Wettbewerb Die Finalisten des Innovationspreises

Ein Porträt über sechs Finalisten des Deutschen Innovationspreises 2011.

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Cobox Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Die Tür zu dem viereckigen Raum steht offen, eine Bank lädt vor dem großen Bildschirm zum Sitzen ein. Was ist das? Ein elektronischer Beichtstuhl? Ein zu groß geratener Passfotoautomat? Weder noch. Diese zwei mal zwei Meter große Box ist eine Apotheke. Drückt der Kunde auf einen grünen Knopf, erscheint ein Apotheker in weißem Kittel auf dem Bildschirm und fragt – via Video – nach den Wünschen. Das Rezept liest dann ein Scanner ein. Wenige Stunden später liefert ein Kurier dem Patienten die Medikamente nach Hause.

„Cobox“ nennt der Erfinder Ulrich Baudisch aus Waldsolms bei Frankfurt seine Videoapotheke, die als eine Art Kleinstfiliale auch an abgelegenen Orten installiert werden kann. Typischer Standort einer Videoapotheke ist Ruppertshain, ein Ortsteil von Kelkheim nahe Frankfurt mit gut 2000 Einwohnern. Hier, in einer ehemaligen Klinik am Südhang des 563 Meter hohen Eichkopfes, entsteht gerade eine solche Mini-Apotheke. Denn in dem Gebäude gibt es zwar niedergelassene Ärzte, doch die nächste Apotheke ist mehr als sechs Kilometer entfernt. Günstige Standorte sind auch Ärztehäuser, Unternehmen und Banken mit großen Schalterhallen.

Die kleinste Apotheke der Welt

Pro Monat kostet die Videoapotheke rund 2200 Euro – inklusive Finanzierung, Wartung und Datenleitung per Satellit. „Der Betrieb ist ab etwa 15 Kunden pro Tag rentabel“, sagt Baudisch. Das Konzept hat die Juroren des Deutschen Innovationspreises derart überzeugt, dass es die Entwicklung unter die Finalisten in der Kategorie Startup schaffte: „Cobox kann eine Antwort auf die Frage sein, wie wir bei zunehmender Urbanisierung die Versorgung des ländlichen Raums sicherstellen“, sagt Klaus Engel, Vorstandsvorsitzender des Mischkonzerns Evonik.

Auf die Idee mit den Videoapotheken kam Baudisch vor zweieinhalb Jahren. Damals fragten Sparkassen den Geschäftsführer eines Architekturbüros nach Möglichkeiten, mehr Kunden in ihre Filialen zu locken. Durch Bankautomaten und Kontoauszugsdrucker brauchen viele Banken und Sparkassen nur noch einen Bruchteil ihrer jetzt viel zu großen Schalterhallen. Statt die Filialen zu schließen, öffneten Bäckereien, Cafés und ADAC-Shops – und Mini-Apotheken.

Bislang gibt es bundesweit zwölf Videoapotheken, Anfang April kommen zwei neue hinzu. Und Baudisch will weiter expandieren.

Eyefactive Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Sie schieben sich auf den flachen Bildschirmen gegenseitig virtuelle Bilder zu, vergrößern sie mit einem Fingerspreizen, häufen sie zu Stapeln aufeinander. Die Menschen, die auf Messen wie der Cebit den meterlangen Bildschirmen des Startups Eyefactive begegnen, tatschen instinktiv auf ihnen herum. Und das auch noch alle gleichzeitig.

Was Hersteller von gewöhnlichen LCD-Monitoren zusammenzucken ließe, entlockt den beiden Eyefactive-Geschäftsführern Johannes Ryks und Matthias Woggon ein zufriedenes Lächeln. Ihre Riesenmonitore sind dafür gemacht, berührt zu werden – und das kommt auch bei den Kunden an. So gut, dass das Startup aus Wedel bei Hamburg nach einem Jahr schon 300 000 Euro umsetzt und schwarze Zahlen schreibt.

Multitouch nennt sich die Technologie, mit der Bildschirme Handgesten wie das Fingerspreizen oder Antippen verstehen lernen. Seit das iPhone vor vier Jahren mit diesem Prinzip das Handy revolutionierte, ist diese Art der Gerätebedienung aus dem Alltag kaum noch wegzudenken. Zwar hat der Computerhersteller Microsoft die Technik mit seinem Surface-Tisch bereits 2007 auf einen horizontalen Bildschirm im Fernseherformat übertragen.

Neue Dimensionen

Doch die diplomierten Medieninformatiker Ryks und Woggon stoßen in noch größere Dimensionen vor: Ihre jeweils 47 Zoll großen Bildschirme lassen sich nahtlos nebeneinanderbauen und zu einem größeren Display verschmelzen. „Jedes Modul wird von hinten per Videobeamer beleuchtet, zwei Infrarotkameras filmen die Handbewegungen“, erklärt Eyefactive-Gründer Woggon. Eine eigens entwickelte Software wertet die Videobilder aus und wandelt sie in Bedienbefehle um. Theoretisch, sagt Jungunternehmer Woggon, könne Eyefactive beliebig große Bildschirme zusammenfügen, und das sogar um die Ecke oder im Halbkreis. Und es können so viele Menschen gleichzeitig auf dem Bildschirm hantieren, wie vor ihm Platz finden.

Die Idee der koppelbaren, berührungsfähigen Riesenbildschirme und ein Prototyp entstanden 2008 in einem Seminar an der Fachhochschule Wedel. Auf der Cebit im gleichen Jahr kam das Gerät so gut an, dass Woggon und Ryks kaum ein Jahr später – direkt nach ihrem FH-Abschluss – eine eigene Firma gründeten. Mehr als zwei Dutzend Kunden haben sie seitdem gewonnen, darunter Siemens und die Mercedes-Benz Bank. Einem Kunststoffhersteller vermieteten sie gar einen sechs Meter langen Bildschirm, an dem Interessenten Bilder, Videos und Texte über das Unternehmen abrufen und zusammen Puzzles lösen konnten.

„Im Marketing entstehen ganz neue Möglichkeiten, wenn Messebesucher zu Dutzenden an einem Bildschirm interagieren können“, sagt Eyefactive-Gründer Woggon. Auch in der Kundenberatung, am Verkaufstresen, in Restaurants oder Shoppingcentern sehen die Gründer künftige Einsatzorte. Dazu wollen die Wedeler sich nun vom Projektgeschäft verabschieden und zum Produzenten mit eigenen Vertriebspartnern werden.

Tesat-Spacecom

Fünf Stunden nachdem Mitte März der Tsunami die japanische Küste verwüstet, fliegt der Erdbeobachtungssatellit TerraSAR-X über das überschwemmte Gebiet und schießt Fotos. 36 Stunden nach dem Aufprall der Welle stellt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die ersten Satellitenbilder ins Internet. Sie dienen Rettungskräften dazu, Hausruinen zu finden und Straßen, über die sie dorthin gelangen.

Bald könnten Bilder aus dem All schon nach 24 Stunden bereitstehen, hofft Stefan Voigt, Koordinator des Zentrums für Satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) des DLR in Oberpfaffenhofen. Möglich macht das eine Innovation von Tesat-Spacecom, einem Hersteller von Satelliten-Kommunikationstechnik aus Backnang bei Stuttgart. Die Tochter des Raumfahrtkonzerns EADS hat eine Breitband-Datenübertragung für Satellitennetze und deren Verbindung zu Bodenstationen entwickelt, die mit bis zu zehn Gigabit pro Sekunde 100-mal schneller ist als der heutige Mikrowellenfunk.

Satellitenkommunikation per Laser-Datenfunk

Per Laserstrahl überträgt das sogenannte Laser Communication Terminal (LCT) – ein Gerät mit den Maßen eines Hotelzimmerkühlschranks – 600 Megabyte Daten pro Sekunde. „Satellitenbilder stehen damit schneller und in höherer Auflösung bereit“, sagt Erich Auer, der Technische Leiter bei Tesat-Spacecom. Im All begegnen sich Satelliten zum Teil mit bis zu 50 000 Stundenkilometern. Trotzdem sollen sich die Laserstrahlen der LCTs künftig minutenlang exakt treffen und eine Datenverbindung herstellen – mithilfe hochpräziser Elektromotoren, Spiegel und Lagerungen. Der Lichtstrahl wird dazu extrem gebündelt: „Wenn Sie den Laser in München aufstellen und nach Berlin richten, beleuchtet er dort nur den Kopf eines der Pferde der Quadriga auf dem Brandenburger Tor“, sagt Technik-Leiter Auer.

Seit mehr als drei Jahren testet Tesat-Spacecom den Laserfunk just auf TerraSAR-X, jenem Satelliten, der die Japan-Bilder schoss. Ab 2013 will die Europäische Weltraumorganisation Esa mit den LCTs ein Datennetzwerk im Orbit knüpfen, das über sehr hoch fliegende Satelliten ständigen Kontakt zu Bodenstationen schafft: Wenn ein tief fliegender Satellit keine direkte Verbindung zu Empfängern auf der Erde hat, nutzt er den Umweg über das Netzwerk. Und nicht nur Rettungskräfte werden schneller informiert.

BASF Quelle: Bert Bostelmann für WirtschaftsWoche

Ein schleimig-türkis-grüner Algenteppich bedeckte im Sommer 2010 das Ufer und weite Teil der Wasserfläche des Itzstedter Sees nahe Norderstedt. Im sonst idyllischen Badeparadies war das Leben für viele Wassertiere unmöglich geworden, denn die Algen raubten ihnen mit ihrem explosionsartigen Wachstum den Sauerstoff zum Atmen. Der See kippte um, die Fische trieben kieloben.

Tödliche Algenblüten sind seit den Siebzigerjahren seltener geworden, verschwunden sind sie nicht. Noch immer gelangen Phosphate in die Gewässer und überdüngen sie. Ein wesentlicher Treiber solcher Szenen ist nach der Landwirtschaft – die Spülmaschine. Phosphate machen als Wasserenthärter gegen Spülränder die Hälfte im Geschirrspülmittel aus.

Umweltfreundliches Geschirrspülmittel

Jetzt haben Chemiker der BASF in Ludwigshafen eine Lösung gefunden: Trilon M, ein Ersatzstoff für Phosphate, der in der Natur vollständig zu seinen ungiftigen Bestandteilen abgebaut wird. Damit kam BASF in die Endrunde beim Deutschen Innovationspreis. Frank Riemensperger, Deutschland-Chef der Unternehmensberatung Accenture, eines Initiativ-Partners des Preises, beeindruckte vor allem, dass der Konzern bei dem Produkt einen langen Atem hatte: „BASF hat bewiesen, dass sich Nachhaltigkeit erfolgreich ins Kerngeschäft integrieren lässt.“

Tatsächlich mussten die Entwickler immer wieder Rückschläge einstecken, wie Thomas Greindl und Alfred Ruland gestehen. Ruland leitet bei BASF die Entwicklung von Inhaltsstoffen für Wasch- und Reinigungsmittel, Greindl vermarktet sie. Ruland erinnert sich, dass die Substanz schon 1995 gut funktionierte. Genau wie Phosphate konnte Trilon M als sogenannter Komplexbildner die für Wasserhärte verantwortlichen Calcium- und Magnesium-Ionen einfangen und binden. Ungebunden bilden die Ionen Salze und setzen sich als Ränder auf dem Geschirr ab.

Doch die neue Substanz war lange nur in flüssiger Form herstellbar und damit untauglich für Spültabletten oder -pulver. Das zweite Problem auf dem Weg zur grünen Chemie: „Damals war kein Hersteller bereit, den vergleichsweise höheren Preis zu bezahlen“, sagt Greindl. Heute sei das anders, die Vermarktung läuft glänzend. Der Erfolg gibt BASF-Forschungschef Andreas Kreimeyer recht, der sagt: „Wir arbeiten seit Jahren hart daran, alle unsere Produkte so energieeffizient und ressourcenschonend wie möglich herzustellen.“

Königsee Implantate Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Für Handballer ist die Verletzung ein Albtraum: Greift der Abwehrspieler dem heranstürmenden Angreifer verbotenerweise in den wurfbereiten Arm, können im ungünstigsten Fall die Sehnen reißen, die den Oberarm mit der Schulter verbinden. Die Folgen der Verletzung an der sogenannten Rotatorenmanschette sind so schmerzhaft, dass anschließend fast jede Bewegung zur Tortur wird. „Das ist eine dramatische Verletzung“, sagt Frank Orschler, Geschäftsführer des auf medizinische Implantate spezialisierten Unternehmens Königsee im thüringischen Allendorf. Wird die Verletzung nicht behandelt, droht sogar die Versteifung des Schultergelenks.

Damit der Abriss besser heilt, hat Orschler zusammen mit Michael Geyer, dem Chirurgen der St. Vinzenz Klinik in Pfronten im Allgäu, eine Art Rettungsanker samt Operationstechnik für die Schulter entwickelt.

Diese Lasa-DR genannte Schraube dreht Chirurg Geyer vorsichtig in den Schulterknochen. Mit den daran befestigten Spezialfäden fixiert er die abgerissene hautartige Sehne auf dem glatten Knochen – ähnlich einer Briefmarke, die so aufgeklebt wird, dass die Ränder nicht abstehen. Durch die große Auflagefläche wächst sie innerhalb von sechs Wochen wieder am Knochen fest. Bei der bisherigen Methode befestigte der Chirurg die Sehne nur punktuell und damit weniger stabil. Die Patienten mussten daher häufig nachoperiert werden.

Neue Operationstechnik

Solche Operationen sind besonders schwierig, weil die Beweglichkeit von Schulter und Arm aus dem Zusammenwirken von fünf Gelenken und Nebengelenken rührt. Die aus vier Muskeln und Sehnen bestehende Rotatorenmanschette vervollständigt das Ganze.

Die Juroren des Deutschen Innovationspreises überzeugte die Entwicklung: „Königsee hat mit seiner Innovation einen Beitrag zur Medizintechnik erbracht, von dem jüngere wie ältere Menschen profitieren“, sagt Jurymitglied Hans-Peter Villis, Chef des Energieversorgers EnBW. „Die Bewegungsfreiheit der Patienten ist damit schneller wieder hergestellt.“

Eine weitere Besonderheit des neuen Verfahrens ist, dass die Schraube so bündig mit dem Knochen verschraubt werden kann, dass sie nicht übersteht und so die Heilung aufhalten könnte. Das verhindert auch, dass auf dem Knochen winzige Verwachsungsnarben entstehen, die später Schmerzen verursachen können. Zudem werden der Anker und der Faden bei der Operation so befestigt, dass die Sehne – ähnlich wie bei einem Kerzendocht – mit Nährstoffen versorgt werden kann.

Zurzeit entwickeln die Erfinder ihre Methode so weiter, dass die Schraube auch in einer Schlüsselloch-Operation eingesetzt werden kann. Die acht Zentimeter lange Narbe an der Schulter bliebe den Patienten dann erspart.

Reinhausen Plasma Quelle: Robert Brembeck für WirtschaftsWoche

Mehr Leistung, sinkende Kosten und weniger Gewicht: Um Mikroprozessoren, Speicherchips und Solarzellen leistungsstärker und sparsamer zu produzieren, arbeiten die Hersteller mit immer leichteren und vor allem sensibleren Komponenten.

Das gilt besonders für die sogenannten Wafer, jene empfindlichen Silizium-Scheiben, aus denen die Bauteile gefertigt werden. Das Problem: Je dünner die Wafer sind, desto leichter werden sie durch Stöße oder Hitze zerstört. Trotzdem müssen Kupferschichten zur Kühlung oder Silberkontakte aufgebracht werden. Flüssig sind diese Metalle mehr als 960 Grad Celsius heiß – zu viel für die Wafer.

Mit einer neuen Technik des Regensburger Unternehmens Reinhausen Plasma wird das anders. Deren Entwickler haben das Kunststück vollbracht, glühendes Kupfer oder andere heiße Werkstoffe auf wärmeempfindliche Materialien aufzubringen, ohne diese zu zerstören.

Neuartige Beschichtung elektronischer Bauteile

Plasmadust nennt Reinhausen das Verfahren. Dafür erhitzen die Ingenieure unvorstellbar feines Metallpulver gewissermaßen Körnchen für Körnchen und schleudern es auf die Unterlage. Das Pulver wird dafür mithilfe eines Trägergases – etwa Stickstoff – durch die Flamme eines Plasmabrenners geschossen. Da die Partikel so klein sind, kühlen sie ab, ehe das Ziel zerstört wird. Selbst Papier lässt sich auf diese Art beschichten.

Die Kunst ist, Klumpenbildung zu vermeiden. „Das Pulver wird in homöopathischen Dosen durch die Flamme geschickt“, sagt Klaus Forster, Chief Operating Officer des Unternehmens. Wichtig für die Güte der Beschichtung sind noch Größe, Form und Geschwindigkeit der Partikel. „Diese Parameter sind für jeden Fall anders“, sagt Forster.

Reinhausen und der Halbleiterher-steller Infineon sind eine Entwicklungskooperation eingegangen, um Plasmadust für die Halbleitertechnik verfügbar zu machen.

Auf der Rückseite von Solarzellen werden auf diese Weise bereits Silberkontakte aufgetragen. Das verbessert den Wirkungsgrad und senkt die Kosten, weil Plasmadust weniger Energie verbraucht als herkömmliche Techniken. „Zudem brauchen wir kein Lösemittel“, sagt Forster.

Große Chancen rechnet sich der COO in der Elektromobilität aus. Mit Plasmadust könnten ganze Kabelbäume durch Leiterbahnen ersetzt werden.

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