Wirtschaft von oben #102 – Stauseen So dramatisch ist der Wassermangel auf der Krim

Im Simferopolskoe-Stausee fiel der Wasserstand in den vergangenen Jahren deutlich. Quelle: LiveEO/Skywatch

Der Himmel über der Krim ist wie verflucht. Seit Jahren schon sind die Niederschläge in der Region weit unterhalb der Norm. Auch die Ukraine liefert nach der Annexion der Halbinsel durch Russland kein Süßwasser mehr. Nun geht auch in den Stauseen das Wasser zur Neige, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Das führt zu unkonventionellen Methoden und Schuldzuweisungen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Kann man Regen eigentlich vom Himmel herbeischießen? Immer dann, wenn die Verzweiflung besonders groß ist, schlägt die Stunde unkonventioneller Methoden. Der vergangene Herbst auf der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer war einer dieser Momente. Seit Monaten hatte die Region kaum einen Tropfen Niederschlag abbekommen. Da präsentierten die lokalen Machthaber einen kühnen Plan: Ein fliegendes Wetterlabor, eine dreistrahlige Jak42D sowjetischer Bauart, sollte auf ihrem Flug die Wolken über der Halbinsel mit Silberiodid-Patronen beschießen und es so regnen lassen.

Das Vorhaben scheiterte kläglich. Doch mit umgerechnet 120.000 Euro blieb die Steuergeldverschwendung überschaubar vor dem Hintergrund des gewaltigen Wassernotstandes, der sich bereits seit mehreren Jahren in der Region verschlimmert.

Mittlerweile scheint der Himmel über der Krim wie verhext. Sergej Aksjonow, der von Moskau eingesetzte Chef der völkerrechtswidrig annektierten Krim, bezeichnete das Jahr 2020 als das trockenste seit über 150 Jahren. Die Folgen dieser schleichenden Naturkatastrophe lassen sich auf Satellitenbildern von LiveEO, die die zahlreichen Stauseen in der Region zeigen, ablesen. Diese wurden meist noch in Zeiten der Sowjetunion gebaut, um die wachsende Krim-Bevölkerung und die einst florierende Landwirtschaft der Region mit Wasser zu versorgen. Doch seit Jahren schon sinkt der Wasserspiegel immer weiter. Zu erkennen ist das an den immer größer werdenden gelben Rändern um die Stauseen, denn das zurückgehende Wasser legt vermehrt den Seegrund offen. Dort wo noch vor ein paar Jahren das Wasser mehrere Meter tief reichte, erstreckt sich vielerorts eine rostige Marslandschaft.


Besonders hart traf es die rund 330.000 Einwohner der Hauptstadt Simferopol, die seit Monaten nur noch morgens und abends für einige Stunden am Tag Wasser erhalten. Im Februar fiel der Wasserstand im Simferopolskoe-Stausee auf verheerende sieben Prozent.

Aber auch in den Küstengegenden ist die Lage nur wenig besser. In der Region um Jalta, dort wo einst Sowjetherrscher Stalin, US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill auf der berühmten Konferenz im Frühjahr 1945 die Weltordnung für Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg festzurrten, müssen die Einwohner ebenfalls mit Wasser haushalten. Die lokalen Stauseen Zagorskoje und Schastliwinskoje seien nur zu einem Viertel der normalen Mengen gefüllt, meldeten die lokalen Behörden im März. Nur noch stundenweise wurden die Wohnungen mit Wasser versorgt.


Von der Wasserrationierung verschont bleibt bislang noch die größte Stadt der Halbinsel, Sewastopol, Stützpunkt der russischen Schwarzmeer-Flotte. Doch auch der Tschernoretschenskoe-Stausee, aus dem die Stadt mit Süßwasser versorgt wird, ist aktuell nur zu einem Drittel gefüllt.

Insgesamt sind fünf der zwölf wichtigsten Wasserreservoirs der Region so gut wie leer und können nicht mehr angezapft werden.


Die moskautreuen Machthaber der Krim und auch die Propaganda-Maschine der russischen Staatssender haben die Schuldigen längst ausgemacht – und diese sitzen angeblich in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Bevor die Halbinsel von Russland zwar blutlos, aber mit gewaltiger militärischer Drohkulisse an sich gerissen wurde, leitete ein Kanal riesige Mengen Süßwasser vom ukrainischen Festland auf die Halbinsel.

Nach der Annexion konnten sich die Seiten nicht auf eine Fortführung der Wasserlieferungen einigen. Die Wasserleitung versiegte. Tatsächlich jedoch versorgt der Kanal vor allem die auf Bewässerung angewiesenen Agrarbetriebe und die Industrie. Lediglich der Mezhgornoe-Stausee westlich der Regionalhauptstadt Simferopol wurde über eine Rohrleitung aus dem Kanal gespeist und ist nach dem Versorgungsstopp aus der Ukraine bereits 2015 beinahe vollständig ausgetrocknet.


Der tatsächliche Grund für die Wasserknappheit ist die globale Klimaveränderung und die anhaltende Dürre der vergangenen Jahre. Die Stauseen im Süden der Halbinsel Krim bekommen schlicht und ergreifend weniger Zuflüsse, als die umliegenden Städte verbrauchen. Ein weiterer menschengemachter Grund für die Katastrophe ist der marode Zustand der Infrastruktur. Die für die Wasserwirtschaft der Krim zuständigen Behörden schätzen, dass nur 38 Prozent des aus Stauseen entnommenen Wassers überhaupt bei den Verbrauchern ankommt. Der Rest versickert im Boden, tropft und plätschert aus maroden Leitungen. Das Problem hat sich seit 2014 kaum gebessert, weil die neuen Machthaber, wie schon ihre ukrainischen Vorgänger, mit dem Erneuern der maroden Leitungen kaum hinterherkommen. Mindestens zwei Drittel der Wasser-Infrastruktur ist veraltet und muss ausgetauscht werden, schätzen Experten der russischen Akademie der Wissenschaften.

Vor mittlerweile sieben Jahren hatte Russland die ukrainische Halbinsel annektiert und versprach blühende Landschaften. Der Kreml baute neue Kraftwerke und Autobahnen, Eisenbahnstrecken und Flughafenterminals. Doch ausgerechnet beim kostbarsten Gut der Halbinsel, beim trinkbaren Süßwasser, blieben die neuen Machthaber fahrlässig untätig.

Erst seitdem das Problem akut geworden ist, rauchen die Köpfe in den Beamtenstuben auf der Krim und auch im fernen Moskau. Im Herbst hat die Moskauer Regierung ein rund 500-Millionen-Euro teures Programm geschnürt, um das Problem zu lösen. Seitdem werden auf der Insel neue Brunnen gebohrt, Leitungen verlegt und neue Seen und Flüsse für die Wasserentnahme erschlossen. Der Chef der lokalen Regierung träumt sogar bereits von einer Entsalzungsanlage, die zumindest die Touristenstädte an der Küste versorgen könnte. Die Einwohner der Krim hoffen ihrerseits, dass der April in den Bergen entlang der Küste Tauwetter mit sich bringt und die Stauseen endlich frischen Nachschub bekommen. Denn der nächste trockene Sommer kommt bestimmt.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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