
Deutschlands Stromkonzerne müssen mehr Geld für das kurzfristige Hoch- oder Herunterfahren von Kraftwerken zur Sicherung der Stromnetzstabilität bekommen. Die bisherigen, sehr knapp bemessenen Vorgaben der Bundesnetzagentur für die Bezahlung seien „zu restriktiv“, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf am Dienstag und hob die Vorgaben auf. Neue Regelungen für eine „angemessene Vergütung“ müsse die Netzagentur im Rahmen ihres Ermessens bestimmen. Wie viel die Konzerne mehr bekommen müssen, sagte das Gericht nicht. Die Kosten trägt der Verbraucher über den Strompreis.
Es reiche nicht, den Energiekonzernen nur ihre Kosten etwa für Brennstoffe zu erstatten, bemängelte das Gericht. Es müssten auch weitere Kosten und zum Beispiel entgangene Gewinnmöglichkeiten ersetzt werden. Beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen die Entscheidung ist noch möglich. Die Bundesnetzagentur wollte am Dienstag zu der Entscheidung keine Stellung nehmen.
Die Eingriffe werden von den großen Netzbetreibern bei starken Schwankungen des Angebots kurzfristig angeordnet. Wegen des sprunghaften Wachstums der Wind- und Sonnenstromkapazitäten am Markt haben sich die Eingriffe - von Fachleuten „Redispatch“ genannt - seit 2010 mehr als verfünffacht. Allein von 2007 bis 2011 stiegen die Kosten dafür von 60 auf mehr als 120 Millionen Euro.
Verbraucherschützer üben Kritik
Ein Sprecher der Verbraucherzentrale NRW reagierte mit Kritik. Die Zahl der Netzeingriffe werde voraussichtlich weiter stark wachsen, sagte er. „Es darf nicht sein, dass dieses Risiko allein der Verbraucher über die Netzentgelte trägt.“
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Deutschlands Energieriesen im Vergleich
Mit über 122 Milliarden Euro Umsatz und weltweiten Kapazitäten zur Stromerzeugung von 61 Gigawatt im Jahr 2013 ist Eon Deutschlands größter Energiekonzern. Doch den Düsseldorfern machen die Folgen der Energiewende zu schaffen. Das klassische Stromgeschäft wirft wegen des wachsenden Anteils von Sonnen- und Windenergie immer weniger Geld ab. Zudem häufte Eon durch seine Expansion einen Schuldenberg von 31 Milliarden Euro an. Ende 2013 hatte der Konzern 62.200 Mitarbeiter.
Die Gewinne des zweitgrößten deutschen Versorgers sind wegen des niedrigen Börsenstrompreises 2014 rapide geschrumpft. Das betriebliche Ergebnis sank auf 4 Milliarden Euro und lag 25 Prozent unter dem Vorjahreswert. Der Außenumsatz des Konzerns ging von 52,4 auf 48,5 Milliarden Euro zurück. Die Nettoverschuldung von RWE bewegte sich 2014 mit 31 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau. Ende 2014 beschäftigten die Essener weltweit knapp 59.800 Mitarbeiter.
Die Nummer drei der Branche will zum Treiber der Energiewende werden. Ende 2013 erzeugte EnBW knapp 20 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien wie Wind, Wasser, Sonne und Biomasse. Bis 2020 soll der Anteil 40 Prozent betragen. Die Karlsruher haben rund 20.000 Mitarbeiter und einen Umsatz von über 20 Milliarden Euro. Unrentable Kraftwerke und niedrige Strompreise sorgten unter dem Strich in den ersten neun Monaten 2014 für ein Minus von über 770 Millionen Euro.
Fallende Preise machten dem schwedischen Konzern 2014 zu schaffen. Der Umsatz sank auf 166 Milliarden Kronen (18 Milliarden Euro). Auch das bereinigte Betriebsergebnis von 2,6 Milliarden Euro fiel geringer aus - teils wegen Rücklagen für den deutschen Atomausstieg. 2015 will das Staatsunternehmen aus Stockholm mit 30.200 Mitarbeitern einen strikten Sparkurs fahren. In Deutschland erwägt Vattenfall einen Verkauf seiner Braunkohle-Sparte in Brandenburg und Sachsen.
Der Branchenverband BDEW zeigte sich dagegen zufrieden. Nun müssten die betroffenen Kraftwerksbetreiber so schnell wie möglich eine vollständige Kostenkompensation erhalten, forderte der Verband. Die bisherige Praxis habe bereits aufseiten der Kraftwerksbetreiber zu finanziellen Schäden geführt. „Es geht nicht darum, hier reich zu werden, sondern um eine angemessene Vergütung für eine wichtige Leistung, nämlich die Zuverlässigkeit der Stromversorgung“, sagte ein Sprecher des größten deutschen Energiekonzerns Eon, der zu den Klägern zählt.
Insgesamt waren 25 Kraftwerksbetreiber vor Gericht gegangen. Die Konzerne beklagen seit langem, dass sie die Kosten für das Bereithalten konventioneller Kraftwerke, die angesichts der Ökostrom-Konkurrenz nur noch sehr selten abgerufen werden, am Markt nicht mehr verdienen können. Sie fordern deshalb einen sogenannten Kapazitätsmarkt nach dem Vorbild etwa von Großbritannien.
Kraftwerkskapazitäten, die für die Netzstabilität nötig sind und deshalb nicht abgeschaltet werden dürfen, werden in Deutschland bisher nach der Reservekraftwerksverordnung bezahlt. Die Unternehmen bemängeln, dass dabei die Kapitalkosten der teuren Kraftwerke nicht abgedeckt werden. Für das moderne Gaskraftwerk Irsching bei Ingolstadt haben der Eon-Konzern und drei weitere Versorger die Stilllegung zum 1. April 2016 angemeldet, weil es für die Zukunft keine Perspektive auf einen wirtschaftlichen Betrieb gebe.
Bayern fühle sich vom Gericht in seiner Forderung bestätigt, für noch nicht abgeschriebene Kraftwerke vom Bund auch den Ersatz von Kapitalkosten zu fordern, erklärte die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU). „Dass eine bloße Kostenerstattung, die vor allem abgeschriebenen veralteten Bestandskraftwerken nutzt, dafür nicht ausreicht, hat nun auch das OLG unmissverständlich klargestellt“, sagte Aigner.
Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage in den Stromnetzen ist schwerer geworden, seitdem rund ein Viertel der Stromerzeugung mit Erneuerbarer Energie abgedeckt werden und stundenweise über 60 Prozent der Erzeugung von der stark schwankenden Wind- und Sonneneinspeisung abhängen. Drängt der Ökostrom bei Sturm oder Sonnenschein unerwartet stark auf den Markt, müssen Gas- und Kohlekraftwerke schnell heruntergefahren werden. Bei Flaute oder plötzlicher Bewölkung müssen die konventionellen Anlagen dagegen sofort einspringen.