Vor ein paar Tagen radelten sie wieder. Radelten an gegen den „Irrsinn“, der aus ihrer Sicht in Berlins Südosten gerade gebaut wird. Demonstranten, darunter die grüne Spitzenkandidatin zur Berliner Landtagswahl, Bettina Jarasch, wählten einen Fahrradkorso, um gegen die A100 zu protestieren, genauer gesagt: gegen den Ausbau des Berliner Stadtrings zwischen den Stadtteilen Neukölln und Treptow.
Der so genannte Autobahnabschnitt 16, obwohl längst im Bau, erregt weiterhin die Berliner Gemüter. Er bewegt den Landes-Wahlkampf, was sich vielleicht schon allein durch ein paar Zahlen erklären könnte: Die gerade einmal etwas mehr als drei Kilometer lange Erweiterung könnte nach jüngsten Prognosen 650 bis 700 Millionen Euro kosten. Wahrscheinlich handelt es sich um die teuerste Straße der Republik; ziemlich sicher ist es die umstrittenste.
Denn das viele Geld ist natürlich nicht alles. Die Verlängerung der A100, die Frage, ob man dafür oder dagegen ist, sie steht für mehr: die Zukunft der Mobilität, die Zukunft der Stadt, die Zukunft des Klimas. Auf den wenigen Kilometern Beton und Asphalt ballen sich Debatten, die es jede für sich schon in sich hätte.
Die Erhitzung hat darüber hinaus damit zu tun, dass es den Ring eigentlich nicht gibt; jedenfalls nicht als vollausgebaute Straße (als S-Bahn sehr wohl, sie verläuft fast parallel). Die Stadtautobahn sieht von oben eher aus wie ein unvollendetes C oder G; sie beginnt im Norden im Wedding nahe des stillgelegten Tegeler Flughafens und zieht sich dann in einer langen Kurve um das, was einmal Westberlin war: Charlottenburg. Schöneberg, Tempelhof, Kreuzberg. Dann ist Schluss. Jedenfalls bisher, zeigen auch die exklusiven Satellitenbilder von LiveEO.
Wie noch immer vieles in der Hauptstadt ist auch der Ring unvollendet.
So sollte es bleiben – sagen die einen. Heutzutage noch eine Autobahn weiter durch dichtbesiedelte Großstadtquartiere zu planen und planieren, sei Irrsinn. Die weitere Fortführung des Rings sogar noch über die Spree, durch den Osten Friedrichshains (weitgehend als Tunnel geplant) bis weiter in die nördlichen Ausläufer Prenzlauer Bergs sei illusorisch, aberwitzig teuer, ein Relikt aus Zeiten, in denen die autogerechte Stadt propagiert wurde. Wäre das Geld nicht besser in hochwertigeren Nahverkehr und breite Radwege investiert?
Doch der Vorwurf der Beton-Ideologie – er kommt umgekehrt auch von der befürwortenden Gegenseite. Von jenen, die argumentieren, dass die nun begonnene Verlängerung der A100 gerade den (wachsenden) Teil der Stadt besser ans Autobahnnetz anschließe, der derzeit durch den neuen Flughafen BER im Südosten besonders unter Staus und verstopften Straßen zu leiden hat.

Oder in den Worten der verantwortlichen Autobahn GmbH des Bundes: „Nach Fertigstellung der A100 sind die östlichen Bezirke Berlins besser an den mittleren Straßenring und an die A113 angebunden. Die Erreichbarkeit des Flughafens Berlin Brandenburg und des Wissenschaftsstandorts Adlershof sowie die weiträumigen Verbindungen nach Dresden, Cottbus und Frankfurt/Oder werden dadurch wesentlich verbessert.“
Für den Bauabschnitt 16 kreisen längst die Kräne, aus der einst geplanten Fertigstellung 2022 ist dennoch längst 2024 geworden. Dem Engagement von Bürgerinitiativen und der politischen Gegner tut das keinen Abbruch.
Genehmigt wurde der derzeitige Ausbau 2011 vom damaligen schwarz-roten Senat. Die amtierende rot-rot-grüne Landesregierung aber lehnt den weiteren Ausbau ab. Allerdings ist mittlerweile grundsätzlich der Bund für Planung, Bau und Finanzierung der Bundesautobahnen zuständig. Bisher will er am weiteren Ausbau festhalten. Doch ob der anschließende Bauabschnitt 17 gen Norden über die Spree noch jemals begonnen wird – höchst unwahrscheinlich.
Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.