Tracking der Energiewende #16 Vier Zahlen entlarven das Finanzproblem der Energiewende

Quelle: imago images

Die Politik trommelt für den Ausbau der erneuerbaren Energien, Versicherungen und Fonds suchen sie händeringend als Anlageform – doch kaum einer will sie bauen. Woran das liegt, erklärt einer, der sich damit seit Jahren abmüht.

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Ulf Oesterlin weiß, wie man mit erneuerbaren Energien Geld verdient. Nach einem Studium der Energiewirtschaft am MIT in Boston hat er jahrelang für die Unternehmensberatung McKinsey Energiekonzerne beraten. Vor sechs Jahren dann machte er sich selbstständig, gründete die Gesellschaft Pacifico Energy Partners – und kümmert sich seither unter anderem darum, die Millionen von Alexander Samwer, der einst Rocket Internet gründete und heute die Arvantis Group führt,  in grüne Energieprojekte zu leiten. Und ausgerechnet Oesterlin sagt: So wie die Lage derzeit ist, werde es schwer, Investoren für die großen Ziele zu finden. "Um die großen Ziele, die die Bundesregierung bei den Erneuerbaren ausgerufen hat, zu erreichen, braucht es mehr Investoren, die die Entwicklungsrisiken akzeptieren.“

Bis 2030 sollen 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen kommen, so der zwischen den Regierungsparteien und der oppositionellen CDU unumstrittene Plan. Doch das wöchentliche Tracking der Energiewende der WirtschaftsWoche zeigt, dass die aktuelle Dynamik bei weitem nicht ausreichen wird, um dieses Ziel zu erreichen. Zwar hat die Regierung mit dem Osterpaket einen ersten Anlauf genommen, um das zu ändern, doch Oesterlin sagt: „Das Osterpaket ist ein Schritt in die richtige Richtung - aber allein wird es nicht genügen, um die gesellschaftlichen und regulatorischen Hürden im Markt zu beseitigen.“

Er führt vier Zahlen an, um das zu belegen: 50, 37, 39 und 4.

50 Milliarden Dollar haben sogenannte Impact Investoren in den zurückliegenden fünf Jahren in das große Feld der grünen Energien investiert, 37 Prozent davon in grüne Technologien, 39 Prozent in den Betrieb existierender Solar- und Windparks. Nur vier Prozent der Gelder jedoch flossen in die Projektentwicklung. Das bedeutet: Jährlich wird sehr viel Geld investiert, um neue Arten von Fotovoltaikzellen zu entwickeln. Und jeder fertige Windpark wird von diversen Investoren umworben, die sich danach an der dauerhaft stabilen Rendite erfreuen. Doch dazwischen klafft eine große Lücke: Viel zu wenige Unternehmen wagen sich daran, Flächen zu suchen, Bauanträge zu stellen, die schönen, neuen supereffizienten Solarzellen auf Module zu verschrauben, ans Netz anzuschließen und das Ganze dann weiterzuverkaufen.

Die Ursachen dafür, sagt Oesterlin, seien vielfältig, doch letztlich addierten sie sich zu einer einfachen Feststellung: Es ist weit riskanter, einen Solarpark zu entwickeln als ihn zu betreiben. Und dieses Risiko wird nicht mit einer entsprechenden Rendite entlohnt.

Hinterfragt man nun diese Zusammenhänge, so Oesterlin, dann landet man doch wieder bei der Politik. „Die Ursache für die Sicht vieler Investoren ist nicht das Risiko an sich, sondern dass dieses schwer quantifizierbar ist – durch den hohen Individualisierungsgrad der Projekte“, sagt er. Und meint damit etwa Bürgerproteste. Wenn Oesterlin mit seiner Gesellschaft etwa eine Gemeinde kontaktiert, um dort einen großen Solarpark zu entwickeln, kann es gut passieren, dass die Verwaltung davon zunächst begeistert ist – und das Projekt dann plötzlich doch auf Eis gelegt wird, weil sich aus der Bürgerschaft Widerstand entwickelt. „Solcher Widerstand ist völlig legitim in einer demokratischen Gesellschaft. Wichtig ist erstens, die Gründe für diesen Widerstand zu kennen, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln und zweitens dass der Entscheidungsprozess einem klaren Zeitplan und transparenten Kriterien folgt“, sagt Oesterlin. Oft aber passiert das Gegenteil: Genehmigungsprozesse werden gestoppt, ohne sie ganz zu beenden. Wann und ob es je weitergehen wird, bleibe aber zu oft völlig unklar. Beispiele dafür ließen sich zu Dutzenden finden, sagt Oersterlin, und es gebe sie eigentlich in fast allen europäischen Ländern, nur die Ursachen seien jeweils andere. Was den Deutschen ihre juristischen Widerspruchsverfahren seien, sei den Polen die Netzanbindung und den Spaniern die Netzkapazität.


Oesterlin hofft nun zwar, dass sich einige Probleme durch das Osterpaket lösen, an einer Grundproblematik aber werde noch zu wenig getan: „Die Akzeptanz für den Ausbau der Erneuerbaren ist nach wie vor erschreckend niedrig, sobald das Ganze vor der eigenen Haustüre stattfinden soll.“ Daran würden auch pauschale Flächenziele auf Bundes- oder Länderebene wenig ändern, sagt Oesterlin, der eine Regelung aus den Niederlanden als Vorbild anregt: Dort gibt es konkrete Flächenziele für jeden Verwaltungsbezirk. „Wenn man solche Ziele schafft und die Erreichung noch mit einem finanziellen Anreiz verknüpft, würde sich die Dynamik verändern“, sagt Oesterlin. „Und dann würden die Investorengelder schneller fließen, als es heute denkbar scheinen mag.“

Noch aber, das zeigen auch die Zahlen der aktuellen Woche, lösen die diversen Maßnahmen der Bundesregierung keinen echten Wandel aus.



Nach einigen starken Wochen im Mai fällt das Ausbautempo wieder auf den Stand vom Frühjahr zurück. Vor allem bei der Windkraft ist das eine Enttäuschung. Nicht nur, weil die Windenergie aufgrund ihres stabileren Ertrags besonders wichtig für den Erfolg des gesamten Projekts ist. Hier liegt der reale Ausbau zudem besonders weit hinter den Zielen zurück, weshalb der kleine Aufwärtstrend der vergangenen Wochen ein erster Hoffnungsschimmer war.

Nun aber ist der Ausbau wieder auf dem Minimalniveau aus den Wintermonaten. Es bleibt nur die Hoffnung, dass einzelne Anlagen erst mit Verzögerung bei der Bundesnetzagentur angemeldet werden könnten. Gemischter sieht das Bild bei der Solarkraft aus, mit Ausnahme der letzten Maiwoche hält sie sich zumindest auf einem ordentlichen Niveau.



Dafür gibt es zweierlei Gründe. Zum einen liefert das Solarland Bayern nach wie vor stabil gute Zubauzahlen ab. Zudem gehen auch anderswo mit einer inzwischen beachtlichen Regelmäßigkeit größere Solarparks an den Start, in den vergangenen Wochen etwa in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Solche Großbauten bringen den Ausbau oft schneller voran als Hunderte neue Dachanlagen – wenn es sich für die Investoren denn lohnt, sie überhaupt zu beginnen.

Lesen Sie auch: Das Tracking der Energiewende zeigt Deutschlands große Aufholjagd beim Ausbau der erneuerbaren Energien – aktueller Stand, Probleme und Ziele auf einen Blick.

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