Es sieht nicht gut aus für unsere Zukunft. Dass die Gletscher schmelzen, hat sich bereits herumgesprochen. Doch nun kommt heraus, dass auch die Pandas verhungern, weil der Bambus die steigenden Temperaturen nicht verträgt. Klimaforscher warnen gar, den Pflanzen des wilden Arabica-Kaffees drohe der Hitzetod. Ein Drama für Espresso-Fans.
Kurz vor Beginn des 18. Klimagipfels in Doha sind die Zeitungen voll von derartigen Meldungen. Den Hamburger Meteorologen und Klimaexperten Hans von Storch überrascht das nicht. Er erkennt darin den alten Reflex vieler Klimaforscher: Sie warnen mit düsteren Szenarien vor Katastrophen und hoffen, die Delegierten aus 192 Ländern so dazu zu bringen, sich auf verbindliche Ziele zur Reduktion von Kohlendioxid, dem CO2, zu einigen.
Storch hält diesen politischen Eifer vieler Forscher für einen Fehler. Sie verspielten damit ihr wichtigstes Kapital: ihre Glaubwürdigkeit. Es sei absurd, jede negative Entwicklung mit dem Klimawandel in Verbindung zu bringen. Genau das aber passiere. „Diese Katastrophenrhetorik“, fürchtet Storch, bewirke beim Publikum eher Widerwillen als Aufmerksamkeit.
Der Klimawandel in Zahlen
Um 70.000 km² – das entspricht etwa der Größe Bayerns – ist der Eispanzer der Arktis in diesem Sommer gegenüber 2007 geschrumpft. 2050 könnte das nördliche Polarmeer im Sommer eisfrei sein.
Fast verfünffacht hat sich die Zahl der Wetterkatastrophen in Nordamerika seit 1980. In Asien legte sie um das Vierfache, in Europa um das Zweifache zu.
Rund ein Drittelsaurer sind die Meere geworden. Folge: Korallen, Muscheln und Fische wachsen langsamer. Bis 2100 könnte die Versäuerung um 150 Prozent steigen.
0,4°C ist die Erde seit 1980 wärmer geworden. Bis 2100 könnte sich das Klima um rund vier Grad aufheizen.
Um 5 cm sind die Meeresspiegel seit 1990 im Mittel gestiegen. Bei einer globalen Erwärmung um zwei Grad werden die Pegel wahrscheinlich um 2,7 m höher sein.
Um 15 Prozent sinkt die Reisproduktion bis 2050 in den Entwicklungsländern als Folge der globalen Erwärmung. Bei Weizen werden 13 Prozent weniger geerntet werden.
Denn grundsätzlich haben die Forscher ja recht: Dass sich die Erde erwärmt und der Mensch dabei eine wichtige Rolle spielt, lässt sich wissenschaftlich kaum noch widerlegen. „Umstritten ist nur noch, in welchem Ausmaß der CO2-Anstieg die Temperaturen hochtreibt“, sagt Storch.
Verhängnisvolle Entwicklung
Trotz einer seit zwei Jahrzehnten andauernden Klimadebatte blasen die Menschen jedes Jahr mehr CO2 in die Atmosphäre: 34 Milliarden Tonnen waren es 2011 – gegenüber 22,7 Milliarden Tonnen 1990. Setzt sich dieser Trend fort, wird schon 2020 die 40-Milliarden-Marke geknackt. Wir müssen uns also eher darauf einstellen, dass die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um vier Grad steigt.
Anlässlich des Klimagipfels in Doha haben WirtschaftsWoche-Mitarbeiter die verbleibenden Handlungsoptionen analysiert. Die wichtigste Frage: Wie können wir den Klimaschutz effizienter gestalten?
Fossile Brennstoffe
Dass wir diese Möglichkeiten genauer ansehen, ist dringend geboten. Denn die Rückschläge nehmen zu. Dank moderner Technologien, die neue Quellen wie Schiefergestein erschließen, erleben die USA einen Öl- und Gasboom. Die USA könnten im Zuge dieser Renaissance so große Mengen fossiler Brennstoffe fördern, dass sie laut der Internationalen Energieagentur (IEA) schon 2017 Saudi-Arabien als größtes Ölförderland ablösen. Die Preise für Öl und Gas sind in den USA seither im freien Fall.
Und je mehr fossile Brennstoffe verheizt werden, desto mehr CO2 entsteht. „Die Knappheit des 21. Jahrhunderts liegt nicht in den fossilen Energieträgern“, sagt Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, „sondern im begrenzten Deponieraum für Treibhausgase in der Atmosphäre, den Ozeanen und den Wäldern.“
Vergessene Klimakiller
Die gute Nachricht: Es gibt immer noch viele Punkte, an denen Politiker, Forscher und Unternehmer ansetzen können. So ist in Vergessenheit geraten, dass es neben dem CO2 auch andere Klimakiller gibt: Ruß und Methan sind für 30 Prozent des Treibhauseffekts verantwortlich – erhalten aber nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit von Klimaschützern. Dabei ließen sich die vergessenen Klimakiller oft viel leichter eindämmen als der Staatsfeind Nummer eins, Kohlendioxid.
In dieser Gemengelage schwenken nun auch immer mehr einstige Klimaskeptiker um, Richard Muller zum Beispiel. Der Physiker und wissenschaftliche Direktor der kalifornischen Universität Berkeley hielt die Angaben des Weltklimarats IPCC zur Erderwärmung zunächst für überzogen; vor allem auch deshalb, weil seiner Ansicht nach zu viele Messpunkte in der Nähe von Großstädten lagen, wo es ohnehin wärmer ist.
Die Erwärmung ist real
Mittlerweile hat Muller mit mehr Messstationen aus ländlichen Regionen nachgerechnet – und keine Zweifel mehr: Die Erwärmung ist real. Weiter zu streiten, welchen Anteil der Mensch daran hat, hält er für fruchtlos. Er schlägt eine Strategie vor, die Klimaschutz in Verbindung mit grünem Wachstum profitabel macht. Verzicht auf Wohlstand bedeutet der Kampf gegen den Klimawandel damit nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Er fördert ihn sogar. Darauf sollten sich alle einigen können, schrieb Muller jüngst im „Wall Street Journal“.
Tatsächlich schwenken mehr und mehr Länder auf diesen Kurs in Richtung Green Economy ein (siehe Seite 72). Südkorea etwa will 2015 zu den großen vier Exportnationen für grüne Technologien gehören. Gerade hat die Regierung rund 45 Millionen Euro als Anschubfinanzierung für Elektroautos genehmigt. Vor der Küste soll für sieben Milliarden Euro ein Offshore-Windpark entstehen.
Vor allem China sieht Handlungsbedarf
Die Asiaten haben die USA kürzlich mit 8,9 Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß als größten Umweltsünder abgelöst. Auch weil dort jedes Jahr rund 50 neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen. Inzwischen aber investiert das Reich der Mitte wie kein zweites Land in erneuerbare Energien.
Ob der Klimagipfel in Doha helfen wird, diese Entwicklungen zu unterstützen? Wohl kaum. In den nächsten Tagen wird erst einmal nur über neue verbindliche Ziele für den CO2-Ausstoß diskutiert. Beschlüsse sind nicht vorgesehen. Wieder einmal.
Wenn also die politische Karte nicht sticht, welche Optionen gibt es dann? Lesen Sie auf den nächsten Seiten, wie sich das Klima wirklich retten lässt.
Option 1: Anpassung
Höhere Dämme, das Anpflanzen von Küsten schützenden Wäldern und bessere Vorhersagen machen den Klimawandel beherrschbar.
Manhattan ohne Strom, von Wassermassen überschwemmte Subway-Tunnel und Zehntausende Menschen auf der Flucht: Es waren die Folgen von Hurrikan Sandy, angesichts derer der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg Anfang November Taten forderte: „Das Klima verändert sich, und alle Regierenden im Land müssen umgehend handeln.“
Zwar hat der Klimawandel Sandy nicht ausgelöst – aber verstärkt, wie Wissenschaftler glauben. Das wird künftig immer häufiger passieren. Damit drohen der Welt heftigere Überflutungen, zudem Hitzewellen und Dürren mit gravierenden Folgen für Städte, Ernährung, Gesundheit und Billionen Euro Kosten für die Wirtschaft.
Investitionen zahlen sich aus
Trotz der düsteren Aussichten haben Forscher und Politiker „Anpassungen an den Klimawandel in ihren Planungen lange Zeit nicht berücksichtigt“, sagt Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Das ändert sich gerade. So sollen in wenigen Jahren zwei insgesamt 17 Milliarden Dollar teure, verschließbare Seemauern New York vor Überschwemmungen schützen.
Folgen des Klimawandels in Deutschland
Zwischen 1901 und 1910 lag die Jahresmitteltemperatur in Deutschland je nach Region zwischen 7 und 12 Grad, zu den wärmsten Gegenden zählten der Oberrheingraben und das Kölner Becken. Bis zum Vergleichsjahrzehnt 2001 bis 2010 stiegen die Temperaturen je nach Region zwischen 0,25 und 2 Grad. Besonders sichtbar sind diese Sprünge in Teilen von Brandenburg und Sachsen-Anhalt, aber auch in Teilregionen von Hessen und Bayern. Nur in einem schmalen Korridor zwischen Kiel, Hamburg und Hannover blieb es kühler. Auf der Basis dieser Werte rechnen die Forscher zwischen 2011 und 2100 mit einem weiteren Anstieg der Werte um 3,6 bis 4 Grad - je nach Region. Das ist die Grundlage für die Berechnung der Szenarien für einzelne Regionen. Die Einzelergebnisse für jeden Landkreis werden aber erst Anfang Dezember veröffentlicht.
Die Wasserressourcen fallen in den kommenden Jahrzehnten je nach Region sehr unterschiedlich aus. So haben Modellberechnungen für die Ems ergeben, dass sie eher mehr Wasser führen wird als heute - außer im Sommer. Ganz anders sieht es für die Elbe aus. In ihrem Einzugsgebiet gibt es nach den Szenarien weniger Wasser, weil es im Sommer seltener regnet und durch die Hitze auch mehr Wasser verdunstet. Die Schneeschmelze im Winter kann die Gesamtbilanz nicht mehr ausgleichen. Extreme Niederschläge im Winter steigern aber gleichzeitig das Hochwasserrisiko. Wassermangel in Flüssen hat nicht nur Folgen für Flora und Fauna. Auch die Schifffahrt kann beeinträchtigt werden. Mit großer Knappheit wird im Leipziger Becken, im Oderbruch, Sachsen-Anhalt und in der Oberrheinebene gerechnet.
Mehr Wärme könnte die Vegetationsperiode der Bäume verlängern. Das führt erst einmal zu positiven Effekten: Wälder könnten mehr schädliches Kohlendioxid aus der Luft filtern. Und die Forstwirtschaft hat durch das Wachstum etwas mehr Holz zur Verfügung. Diese Pluspunkte könnten aber durch die größere Trockenheit gleich wieder schwinden. Denn sie stresst die Wälder und macht Bäume anfälliger für Schädlinge und Krankheiten. Dazu steigt zum Beispiel in Brandenburg die Waldbrandgefahr um 16 Prozent. Buchen gelten als Verlierer der Entwicklung, Kiefern zählen eher zu den Gewinnern. Für die Zukunft empfehlen die Forscher die Pflanzung von Mischwäldern - um mögliche Ausfälle einer Baumart ausgleichen zu können.
Die gute Nachricht lautet, dass ein Rückgang der Produktion eher unwahrscheinlich ist. Denn die Vegetationszeit verlängert sich durch mehr Wärme, Winterkulturen profitieren davon. Im Sommer lassen sich trockenere Böden von Jahr zu Jahr durch Spielräume bei Fruchtarten, Sortenwahl und Düngung kompensieren. Ein Problem aber wird in einigen Regionen häufiger Wassermangel durch zu wenig Regen im Sommer. Das trifft vor allem Mais und andere Sommerkulturen, weil sie früh beim Wachstum gehemmt werden. Hier können Investitionen wie zum Beispiel in Rückhaltebecken oder künstliche Bewässerung ins Geld gehen. Ein Umdenken ist auch bei Drainagen gefragt - denn dadurch geht Grundwasser verloren.
Im Sommer wird die Hitze das Flusswasser in einigen Regionen wahrscheinlich so erwärmen, dass es nicht mehr als Kühlwasser für Kraftwerke verwendet werden kann. Sie müssten zeitweise abgeschaltet werden. Auch bei Wasserkraftwerken ist wegen weniger Wasserdruck im Sommer mit Einbußen zu rechnen. Beim Wind und Sonne rechnen Wissenschaftler besonders im Winter mit einer leichten Zunahme der Auslastung. Da die Kraftwerke im Sommer beeinträchtigt sind, nutzt das zum Ausgleich ohne effektive Speicher nicht viel.
Solche Investitionen zahlen sich aus. Laut einer britischen Studie könnten höhere Deiche, Frühwarnsysteme für Krankheiten und neue Ackermethoden die gigantischen Folgekosten des Klimawandels um bis zu ein Drittel reduzieren. „Viele Entscheider haben begriffen, dass der Klimawandel kommt, selbst wenn wir die CO2-Emissionen senken“, sagt Ralf Schüle, der am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie forscht.
Skeptiker wie der Ex-RWE-Manager Fritz Vahrenholt weisen darauf hin, dass die Erde sich in den vergangenen 15 Jahren kaum erwärmt habe und eine Anpassung wenig dringlich sei. Forscher aber halten dagegen, dass auch früher ähnlich lange Erwärmungspausen üblich waren und die Temperatur danach immer wieder stieg.
Deutsche Politiker setzen auf Anpassung
Je unwahrscheinlicher es wird, dass die Klimawissenschaftler irren, desto mehr setzen Politiker auf die Option Anpassung. Auch in Deutschland. So haben überflutungsgefährdete Städte die Bordsteine ihrer Straßen erhöht, um Abflusskorridore zu schaffen: Bei Starkregen fließt das Wasser wie in einem Flussbett in Richtung Freifläche ab. Stuttgart hat ein Bauverbot für die Hügel am Stadtrand ausgesprochen. So findet im Sommer kühle Luft einen Weg ins Zentrum und glättet Hitzewellen.
Aber nicht nur Städte reagieren. Die Holzwirtschaft verwendet für Nutzwälder statt Fichten und Buchen vermehrt nordamerikanische Douglasien – sie kommen besser mit Trockenheit klar. Die Niederlande investieren bis 2050 rund 80 Milliarden Euro, um 1200 Kilometer Deiche zu erhöhen und Strände aufzuschütten. Das US-Transportministerium wiederum rät, für den Highway-Bau hitzeresistenten Asphalt zu verwenden, weil das Reparaturen spart.
Das Problem der teuren Anpassungsmaßnahmen: „In Entwicklungsländern fehlt es an Geld, Wissen, Technik und Institutionen, um sie umzusetzen“, sagt Wuppertal-Forscher Schüle. Darum wollen die Industriestaaten armen Ländern bis 2020 rund 100 Milliarden Dollar überweisen – für stabilere Häuser, den Küstenschutz, neue Pflanzensorten oder Systeme, die Krankheiten vorhersagen.
Bis es so weit ist, setzen die aufstrebenden Staaten auf gute Ideen und Low Tech – mit ausländischer Hilfe. So legen asiatische Küstenschützer zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Vietnam und den Inselstaaten im Südpazifik riesige Mangrovenwälder gegen Sturmfluten an. Und in Zentral-Bangladesch verlegen Bauern ihre Beete in schwimmende Gärten und halten statt Hühnern zunehmend Enten. Der französische Architekt Vincent Callebaut will sogar ganze schwimmende Städte bauen, die Menschen aus überfluteten Regionen eine neue Heimat bieten.
Anderswo ist nicht zu viel, sondern zu wenig Wasser das Problem: Bis 2020 werden laut UN allein in Afrika bis zu 220 Millionen mehr Menschen unter Wasserknappheit leiden als heute. Im afrikanischen Burkina Faso entdecken Bauern darum die uralte Zai-Technik wieder: Sie graben zwischen Feldern Höhlen für Termiten. Die Tiere untertunneln die Äcker, die dann wie ein Schwamm Regenwasser aufsaugen – ein Reservoir, aus dem sich die Feldpflanzen in der Trockenzeit ernähren.
Option 2: Emissionshandel
Bisher haben CO2-Zertifikate den Ausstoß von Klimagasen nicht reduziert. Jetzt nehmen Staaten einen neuen Anlauf.
Kurz vor dem Klimagipfel in Doha ist noch einmal Betriebsamkeit ausgebrochen. Die EU will die Zahl der Klimazertifikate verknappen, die Unternehmen protestieren. Und während der Streit über Emissionszertifikate für den Luftverkehr anhält, geht Kalifornien als erster US-Staat voran und steigt in den Emissionshandel ein.
Diese Ereignisse zeigen, dass der Emissionshandel für Politik und Wirtschaft immer noch das bedeutendste Instrument im Kampf gegen den Klimawandel ist – aber bisher kein besonders erfolgreiches. Denn der Handel mit Verschmutzungs-zertifikaten ist weit davon entfernt, sein eigentliches Ziel zu erreichen: Anreize für alle Beteiligten zu schaffen, die Erderwärmung zu bremsen.
Ein höchst politischer Prozess
Dabei klingt das Konzept einleuchtend: Man gebe dem ausgestoßenen Kohlendioxid einen Preis – und schon haben alle einen Anreiz, weniger Emissionen zu verursachen. Allerdings ist die Umsetzung keinesfalls so einfach wie die Idee.
Die Probleme beginnen schon damit, dass CO2 keinen natürlichen Preis hat. Er muss künstlich festgelegt werden. Und das ist ein höchst politischer Prozess.
So hat etwa die EU zwar das erste grenzüberschreitende Handelssystem für CO2-Emissionsrechte etabliert, um das Klima zu schützen. Zugleich aber will die EU auch etwas anderes: Sie will den europäischen Markt im weltweiten Wettbewerb stärken. Da würden Zusatzkosten, die durch den Ankauf von Verschmutzungsrechten entstehen, stören.
Deshalb entschied sich die EU zunächst für die harmloseste aller Lösungen – sie verteilte zwar Zertifikate, aber kostenlos. Ihr Argument: Weil die Wirtschaft wächst, würden die Zertifikate bald nicht mehr ausreichen. Daraufhin werde sich von selbst ein Handel etablieren, ein Preis werde entstehen. 2012 sollte der bei 30 Euro pro Tonne CO2 liegen, so der grobe Fahrplan.
Dann folgte die Wirtschaftskrise. Und mit ihr ein Produktionseinbruch, der weniger anstatt mehr Zertifikate nötig machte. Die Unternehmen nutzten diese Phase und bunkerten die Emissionsrechte. Laut einer Studie der Umweltorganisation BUND hortete allein ThyssenKrupp rund 250 Millionen Verschmutzungsrechte. Heute liegt der Preis pro Zertifikat bei nur sieben Euro.
Experten wollen noch weiter gehen
Vielleicht ändert sich das bald. Gerade hat die EU-Kommission angekündigt, ab nächstem Jahr 900 Millionen Zertifikate weniger als geplant zu versteigern. Das dürfte den Preis kräftig antreiben.
Experten wie der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, wollen noch weiter gehen. Edenhofer fordert einen weltweiten Emissionshandel. Dafür soll jedes Land ein kleines Stück Atmosphäre zugewiesen bekommen. Das darf es dann mit CO2 verschmutzen. Pusten die Industrieländer zu viel Klimagas in die Atmosphäre, müssen sie den ärmeren, aber saubereren Ländern Platz abkaufen.
In den Industriestaaten würde ein solches Handelssystem klimafreundliche Technik fördern, hoffen die Befürworter. Arme Empfängerstaaten in Afrika könnten mit dem Geld wiederum ihre wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben.
Umsetzungsschwierigkeiten
So sinnvoll die Idee klingt: Sie ist schwierig umzusetzen. Das zeigt die aktuelle Debatte um den Flugverkehr: Die EU plant, jede Fluglinie, die in europäischen Flughäfen landet, zum Erwerb von Emissionszertifikaten zu verpflichten. Doch China und die USA protestieren gegen die Idee. Darum ist diese Regelung erst einmal ausgesetzt.
Eine Politik der kleinen Schritte ist nun gefragt. „Wenn man einen weltweiten Emissionshandel nicht von oben anstoßen kann“, sagt Klimaökonom Edenhofer, „dann eben von unten – indem regionale Emissionshandelssysteme nach und nach zusammenwachsen.“ Das könnte klappen: Australien hat beschlossen, sich dem EU-Emissionshandel anzuschließen, Kalifornien hat als erster US-Bundesstaat seinen eigenen Handel gestartet. Und im Jahr 2015 folgen Südkorea und vielleicht gar China.
Option 3: Grünes Wachstum
Der effiziente Umgang mit Rohstoffen und Energie spart der Industrie Kosten und kommt zugleich dem Klima zugute.
Anfangs waren es ein paar wenige Idealisten. Dann stiegen die Ölpreise, schließlich die Kosten für Rohstoffe. Und auf einmal ist es eine Massenbewegung: Unter den Unternehmen ist ein wahrer Wettbewerb ausgebrochen, wer am effizientesten und sparsamsten produziert. Laut einer Studie der Analysten von KPMG haben vergangenes Jahr 95 Prozent der 250 größten Unternehmen über ihr Nachhaltigkeitsmanagement berichtet und sich nachweislich in dem Feld engagiert. 1999 waren es nur 35 Prozent.
Diese Zahlen markieren den Beginn des Zeitalters der Green Economy. Ressourcen effizient zu nutzen ist kein Thema mehr nur für Biobauernhöfe, es entpuppt sich als wirtschaftlich höchst rational – und wird in einigen Branchen gar zur Überlebensfrage. Denn Strom, Wärme, Stahl und Kunststoffe werden künftig immer teurer werden.
Und so vermelden die Unternehmen stetig neue Diäterfolge: Gerade hat der Technologiekonzern Siemens einen neuartigen Lichtbogenofen vorgestellt, der die bis zu 1700 Grad Celsius heißen Abgase bei der Stahlschmelze nutzt, um Strom zu erzeugen. Den Münchnern zufolge sinkt der jährliche CO2-Ausstoß eines typischen Ofens mit 120 Tonnen Kapazität dank der neuen Technik um rund 30 000 Tonnen.
Kleine Maßnahmen riesige Effekte
So kommt der japanische Wärmepumpen-Hersteller Daikin in seinem Werk im belgischen Ostende mit 90 Prozent weniger Energie aus, seit er die Geräte nicht mehr mit Druckluft-, sondern Elektroschraubern montiert. Der Aachener Softwarespezialist Magma wiederum hat den Gießprozess von Aluminiumteilen optimiert: Es entsteht weitaus weniger Abfall, und die Energie- und Materialeffizienz steigt allein dadurch um 15 Prozent.
Sparsame Fertigungsverfahren, Rückgewinnung von Materialien, höhere Steuern auf Rohstoffe und mehr regenerative Energien – die Experten der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sehen in dieser Kombination den Königsweg, den Klimawandel aufzuhalten – ohne den Wohlstand zu gefährden. Würde dieses grüne Wachstumsmodell konsequent umgesetzt, ließe sich gar das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, noch erreichen, glaubt OECD-Generalsekretär Angel Gurría.
Bei diesem Wandel in eine grüne Wirtschaft nehmen deutsche Unternehmen eine weltweite Vorreiterrolle ein (siehe auch Seite 6 des Sonderhefts WirtschaftsWoche Green Economy). Als erstes Automobilunternehmen der Welt will etwa BMW in wenigen Jahren seine mehr als 1,6 Millionen jährlich gefertigten Fahrzeuge mit grünem Strom produzieren. Schlichte Kostenkalkulation befeuere das Umdenken, meint Stephan Kohler, Chef der Deutschen Energie-Agentur (Dena). Schließlich brächten Investitionen in energiesparende Techniken bis zu 20 Prozent Rendite – und einen positiven Klimaeffekt.
Das Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) hat das Einsparpotenzial einer effizienten Nutzung von Rohstoffen für ganz Deutschland hochgerechnet. Es ist riesig: jährlich 80 Millionen Tonnen weniger Material, 75 Milliarden Kilowattstunden weniger Strom und 60 Millionen Tonnen weniger CO2.
Ein entscheidender Wettbewerbsfaktor
Die Technologien dafür seien entwickelt, betont der frisch gewählte Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer. Sie einzusetzen hält er für „einen entscheidenden Wettbewerbsfaktor“. Denn schon eine Reduktion des Rohstoffeinsatzes um nur sieben Prozent würde die deutsche Industrie um jährlich 48 Milliarden Euro entlasten. Und das wäre nicht der einzige positive Effekt: Eine Studie des Bundesumweltministeriums sieht die Zahl der Beschäftigten in Umwelttechnikbranchen bis 2025 von 1,4 auf 2,4 Millionen klettern. Der Umsatz soll pro Jahr um 10,6 Prozent wachsen.
Ganz ohne Schmerzen würde der Umstieg auf eine grüne, CO2-arme Wirtschaft indes nicht verlaufen. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) würde es die Welt bis 2050 etwa drei Prozent Wirtschaftswachstum kosten, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten. Für PwC-Chef-Ökonom John Hawksworth ein nicht allzu großes Opfer: „Der gleiche Wohlstand wird einfach ein Jahr später erreicht.“ So weiter zu wirtschaften wie bisher hält er dagegen für keine Alternative. Dann drohe sich der Globus im schlimmsten Fall um sechs Grad aufzuheizen – und würde zum unwirtlichen Ort.
Welche finanziellen Einbußen dann drohen, lassen die Folgen zweier Wetterkatastrophen aus jüngster Zeit erahnen: Die Dürreperiode diesen Sommer in weiten Teilen der USA hat nach Schätzungen von Ökonomen Schäden von zwölf Milliarden Dollar verursacht. Hurrikan Sandy, der die Ostküste der USA Anfang November traf, hat nach Schätzungen des Versicherungsdienstleisters Eqecat sogar Werte in Höhe von 50 Milliarden Dollar vernichtet.
Und das, so warnen Wissenschaftler, waren nur Vorboten dessen, was der Klimawandel künftig noch anrichten kann.
Option 4: Geo-Engineering
Können Reparaturen die Erderwärmung stoppen, wenn der CO2-Ausstoß sich schon nicht aufhalten lässt?
Forscher diskutieren die Idee seit Längerem: Man dünge die Weltmeere mit Eisen, auf dass sich das Plankton vermehre – jene Kleinstlebewesen, die sich von Kohlendioxid ernähren. Und umso mehr Plankton im Meer, desto weniger CO2 in der Luft.
Für den US-Geschäftsmann Russ George sollte diese Klimaschutzstrategie nicht länger Theorie bleiben. Der Millionär ließ auf eigene Kosten mehr als 100 Tonnen Eisen in den Pazifik kippen. Und siehe da: Auf rund 10 000 Quadratkilometern explodierte der Planktonbestand. Anstelle von Dank erntete George für die Aktion aber heftige Kritik. Denn kein Mensch weiß, was geschieht, wenn Ökosysteme durch Massendüngung aus dem Gleichgewicht geraten.
Und das ist der Kern des Problems: So groß die Verlockung sein mag, den Klimawandel durch globale Reparaturarbeiten zu stoppen – so groß sind auch die Risiken. Dabei ist die Eisen-Düngung der Meere nicht einmal die kühnste Vision. So schlagen andere Klimaklempner vor, Tausende Spiegel in den Erdorbit zu bringen, um die Sonnenstrahlen ins All zu reflektieren. Nötig wären rund 20 Millionen Raketenstarts.
Wie ein Vulkanausbruch
Kostengünstiger ist der Vorschlag, tonnenweise Schwefel in der Stratosphäre zu verbrennen. Wie bei Vulkanausbrüchen würde sich ein dunstiger Schleier in der Atmosphäre verteilen, der ebenfalls die Kraft des Sonnenlichts verringert. Acht Milliarden Dollar würde es kosten, so schätzen US-Experten, um die Erde auf diese Weise auf präindustrielles Niveau abzukühlen.
Wieder andere Forscher wollen Wolken manipulieren. Diese Idee wird zum Beispiel von John Latham an der Universität von Manchester erforscht: Mikroskopisch kleine Partikel, etwa aus Meersalz, sollen bewirken, dass die Wassertropfen, aus denen sich Wolken bilden, schrumpfen. Dadurch würden Wolken weißer und könnten mehr Sonnenlicht reflektieren.
Wie realistisch sind diese Visionen? „Machbar ist das vielleicht alles“, sagt Andreas Oschlies von Geomar, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. „Aber bisher kann man weder die genaue Wirkung noch die Risiken abschätzen.“ Der Physiker nimmt das Climate Engineering in einem gerade anlaufenden Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft unter die Lupe.
Mögliche Nebenwirkungen
Das Problem vieler dieser Ideen sind die möglichen Nebenwirkungen. So würden viele der Geo-Engineering-Techniken vermutlich nicht nur die Erde kühlen, sondern auch regional das Klima verändern. Hausgemachte Dürren oder Überschwemmungen könnten ganze Ernten vernichten – und die betroffenen Länder Kompensationszahlungen fordern.
Bei Techniken, die das Sonnenlicht abschirmen, entstehen weitere Probleme: » » Stößt die Menschheit weiter CO2 aus, muss die Klimaklempnerei über Hunderte Jahre ununterbrochen fortgeführt werden. Klappte man nämlich den künstlichen Sonnenschirm plötzlich zusammen, würde sich die Erde ziemlich rasch erwärmen.
Viele Wissenschaftler empfehlen daher sanftere, aber weniger effektive Methoden – das CO2 aus der Luft zu filtern und zu speichern etwa. Problematische Konsequenzen für das Klima sind dabei nicht zu befürchten. Eine natürliche Methode wie das Aufforsten wiederum hätte sogar positive Nebenwirkungen: Sie würde die Bodenerosion verringern. Den derzeitigen CO2-Ausstoß gliche sie aber nicht aus.
Den US-Millionär Russ George lässt die Kritik an seinem Projekt Meeresdüngung derweil kalt. Das Planktonwachstum fördere auch die Lachsbestände, verteidigt er sich – und helfe dadurch der lokalen Fischereiindustrie.
Option 5: Heimliche Klimakiller
30 Prozent der Erderwärmung gehen auf Schadstoffe wie Methan, Ruß und Ozon zurück. Ihr Ausstoß ließe sich leicht eindämmen.
Wenn es um die globale Erwärmung geht, steht meist nur das Gas CO2 am Pranger. Dabei gibt es weitere Schurken, die zum Treibhauseffekt beitragen – vor allem Methan, Ruß und bodennahes Ozon. Sie verursachen laut dem Weltklimarat IPCC 30 Prozent der Erderwärmung – und böten einen idealen Angriffspunkt, um den Klimawandel kurzfristig deutlich einzudämmen.
Denn Ruß und Methan gehören zu den sogenannten kurzlebigen Klimatreibern: Sie tragen wie Kohlendioxid zur Erderwärmung bei, werden aber deutlich schneller in der Atmosphäre abgebaut oder, im Falle von Ruß, mit dem Regen aus der Luft gewaschen. Das bedeutet: Wenn die Menschheit weniger CO2 ausstößt, wirkt sich das erst Jahrzehnte später positiv auf das Klima aus; spart sie bei Methan und Ruß, folgt die Wirkung nach Wochen oder Monaten.
Erderwärmung bis 2050 verringern
Welcher Effekt sich mit einem Kampf gegen die heimlichen Klimakiller erzielen ließe, berechnete unlängst ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Science“. Demnach könnte ein Bündel von Emissionsschutzmaßnahmen gegen Ruß und Methan bis zum Jahr 2050 die Erderwärmung um 0,5 Grad Celsius verringern.
Die Instrumente, die die Wissenschaftler vorschlagen, sind nicht kompliziert. So lässt sich Methan, das bei der Erdölproduktion bisher abgefackelt wird, auch zurück ins Erdreich pressen oder als Energiequelle nutzen. Mülldeponien, aus denen das Gas bisher meist ungehindert in die Atmosphäre entweicht, lassen sich mit Folien abdecken. Auch Reisfelder würden, stünden sie nur zeitweise unter Wasser statt das ganze Jahr, weniger Methan ausstoßen.
Gegen Ruß gibt es ebenfalls viele simple, aber wirksame Mittel: Partikelfilter für Dieselmotoren etwa oder ein Stopp der Brandrodung tropischer Wälder. Ein effektives Rußembargo käme am stärksten der Arktis zugute. Dort legen sich die feinen Partikel wie ein grauer Schleier auf das Eis, erwärmen sich im Sonnenlicht und beschleunigen das Abschmelzen der nördlichen Polkappe.
Weniger Ruß in der Luft könnte laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) die Erwärmung der Arktis bis zum Jahr 2040 um 0,7 Grad, also um zwei Drittel begrenzen. Gleichzeitig würden jährlich bis zu 4,6 Millionen vorzeitige Todesfälle, etwa durch Atemwegserkrankungen, vermieden.
Zum Kampf gegen die kurzlebigen Klimakiller trat im Februar die internationale Climate and Clean Air Coalition (CCAC) ins Leben, ein Bündnis von 17 Staaten – darunter Deutschland – das UNEP, die Weltbank und die Europäische Kommission. Ein starkes Argument haben die Klimaschützer auf ihrer Seite: Die Hälfte der Ruß- und Methanemissionen ließen sich laut UNEP mit Mitteln einsparen, die sich von selbst finanzieren – etwa mit neuen Motoren, deren Anschaffung sich durch den geringeren Benzinverbrauch bezahlt macht.