Wirtschaft von oben #147 – Russland Diese deutschen Werke in Russland stehen vor einer ungewissen Zukunft

Mitte 2020 stehen die Parkplätze rund um das VW-Werk in Kaluga voll mit Neuwagen. Die Lage hat sich massiv verändert für den deutschen Autokonzern, aber noch produziert er weiter. Quelle: LiveEO/Skywatch

Für die deutsche Wirtschaft insgesamt ist Russland unbedeutend. Doch vor Ort hatten vor allem deutsche Unternehmen massiv in Produktionsanlagen investiert, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Mit dem Ukraine-Krieg brechen diese Beziehungen nun wohl ab. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Während Russlands Armee weiter in die Ukraine vorrückt und offenbar der groß angelegte Angriff auf die Hauptstadt Kiew bevorsteht, brechen auch bei deutschen Managern in Russland einige Weltbilder zusammen. Lange Zeit hatten deutsche Unternehmen eine der längsten Erfolgsgeschichten des russischen Kapitalismus geschrieben – und mehr als 25 Milliarden Euro investiert. Sie bauten Montagehallen, Fabriken, Großfarmen und Supermärkte, wie exklusive Satellitenbilder zeigen.

Auch als sich der Sanktionsdruck des Westens gegenüber Russland erhöhte, nahm die deutsche Wirtschaft Russland in Schutz. Sanktionen seien der falsche Weg, um Russland zum Dialog zu bewegen, so eine weit verbreitete Sichtweise bei deutschen Managern in Russland. Gerade einmal drei Jahre ist es her, dass die deutsche Außenhandelskammer in Moskau Sanktionen gegen die USA forderte, als Donald Trump Nord Stream 2 lahmzulegen drohte.

Nun ist nicht nur die Pipeline obsolet, auch die Stimmung der deutschen Wirtschaftsvertreter in Russland ist gekippt. Mehrere deutsche Wirtschaftsmanager berichten, ohne ihren Namen nennen zu wollen, dass sie vorübergehend das Land verlassen wollen. Zu ungewiss ist die Zukunft in Russland. Zu gravierend der Einschnitt, den der russische Krieg verursacht hat.

Reibereien gab es zwar schon vor der jetzigen Eskalation. Zunehmender Protektionsmus, restriktive Regeln wie die jüngst eingeführten regelmäßigen sehr umfangreichen Gesundheitschecks für ausländische Angestellte und der anschwellende Streit mit dem Westen ließ den Unmut der deutschen Wirtschaft wachsen. Seit 2011 ist die Anzahl aktiver deutscher Unternehmen und ihrer Niederlassungen in Russland von 6300 auf rund 3500 gesunken. Aufgrund des rauen Geschäftsklimas packten immer mehr Unternehmen ihre Koffer.

Doch mit dem Krieg in der Ukraine stehen nun für die Deutschen, die geblieben sind, viele Jahre der Aufbauarbeit im Feuer. Einer der Musterknaben unter den deutschen Investoren in Russland ist der Automobilkonzern Volkswagen. Seit 2006 haben die Wolfsburger mehr als zwei Milliarden Euro in ein Werk bei Kaluga gesteckt. Zur Einweihung war Präsident Wladimir Putin 2009 noch persönlich zu Gast. Rund 4000 Mitarbeiter fertigen in dem Werk den Volkswagen Polo und den Skoda Rapid. Der Konzern baute ein eigenes Motorenwerk und zog zahlreiche Zulieferer aus dem Ausland mit sich nach Russland.


In der aktuellen Krise hatten die Wolfsburger zunächst einen Krisenstab eingerichtet, der die Auswirkungen der Situation auf das Geschäft in Russland und auch in der Ukraine beurteilte. Man hoffe auf eine Rückkehr zur Diplomatie und habe den russischen Einmarsch mit „Sorge und Betroffenheit“ zur Kenntnis genommen, hieß es aus dem Unternehmen. Das Werk in Kaluga laufe zwar weiter, der Import von Neuwagen aller Konzernmarken aus dem Ausland sei aber gestoppt worden. Am Donnerstag, also eine Woche nach Ausbruch des Krieges, stellte der Konzern dann alle seine Geschäfte in Russland ein.

Eine der größten Sorgen der russischen Autobauer sind mögliche Sanktionen, die den Import von Komponenten wie Halbleiterchips betreffen könnten. Schon im vergangenen September musste Volkswagen seine Produktion in Russland wegen Engpässen bei Chiplieferungen drosseln. Vor allem die USA haben das Verbot von Hightech-Exporten nach Russland ins Gespräch gebracht. Die Vereinigten Staaten „könnten auch andere Hersteller in Taiwan oder Südkorea unter Druck setzen, nicht nach Russland zu liefern“, sagt ein Manager eines internationalen Autokonzerns in Russland.

Ein weiterer deutscher Hersteller, der den Sprung nach Russland gewagt hat und sich der politischen Unterstützung aus dem Kreml erfreute, ist Daimler. Etwa 1000 Menschen arbeiten in dem Werk des Unternehmens in Jessipowo, rund 40 Kilometer vor Moskau. Anders als Volkswagen ist Mercedes lokal noch nicht so stark verankert. Das wohl größte Risiko für den Betrieb ist also neben den Importverboten auch der Verfall der russischen Landeswährung, da ein Großteil der Komponenten aus dem Ausland eingeführt werden muss. Die russische Wirtschaftszeitung „Kommersant“ schrieb vor wenigen Tagen, dass Mercedes einer von mehreren europäischen Herstellern war, der wegen der aktuellen Währungsrisiken zumindest den Import von Pkw vorübergehend unterbrochen hat. Innerhalb der vergangenen Woche hat die russische Landeswährung rund 25 Prozent ihres Werts verloren.


Gleichzeitig hat sich Mercedes bereits früher schon an Sanktionen die Finger verbrannt. Bis 2020 wurde etwa in dem GAZ-Werk in Nischni Nowgorod der Mercedes Sprinter montiert. Nachdem der Eigentümer Oleg Deripaska, ein Oligarch aus Putins näherem Umfeld, auf die Sanktionsliste der USA geriet, musste die Produktion eingestellt werden.

BMW hat wenige Tage vor der russischen Offensive gegen die Ukraine noch einen Vertrag mit seinem russischen Partner Avtotor bis 2028 verlängert. Am Dienstagabend stellte der Münchener Autobauer aber nach eigenen Angaben sowohl die Produktion in Russland als auch Exporte in das Land vorerst ein. In Kaliningrad baut Avtotor vor allem in Russland beliebte Geländewagen wie den X5 und den X7 aus Einzelteilen zusammen, die BMW ins Land schickt. Indem der Konzern keine fertigen Karossen importiert, umgeht er hohe Einfuhrzölle.

Bei Claas in Krasnodar läuft die Produktion hingegen unvermindert weiter. In Russland fertigt das Unternehmen Mähdrescher in einem Werk mit etwa 800 Mitarbeitern. Gleichzeitig unterhält Claas auch eine Niederlassung in Kiew mit etwa 40 Mitarbeitern die hauptsächlich für Service und Vertrieb zuständig ist. Zu der Investition in Russland hat sich Claas seinerzeit entschlossen um auf dem russischen Markt mitmischen zu können. Um die heimischen Hersteller zu stützen, subventioniert der Kreml die Anschaffung von Landtechnik aus russischer Produktion, auch Claas profitiert durch die eigene Produktion vor Ort von dieser Regelung.


Zu möglichen Auswirkungen des Kriegs, so ein Sprecher, wolle das Unternehmen nicht spekulieren, da momentan nur theoretische Überlegungen angestellt werden könnten. Sanktionen könnten jedoch auch Claas empfindlich treffen: Zum einen ist die Rosselkhozbank, Russlands Förderbank für die Landwirtschaft einer der wichtigsten Geldgeber für die Anschaffung von Landmaschinen in Russland. Gleich am ersten Tag des Kriegs mit der Ukraine wurde die Rosselkhozbank auf die Liste der von den USA sanktionierten russischen Banken gesetzt.

Andere Länder dürften diesem Beispiel folgen. Auch könnten die Sanktionen die weiteren Pläne, die Produktion von Claas in Russland zu vertiefen, aufs Spiel setzen. So hatte etwa der russische Lastwagenhersteller Kamaz zuletzt eine Partnerschaft mit Claas geschmiedet. Demnach könnten russische Motoren in den Claas-Mähdreschern zum Einsatz kommen. Gleichwohl befindet sich Kamaz als Tochter der staatlichen Rostei-Holding nun auch in der Risikozone für Sanktionen. Daimler Truck hat bereits angefangen, seine eigenen Verbindungen zu Kamaz zu kappen. Seit Beginn der Woche ist die gemeinsame Produktion gestoppt. Der Lkw-Bauer hat seine beiden Vertreter aus dem Kamaz-Verwaltungsrat abgezogen – und prüft laut dem „Handelsblatt“, wie er seine Beteiligung an dem russischen Unternehmen loswird. Kamaz stellt auch russisches Kriegsgerät her.

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Mitarbeit: Jannik Deters

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