Vorbilder Die innovativsten grünen Ideen

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Kunststoff aus Klimagas

 Eine Mitarbeiterin des Bayer-Konzerns arbeitet im Labor Quelle: dpa

Jede freie Minute, die der Aufbau eines Studiengangs für Biotechnologie an der Deutschen Universität in Kairo Hartmut Seliger lässt, widmet der Biochemiker seiner Leidenschaft: Bakterien. Vor sechs Jahren ist es ihm gelungen, die winzigen Organismen dazu zu bringen, Kunststoff herzustellen und ihn zu Verpackungen weiterzuverarbeiten – bis dahin eine Unmöglichkeit.

„Altes Brot genügt, dass sich die Bakterien einen Bauch anfressen“, sagt Seliger. Nach der Verdauung bestehen sie zu 90 Prozent aus Plastik. Genauer gesagt, aus mikroskopisch kleinen Kügelchen, aus denen sich später unter Zugabe von Pflanzenfasern stabile Kunststoffplatten herstellen lassen. Brasilianische Chemieunternehmen haben Seligers Idee aufgegriffen und weiterentwickelt. Sie füttern die Mikroorganismen in 10.000 Liter fassenden Kesseln allerdings nicht mit altem Brot, sondern den Abfallresten aus der Zuckerrohr-Verarbeitung.

Damit sind sie dem Ziel vieler Biochemiker in aller Welt einen großen Schritt näher gekommen: einen Ersatzrohstoff für das Öl im Kunststoff zu finden. Denn das Schwarze Gold wird knapp, und heute enden immerhin rund sechs Prozent der Welterdölförderung in Plastik. Aber nicht nur in Sachen Kunststoffherstellung bezeichnet Alexander Holst, Leiter des Bereichs Nachhaltigkeit bei der Unternehmensberatung Accenture, die chemische Industrie als „Schlüsselbranche für künftige Ressourceneffizienz“. Ihr falle die entscheidende Rolle bei dem Versuch zu, Technologien und Materialien für ein grünes Wachstum bereitzustellen. Ob in Industrie, Landwirtschaft oder bei der Energieversorgung.

Marktstart in drei Jahren

Weitere viel versprechende Entwicklungen sind bereits unterwegs. So arbeiten Forscher des Leverkusener Chemie- und Pharmakonzerns Bayer mit Industriepartnern daran, das Erdöl in der Kunststoffproduktion durch Kohlendioxid (CO2) zu ersetzen. Dafür will Teamleiter Christoph Gürtler das CO2 aus Kohlekraftwerken nehmen, das bisher in die Atmosphäre entfleucht und dort das Klima erwärmt. Im ersten Schritt sollen aus dem Schaumstoff Gebäudedämmungen und Matratzen entstehen. Die Markteinführung diese Kunststoffs ist für 2015 geplant.

Gold aus Schrott

Ein Arbeiter im Toyota-Werk in Japan Quelle: REUTERS

Dass Altes so gut wie Neues sein kann, musste Tim Rademacker seinen Kunden erst einmal beweisen. Deshalb flog der 33-Jährige mit einem Beutel voller schwarzer Kohlefasern im Handgepäck von Kontinent zu Kontinent und besuchte Kunststoffhersteller. In dem Beutel befand sich recyceltes Karbon und damit eine Weltneuheit. Denn das Unternehmen CFK Valley Stade Recycling, dessen Geschäftsführer Rademacker ist, hat als erstes ein Verfahren entwickelt, um das wertvolle High-Tech-Material, aus dem Fahrradrahmen, Autokarossen und Flugzeugflügel entstehen, wiederzuverwerten.

So gut wie Neuware

„Unser Material ist qualitativ so gut wie Neuware“, sagt Rademacker. Und es ist billiger. 2011 wurden in der Zentrale in Wischhafen bei Hamburg schon 1000 Tonnen des Materials recycelt. Damit erfüllen die Norddeutschen das wichtigste Kriterium, das der Bundesverband der Deutschen Industrie für künftiges Wachstum aufgestellt hat: Die Wirtschaft müsse lernen, knappe Rohstoffe aus alten Produkten in den Produktionskreislauf zurückzuführen.

Die Ansätze zu solch einem Wachstum, das Substanz bewahrt, statt sie zu vergeuden, kommen voran. In Bielefeld gewinnt das Unternehmen Saperatec schon 95 Prozent der in Dünnschichtsolarzellen eingesetzten Stoffe wieder sortenrein zurück. Der Autobauer Toyota wiederum holt das wertvolle Nickel in den Batterien seines Hybrid-Modells Prius zu beinahe 100 Prozent zurück. Die Recyclingspezialisten des belgischen Aufbereiters Umicore lösen aus Handys, Laptops und anderen Elektronikgeräten beinahe den gesamten Inhalt an Gold, Platin, Blei, Kupfer und Lithium heraus. Fast nichts geht verloren. Gelänge das in ganzer Breite, könnten europäische Unternehmen jährlich rund 450 Milliarden Euro an Rohstoffkosten einsparen, so eine Studie der Ellen MacArthur Stiftung . Die EU-Kommission strebt deshalb bei Auto- und Elektronikabfällen schon 2020 eine Recyclingquote von 85 Prozent an.

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