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Umstrittene Windräder Wie die Windenergiebranche Umweltverbände spaltet

Energiewende: Deutschlands Naturschützer sind gespalten. Es geht um den Ausbau der Windkraft – und die Unterwanderung der Szene durch die Wirtschaft.

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Harry Neumann. Quelle: David Klammer für WirtschaftsWoche

Wenn Harry Neumann aus dem Fenster schaut, sieht er in den Wald. Er wohnt am Rand eines 500-Einwohner-Dörfchens im Westerwald – also jener bergigen Gegend in Rheinland-Pfalz, in der sich Bäume und Wiesen in luftiger Höhe abwechseln. Auch bekannt durch das Volkslied: „Oh du schöner Westerwald, über deine Höhen pfeift der Wind so kalt“. Und genau das ist das Problem. 

Denn der Wind führt im größten deutschen Umweltverband BUND zu heftigem Streit. „Der BUND hat seine ursprünglichen Ziele komplett verraten. Stattdessen setzt er sich aus meiner Sicht für die Windkraftbranche ein. Das ist für mich nicht mehr glaubwürdig“, sagt Neumann. Er kritisiert den Verein, den er jahrelang an vorderer Stelle vertrat: Der 62-Jährige war BUND-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz. 

Die mit 500.000 Mitgliedern größte Umweltgemeinschaft Deutschlands steckt in der Bredouille. Ein Teil der Mitglieder sieht seine 50 Euro Jahresbeitrag als Engagement für Klimaschutz und damit für alternative Energien. Ein anderer Teil fordert das genaue Gegenteil: Engagement gegen Windräder. Ganze Kreisvorstände sind ausgetreten, zuletzt verließ BUND-Gründungsmitglied Enoch zu Guttenberg, Dirigent und Vater von Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, unter Protest den Verein.

Neumann und seine Mitstreiter sehen die Unabhängigkeit des Verbands gefährdet. Sie verweisen auf eine immer weiter ausgreifende Unterwanderung der Umweltschützerszene durch Windkraftlobbyisten und Windkraftfirmen.

Tatsächlich gibt es Überschneidungen, insbesondere mit dem Bundesverband Windenergie (BWE), dem größten Interessensverbands der Windkraftbranche. Deren jüngste gemeinsame Mitteilung kam im Januar: „BUND und BWE fordern weiteren dynamischen Ausbau erneuerbarer Energien“; eine der regelmäßig gestellten gemeinsamen Forderungen. Nicht nur ideell stehen die Organisationen zusammen, sondern auch finanziell: Laut Satzung der Windlobbyisten vom BWE fällt ihr Vermögen dem BUND zu, sollte der Lobbyverband sich auflösen.

Auch Einzelpersonen des BUND sind in beiden Interessengruppen aktiv. So hält eine ehemalige BUND-Angestellte heute Seminare zum Thema „Akzeptanz von Windenergie“ oder „Erfolgreiche Verträge im Windprojekt“. Der stellvertretende Vorsitzende der Windlobbyisten ist gleichzeitig Schatzmeister des BUND Rheinland-Pfalz. Andere Mitglieder arbeiten bei Windkraft-Unternehmen oder sind selbst Projektierer von Windparks.

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„Wir brauchen die Energiewende, um unsere Umwelt zu schützen“, sagt Olaf Bandt, Bundesgeschäftsführer des BUND. „Und wir müssen versuchen, Eingriffe in die Natur zu minimieren.“ Man prüfe bei jedem Windpark: Wie stark wird die Natur beeinträchtigt? Welche Kompromisse sind denkbar?

Für Harry Neumann klingt das wie Hohn. Bei einer Kanne Tee sitzt er am Tisch in seinem Haus am Waldrand, hinter den Fenstern erstreckt sich sein Garten mit eigenem Bienenvolk. Er erzählt gerne von den Anti-Atomkraft-Demos oder den Protesten gegen die ICE-Schnellstrecke, für die Bäume im Westerwald gerodet werden mussten. „Die Aufgabe als Naturschützer nimmt der BUND nicht mehr wahr – meiner Erfahrung nach ist er zu sehr mit der Windkraftlobby vernetzt, um unabhängig zu sein“, sagt Neumann.

Neumann und der BUND

Seine BUND-Laufbahn fällt in die dynamischen Anfangsjahre der Energiewende. Als Neumann Landeschef wird, hat die Bundesregierung bereits beschlossen: Spätestens 2022 soll Deutschland unabhängig vom Atomstrom sein. Vor allem die Windkraftbranche profitiert vom Umstieg. Zwischen 2007 und 2014 stiegen die deutschen Windkraft-Investitionen von 1,7 auf 12,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der BUND hat einen Jahresetat von gut 20 Millionen Euro.

Windreiche Gebiete auf dem Land bieten häufig auch gefährdeten Tieren ein Zuhause. Und so war es eine brütende Rotmilan-Familie bei Bad Kreuznach, die zur Eskalation im Verein führte. In der Region sollten Windräder aufgestellt werden – ohne Analyse der Risiken für Flora und Fauna. Als BUND-Landesvorsitzender erzwang Neumann vor Gericht einen Baustopp.

Die Projektierer reichten die Unterlagen nach. Für Neumanns BUND-Freunde war die Sache damit erledigt. Für Neumann nicht, er wollte weiterkämpfen - und trat schließlich aus dem Verein aus.

Ein ähnliches Bild in Norddeutschland: Als der BUND gegen einen Windpark am Rand eines Vogelschutzgebiets an der Nordsee klagte, änderte das Unternehmen seine Pläne: Statt 76 sollten nur 18 Anlagen gebaut werden. Für den BUND ein Erfolg – für die Windkraftgegner ein fauler Kompromiss. Wegen der Verstrickungen einzelner Mitglieder in die Windkraftbranche knicke der Verein ein, sagen sie auch hier.

„Das ist schlichtweg Unsinn. Natürlich gibt es Mitglieder, die beruflich in der Windkraftbranche sind. Was ist daran widersprüchlich?“, fragt BUND-Geschäftsführer Bandt. Man habe schließlich ein gemeinsames Ziel: Klimaschutz. Neumann lacht auf. Natürlich sei er auch für Klimaschutz – nur nicht mit Windkraft. Man solle mehr auf Solar und Blockheizwerke setzen. „Wir müssen insgesamt weniger Energie verbrauchen und uns dabei nicht nur auf Strom konzentrieren. Denn das ist die ineffektivste Stellschraube im Klimaschutz – auf Kosten der Natur“, sagt er.

Dann zieht er am Zipfel seiner Tischdecke, Teekanne und Tassen rutschen in Richtung Kante. Mit ausladender Geste zeigt er auf das Gedeck und sagt: „Das Problem ist, wenn man sich nur auf eine Ecke konzentriert und alle anderen aus den Augen verliert. Dann geht alles kaputt.“ Er hat nun einen neuen Verein gegründet – mit anderen harten Windkraftgegnern.

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