Umwelttechnik Gigantischer Boom für grüne Technologien

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Darüber freuen dürfen sich deutsche Großunternehmen wie Siemens, deren hoch effiziente Kohlekraftwerke die Energieversorgung Chinas revolutionieren könnten, oder der westfälische Recyclinggigant Remondis, der sich in Europa, Asien und Australien um die Abfälle von rund 20 Millionen Menschen kümmert. Aber auch deutsche Mittelständler mischen bei den Effizienztechnologien ganz vorne mit: Das bayrische Klimatechnikunternehmen Robatherm etwa, die Firma Biotech, die Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen entwickelt hat, oder der hessische Hersteller von Energiesparlampen IDV. Mobilität. Sie basiert heute fast ausschließlich auf fossilem Öl. Doch dieses System hat Grenzen. Während in den USA 2004 auf 1000 Einwohner rund 780 Autos kamen, waren es in China gerade einmal 19. Trotzdem ist China schon heute der zweitgrößte Ölkonsument der Erde und wird in wenigen Jahren die USA als größten Klimaverschmutzer überholt haben. Nicht auszudenken, wie sich der Ölpreis und die CO2-Emissionen entwickeln, sollte China eine ähnliche Autodichte wie die Industrieländer erreichen. Die weltweite Mobilität kann deshalb nur gesichert werden, wenn es gelingt, Verbrennungsmotoren sparsamer zu machen und sie mit neuen Kraftstoffen zu betreiben. Obwohl die deutschen Autobauer die Potenziale des Hybridantriebs – einer Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor – lange unterschätzt haben, werden sie bei umweltverträglichen Mobilitätskonzepten ganz vorne mitspielen. Der vielleicht wichtigste Joker der Deutschen: die Dieseltechnik von Bosch und den großen deutschen Automarken. Durch neue Filtertechnologien wird der Diesel dem Hybrid Paroli bieten können. Auch sonst fährt Deutschland bei den umweltfreundlichen Mobilitätstechnologien in der Poleposition: mit innovativer Antriebstechnik von DaimlerChrysler und BMW, Biodiesel von ADM Oelmühlen und Cargill, Katalysatoren von HJS, Emitec oder Twin-Tec, effizienzsteigernder Fahrzeugtechnik von ThyssenKrupp oder Continental. Erneuerbare Energien. Die Liste deutscher Unternehmen in diesem Marktsegment liest sich wie das weltweite „Who’s who“ der Branche: Biogasanlagen von Lurgi, Windkraftanlagen von Enercon und Repower, Wasserkraftanlagen aus dem Hause Voith Siemens Hydro Power, Solarzellen von Conergy und Solarworld, Solarthermie made by Viessmann, Wasserstofftechnik von Linde – alles Entwicklungen, mit denen hiesige Anbieter führend sind. Durch die staatliche Förderung der neuen Energien – das Hunderttausend-Dächer-Programm etwa oder die im Erneuerbare-Energien-Gesetz festgeschriebenen Einspeisevergütungen – hat jeder halbwegs windstarke Standort Deutschlands seinen Windpark und fast jede Neubausiedlung mindestens ein Solardach. Diese massive Anschubfinanzierung sicherte Deutschland einen weltweiten Spitzenplatz bei Fotovoltaik und Windenergie. Die Investition könnte sich mittelfristig auszahlen, denn die Märkte wachsen schnell: 2005 wurden weltweit 45 Milliarden Euro in Wasser-, Wind- und Solarkraftwerke investiert – eine Steigerung um 25 Prozent in nur einem Jahr. Vorsichtige Schätzungen sehen ein Marktpotenzial für Erneuerbare Energien im Jahr 2020 von 115 Milliarden Euro, etwas optimistischere Prognosen beziffern den Markt auf 250 Milliarden Euro. Die größten Wachstumschancen haben dabei Biomasse, Windenergie, Wasserkraft und Fotovoltaik.

Wasserwirtschaft. Getrieben durch die Umweltgesetzgebung entwickelte sich in Deutschland eine hoch professionelle Wasserwirtschaft. Ihre hier erprobten Technologien sind Klassiker der Umwelttechnologie und genießen weltweit einen exzellenten Ruf. Weltweit werden in diesem Marktsegment derzeit 250 Milliarden Euro umgesetzt, schon 2010 sollen es nach Schätzung der Europäischen Union rund 400 Milliarden sein. Grund für den enormen Zuwachs ist die Nachfrage nach sauberem Trinkwasser und hygienischer Abwasserentsorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern sowie ein enormer Investitionsbedarf in die Leitungsnetze der Industrieländer. So versickern in London rund 40 Prozent des Trinkwassers in defekten Leitungen, bevor es beim Kunden ist. Unternehmen wie Pipelife Deutschland oder PassavantRoediger, eine Tochter des Baukonzerns BilfingerBerger können in solchen Fällen helfen. Andere meist kleine Anbieter haben sich auf Nischen spezialisiert: Naue ist führend im Hochwasserschutz, die Andreas Kufferath GmbH in der Schlammbehandlung und das Unternehmen GEP im Regenwassermanagement. Das sind allesamt Mittelständler aus der deutschen Provinz. Erfolgreich oft auch dank politischer Unterstützung. Umweltminister Gabriel etwa vereinbarte mit dem Minister der staatlichen Umweltbehörde Zhou Shengxian einen regelmäßigen „deutsch-chinesischen Umweltdialog“ und schickte unter der Leitung von Staatssekretärin Astrid Klug deutsche Unternehmen nach Hongkong, die der Stadt beim Abfallmanagement helfen sollen. „Seit Gabriel im Amt ist, gibt es wieder einen Dialog mit dem Ministerium“, sagt BDI-Umweltressortleiter Klaus Mittelbach. „Der Dialog war im Prinzip unter Jürgen Trittin beendet worden.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich die Förderung der Umweltindustrie auf die Fahnen geschrieben. Bei ihrem jüngsten USA-Besuch diskutierte sie in ihrer Funktion als EU-Ratspräsidentin eine transatlantische Zusammenarbeit bei der Förderung von energieeffizienten Technologien. Und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach im Dezember mit US-Außenministerin Condoleezza Rice darüber, wie europäische und amerikanische Unternehmen in der Umwelttechnik zusammenarbeiten können. Trotz der geballten Unterstützung und trotz der guten Ausgangslage ist der Erfolg deutscher Umwelttechniker in den Märkten der Zukunft kein Selbstläufer. Zum einen kämpfen die Unternehmen dieser Branche – wie alle anderen auch – vor allem in China gegen örtliche Konkurrenz, die schnell dazulernt. Und das oft per Technologieklau. Weiterer Wettbewerb wächst vor allem in den USA heran. „Wir haben die Wissenschaftler und Unternehmer, um uns bei den grünen Technologien an die Spitze zu setzen“, sagt Kaliforniens Gouverneur Schwarzenegger selbstbewusst – eine Kampfansage an die Deutschen. Geld genug für eine Öko-Offensive gibt es auf der anderen Seite des Atlantiks: Im vergangenen Jahr wurden in den USA insgesamt drei Milliarden Dollar an Risikokapital in grüne Technologien investiert – » doppelt so viel wie ein Jahr zuvor und mehr als in die einst florierende Halbleiterbranche. „Die Gefahr ist real“, warnt Roland-Berger-Berater Henzelmann, „dass Deutschland in den kommenden Jahren von Staaten wie den USA oder Japan in der Umweltindustrie abgehängt wird.“ Amerikanische Unternehmen seien risikofreudiger, und es sei leichter für sie, sich das nötige Kapital zu beschaffen. Vor allem jedoch könnte der deutschen Umwelttechnikszene ihre mittelständische Struktur Probleme bereiten. „Die Unternehmen sind oft zu klein, um ihre Produkte an die unterschiedlichen Marktbedürfnisse anzupassen“, sagt Klaus Ritter, Geschäftsführer der auf Umwelttechnikexport spezialisierten Beratung Eitep in Hannover. Auch fehle ihnen oft das Kapital, um den nötigen Vertriebsdruck aufzubauen: „Im Oman sagte mir ein Minister, die Deutschen würden ihm immer wieder hervorragende Technik präsentieren. Er verstehe allerdings nicht, warum sie nie wiederkämen, nachdem sie ihm ihre Produkte einmal gezeigt hätten.“ Die deutschen Mittelständler hätten oft nicht einmal das Geld für eine zweite Reise und hofften – leider vergeblich –, der Minister werde sich schon beim ersten Treffen für sie entscheiden. Zudem gehe Mittelständlern mancher Großauftrag durch die Lappen, weil er ihre Kapazitäten übersteigt. „Beim Fernseher, beim Computer, dem Fax oder auch beim MP3-Player waren die Deutschen die Erfinder, das Geld haben andere damit verdient“, warnt BDI-Umweltexperte Mittelbach. „Das darf sich bei der Umwelttechnik nicht wiederholen.“ Das wird es aller Voraussicht nach auch nicht. Schließlich haben die Amerikaner erst vor wenigen Jahren die Poleposition in der Umwelttechnik an die Deutschen abgegeben – und sind nun ganz ungewohnt in der Verfolgerrolle. Und die Spitzenposition haben sich Unternehmen hierzulande trotz ihrer oft geringen Kapitaldecke erforscht und erarbeitet. Nicht auszudenken, wie schlagkräftig die junge Branche in Deutschland wird, wenn erst die Großkonzerne von Siemens bis ThyssenKrupp die grüne Technologie als eines ihrer wichtigsten Wachstumsfelder entdeckt haben und die kleinen Spezialisten um sich scharen. Mehr dazu auf wiwo.de: Boombranche Umwelttechnik - weitere Hintergründe

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