Die Städte der USA machen nur drei Prozent der gesamten Landesfläche aus, doch auf diesen drei Prozent leben dicht gedrängt 243 Millionen Amerikaner. 36 Millionen Menschen wiederum leben im Großraum Tokio, der Metropolregion mit den weltweit höchsten Produktivitätsraten. Und mindestens zwölf Millionen Menschen wohnen in der indischen Megastadt Mumbai. Die Einwohnerzahlen chinesischer Wirtschaftszentren wie Shanghai sind fast ebenso hoch.
Was sagt uns das? Das Platzangebot auf unserem Planeten ist riesig – die Menschen aber rücken in riesigen, städtischen Ballungszentren immer näher zusammen. In den Entwicklungsländern ziehen jeden Monat fünf Millionen neue Zuwanderer in die Metropolen – mehr als jeder zweite Mensch lebt mittlerweile in der Stadt.
Diese wachsenden Ballungszentren sind die treibende Kraft für Neuerung – und das schon seit Plato und Sokrates, die auf den Plätzen Athens ihre Lehren verbreiteten. Die Gassen und Wege von Florenz wiederum waren die Wiege der Renaissance, und in den Straßen von Birmingham entfaltete sich die industrielle Revolution.
Die Stadt triumphiert
In den wohlhabenden Ländern der westlichen Welt gingen die Städte aus den Entwicklungen des industriellen Zeitalters hervor und sind heute reicher, gesünder und attraktiver denn je. In den ärmeren Ländern expandieren die Ballungsräume in atemberaubendem Tempo, weil die urbane Dichte den Menschen am ehesten Chancen bietet, der Armut zu entfliehen.
Die Welt ist nicht flach, sie ist asphaltiert. Die Stadt hat triumphiert. Sie steht für ein Minimum an räumlicher Distanz zwischen Menschen und Unternehmen. Städte bedeuten Nähe, Dichte und direkten Kontakt. Sie schaffen die Bühne, auf der Menschen zusammen arbeiten, leben und sich vergnügen. Ihren Erfolg verdanken sie dem Bedürfnis nach Nähe und Zusammenhalt.
In den USA verdienen Arbeiter urbaner Ballungsräume 30 Prozent mehr als Arbeiter fernab der Metropolen. In anderen reichen Ländern ist das Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land um nichts geringer. Noch größer ist der Abstand in ärmeren Ländern. Die hohen Löhne werden zwar durch höhere Lebenskosten wettgemacht, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass hohe Löhne Ausdruck höherer Produktivität sind.
Innovationstreiber Stadt
Unternehmen sehen sich im urbanen Raum mit höheren Arbeitskosten und Grundstückspreisen konfrontiert. Diesen Nachteil nehmen sie aber in Kauf, weil Städte Produktivitätsvorteile schaffen, die die Mehrkosten ausgleichen.
Urbanisierung und Wohlstand stehen deshalb in nahezu perfektem Zusammenhang: Wenn der Anteil der in Städten lebenden Bevölkerung eines Landes um zehn Prozent steigt, erhöht sich die Pro-Kopf-Leistung der betreffenden Volkswirtschaft um durchschnittlich 30 Prozent. In Ländern, in denen der Großteil der Bevölkerung in Städten lebt, ist das Pro-Kopf-Einkommen fast vier Mal so hoch wie in ländlich geprägten Staaten.
In Amerika und Europa fungieren die Städte als Innovationstreiber, weil sie die klugen Köpfe auf engem Raum zusammenbringen. Eine noch bedeutendere Rolle spielen die Städte in den aufstrebenden Staaten, wo sie die Brücke zwischen Märkten und Kulturen bilden.
Bangalores Aufstieg
Noch 1990 hätte der Durchschnittsamerikaner oder -europäer im Zusammenhang mit Indien an Armut und Unterentwicklung gedacht. Heute denkt die gleiche Person voll Unbehagen an die Gefahr, dass sein oder ihr Job schon demnächst in die südindische Technologiehochburg Bangalore ausgelagert werden könnte. Indien ist zwar noch immer arm, aber es wächst in rasendem Tempo, und Bangalore, die fünftgrößte Stadt Indiens, ist zum Synonym für den wirtschaftlichen Erfolg der ganzen Nation geworden.
Bangalore verdankt seine Erfolgsgeschichte nicht seiner industriellen Stärke, sondern seinem Ruf als Ideenschmiede für High-Tech-Produkte. Die hohe Konzentration von Talenten an einem Ort schafft die Bedingungen, in denen sich das vorhandene Wissen rasch vervielfältigt.
Die Stadt als Nährboden für Gemeinschaftsleistungen ist nichts Neues. Seit Jahrhunderten werden in dicht bevölkerten Städten neue Ideen von Person zu Person weitergegeben. Der Erfolg einer Stadt steht und fällt mit ihrer Innovationsfähigkeit – dies gilt für New York und London genauso wie für Bangalore. Die Verbreitung von Wissen von Ingenieur zu Ingenieur, Designer zu Designer, Händler zu Händler hat eine ebenso fruchtbare Wirkung wie der Ideenaustausch zwischen Künstlern.
Nicht jede Stadt wächst
Die vitale Kraft, die New York und Bangalore auszeichnet, bedeutet jedoch noch lange nicht, dass jeder Stadt ein ähnlicher Erfolgsweg vorgezeichnet ist. Im Jahr 1950 war Detroit mit 1,85 Millionen Einwohnern die fünftgrößte amerikanische Stadt. 2008 war sie zahlenmäßig um fast die Hälfte geschrumpft, und der Bevölkerungsschwund geht weiter. Acht der noch 1950 größten US-Städte haben seither mindestens ein Fünftel ihrer Einwohner verloren.
Der Niedergang von Detroit und anderen alten, industriellen Zentren ist nicht ein Zeichen der Schwäche von Städten im Allgemeinen, sondern ein Symptom für die Sterilität einiger Metropolen, die den Anschluss an die Quellen urbaner Erneuerungskraft verloren haben. Die speist sich vor allem aus der Bildung ihrer Bürger, einer vielseitigen Industrie und kleinen, innovativen Unternehmen. Statt dies zu fördern, verschwenden gerade diese Städte häufig Geld für Prestigeprojekte.
Wahre Hölle
Aber selbst Armut muss nicht notwendigerweise ein Zeichen für Stagnation sein. Der Zustrom sozial schwacher Zuwanderer in Städte von Rio bis Rotterdam ist nicht Ausdruck von Schwäche, sondern der Stärke dieser urbanen Räume.
Städtische Armut lässt sich nicht eins zu eins urbanem Reichtum gegenüberstellen. Sie muss vor dem Hintergrund der Armut in ländlichen Regionen im Einzugsgebiet der jeweiligen Städte gesehen werden. Die Slums von Rio sind im Vergleich mit einem wohlhabenden Vorort von Chicago die wahre Hölle, aber die Armutsrate in Rio ist wesentlich niedriger als im ländlichen Nordosten Brasiliens.
Einen schnellen Weg zum Reichtum mag es für die Armen nicht geben, aber sie haben die Wahl zwischen Stadt und Land, und viele wählen die Stadt – und das aus gutem Grund. Die städtischen Ballungsräume beziehen ihre Dynamik aus dem Zuzug von Reichen und Armen.
Räumliche Nähe erhöht mitunter aber auch die Ansteckungsgefahr durch Krankheiten. Seuchen, Kriminalität und verstopfte Straßen sind die Probleme wachsender Metropolen. Doch die lassen sich lösen. In den amerikanischen Städten beispielsweise verbesserte sich die Lebensqualität zu Beginn des 20. Jahrhunderts dramatisch, weil die Stadtväter enorme Summen für die Versorgung mit sauberem Trinkwasser aufwendeten. Diese Entwicklung zu mehr Lebensqualität dürfte sich in den Großstädten der aufstrebenden Dritten Welt im 21. Jahrhundert wiederholen.
Nur für Reiche bezahlbar
Es war der Sieg der Städte über Krankheit und Kriminalität, der sie erst zu Orten persönlichen Wohlbefindens und wirtschaftlicher Produktivität machte. Die durch eine lebenswerte Umwelt und ökonomische Vitalität geschaffene Nachfrage erklärt gemeinsam mit dem knappen Raumangebot den stetigen Anstieg der Preise in attraktiven Städten. New York, London und Paris schränken die Neubautätigkeit indes zunehmend ein, wodurch diese Städte immer teurer werden.
Tatsächlich gibt es in unseren Städten viel erhaltungswürdige Substanz – aber die Erhaltung historischer Bausubstanz hat einen hohen Preis.
Ein gutes Beispiel ist die wohlgeordnete Schönheit von Paris. Das Stadtbild besticht durch seine Ordnung: die breiten geraden Boulevards, beidseits gesäumt von eleganten Bauten aus dem 19. Jahrhundert. Wir können die großartigen Kulturdenkmäler bestaunen, weil sie nicht hinter gigantischen Neubauten verschwinden.
Seine beeindruckenden Sichtachsen verdankt Paris der Tatsache, dass jeder geplante Neubau ein langwieriges Verfahren durchläuft, wobei die Erhaltung bestehender Substanz grundsätzlich Priorität hat. Dieser restriktive Ansatz hat dazu geführt, dass Wohnen in Paris – das einst berühmt war als Zuflucht für Hunger leidende Künstler – nur noch für Reiche bezahlbar ist.
Selbstschädigende Politik
London legt ähnlich großen Wert auf die Erhaltung historischer Bausubstanz. Und ihre Abneigung gegen hohe Bauten haben die Engländer offenbar auch nach Indien exportiert. Allerdings haben die Bau- und Höhenbeschränkungen dort wenig Sinn und richten sogar ziemlichen Schaden an. Mumbai hat eine der restriktivsten Bauordnungen in der Dritten Welt. Die im Zentrum der Stadt errichteten Neubauten hatten im Durchschnitt gerade einmal 1,3 Stockwerke. Was für ein Wahnsinn – eine für Vorstadtlagen typische Bebauungsdichte im urbanen Zentrum dieser pulsierenden indischen Metropole!
Diese selbstschädigende Politik hat eine Reihe negativer Folgen: überhöhte Wohnungspreise, zu kleine Wohnungen, Verkehrsstaus, Zersiedelung, Slums und Korruption. Die Boomstadt Shanghai wächst noch schneller als Mumbai, aber das Leben in der chinesischen Millionenstadt ist weit erschwinglicher, weil das Wohnungsangebot mit der Nachfrage Schritt hält.
Energiesparer Stadt
Baubeschränkungen fördern die Zersiedelung, weil Entwicklungsvorhaben an ökologisch ungünstigere Standorte im Umland abgedrängt werden: Die wirklich umweltfreundlichen Lagen sind nicht die Vororte, sondern Manhattan und die Zentren von London und Shanghai. Naturliebhaber, die umgeben von Bäumen und Wiesen wohnen, konsumieren weit mehr Energie als die Bewohner der städtischen Zentren.
Der ökologische Fußabdruck eines durchschnittlichen Vorstadthauses entspricht in etwa einem Wanderschuh der Größe 15, jener eines Apartments in New York hingegen einer zierlichen Damensandalette der Größe 6.
Der CO2-Ausstoß alter Metropolen ist in der Regel gering, weil relativ wenige Menschen ihre privaten Autos nutzen. Weniger als ein Drittel der New Yorker fährt mit dem Auto zur Arbeit. Aber 86 Prozent der amerikanischen Pendler benutzen das Auto. Tatsächlich liegt der Pro-Kopf-Benzinverbrauch der New Yorker deutlich unter dem Durchschnitt der US-Ballungszentren.
Weniger Emissionen durch Armut
Derzeit sind die Inder und Chinesen mehrheitlich noch zu arm, um sich einen autoabhängigen Lebensstil leisten zu können. Selbst die CO2-Emissionen der grünsten US-Ballungsräume übersteigen die Emissionen einer durchschnittlichen chinesischen Metropole noch immer um mehr als das Zehnfache.
Aber wenn der Wohlstand der Inder und Chinesen steigt, wird die Bevölkerung vor einer möglicherweise folgenschweren Wahl stehen. Werden sie dem amerikanischen Vorbild folgen und in die autointensiven Vorstädte ziehen, oder entscheiden sie sich für die wesentlich umweltfreundlichere innerstädtische Variante?
Sollten die CO2-Emissionen in China und Indien aber tatsächlich auf das Niveau in den USA steigen, würde dies einen Anstieg der globalen CO2-Emissionen um 139 Prozent bedeuten. Die Motorisierung und Urbanisierung in diesen Ländern dürfte zu einem der wichtigsten Umweltthemen des 21. Jahrhunderts werden.
Abbruch niedriger Häuser
Ein gesundes Umweltbewusstsein drückt sich darin aus, dass die Stadtoberen bauen, wo Bauten den geringsten ökologischen Schaden anrichten. Eine umweltbewusste Haltung erfordert eine höhere Bereitschaft zum Abbruch niedriger Häuser in den Stadtzentren und zum Bau neuer Hochbauten sowie eine härtere Gangart gegenüber Aktivisten, die sich einem emissionsmindernden Städtewachstum entgegenstellen.
Es ist an der Zeit, dass die Regierungen ihre Strategie ändern: Nicht die protzigen, grünlandfressenden Fertigvillen in den Vorstädten gilt es zu fördern, sondern stärker verdichtete Formen des Wohnens in mittelgroßen, städtischen Gebieten. Wenn wir unsere Städte verstehen und klare Entwicklungsperspektiven schaffen wollen, müssen wir uns diese Wahrheiten vor Augen führen und schädliche Mythen über Bord werfen.
Urbanes Denken fördern
Im Grünen leben und dafür kämpfen, dass die Städte in ihrer ursprünglichen Form erhalten bleiben, hat nichts mit echtem Umweltbewusstsein zu tun. Wir müssen aufhören, das Eigenheim im Grünen und das dörfliche Leben zu idealisieren. Damit leistet man dem Bau von Vorstadtsiedlungen Vorschub und versäumt es, die Vorzüge des urbanen Lebens und verdichteter Wohnformen zu erkennen.
Wir sollten endlich Abschied nehmen von der simplizistischen Auffassung, man könne mit der Verbesserung der Kommunikationsmedien das Bedürfnis nach physischer Nähe reduzieren oder diese Nähe gar überflüssig machen. Vor allem aber müssen wir uns klar werden, dass die Stadt nicht aus Beton besteht und es nicht die Gebäude sind, die eine Stadt ausmachen. Städte sind aus Fleisch und Blut gemacht, und sie pulsieren und gedeihen dank der dort lebenden Menschen.