
Twitters Herz schlägt für San Francisco. Als ich Biz Stone, den Twitter-Mitgründer, im Frühjahr 2009 im damals winzigen Büroapartment in der Bryant Street fragte, warum er sich nicht im High-Tech-Ort Palo Alto angesiedelt habe, führte Stone vor allem emotionale Gründe an. Die Mitarbeiter, damals 35, würden sich in der kreativen Atmosphäre San Franciscos viel wohler fühlen.
Inzwischen profitiert Twitter von seiner Treue auch monetär. Der Rat der chronisch klammen Stadt hat Steuererleichterungen beschlossen, damit ihm das prestigeträchtige Startup erhalten bleibt. Zwar gelten die Regeln für alle Unternehmen, die sich in strukturschwachen Vierteln ansiedeln. Doch den Politikern ging es vor allem um Online-Stars wie Twitter oder den Spieleentwickler Zynga. Sie spekulieren, dass der Kurznachrichtenservice bis Mitte der Dekade seine derzeit rund 400 Jobs in San Francisco mindestens vervierfacht.
Verglichen mit denen von Twitters Investoren, sind diese Erwartungen noch sehr bescheiden. Denn im Jahr fünf des Bestehens hat das Unternehmen schon die ansehnliche Bewertung von acht Milliarden Dollar erreicht – was sich ebenfalls nur emotional erklären lässt. Das so oft als überwertet gescholtene Facebook ist dagegen ein Schnäppchen. Der Umsatz des mit 65 Milliarden Dollar bewerteten sozialen Netzwerks soll 2011 vier Milliarden Dollar überschreiten. Bei Twitter -werden hingegen nur 150 Millionen Dollar Umsatz erwartet. Facebook ist also grob das 16-Fache des Umsatzes wert. Beim Kurznachrichtendienst heißt der Faktor 53.
Geschäftsmodell ist unklar
Zwar weist Twitter 200 Millionen Nutzerkonten aus. Doch Experten schätzen die Zahl eingefleischter Fans auf nur 20 Millionen. Facebook hingegen wird täglich von rund 350 Millionen seiner über 700 Millionen Nutzer besucht. Teilt man den Unternehmenswert durch die aktiven Kunden, ist jeder Einzelne etwa 185 Dollar wert. Bei Twitter aber ist jeder aktive Nutzer 400 Dollar wert. Hinzu kommt, dass sich Facebooks Werbemodell bewährt hat. Bei Twitter dagegen ist noch immer unklar wie sehr seine Nutzer Anzeigen tolerieren.
Und schließlich ist der Kurznachrichtendienst mittlerweile gerade für Einsteiger recht unübersichtlich geworden – und von Spam geflutet. Der zwischenzeitlich ausgeschiedene Twitter-Miterfinder Jack Dorsey, den die Investoren gerade als Produktchef zurückholten, will relevante Nachrichten nun stärker herausheben. Er steht dabei allerdings in Wettbewerb mit den eigenen Partnern. Denn um schneller zu wachsen, hatte Twitter externen Startups erlaubt, eigene Anwendungen für den Dienst zu entwickeln. Einer der größten Profiteure dieser Strategie ist Bill Gross. Der Multi-Unternehmer aus Los Angeles besitzt beliebte Twitter-Programme wie Ubersocial und Twydroid. Doch das reicht ihm nicht mehr. Er will die Popularität nutzen, um eine Twitter-Kopie zu starten, die mehr als nur 140 Zeichen an Text -erlauben soll. Mit 21 Millionen Dollar – unter anderem von Facebook-Investor Accel – geht er dieses Vorhaben jetzt an.
Microsoft und Google wollen Twitter
Gross ist nicht zu unterschätzen. Der Unternehmer gilt als Erfinder des Suchmaschinen-Geschäftsmodells, bei dem nur die Werbung in Rechnung gestellt wird, die angeklickt wird. Die Google-Gründer machten dieses Konzept zum Milliardengeschäft. Gross hat also fraglos Gespür, womit sich online Geld verdienen lässt.
Trotzdem muss sich weder Twitter um seine Zukunft sorgen noch San Francisco um seine Jobs. Der Nachrichtendienst ist zu populär, um einfach von einem Konkurrenten abgelöst zu werden. Ähnlich wie bei Ebay, wo die mühsam erarbeitete Reputation Vertrauensgrundlage künftiger Geschäfte ist, gelten die über Jahre gewonnenen Fans als Reputationsmerkmal der Twitterer. Die gibt keiner einfach so auf. Ist der Nachrichtendienst also doch angemessen bewertet? Am Ende hängt es wie immer davon ab, was Käufer dafür zahlen. Und an Twitter gibt es noch immer massives Interesse – von Microsoft und Google.