Der Grund dafür ist denkbar einfach: Als der homogene Urkontinent Pangäa auseinanderbrach, nahmen die Arten auf den veschiedenen Kontinenten je ihre eigenen Entwicklungswege. Heute sorgt die interkontinentale Vernetzung durch den Menschen dafür, dass die Biodiversität sich wieder entdifferenziert. Eine Erde, ein Kontinent - Pangäa reloaded.
Interessant daran ist unter anderem, dass dieser Vorgang Darwins Theorie der natürlichen Zuchtwahl und evolutionären Vervollkommnung außer Kraft setzen kann: Spezies etwa, so Kolbert, die an die Lebensbedingungen in Australien oder Asien besonders gut angepasst sind, sind besonders wahrscheinliche Globalisierungsverlierer.
Eindrücklich schildert Kolbert die Folgen der Industriellen Revolution und der explodierenden Kohlendioxid-Emissionen. Dazu nimmt sie den Leser mit auf ihre Reisen, unter anderem ins schottische Hochland, zum australischen Great Barrier Reef, in die Tropenwälder von Peru und Brasilien. Kolbert trifft Botaniker, Ornithologen, Entomolgen (Insektenforscher), Herpetologen (Reptilienforscher), Pflanzenpathologen und Stratigrafen (Erdschichtenforscher).
Der Kampf gegen die Plastiktüten
Plastiktüten sind für ihr Gewicht ganz schön stabil. Doch was Verbraucher freut, kann der Umwelt schaden. Hunderte Jahre kann es dauern, bis die praktischen Tragetüten sich in der Natur zersetzen. Kleinteile werden von Seetieren wie Fischen und Vögeln gefressen.
Nach Zahlen aus dem Jahr 2010 kommen jedes Jahr etwas weniger als 100 Milliarden Plastiktüten in Europa in Umlauf. Das entspricht 198 Tüten pro Jahr und Bürger, die meisten davon Einwegtüten. Deutschland steht laut Handelsverband Deutschland (HDE) gut da. Das sei auch dem durch den grünen Punkt bereits weit verbreiteten Recyclingsystem zu verdanken. In Deutschland liege der Verbrauch bei jährlich 76 Tüten pro Kopf, die EU-Kommission spricht mit Blick auf das Jahr 2010 von 64 Einwegtüten.
Genau. Nach derzeitigem Stand soll jeder EU-Bürger Ende 2019 nur noch 90 Einwegtüten verbrauchen pro Jahr, Ende 2025 nur noch 40 Tüten. Ganz dünne Tüten, die es etwa an der Gemüsetheke gibt, wären aber ebenso wie stabile Mehrfachtüten nicht betroffen. Genauso gut könnte es Abgabegebühren geben oder Steuern für den Einzelhandel. Die Regierungen hätten die Wahl - Hauptsache, die Tüte wäre nicht mehr kostenlos. Auch andere Maßnahmen mit ähnlicher Wirkung wären möglich.
„Das bedeutet für die Verbraucher und Verbraucherinnen und insbesondere den Einzelhandel eine Neuausrichtung zu bewussterem und ökologischerem Konsum“, meint Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Deutschland (NABU). Die Umweltschutzorganisation European Environmental Bureau (EEB) ist zwar grundsätzlich ebenfalls erfreut. Allerdings hätte sich die Organisation auch ein Verbot spezieller neuartiger Tüten gewünscht. Diese geben aus Sicht von Kritikern vor, biologisch abbaubar zu sein, obwohl sie es nicht sind. Dies soll nun aber die EU-Kommission erst einmal untersuchen.
Der Branchenverband Plastics Europe argumentiert, man unterstütze zwar eine Gebühr für alle Taschen, egal aus welchem Material. Doch die Möglichkeit nationaler Verbote könne zu Handelshemmnissen in Europa führen. Das bemängelt übrigens auch die FDP-Europaabgeordnete Gesine Meißner.
Sie schildert, wie Baumarten in Folge des Klimawandels die Anden hinauf wandern (bis die Gipfel erreicht sind und es nichts mehr zum Hinaufwandern gibt), wie die allmähliche Versauerung der Meere kalkbildende Foraminiferen und Korallen daran hindert, sich zu gewaltigen Skeletten zu verbrüdern und wie die Fragmentierung von Lebensräumen, etwa durch Rodungen, das Artensterben in den Tropen beschleunigt, weil zum Beispiel Wanderameisen ausreichend Platz brauchen, aber nicht mehr vorfinden und aussterben - Wanderameisen, auf deren Begleitung sich einige Vögel spezialisiert haben, von deren Kot sich wiederum Schmetterlinge ernähren usw.
Was Kolberts Buch besonders lesenswert macht: Sie kann sich nicht entscheiden, ob und wenn ja: welche Schlussfolgerungen sie ziehen soll. Der Leser ist hin- und hergerissen zwischen so manchen Endzeitsätzen der Forscher und atemberaubenden Zahlen (Der Mensch hat den PH-Wert der Ozeane in 50 Jahren auf einen Wert gedrückt, wie ihn die Erde seit 50 Millionen Jahren nicht mehr gesehen hat) einerseits - und andererseits dem merkwürdig beruhigenden Gefühl, dass der Mensch für die Erde sein muss, was die Fliege für die Kuh ist: ein mäßig lästiges, restlos bedeutungsloses Gezücht.
Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos
Was zum Beispiel soll man von der erdgeschichtlich einmaligen Explosion der Artenvielfalt nach dem Meteoriteneinschlag vor 66 Millionen Jahren halten? Die Dinosaurier hat’s damals hart getroffen, sicher. Dafür waren die Säugetiere die großen Gewinner. Überspitzt gesagt: Ohne den Meteoriten gäbe es heute keine Menschen, die sich über das Artensterben Gedanken machen könnten. Oder in den Worten von Elizabeth Kolbert: Allein dem Kometentreffer ist zu verdanken, dass ihr formidables Werk „von einem behaarten statt von einem schuppigen Zweibeiner“ verfasst wurde.
Wie viel Müll jährlich recycelt wird
Recycelt: 100%
Quelle: Statistisches Bundesamt, Stand 2012
Recycelt: 80%
Verbrannt: 20%
Recycelt: 99%
Recycelt: 99%
Biomüll = Park- und Gartenabfälle sowie Abfall aus Biotonnen
Recycelt: 16%
Verbrannt: 84%
Recycelt: 57%
Verbrannt: 43%
Am Ende schnurrt das Buch auf eine simple, vielleicht auch naive Botschaft zusammen: Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Der Mensch hat die Natur, die Artenvielfalt und sich selbst in Gefahr gebracht - nun ist es an ihm, sich wieder aus der Bredouille zu befreien.
Im Abschluss-Kapitel schildert Kolbert, wie Sumatra-Nashörner gepflegt und Hawaii-Krähen am Bauch massiert werden, um ihnen Ejakulat abzugewinnen. Das ist dann vielleicht doch ein bisschen zu viel des Guten. Was soll’s.
Es wird Leser geben, denen das Buch nicht streng und stringent genug ist, denen der Mix aus anekdotischer Reportage und leicht verständlicher Wissenschaftsprosa nicht gefällt. Man kann auch die fehlende Arbeit am Begriff bemängeln: Beim sechsten Sterben handelt es sich selbstverständlich nicht um eine Katastrophe, sondern im Gegenteil: um ein verantwortetes Massensterben. Aber das ist Mäkelei auf hohem Niveau. Haben wir nicht neben allem auch noch gelernt, wie die Theorien des Massensterbens und der Evolution, des Aktualismus und des Transformismus in die Welt kamen - als das Ergebnis eines wissenschaftlichen Kräftemessens im 19. Jahrhundert, an dem so schillernde Figuren wie Jean Cuvier, Jean-Baptiste Lamarck, Charles Lyell und Charles Darwin beteiligt waren? Ja, das haben wir. Und können schließen: Allein dafür lohnt sich die Lektüre.
*Elizabeth Kolbert, Das 6. Sterben, Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt, Suhrkamp, 24,95 Euro (e-book 21,99 Euro)