Windenergie Wer dreht das größte Windrad

Mit längeren Rotorblättern treiben die Hersteller die Stromausbeute ihrer Meeres-Windkraftanlagen in neue Dimensionen. Gerade hat Vestas die Entwicklung einer 8-Megawatt-Turbine angekündigt. Doch Größe ist nicht alles: Neueinsteiger in den Markt experimentieren mit ganz neuen Bauformen.

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Siemens' nächste Generation von Meeres-Windrädern leisten sechs Megawatt (MW) – fast doppelt so viel wie die bisher stärksten Anlagen des deutschen Technologiekonzerns. Quelle: Presse

Die Arbeiter, die an dem Rotorblatt im dänischen Aalborg letzte Hand anlegen, wirken neben dem Giganten wie Spielzeugfiguren. Siemens fertigt dort seit kurzem aus Glasfaser die weltweit längsten Flügel eines Offshore-Windrads. 75 Meter sind sie lang und erreichen damit fast die Spannweite des Super-Airbus A380.

Die Flügel treiben Siemens' nächste Generation von Meeres-Windrädern an: Die mächtigen Maschinen, hoch wie der Kölner Dom, leisten sechs Megawatt (MW) – fast doppelt so viel wie die bisher stärksten Anlagen des deutschen Technologiekonzerns, der laut Analysten mit 4537 MW installierter Windkapazität 57 Prozent des europäischen Offshore-Markts beherrscht.

Doch so wie es aussieht, sind die Münchner ihren gerade errungenen Rekord in Kürze wieder los. Die Nummer zwei im Markt, die dänische Vestas, hat angekündigt, schon im kommenden Frühjahr eine 8-MW-Turbine testen zu wollen. Deren Rotorblätter sind sogar 80 Meter lang.

Die Jagd danach, wer das größte Rad dreht, kommt nicht von ungefähr. Sie verbessert nicht nur Vestas Verhandlungsposition in den Kooperationsgesprächen mit dem japanischen Konzern Mitsubishi Heavy Industries. Sie ist vor allem Teil des Wettlaufs der Hersteller, die wirtschaftlichsten Anlagen für die Stromerzeugung auf hoher See liefern zu wollen.

Die größten Anlagenbauer
NordexNach zwei verlustreichen Jahren und vielen Einsparungen lief es 2013 für Nordex wieder besser. Der Windturbinenbauer kehrte in die Gewinnzone zurück. In der Vergangenheit trennte sich Nordex unter anderem verlustreichen Produktionsstätten in den USA und China und konzentrierte sich ganz auf den Bau von Onshore-Anlagen. Mit der Strategie konnte das Unternehmen in Deutschland Marktanteile gewinnen. 2012 kam Nordex auf 3,5 Prozent, 2013 waren es im On- und Offshore-Bereich zusammen bereits sieben Prozent. Auch die Aussichten sind gut: Für 2014 rechnet der Vorstand mit neue Aufträge im Umfang von 1,6 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Siemens WindenergiesparteSiemens ist Weltmarktführer bei Offshore-Windrädern und dominiert auch in Deutschland diesen Bereich. Hierzulande kommt das Unternehmen in dem Segment auf 52,1 Prozent Marktanteil. Im On- und Offshore-Bereichen zusammen hatte Siemens Wind Power 2013 einen Anteil von 9,8 Prozent und liegt damit auf Platz vier. Nach dem Verkauf der gefloppten Solarsparte will sich Siemens künftig noch mehr auf die Energie aus Wind und Wasser zu konzentrieren. Das Geschäft lief zuletzt insbesondere im Ausland gut. Im Dezember 2013 erhielt das Unternehmen mehrere Großaufträge in den USA. In Deutschland gibt es aber auch Probleme: Bei der Anbindung von vier Offshore-Windparks in der Nordsee liegt Siemens dem Zeitplan um mehr als ein Jahr hinterher. Die Verzögerungen sollen Siemens bereits mehr als 600 Millionen Euro gekostet haben. Quelle: dpa
SenvionDas Hamburger Unternehmen Senvion (ehemals Repower ) ist eine Tochter des indischen Windkraftkonzerns Suzlon. Wie Nordex ist es auch dem Hamburger Unternehmen gelungen, Marktanteile zu gewinnen. 2013 installierte Senvion Anlagen mit rund 484 Megawatt und nun einen Markanteil von insgesamt 13,5 Prozent. Im Onshore-Bereich sind es sogar 16,2 Prozent. Das sind drei Prozent mehr als im Jahr zuvor. In Deutschland hat das Unternehmen nach eigenen Angaben nun eine Gesamtleistung von 2,8 Gigawatt installiert. Im März 2014 hat Senvion die Schwelle von 10 Gigawatt weltweit installierter Leistung überschritten. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen allerdings auch mit deutlichen Umsatzrückgängen zu kämpfen. Quelle: dpa
VestasDer weltgrößte Windturbinenhersteller Vestas hatte in Deutschland 2013 einen Marktanteil von 16,7 Prozent (Onshore 20 Prozent). Damit hat der Anlagenbauer zwar rund sechs Prozent an die kleineren Mitbewerber verloren, liegt aber weiterhin klar auf Platz zwei. Allein 2013 stellte das dänische Unternehmen Anlagen mit einer Leistung von 598,9 Megawatt in Deutschland auf. Wirtschaftlich ist Vestas offenbar auf einem guten Weg: Nach massiven Sparmaßnahmen in den Vorjahren hat das Unternehmen im letzten Quartal 2013 erstmals seit Mitte 2011 wieder einen Gewinn erwirtschaftet. Der Jahresverlust lag bei 82 Millionen Euro, nach 963 Millionen Euro 2012. Quelle: ZB
EnerconDas vom Windpionier Aloys Wobben gegründete Unternehmen ist unangefochtener Marktführer in Deutschland bei Anlagen auf dem Festland (49,6 Prozent Marktanteil). Onshore-Anlagen mit einer Leistung von 1.484,6 Megawatt hat Enercon allein 2013 aufgestellt. Auf dem Gesamtmarkt musste der Windanlagenbauer allerdings Verluste hinnehmen. Lag der Markanteil 2012 bei 54,3 Prozent, betrug er zuletzt noch bei 41,4 Prozent. Weltweit hat das Unternehmen mittlerweile mehr als 20.000 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von mehr als 28 Gigawatt installiert. Laut den Wirtschaftsforscher von Globaldata liegt Enercon im globalen Vergleich damit auf Platz. Geschlagen werden die Ostfriesen von der dänische Konkurrenz Vestas. Quelle: dpa

Denn der wichtigste Hebel dafür sind längere Rotorblätter: Nach einer Faustformel vervierfacht sich die Leistung eines Windrads mit jeder Verdopplung der Fläche, die der Rotor durchstreicht. Gegenüber den ersten kommerziellen Anlagen mit gerade einmal 30 Kilowatt hat sich die Fläche, um den Wind einzufangen, und damit auch die Leistung der Turbinen, in den vergangenen 30 Jahren um das 200-fache erhöht.

Die Ingenieure wollen noch weit mehr. Der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik IWES in Bremerhaven, Andreas Reuter, hält in Zukunft sogar 20-MW-Anlagen für realistisch. "Die ersten Räder könnten 2020 stehen."  Siemens will nach 2015 erste Turbinen der 10-MW-Klasse auf den Markt bringen – und würde damit wieder die Führung übernehmen.

Doch so langsam stößt der Bau immer größerer Turbinen an technische Grenzen. Ein Problem: Noch schneller als ihre Leistung erhöht sich ihr Gewicht mit jeder Verlängerung der Rotoren. Damit wird der Aufbau der Kolosse, die heute inklusive Fundament schon bis zu 5000 Tonnen wiegen, immer schwieriger. Zudem müssen die Flügelblätter, die die Luft heute schon bei maximaler Drehgeschwindigkeit an den Spitzen mit mehr als 300 Kilometer pro Stunde durchschneiden, immer extremeren Kräften standhalten. Sie würden sich im Betrieb um 40 Meter und mehr durchbiegen. Um das zu überstehen, müssten die Ingenieure die Rotoren wie die Flügel in modernen Flugzeugen mit Kohlefasern verstärken. Die sind jedoch weitaus teurer als das  heute verwendete Material aus Glasfasern – die Preise für die Anlagen würden merklich steigen.

Der Wettlauf um die besten Windräder hat gerade erst begonnen

Lenkdrachen soll Energie gewinnen
Sie sehen aus wie übliche Lenkdrachen, doch sollen sie zukünftig der Gewinnung von Windenergie dienen. Die Technische Universität Delft in den Niederlanden, deren Drache hier zu sehen ist, forscht seit Jahren im Kite Power Projekt an dieser Technologie und hat schon mehrere Prototypen getestet. 2015 könnten laut der Brandenburger Firma Enerkite die fliegenden Kraftwerke auch in Deutschland für Energie sorgen. Die Drachen fliegen dafür in 300 bis 600 Metern Höhe und zapfen dort die konstanten Windströme für die Stromgewinnung ab. Über ein Seil ist der Drache mit einer mobilen Bodenstation gekoppelt. Die Flugsteuerung sowie der Generator laufen per Autopilot. Im Gegensatz zu großen Windanlagen sind die „Energiedrachen“ flexibel einsetzbar, leise und auch noch günstiger. Quelle: Twitter
Die USA setzt ebenfalls auf Fluggeräte zur Energiegewinnung, doch diese ähneln eher einem Flugzeug. Windturbinen aus Glasfasern und Karbon machen dabei die Stromgewinnung in der Luft möglich. Die Forschung des kalifornischen Unternehmens Makani Power an der Airborne Wind Turbine wird unter anderem von Google bezuschusst. Die Turbine, die bis zu 600 Meter hoch fliegt, wird von einem Hauptseil gehalten, während die Luftenergie über ein anderes Seil zum Boden gelangt. Dabei fliegt die Windturbine kreisförmig und quer zum Wind, wodurch sie sehr hohe Geschwindigkeiten erreicht. Der Prototyp kann sogar teilweise selbstständig den Flugmodus wechseln. Das Unternehmen plant die Windturbinen auch auf der See einzusetzen. Quelle: Twitter
Zumindest auf den Plänen der Konstrukteure bringen diese Windgeneratoren mehr Leistung als konventionelle Windmühlen. Der vertikale "Aerogenerator" wird auf hoher See installiert. Die Stromausbeute liegt bei 10 Megawatt, rund drei Megawatt mehr als die bisher größte Windanlage produziert. Die Spannweite kann nach Angaben des britischen Herstellers Windpower bis zu 230 Meter betragen. Dagegen sehen die bisher üblichen Windmühlen eher schlapp aus - die neuesten Anlagen der konventionellen Bauart sollen nämlich einen Rotorendurchmesser von "nur" 180 Meter haben. Texte: Miguel Zamorano Recherche: Andreas Menn Quelle: PR
Schaut wie eine Steinschleuder aus, ist aber ein Lenkdrache. Die Idee: der Kite-Segel der italienischen Firma Kite Gen ist an einem bewegbaren Arm an zwei Seilen befestig und wird dann auf eine Höhe von 800 bis 1000 Metern gebracht. Dort dreht der Winddrachen konstante Achten und treibt so die Turbine an. Der Vorteil: in mehr als 1000 Meter Höhe bläst der Wind konstanter als in Bodennähe. Bei einer Windgeschwindigkeit von 25 km/h läge die Energieausbeute laut Hersteller bei drei Megawatt. 300 Drachen brächten so die Leistung eines Atomkraftwerks - und da der Wind in der Höhe nahezu durchgehend bläst, gäbe es keine großen Ausfallzeiten. Der Haken: Flugzeuge müssten das Gebiet umfliegen. Das scheint bei der hohen Verkehrsdichte am europäischen Himmel und der Größe der Lenkdrachen-Parks nicht praktikabel. Das Modell ist derzeit noch in der Erprobungsphase. Quelle: PR
Bläst der Wind, dreht sich der Ballon um die eigene Sache und treibt den Rotor an Quelle: PR
Die Windhelix eignet sich für große Eigenheime Quelle: PR
Diese Modell soll sich unauffällig in die Landschaft fügen- Quelle: PR

Daher suchen vor allem Neueinsteiger in die Offshore-Windkraft nach Alternativen, um die Meeres-Windparks leistungsfähiger und zugleich billiger zu machen. So entwickelt das britische Unternehmen Wind Power eine Turbine mit revolutionärem Konzept: Die Rotoren des Aerogenerators X streichen parallel zu den Wellen übers Meer. Ihre Spannweite kann bis zu 230 Meter erreichen. Dabei ragen sie dank des neuen Designs nur halb so hoch aus dem Wasser wie klassische horizontale Mühlen. Der Vorteil: Ihre Fundamente können kleiner ausfallen. Das spart Transportkosten, vor allem aber wird weniger Stahl und Beton benötigt.

Offshore-Windkraft ist ein zentrales Element der Energiewende. Unsere Infografik zeigt die wichtigsten Windparkprojekte in Nord- und Ostsee und wie es um sie steht.

Viel versprechen sich Ingenieure auch von sogenannten Zweiflüglern, an denen das niederländische Unternehmen 2-B-Energy forscht. Der Wegfall des dritten Rotorblatts spart Material, und die Zweiflügler lassen sich schon während des Transports auf dem Errichterschiff mit dem Maschinenhaus verschrauben, weil sie weniger Platz wegnehmen als die Dreiblättler. Zudem kreisen ihre Propeller hinter dem Turm. Die Folge: Sie können sich von selbst in den Wind drehen; bisher übernehmen das Motoren, die Geld kosten – und Strom verbrauchen.

Zuletzt hat es der norwegische Windanlagenhersteller Sway Turbine mit einem kühnen Entwurf in die Schlagzeilen geschafft. Bei seinem Offshore-Windrad hängen die Rotoren an einem Laufrad, das in den Generator integriert ist und diesen  antreibt – zu einer Spitzenleistung von zehn MW. Bei der Konstruktion des Turms verzichten die Norweger auf Eisenstahl, dadurch sinkt das Gewicht auf 162 Tonnen. Herkömmliche Maschinen sind bis zu 375 Tonnen schwer. Der Leichtbau verbilligt die Herstellung der ST10 laut Sway um bis zu einem Fünftel. Jetzt sucht das Unternehmen Industriepartner, um die superleichte Powermühle rasch auf den Markt zu bringen.

Man sieht: Der Wettlauf um die besten Windräder auf See hat gerade erst begonnen. Weitere Überraschungen sind nicht ausgeschlossen.

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