Wetterexperte Sven Plöger "Im Klimawandel steckt eine Chance"

Der Wetterexperte und Meteorologe Sven Plöger über den richtigen Umgang mit den steigenden Temperaturen, Panikmache und wirtschaftliche Interessen.

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Meteorologe Sven Plöger Quelle: Martin Wagenhahn für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Plöger, in Ihrem Buch „Gute Aussichten für morgen“ zeigen Sie, wie der Mensch den Klimawandel für sich nutzen kann. Das klingt, als gäbe es keinen Grund zur Panik. Woher dieser Optimismus?

Plöger: Von Panikmache halte ich gar nichts. Das führt entweder zu blindem Aktionismus oder zu Hilflosigkeit und Resignation. Das Beschwören der Klimakatastrophe kommt Grünen und Umweltverbänden zugute. Unternehmen und deren Lobby dagegen wollen das Thema am liebsten unter den Tisch kehren.

Hat sich das nicht längst geändert?

Zum Teil. Trotzdem geistern seit Jahrzehnten widerlegte Einwände gegen die vom Menschen mitzuverantwortende Klimaänderung herum – einige dieser Leute werden offenbar finanziell bestens unterstützt. Dabei sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig: Der Klimawandel ist nicht mehr abzuwenden – aber statt über das Ausmaß zu lamentieren oder es zu ignorieren, sollten wir auf die Veränderungen konstruktiv reagieren.

Nämlich wie?

Im Klimawandel steckt auch eine Chance, zum Beispiel für erneuerbare Energien oder Effizienztechnologien. Doch bevor wir konkrete Maßnahmen ergreifen, müssen wir das Phänomen Klimawandel erst einmal verstehen.

Der Klimawandel füllt ganze Bibliotheken und beflügelt Karrieren in der Wissenschaft. Was ist der Mehrwert, den Sie auf 350 Seiten liefern?

Ich habe versucht, die Fachliteratur so zu vereinfachen, dass jeder sie versteht – ohne dabei die Inhalte zu verfälschen. Dabei mache ich im Grunde dasselbe wie auch vor der Kamera beim Wetter im Ersten – dort präsentiere ich auch nicht die Details meiner meteorologischen Berechnungen, sondern sage schlicht, ob es stürmt oder schneit. Was der Klimaforschung bisher fehlt, ist die Verbindung zwischen Hörsaal und öffentlicher Debatte. Das zeigen auch die Vorträge über Wetter und Klima, die ich seit Jahren halte – da stellen mir die Leute immer die gleichen Fragen.

Zum Beispiel?

Die Zuhörer sind unsicher, ob das Klima sich überhaupt wandelt. Schließlich kann man den Klimawandel weder sehen noch hören – zumindest nicht bei uns. Was sich in der Arktis oder am Meeresgrund tut, nehmen wir Europäer nicht wahr. Abstrakte Zukunftsszenarien übersteigen die menschliche Vorstellungskraft. Oft werde ich gefragt, ob die Klimatologen sich nicht wie alle Wissenschaftler irren können.

Und? Können sie?

Klar, den Stein des Weisen hat bisher niemand entdeckt. Deshalb werden die Computermodelle auch immer wieder auf den neusten Stand gebracht. Viele bezweifeln, dass die Klimaprojektionen für die nächsten 100 Jahre funktionieren können – der Laie kann sich das kaum erklären.

Dann helfen Sie uns mal: Wieso können Klimaforscher die globale Erwärmung voraussagen, wenn Meteorologen wie Sie noch nicht einmal wissen, ob in zwei Wochen die Sonne scheint?

Klima ist etwas völlig anderes als Wetter – nämlich dessen statistischer Mittelwert über mindestens 30 Jahre. Der Orkan Kyrill, der vor zwei Jahren über Deutschland fegte, war also kein Vorbote des Klimawandels, wie oft behauptet wurde – sondern schlicht ein Sturm. Das ist Wetter, und bei der Wetterprognose möchte man wissen, wann welches Tief wo ist. Bei der Klimaprognose betreibt man hingegen Statistik. Man möchte also herausbekommen, ob es beispielsweise zwischen 2071 und 2100 wärmer sein wird als zwischen 1971 und 2000. Aber man will nicht ausrechnen, ob es am 2. Juni 2069 regnet.

Klima ist also quasi mehrere Wetter. Aber macht das die Vorhersage nicht schwieriger?

Zumindest komplexer, denn es geht um Wechselwirkungen der Atmosphäre mit dem gesamten Erdsystem – mit den Ozeanen, dem Gestein, den Eisflächen, der Vegetation und auch dem Menschen, der durch Landnutzung und die Emission von Treibhausgasen auf seine Umwelt einwirkt. Da wir heute nur abschätzen können, wie stark das weltweite Bevölkerungswachstum künftig ist, geben die Klimaforscher keine Prognosen ab, sondern errechnen Szenarien – die je nach Annahme stark variieren. So kommt der UN-Klimarat zu dem Schluss, dass sich die Temperatur bis Ende des Jahrhunderts um 1,1 bis 6,4 Grad Celsius erhöhen wird, wenn der Mensch keinen Klimaschutz betreibt. Das ist eine große Spannweite.

Die Grönländer freuen sich bereits, dass ihr Land wieder grün wird. Hat der Klimawandel also auch Vorteile?

Sicher, wenn die Temperaturen in Europa langsam steigen, dann wächst in England Rotwein, die Skandinavier können auf ihre Saunen verzichten und die Spanier fahren in den Sommerferien an die Ostsee-Küste – weil es bei ihnen zu heiß ist. Afrika und Asien könnten allerdings in Not geraten, wenn sich Wüsten ausbreiten und Kriege um die Ressource Wasser ausbrechen. Der ungezügelte Klimawandel schadet unterm Strich also mehr als er nutzt – es sei denn, wir begrenzen das Ausmaß und gehen mit den Folgen sinnvoll um.

Müssen wir auf Fleisch und Fernreisen verzichten, damit wir weniger CO2 produzieren?

Verbote bringen nichts – das schreckt die Leute nur ab und führt nicht zum Ziel. Stattdessen braucht es viel Information und einen Alltag, der das Klima automatisch schützt. Dabei geht es nicht darum, weniger zu heizen und dann im Kalten zu sitzen – sondern darum, die Häuser besser zu dämmen. Oder darum, die Wohnungen mit Solarstrom zu kühlen. Ein tolles Beispiel dafür ist Masdar-City, die erste CO2-freie Stadt, die bei Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten entsteht. Dort bauen die Ölscheichs ein Bollwerk erneuerbarer Energien in die Wüste – und zeigen, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt haben.

Leben Sie denn auch vorbildlich – wie groß ist Ihr persönlicher CO2-Fußabdruck?

Das weiß ich zwar nicht genau, aber so schlecht kann er nicht sein: Ich fahre nämlich sehr gern Fahrrad und mein Hobby ist das Segelfliegen. Aber wenn es demnächst nach China geht, fliege ich natürlich Linie. Allerdings will ich künftig für die von mir erzeugten Treibhausgase zahlen und damit Klimaschutz-Projekte unterstützen. Das ist sinnvoll – und tut nicht weh.

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