Wettrüsten in den Alpen Skifahren um jeden Preis

Seite 3/3

Hilfst du mir, helf ich Dir

Zum Glück aber muss man sich in der Marktgemeinde Bad Hindelang nicht allein auf die Marktwirtschaft verlassen. Denn von so einer Liftgesellschaft haben schließlich viele etwas. „Unser Ort lebt zu mindestens 80 Prozent vom Tourismus“, sagt Martin. Eine Million Touristen im Jahr, 100 Millionen Euro Wertschöpfung. Und so kommt es, dass einem viele Namen hier mehrfach begegnen.

Denn Martin hatte seine Investoren trotz der fraglichen wirtschaftlichen Perspektiven schnell zusammen. 49,5 Prozent der Anteile der Bergbahn, die inzwischen als Aktiengesellschaft fungiert, sind in der Hand einer kleinen Gruppe von Geldgebern, an deren Spitze zwei Herren namens Hubert Holzheu und Gerhard Breher stehen. Letzterer wiederum ist Inhaber der Brefa Bauunternehmung – die baut sowohl auf der Piste mit als auch an einem benachbarten Radweg. So wird aus der kaum profitablen Liftgesellschaft eine höchsteffiziente Gemeinschaft zur Akkumulation staatlicher Fördergelder.

Aus diesen Gründen schwitzt die Erde

„Viele Gemeinden in den Alpen richten ihr touristisches Programm zu einseitig auf den Wintersport aus“, sagt Grünen-Politiker Hartmann. Der hat bei Alpeninvestoren und Bürgermeistern einen Ruf weg, seit er sich an die Spitze der Anti-Olympia-Bewegung setzte und damit die Bürger in München und Garmisch überzeugte. Doch er hat sich so auch Respekt erworben. „Jede Investition, die ich heute in den Wintersport tätige, kann später hinderlich sein, um sich als naturnahe Destination zu empfehlen“, sagt er.

Wer schon einmal auf pistenraupenbreiten Schotterbahnen zwischen Liftmasten und Kanonenseen entlang gewandert ist, weiß, was Hartmann meint. „Den Gemeinden fällt der Abschied vom Wintersport auch deshalb so schwer, weil sie bereits sehr viel Geld in den Wintersport investiert haben“, sagt Hartmann. Der Sommerurlauber will wandern und dabei vielleicht auf einer Alm einkehren. Im Winter aber wird erst die Liftkarte bezahlt, dann der Skikurs, Nachmittag ist Wellness und abends Menü. Ein Ortsvorsteher, der versuchen würde, die Investitionen auf den Sommertourismus zu konzentrieren, würde es sich daher mit all seinen Einwohnern verscherzen.

Dabei spräche der Trend für eine radikale Entscheidung. Während die Alpen im Winter unter dem Klimawandel leiden, profitieren sie im Sommer. So sagt der Klimabericht Bayern voraus, dass ab 2030 die Zahl der Schneetage um 30 bis 60 sinken werde, zugleich steigt aber der Anteil der warmen Tage. Schon heute verzeichnen fast alle Tourismusorte in den deutschen Alpen im Sommer deutlich steigende Besucherzahlen, während sie im Winter bestenfalls stagnieren.

Eine Handvoll Gemeinden gibt es in den deutschsprachigen Alpen, die keine Skilifte mehr haben und sich als Zentren des sanften Tourismus vermarkten. In Immenstadt, am Eingang ins Oberstdorfer Tal gelegen, gab es mal Lifte am Gschwendner Horn. In den Neunzigerjahren wurden die abgebaut, heute wird der Berg gerne als Beispiel für die neue Nachhaltigkeit genannt, in den deutschen Alpen ist es das einzige. Bad Hindelangs Bürgermeister Martin relativiert: „Der Liftbetreiber ist schlicht und einfach pleitegegangen.“

Martin war in Immenstadt für die Finanzen zuständig, als das geschah. „Wäre damals nicht die Allianz Stiftung eingestiegen, hätte das nicht geklappt.“ Die Stiftung steckte Millionen Euro in den Abbau der Lifte, heute ist das Horn ein schöner Wanderberg. Das Beispiel zeigt, dass die Liftinvestitionen nicht nur eine teure Wette auf ein paar letzte gute Jahre sind, sie stellen auch die Altlasten von morgen da. Denn der Liftbetrieb endet meist zeitgleich mit der Auflösung der Liftgesellschaft. Und dann? Demontage, Abtransport, Renaturierung – alles teuer.

Diese Sorgen blendet Martin aus. „Wir haben hier noch 30 Jahre Schneesicherheit, wie es danach weitergeht, können wir uns also noch lange genug überlegen.“ Mit dieser Zahl argumentiert auch die Landesregierung, wenn sie prognostiziert: „Mit Unterstützung einer effizienten Beschneiungstechnologie ist in den nächsten 30 Jahren von einer sehr hohen Schneesicherheit selbst unterhalb von 1500 Metern Höhe auszugehen.“ Dabei ist das keineswegs so sicher. „In Durchschnittswerten kommen die 30 Jahre schon hin“, sagt Geograf Schmude. „Durchschnitte sind für den Tourismus aber nicht entscheidend.“ Denn der Durchschnitt blendet Sonderereignisse aus.

100 Tage nützen nichts, solange an Weihnachten, Karneval oder Ostern kein Schnee liegt, da machen die Orte einen Großteil ihres Umsatzes. Im vergangenen Jahr hat sich Schmude daher die Klimaveränderungen konkreter angeschaut. „Nicht nur die Anzahl der kalten Tage verändert sich, auch ihre Verteilung, sie verschieben sich ins Frühjahr“, sagt Schmude. „Schon bald könnte Weihnachten regelmäßig aus der Skisaison herausfallen.“ In Oberjoch heißt die Perspektive 18. Dezember. Zur Eröffnung der 30-Millionen-Lifte hat die Gemeinde ein Festzelt organisiert. „Das wäre natürlich nicht schön, wenn wir dann ohne Schnee daständen“, sagt Martin. Noch aber hält das weiße Mäntelchen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%