Wirtschaft von oben - #14 Fukushima Hier will Japan radioaktives Wasser ins Meer leiten

Acht Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hat ein japanisches Gericht drei frühere Top-Manager des Energiekonzerns Tepco von der Verantwortung für die Nuklearkatastrophe freigesprochen. Nun will der Betreiber auch noch radioaktives Wasser ins Meer leiten. Exklusive Satellitenbilder zeigen, welche Berge von Strahlen-Müll sich rund um die Reaktoren inzwischen angesammelt haben. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.


Säcke und Tanks, so weit das Auge reicht: Aus dem All betrachtet gleicht das Gebiet rund um das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima Daiichi einer gigantischen Lagerstätte. Aber das Material, das Arbeiter hier Tag für Tag stapeln, ist Sondermüll der übelsten Art: Erde und Wasser, radioaktiv verseucht und giftig für Lebewesen aller Art.

Acht Jahre, nachdem ein 15,7 Meter hoher Tsunami über die japanische Küste herbrach, 18000 Menschen tötete und drei Blöcke des Kernkraftwerks Fukushima zu einer Kernschmelze brachte, ist die Unglücksstelle immer noch ein Katastrophengebiet. 154000 Menschen sind nach dem Unglück evakuiert worden. Rund um das zerstörte Kraftwerk ist bis heute eine Sperrzone eingerichtet. Vielerorts ist die Strahlung noch gesundheitsgefährdend.

Für viele Bewohner der Region ist darum das Urteil, das das Tokioter Landgericht am Donnerstag verkündete, ein Skandal: Die Richter haben drei frühere Top-Manager des Kraftwerksbetreibers Tokyo Electric Power (Tepco) für nicht schuldig erklärt. Die Anwälte der Anklage hatten fünf Jahre Haft gefordert, der Vorwurf: Fahrlässige Katastrophenvorsorge.

Der Freispruch stieß bei Kernkraftgegnern auf Unverständnis. Das Potenzial eines 15-Meter-Tsumanis sei vorhersehbar gewesen, kommentierte die Umweltorganisation Greenpeace. Aus finanziellen Gründen habe Tepco keine Vorsorge getroffen. So war der Schutzwall an der Küste vor dem Kernkraftwerk zehn Meter niedriger als die Flutwelle, die 2011 das Kraftwerk zerstörte.

Unterdessen wächst rund um die Ruine eine Müllhalde aus strahlendem Wasser und Erdreich, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Und das wird für den Kraftwerksbetreiber Tokyo Electric Power (Tepco) zunehmend zum Problem. Mit jedem Tank kontaminierten Wassers, der dazu kommt, wird der Platz knapper. Im Sommer 2022, so der Betreiber, sei das Lager voll. Sogar der japanische Umweltminister Yoshiaki Harada sieht keine Alternative: Das Wasser müsse ins Meer geleitet werden, sagte er vergangenen Dienstag auf einer Pressekonferenz. „Es gibt keine andere Lösung.“

Das kontaminierte Wasser, das Tepco nun zum Problem wird, stammt aus zwei Quellen: Zum einen dringt Wasser, mit dem die geschmolzenen Kernbrennstoffe in den Reaktoren gekühlt werden und das dabei radioaktive Stoffe aufnimmt, über Lecks in die Maschinenhallen und wird dort abgepumpt. Zum anderen sickert Grundwasser in die Reaktorgebäude und wird dabei ebenfalls verstrahlt.

Dabei hatte Tepco großen Aufwand betrieben, um Grundwasser möglichst von den Reaktorblöcken fernzuhalten. Wichtigstes Mittel: Ein 1,5 Kilometer langer Wall aus Permafrost rund um die Reaktoren. Ab Mitte 2014 trieben Arbeiter dazu in einem Abstand von etwa einem Meter Gefrierrohre in bis zu 30 Metern Tiefe in den Boden.

Eine Salzlauge, minus 30 Grad kalt, fließt rund um die Uhr durch diesen gigantischen Kühlkreislauf, um das Erdreich einzufrieren, so dass kein Wasser mehr hindurchfließen kann. 30 Kühlaggregate mit einer Leistung von jeweils 261 Kilowatt erzeugen dazu die Kälte. Das entspricht ungefähr der Leistung von 50000 Kühlschränken.

Doch der Eiswall hilft nur bedingt. Immer noch fließen Tag für Tag 100 Tonnen Wasser in die Reaktoren. Pumpen saugen es ab und leiten es in Aufbereitungsanlagen weiter. Dort wird es mit Hilfe von Filtern zum größten Teil von den besonders radioaktiven Stoffen gereinigt, darunter Cäsium und Strontium.

Zerstörte Reaktorgebäude

Doch für Tritium, ein radioaktives Isotop des Wasserstoffs, gibt es keine Filtermethode. Darum muss Tepco das Wasser in Tanks zwischenlagern. Bis zu zehn Meter hoch sind die Behälter, die Arbeiter vor Ort aus mehreren Teilen zusammenschrauben. Zehn Tage dauert es, bis einer davon gefüllt ist und bis zu 1200 Tonnen Wasser fasst. 1000 Stück sind inzwischen voll - zusammen fassen sie eine Millionen Tonnen radioaktiven Wassers.

Bald gibt es keinen geeigneten stabilen Untergrund mehr, um neue Tanks aufzustellen. Darum bringt die japanische Regierung nun den Plan ins Gespräch, das Wasser ins Meer zu leiten. Tritium gilt als nur leicht radioaktiv - verdünnt mit großen Mengen zusätzlichen Wassers, so behaupten Experten, werde das Wasser im Meer harmlos sein.

Nicht alle sehen das so. Lokale Fischer etwa protestieren: Gerade erst haben sie langsam wieder das Vertrauen der Kunden gewonnen, die lange den Fisch aus der Region verschmähten. Schließlich war direkt nach der Kernschmelze viel radioaktives Wasser ins Meer geflossen. Sollte sich das nun wiederholen, werden die Menschen Fisch aus Fukushima wieder ablehnen, fürchten sie.

Darum kursiert ein Alternativplan unter japanischen Atomkraft-Kritikern: Tepco solle wenige riesige Tanks aufstellen, wie sie in Ölraffinerien genutzt werden. Zehn Stück davon könnten reichen, das bis heute gelagerte Wasser über Jahrzehnte aufzubewahren. Tritium hat eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren - es hat nach dieser Zeit also die Hälfte seiner Strahlung abgebaut. Nach 123 Jahren wäre es nur noch ein Tausendstel so radioaktiv wie heute.

Aber wie lange werden die Tanks dicht halten? Und was passiert bei einem Erdbeben? Viele Fragen bleiben offen. Zumal Tepco noch ein weiteres Problem hat: Die verstrahlte Erde aus der Sperrzone. Rund 70000 Arbeiter in Schutzanzügen haben in den Jahren nach der Katastrophe die obere Bodenschicht in großen Gebieten abgetragen und zusammen mit Gras, Ästen und anderem verseuchten Material in schwarze Säcke gepackt.

Die lagern nun aufeinander gestapelt in riesigen Halden unweit des Katastrophen-Kraftwerks. Bis 2021 sollen 14 Millionen Kubikmeter zusammengekommen sein. Zusammen ergäben sie einen Würfel mit einen Kantenlänge von 241 Metern - so hoch wie der Düsseldorfer Fernsehturm.

2045 soll dieser strahlende Müll abtransportiert werden, damit die Gegend wieder bewohnbar werden kann. In welches Endlager der Müll aber gelangen soll - das ist noch völlig offen. Mit Fukushima und den Folgen, scheint es, wird Japan noch über Generationen hinweg zu tun haben.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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