie sagen, Sie sind für Innovationen in einer Welt, die nicht wächst. Mir ist schleierhaft, wie die aussehen soll. Noch schleierhafter ist mir, wie Sie Ihren Wunschzustand der „wohlwollenden Stagnation“ aufrecht erhalten wollen. Würde der deutschen Industrie nichts mehr einfallen, was sie verkaufen kann – ihr Niedergang wäre programmiert. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit bedeutet eine Verarmung relativ zu anderen Ländern. Entschuldigung, aber: Ihr Stagnationsbild ist Schönfärberei. Denken Sie mal an Großbritannien