Vereinbarung beim COP26 Kampf dem Klimagas Methan: Diese Technologien sollen die Waffen sein

Die Gründer von Volta Seafeed in Schweden wollen die Magen-Mikroben von Kühen mit einem Futterzusatz aus Seetang bremsen, um den Methan-Ausstoß der Tiere zu senken. Quelle: Volta Greentech

Auf dem Klimagipfel in Glasgow haben mehr als 100 Staaten weniger Methanemissionen versprochen. Das könnte nicht nur massiv dem Klima helfen – sondern Ölmultis, Start-ups und Krankenkassen bares Geld bringen.

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Turmhohe Ölplattformen im Meer, an Land Raffinerien, so ausgedehnt wie Kleinstädte: Wer im Osten Mexikos unterwegs ist, sieht schnell, womit das Land einen Großteil seines Geldes macht: Der Förderung von Öl und Gas. 40 Prozent der Staatseinnahmen gehen darauf zurück. Gemessen daran gehen die Ölförderer am Golf von Mexiko ziemlich schlampig mit den wertvollen Rohstoffen um, wie sich jetzt herausstellt: 4,7 Prozent des Gases, das das Land aus der Erde holt, lässt es ungenutzt in die Atmosphäre entweichen. 200 Millionen Dollar verflüchtigen sich damit jedes Jahr in die Luft.

Die Daten, die die US-Nichtregierungsorganisation Environmental Defense Fund kürzlich in einer Studie vorgelegt ist, machen nicht nur ökonomische Verschwendung sichtbar – sondern auch ein massives ökologisches Problem. Denn das Gas, das bei der Förderung in Mexiko verloren geht, verursacht allein so viel Erderwärmung wie ein Drittel der Autos im Land.

Und nicht nur in Mexiko, weltweit nehmen die Methanemissionen stetig zu, sogar im Coronajahr 2020. Klimaforscher sind alarmiert. Denn das unsichtbare Gas wurde bisher wenig in Klimaschutzprogramme eingebunden. Dabei ist es ein besonders wirksamer Verursacher des Treibhauseffekts, bei dem die Atmosphäre Sonnenwärme auf der Erde hält: Es wirkt 84 mal stärker als Kohlendioxid (CO2). 30 Prozent des menschengemachten Klimawandels seit vorindustrieller Zeit gehen auf Methan zurück.

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Immerhin gibt es nun Grund zur Hoffnung: Diese Woche verkündeten mehr als 100 Staaten beim Klimagipfel COP26 in Glasgow ein Bündnis, das den weltweiten Methanemissionen den Kampf angesagt hat. In der Global Methan Pledge, der auch Mexiko beigetreten ist, verpflichten sie sich dazu, ihren Methanausstoß vom Jahr 2020 auf 2030 um 30 Prozent zu senken. Allein damit soll die Erderwärmung um 0,2 Grad Celsius bis zum Jahr 2050 verringert werden. Die Allianz gilt als der erste große Erfolg des Klimagipfels in Glasgow. „Die Reduzierung von Methan ist der stärkste Hebel, den wir haben, um den Klimawandel in den nächsten 25 Jahren zu verlangsamen“, konstatierte Inger Andersen, Exekutivdirektorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). 

Denn anders als Kohlendioxid (CO2), das mehr als 100 Jahre in der Atmosphäre bleibt, zersetzt sich Methan schon nach einem Dutzend Jahren. Spart man heute Methan ein, kann es in den 2030ern schon keinen Schaden mehr anrichten. Das hätte auch gesundheitlichen und wirtschaftlichen Nutzen: Methan ist Schlüsselbestandteil von bodennahem Ozon, einem gefährlichen Luftschadstoff. Würde die Menschheit 45 Prozent des Methanausstoßes bis 2030 kappen, könnte das laut UNEP jährlich 255.000 vorzeitige Todesfälle, 775.000 Krankenhausbesuche wegen Asthma und 25 Millionen Tonnen an Ernteausfällen in der Landwirtschaft vermeiden.

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Die gute Nachricht: Das 30-Prozent-Reduktionsziel, das nun beschlossen wurde, lässt sich laut UNEP mit heute verfügbaren Mitteln relativ leicht erreichen. Ein Teil der Maßnahmen würde sogar nicht mal Kosten verursachen – sondern Geld sparen. Das gilt vor allem für den Öl- und Gassektor, der für ein knappes Viertel der weltweiten Methanemissionen verantwortlich ist. Grund dafür sind unter anderem Lecks, etwa an Pipelines oder Ölförderanlagen. Bisher haben sich Rohstoffunternehmen nur wenig darum gekümmert, sie zu flicken. Und vielerorts fehlten überhaupt die Mittel, sie aufzuspüren. 

Doch nun gehen neue Technologien dem Methanschlupf, wie Experten die Leckagen nennen, mit bisher ungekannter Präzision auf den Grund. Eine ganze Reihe von Start-ups hat Technologien entwickelt, mit denen sich Lecks sofort entdecken lassen sollen, wenn sie entstehen.

Und das sogar aus dem Weltall: Das kanadische Unternehmen GHGSat hat Satelliten in den Erdorbit geschickt, die mit speziellen Sensoren Gase und ihre Konzentration aufspüren und vermessen, und zwar anhand der Art des Lichts, das sie reflektieren. Dem Team von GHGSat ging so etwa eines der weltweit größten bisher gemessenen Methanlecks an einer Kompressorstation in Turkmenistan ins Netz, das bisher niemand aufgespürt hatte.

High-Tech für Kuhmägen 

Bis 2023 will GHGSat seine Flotte von drei auf zehn Satelliten erweitern, um in noch dichterem Takt Daten des gesamten weltweiten Energiesektors zu sammeln. Mit einer Auflösung von 25 Metern können die Satelliten ziemlich genau orten, wo ein größeres Problem entsteht. Betreiber von Gasanlagen können mit solchen Daten künftig gezielt ihren Methanschlupf bekämpfen, indem sie etwa undichte Ventile reparieren. Auch für landgestützte Methan-Messungen hat neuerdings eine ganze Armada an Start-ups Ideen parat. Etwa die US-Gründung Kuva Systems, in das unter anderem der Lübecker Sicherheitstechniker Drägerwerk investiert hat. 

Kuva hat Kameras entwickelt, die beispielsweise in Raffinerien fest installiert werden – und Methanlecks etwa an Ventilen entdecken. Eine Software erstellt automatisch ein Video, in dem die Methanwolke in Form bunter Pixel angezeigt wird. Ähnliche Dienste bietet das texanische Start-up SeekOps mit Hilfe von Drohnen, die halbautomatisch über Gasanlagen hinwegfliegen und Daten sammeln, oder der Konkurrent Bridger Photonics, der dazu eine spezielle Laser-Messtechnik entwickelt hat.

Eine ganz andere Art von Methanquellen wollen die Gründer des britisch-schweizerischen Unternehmens Mootral stopfen: die Mägen von Kühen. Die Wiederkäufer atmen weltweit gigantische Mengen des Klimagases aus – 32 Prozent der weltweiten Methanemissionen gehen aufs Konto von Nutztieren.

Das Spezialfutter von Mootral soll das Methan bei Kühen und anderen Nutztieren reduzieren. Quelle: PR

Mootral will nun einen Weg gefunden haben, das Problem anzugehen. „Wir haben ein marktreifes Produkt, das Methan bei Kühen und anderen Nutztieren reduziert“, sagt Eileen Rüter, Direktorin für die Geschäftsentwicklung bei Mootral. Kern der Lösung ist Spezialzusatzfutter, hergestellt unter anderem mit Knoblauch und Zitrusextrakten. Es soll in das Kuhmägen die Aktivität spezieller Mikroben stoppen, so genannter Archaen, die für die Methanproduktion verantwortlich sind. Studien zufolge sollen die Futterpellets den Ausstoß von Kühen so um 30 Prozent senken.

Ein Pilot-Bauernhof liefert schon Milch von Kühen aus, die das Mootral-Futter fressen. Ähnliche Pläne haben die Gründer von Volta Seafeed in Schweden, die die Magen-Mikroben mit einem Futterzusatz aus Seetang bremsen wollen, und Blue Ocean Barns aus den USA, die dazu auf bestimmte Meeresalgen setzen. 

Wie effektiv diese Ansätze im Alltag sind, muss sich noch zeigen. Mootral will Ergebnisse weiterer Studien veröffentlichen. „Bis Anfang nächsten Jahres wollen wir weitere 5000 Kühe in unser Flagship-Projekt aufnehmen“, sagt Rüter.  

Es gebe verschiedene Möglichkeiten, wer künftig die Mehrkosten für das klimafreundliche Zusatzfutter trage. Milchhändler könnten ein wenig mehr für die Milch zahlen. Bauern könnten auch Zertifikate für das eingesparte Klimagas an andere Unternehmen verkaufen.    

Langfristig könnte sich ein radikalerer Weg als notwendig erweisen: Kühe komplett zu umgehen – und Milch, Fleisch und Leder mit neuartiger Biotechnologie im Reaktor zu erzeugen. Dutzende Start-ups arbeiten an den nötigen Technologien.

Das Problem mit dem Müll

Und dann müssen die Staaten des Global Methan Pledge noch zwei weitere wichtige Methanquellen bekämpfen: Zum einen Kohleminen, die zwölf Prozent der Methanemissionen verursachen. Ausgedienten Minen, fordern die UNEP-Wissenschaftler, sollten geflutet werden, um sie zu versiegeln.

Weitere 20 Prozent des Methans entstehen in Mülldeponien und im Abwasser. Teilweise lässt sich das Gas verhindern, etwa, indem keine organischen Abfälle wie Lebensmittelreste mehr deponiert werden, die besonders viel Methan erzeugen. 

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Eine Reihe von Gründern hat darüber hinaus ganz neue Ideen, Deponiegas zu verhindern der es zumindest weiter zu nutzen: Manche erzeugen daraus mit neuen Methoden Wasserstoff.  Carbon Masters im indischen Bangalore wiederum produziert aus Abfall Methangas, das, abgefüllt in Flaschen, etwa in Restaurants zum Kochen verwendet werden kann. Sierra Energy aus Kalifornien zersetzt Müll mit Sauerstoff und Hitze von 2200 Grad Celsius in seine Moleküle und produziert damit Diesel oder Gas für die Stromerzeugung. Enerkem aus Kanada stellt daraus Chemikalien für die Industrie her.       

Viele Konzepte sind noch neu, viele Start-ups müssen sich noch bewähren. Aber je mehr Ideen es gibt, den Kampf gegen Methan in ein Geschäft zu verwandeln, desto eher kann er gelingen.

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