Die Autoren des mit Spannung erwarteten neuen Weltklimaberichts haben ein Problem: Sie müssen erklären, warum die globale Erwärmung in den vergangenen 15 Jahren langsamer geworden ist - obwohl doch der Ausstoß von Treibhausgasen zugenommen hat. Vor der Präsentation des Reports des Weltklimarates IPCC kommende Woche macht dies Kopfzerbrechen.
Skeptikern kommt die Pause beim globalen Temperaturanstieg seit 1998 gerade recht als Argument wider den wissenschaftlichen Konsens, wonach die Erde langsam von Menschenhand „gekocht“ wird – durch das Verfeuern fossiler Brennstoffe und das Abholzen von Wäldern, die schädliches Kohlendioxid aufnehmen.
Es wird erwartet, dass der neue IPCC-Bericht mehr Belege denn je bietet für die Verbindung zwischen Mensch und Treibhauseffekt. Doch gleichzeitig steht der Rat, dem Hunderte Wissenschaftler weltweit zuarbeiten, unter Druck, zu dem verlangsamten Temperaturanstieg Stellung zu beziehen.
„Ich glaube, es wäre ein Problem, nicht darauf einzugehen, denn dann werden die Leugner sagen, schaut mal her, der IPCC schweigt sich über diese Frage aus“, sagt Alden Mayer von der „Vereinigung besorgter Wissenschaftler“ (Union of Concerned Scientists) in Washington.
Kühleffekte durch Vulkane
Von der Zusammenfassung des IPCC-Reports kursiert ein Entwurf vom Juni, wonach die Erwärmung zwischen 1998 und 2012 ungefähr halb so schnell voranging wie im Durchschnitt seit 1951. Eine Erklärung finden die Wissenschaftler in natürlichen Zyklen im Klimasystem sowie in Kühleffekten durch vulkanische Eruptionen und geringere Sonnenaktivität.
Aber mehrere Regierungen, die den Entwurf einsahen, äußerten im Vorfeld offenbar Einwände, wie aus der Nachrichtenagentur AP vorliegenden Kommentaren an die IPCC hervorgeht. Demnach forderte Deutschland, dass die Erwähnung der langsameren Erwärmung gestrichen wird - mit der Begründung, dass die Zeitspanne von zehn bis 15 Jahren bei dem seit Jahrzehnten gemessenen Klimawandel irreführend sei.
Die USA drangen darauf, dass die Autoren in ihrem Bericht auf die „führende Hypothese“ verwiesen, der zufolge die Verlangsamung der Erderwärmung auf eine verstärkte Wärmeübertragung in den tiefen Ozean zurückzuführen sei. Belgien wandte sich dagegen, 1998 als Ausgangsjahr für Statistiken zu wählen. Jenes Jahr war außergewöhnlich warm, und zwangsläufig würden jährliche Vergleichsdaten danach „flach“ erscheinen, zumal die meisten Folgejahre kühler gewesen seien, wurde argumentiert. Wären 1999 oder 2000 statistisches Ausgangsjahr, würde die Erwärmungskurve stärker nach oben zeigen.
Umfassendes Bild vom Klimawandel
Ungarn äußerte schlicht die Sorge, dass der Report Zweiflern Munition liefern würde. Tatsächlich argumentieren Skeptiker, die globale Erwärmung sei seit den späten 1990er Jahren vorbei. Und damit finden sie bei manchen Politikern und Medien Gehör, obwohl sich in Wirklichkeit die Beweise für den Klimawandel häufen.
So war die vorherige Dekade die wärmste, seit es Aufzeichnungen gibt, und dieses Jahrzehnt könnte sogar noch wärmer werden. Das arktische Meereis schmolz 2012 auf den geringsten je registrierten Stand. Und der IPCC-Entwurf hält fest, dass die Meeresspiegel seit 1901 bereits um 19 Zentimeter gestiegen sind.
Der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf verweist darauf, dass die Erwärmungsflaute dennoch in letzter Zeit große Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. „Ich glaube, dass viel von dem Interesse an dieser Frage in der Wissenschaftler-Gemeinde durch die öffentliche Debatte darüber ausgelöst wurde“, sagt Rahmstorf, der das Kapitel des Berichts über die Meeresspiegel gegengecheckt hat.
Der Klimawandel in Zahlen
Um 70.000 km² – das entspricht etwa der Größe Bayerns – ist der Eispanzer der Arktis in diesem Sommer gegenüber 2007 geschrumpft. 2050 könnte das nördliche Polarmeer im Sommer eisfrei sein.
Fast verfünffacht hat sich die Zahl der Wetterkatastrophen in Nordamerika seit 1980. In Asien legte sie um das Vierfache, in Europa um das Zweifache zu.
Rund ein Drittelsaurer sind die Meere geworden. Folge: Korallen, Muscheln und Fische wachsen langsamer. Bis 2100 könnte die Versäuerung um 150 Prozent steigen.
0,4°C ist die Erde seit 1980 wärmer geworden. Bis 2100 könnte sich das Klima um rund vier Grad aufheizen.
Um 5 cm sind die Meeresspiegel seit 1990 im Mittel gestiegen. Bei einer globalen Erwärmung um zwei Grad werden die Pegel wahrscheinlich um 2,7 m höher sein.
Um 15 Prozent sinkt die Reisproduktion bis 2050 in den Entwicklungsländern als Folge der globalen Erwärmung. Bei Weizen werden 13 Prozent weniger geerntet werden.
IPCC-Sprecher Jonathan Lynn lehnte es ab, sich zum Inhalt des Reports zu äußern, da dieser noch nicht fertiggestellt sei. Aber er kündigte an, dass der Bericht ein „umfassendes Bild von all den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel bieten wird, darunter die Tausenden Stücke an wissenschaftlicher Forschung, die seit dem letzten Bericht von 2007 bis in dieses Jahr hinein veröffentlicht wurden“.
Im Entwurf stellt der Klimarat fest, es sei „extrem wahrscheinlich“, dass menschlicher Einfluss mehr als die Hälfte der seit den 1950ern beobachteten Erwärmung verursacht habe. Im Vorgängerreport des IPCC von 2007, der damals sehr viel Aufregung auslöste, lautete die Formulierung noch „sehr wahrscheinlich“. Das Gremium korrigierte außerdem seine Vorhersage für das Ansteigen der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts im Vergleich zum Bericht vor sechs Jahren deutlich nach oben.
Der Ausstoß von Treibhausgasen im gegenwärtigen Umfang oder darüber „würde Veränderungen in allen Bereichen des Klimasystems verursachen, einige davon wahrscheinlich beispiellos in Hunderten oder Tausenden von Jahren“, heißt es in dem Entwurf weiter.
So oder so wird der IPCC-Bericht, über den kommende Woche noch einmal beraten und dessen Zusammenfassung am Freitag in Stockholm vorgestellt wird, wieder öffentliches Interesse finden. 2007 erwuchs aus den Erkenntnissen eine globale Anstrengung für ein UN-Klimaabkommen. Nun steht der Pakt erneut auf der Tagesordnung: Bis 2015 soll er ausgehandelt sein.