Tauchsieder

Eine Krankheit namens Mensch

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Versauernde Meere und Korallenskelette

Das Thema ist nicht neu. Und die Pointe des Buches seit Jahren schon ein Comedy-Hit unter Umweltbewegten: „Treffen sich zwei Planeten im Weltall. Sagt der eine: ‚Hast schon mal besser ausgesehen!‘ Sagt der andere: `Ich weiß. Hab‘ homo sapiens.‘ Darauf der Erste: ‚Hatte ich auch mal. Geht vorüber.‘“ Und doch ist das Buch von Elisabeth Kolbert ein Volltreffer, ein Musterbeispiel für guten Wissenschaftsjournalismus: auf unterhaltsame Weise lehrreich, aufregend nüchtern und in seinem Beispielreichtum gnadenlos präzise.

Zahlen zur Erderwärmung

Versauernde Meere, Korallenskelette und die Entwaldung der Tropen, Iridiumschicht, Aragonitsättigung und Impakthypothese, der Überlebenskampf von Seepocken, Riesenalks und Stummelfußfröschen – aus allen Gegenden der Erde und Himmelrichtungen der Wissenschaft trägt Kolbert faszinierende Fakten zusammen, setzt sie in Beziehung zueinander und verdichtet sie mit texthandwerklicher Sicherheit zu einer großen Erzählung.

Was bleibt von der selbsternannten Krone der Schöpfung?

Im Zentrum dieser Erzählung steht das so genannte „Anthropozän“, in dem der Mensch nicht erscheint (Max-Frisch-Leser wissen: das war im Holozän), sondern seine geologischen Spuren hinterlassen haben wird: „Selbst ein mäßig kompetenter Stratigraf“, so Kolbert, werde in hundert Millionen Jahren erkennen können, „dass in dem Zeitraum, der für uns Gegenwart ist, etwas Außergewöhnliches passiert ist…, obwohl alles, was wir für große Werke des Menschen halten – Bibliotheken, Museen, Städte, Fabriken - zu einer Sedimentschicht verdichtet sein wird, die kaum dicker sein wird als ein Zigarettenpapierchen.“

Sehenswerte Orte, die bald verschwinden könnten
Galapagos-Inseln Quelle: AP
Malediven Quelle: dpa
Venedig im Hochwasser Quelle: dpa/dpaweb
Great Barrier Reef Quelle: AP
Totes Meer Quelle: dpa
Alpen Quelle: dpa
Madagaskar Quelle: dpa

Außergewöhnlich an diesem Satz ist zunächst einmal der Gedanke, der ihm zugrunde liegt: Nur eine Spezies, die anmaßend genug ist, sich für die Krone der Schöpfung zu halten, kann auch auf die vermessene Idee verfallen, sie könne in die Annalen der Geologie eingehen. Was also ist wirklich dran an der Theorie des Anthropozän? Was genau ist das Außergewöhnliche, mit dem der Mensch in der erdzeitlichen Millisekunde der vergangenen 200 Jahre angeblich nachhaltig in planetarische Prozesse eingreift? Und ist dieses Außergewöhnliche wirklich so außergewöhnlich, wenn man bedenkt, dass 99 Prozent aller Arten, die je auf der Erde in den Genuss von Sonnenlicht und Sauerstoff kamen, längst ausgestorben sind?

Evolutionäres Hintergrundsterben

Elisabeth Kolbert beantwortet diese Fragen nicht mit dem bebenden Ton eines Bestseller-Apokalyptikers. Sondern sie dekonstruiert alle Einwände, Schritt für Schritt, mit analytischer Schärfe und rhetorischem Schliff, in einer Art wissenschaftlichem Indizienprozess, den sie gegen das Virus des modernen Wirtschaftsmenschen führt.

Was mit unserem Müll passiert
Insgesamt betrug das Abfallaufkommen im letzten Jahr in Deutschland rund 343 Millionen Tonnen, 36,7 Millionen Tonnen davon waren Hausabfälle. Das entspricht also 456 Kilogramm Müll pro Einwohner. Seit dem Jahr 2002 ist das Abfallaufkommen zwar leicht gesunken, jedoch wird laut Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit immer noch zu viel Abfall erzeugt. Immerhin: 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, werden mittlerweile aus Abfällen gewonnen; entsprechend werden der Abbau von Rohstoffen und die damit verbundenen Umweltbelastungen reduziert. Quelle: dpa
Grund ist die am 8. Mai 1991 beschlossene Verpackungsverordnung, die den Grundstein für die Mülltrennung in Deutschland legte. Von den 456 Kilogramm Müll pro Nase und Jahr sind 164 Kilogramm Restmüll, 113 Kilo Biomüll, und 148 Kilogramm getrennte Wertstoffe, also Papier und Pappe (72 Kilogramm), Glas (24 Kilogramm) und Holz (14 Kilogramm). Pro Einwohner fielen zusätzlich rund 30 Kilogramm Sperrmüll an.Quelle: Statista Quelle: dpa
Die Mülltrennung nutzt aber nicht nur der Umwelt und liefert billige Rohstoffe, sie schafft auch Arbeitsplätze: Fast 200.000 Beschäftigte arbeiten in rund 3.000 Abfallentsorgungs- oder Verarbeitungsbetrieben. Sie machen einen Umsatz von rund 40 Milliarden Euro jährlich. Quelle: dpa
Anders als in vielen anderen Ländern landen unsere Abfälle eher selten auf Deponien zum Verrotten. Zuvor müssen sie in irgendeiner Art und Weise verwertet werden. Hausmülldeponien beispielsweise dürfen seit Mitte 2005 nur noch vorbehandelte Abfälle aufnehmen, bei denen organische Bestandteile nahezu völlig entfernt sind. Anders sieht es beispielsweise in Bulgarien, Rumänien, Griechenland oder Polen aus, wo mehr als 70 Prozent der Abfälle auf Deponien landen. Quelle: dpa
Ein großer Teil der Abfälle in Deutschland, nämlich 35 Prozent, werden deshalb in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Die Überreste landen dann auf der Deponie. Die Energie, die bei der Verbrennung entsteht, wird vielfach zur Erzeugung von Strom oder zum Heizen verwendet. Wir heizen also mit unserem Müll. Quelle: ZB
Immerhin 18 Prozent unserer Abfälle kompostieren wir. Quelle: dpa
47 Prozent der kommunalen Abfälle werden recycelt - damit ist Deutschland der Wiederverwertungskönig innerhalb der 28 EU-Staaten. In keinem anderen Land wird ein so großer Anteil der kommunalen Abfälle noch einmal verwendet. Quelle: AP

Der Riesenalk zum Beispiel, eine Art Urpinguin, der sich bis zu seiner Entdeckung vermutlich in millionenfacher Auflage von Norwegen bis Italien aufhielt, war für den Menschen als Nahrungsmittel, Fischköder und Matratzenfüllung so ergiebig, dass seine Bestände sich im Laufe des 18. Jahrhunderts drastisch reduzierten. Und weil seine Bälge und Eier unter Adligen damals noch dazu als Trophäen die Runde machten, kann Kolbert uns minutiös nachweisen, dass das letzte Riesenalk-Pärchen im Juni 1844 auf einer kleinen, zur Island gehörenden Insel namens Eldey von drei namentlich bekannten Männern erwürgt wurde.

Die Kollateralschäden der Globalisierung

Eine anekdotische Geschichte, gewiss. Aber wenn man bedenkt, dass sich das natürliche, evolutionäre „Hintergrundaussterben“ in einem viel langsameren Tempo vollzieht - alle 700 Jahre zum Beispiel trifft es eines von insgesamt 5500 Säugetieren -, ist man doch ein wenig geschockt über das Schulterzucken, bei dem man sich soeben ertappt hat.

Zumal das von Menschen absichtsvoll angezettelte Artensterben harmlos ist im Vergleich zu den Kollateralschäden der Globalisierung. In Mittelamerika zum Beispiel meuchelt der aus Europa oder Afrika eingeschleppte Chytridpilz den Panama-Stummelfußfrosch dahin, während die nicht-indigene braune Baumnatter auf Guam alle Singvögel verschlingt - um nur zwei Beispiele von Hunderten zu nennen.

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