Werner knallhart
Quelle: imago images

Warum Deutsche ihr eigenes Mülltrennsystem nicht kapieren

Mülltrennung ist gut. Aber wie sie in Deutschland organisiert ist, überfordert nicht nur Zugewanderte. Anders als die Deutschen haben sie sich an das Chaos bloß noch nicht gewöhnt. Das Regel-Wirrwarr ist irrsinnig. Das muss besser werden!

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Mülltrennung ist gut. Aber wie sie in Deutschland organisiert ist, überfordert nicht nur Zugewanderte. Anders als die Deutschen haben sie sich an das Chaos bloß noch nicht gewöhnt. Das Regel-Wirrwarr ist irrsinnig. Das muss besser werden!

Wenn wir weiter in der ersten Liga der Industriestaaten mitspielen wollen, müssen sich Dienstleister massenhaft zusammenreißen und uns klarmachen: Der Kunde, Verbraucher, Bürger zieht nur mit, wenn er davon profitiert. Sein Profit kann etwa sein: finanzieller Vorteil, Gewinn an Komfort oder Genuss, Lob, Prestige, Sicherheit oder ein höheres Selbstwertgefühl. Das geht auch bei staatlichen Belangen.

Ein gutes Beispiel dafür, wie man das Glücksgefühl der Menschen abtötet und damit die Motivation der Menschen erwürgt, ist die Mülltrennung in Deutschland. Hier läuft so ziemlich alles falsch. Nur fällt uns das nicht mehr auf. Wir sind seit Dekaden vom System eingelullt worden, so dass wir nichts mehr hinterfragen. Überrascht sind wir nur, wenn wir erfahren, dass Einwanderer in speziellen Mülltrenn-Seminaren verzweifeln, einfach weil sie das System hinterfragen. Mülltrennung ist gut - wenn sie gut organisiert ist.

Aber es stellt sich raus: Wir sind schlechte Mülltrenner. Aus gutem Grund.

Entwickeln Start-ups eine Smartphone-App, sind sie darauf bedacht, die Hürden für den Nutzer so gering wie möglich zu halten. Nach einem Update muss sich der Kunde plötzlich neu einloggen? Das kann schon eine Hürde zu viel sein. Dann eben nicht. App gelöscht. Es gibt ja bessere. Ein traditionsreiches Carsharing-Unternehmen fordert eine Unterschrift auf Papier, das man ausdrucken muss? Dann halt DriveNow oder Car2Go. Da geht alles online.

Und nun zum Vergleich ein paar Regeln, die man beachten muss, um in Deutschland Müll zu trennen:

1. Verpackungen mit dem grünen Punkt gehören in die gelbe Tonne. Aber auch Verpackungen ohne grünen Punkt gehören in die gelbe Tonne. Denn seit 2009 muss der grüne Punkt nicht mehr auf die Packungen gedruckt werden.

2. Die Verpackung muss „restentleert“ sein. Das bedeutet, dass ein kleiner Rest nicht entleert sein muss. Die Deutschen haben dafür ein neues Wort geschaffen: löffelrein. Was aber, wenn sich in einer Plastikfalsche mit Chlorreiniger noch ein Schluck befindet? Gefahrgutentsorgung? Oder den Rest einfach ins Klo gießen? Man wird ja ganz nervös.

3. Bratpfannen und Gießkannen aus Plastik gehören manchmal in die gelbe Tonne, manchmal nicht. Das hängt von der Kommune ab. Wer etwa in Berlin lebt (da ist die gelbe Tonne eine praktische Wertstofftonne) und seine Familie im Schwarzwald besucht (dort ist die altertümliche gelbe Tonne mitunter nur für Verpackungsmüll), muss also mehrere Systeme im Kopf haben.

4. Manchmal wird nach Weißglas, Grünglas und Braunglas getrennt. Manchmal nur nach Weißglas und Buntglas. Manchmal werden Grünglas und Braunglas in getrennten Containern gesammelt und dann auf dem LKW zusammengekippt. Aber der Deckel muss ab. Obwohl bei den Recyclern riesige Magnete die Deckel rausfischen können. Viele sind aber nicht magnetisch. Und wohin kommt die halb volle Ketchup-Flasche?

5. Papier und Pappe werden in der Papiertonne gesammelt. Das Papier muss aber sauber sein. Was also mit dem Eisbecher aus Pappe, der nur ausgelöffelt wurde? Oder ist der gar mit Plastik überzogen und muss sowieso in die gelbe (wo löffelrein ja reicht)? Oder ist für gelb zu viel Pappe dran?

6. Es gibt Glasflaschen mit Pfand und welche ohne. Auf hochwertigen Glasflaschen ist weniger Pfand drauf als auf Einwegplastikflaschen. Mehrwegplastikflaschen gibt es auch. Enthält ein Getränk einen Schuss eines Milchproduktes oder ist ein Saft, hat die Verpackung kein Pfand drauf. Bei Limonaden und Wasser schon. Alles eine Frage von Lobbyarbeit der jeweiligen Branchen. Und obwohl Bierflaschen Pfandflaschen sind, sind es Wein- und Spirituosenflaschen nicht.

7. Händler müssen Einwegpfandbehälter nur zurücknehmen, wenn sie Verpackungen aus der jeweiligen Materialkategorie Glas, Blech, Plastik selber verkaufen, egal ob sie das Getränk der jeweiligen Marke wirklich verkaufen. Aber, Achtung: Wenn ihr Laden kleiner ist als 200 Quadratmeter, dann müssen sie nur die bei ihnen verkauften Verpackungen wieder zurücknehmen. Gut bewertete Laser-Entfernungsmesser gibt es bei Amazon ab rund 30 Euro. Damit lässt sich die Grundfläche der Läden berechnen.

8. Mehrwegflaschen müssen hingegen immer nur dort angenommen werden, wo sie auch verkauft wurden, was aber nicht überall so streng gehandhabt wird.

9. Halogenlampen dürfen in die schwarze Tonne, LED-Lampen sind Sondermüll.

10. Kommen Lebensmittelreste auf den Kompost, dürfen keine gekochten Lebensmittel dabei sein, sonst kommen die Ratten. In der braunen Tonne, auch Bio-Tonne genannt, ist verarbeitetes Essen ok. Milchprodukte wie Quark dürfen in die Biotonne, Milch selber aber nicht. Fischgräten dürfen rein. Aber das Bundesumweltministerium hat dafür einst eine Empfehlung rausgegeben: Gräten bitte in Zeitungspapier einwickeln. Aber nicht in bunt bedrucktes.

11. Die Naturrinde vom Käse in die braune Tonne. Ist die Rinde künstlich, kommt es drauf an: Wachsrinde kommt in die graue Tonne, Plastikrinde in die gelbe, wobei man sich natürlich darüber streiten kann, ob die Rinde „Verpackung“ ist. Wenn nein, darf sie nur in die gelbe Tonne, wenn diese eine „Wertstofftonne“ ist. Das müssen wohl mal Gerichte entscheiden.

12. Frittierfett als reines Naturprodukt gehört nicht in die Biotonne, sondern in die graue. Dort darf wiederum kein Mineralöl entsorgt werden. In der Biotonne aber natürlich auch nicht. Speiseöl aus der Pfanne darf nicht in den Abfluss gegossen werden, sondern muss in den Restmüll. Weil es flüssig ist, aber (abgekühlt!) in einem Behälter (der eigentlich ja leer in den Glas- oder Verpackungsmüll müsste, aber Öl schlägt Verpackung. Stich!)

Ein Plädoyer für die gelbgraue Tonne

Nach aktuellen Schätzungen von Branchenexperten besteht der Müll in der Gelben Tonne, in die Verpackungsmüll soll, zu zwischen 40 und 60 Prozent aus dem falschen Abfall. Natürlich gibt es im Deutschen dafür wieder ein spezielles Wort: Fehlwurfquote. Wenn es hochkommt, liegt die Fehlwurfquote in der Gelben Tonne also bei 60 Prozent. Im Grunde ist es also eigentlich ein riesiger Haufen Restmüll mit einer Beimischung von 40 Prozent Verpackungsmüll. Mehr falsch als richtig. Wir können es also einfach nicht!

Da drängt sich natürlich der Gedanke auf: Wenn das System mit rund der Hälfte oder sogar 60 Prozent falschen Mülls seit Jahren läuft, wäre es dann so schlimm oder nicht sogar von Vorteil, wenn wir Verpackungen gar nicht mehr vom Restmüll trennen?

Die gelbgraue Tonne! Plus Glas, Pappe und Biomüll separat.

Längst wird der Verpackungsmüll bei den Recyclern nicht mehr per Hand sortiert, sondern von Maschinen mit Sensoren. Die erkennen den Unterschied zwischen Joghurtbecher und seinem Aludeckel. Könnten die nicht auch den Restmüll aussortieren? Müsste man mal entwickeln. Vorteil: So würde nicht nur der Restmüll aus dem Gelben Müll gefischt, sondern umgekehrt auch der Verpackungsmüll gewonnen, der heute noch falsch im Restmüll landet.

Vielleicht würde das teurer. Aber dafür hätten Millionen von Menschen wieder mehr Platz im Vorgarten und unter der Küchenspüle. Und die Sortiertechnik würde ein Exportschlager in Länder, die mit dem Mülltrennen noch gar nicht so richtig angefangen haben.

Damit wir endlich von uns behaupten können: Deutschland, das Land der Mülltrenner.

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