Wirtschaft von oben #152 – Neom Neom soll Saudi-Arabien den Weg aus dem Ölzeitalter ebnen – um jeden Preis

Die geplante Metropole Neom soll zum globalen Wasserstoffzentrum werden. Rund um Neom sind in den vergangenen Monaten gewaltige Arbeitercamps erwachsen. Quelle: LiveEO/Skywatch

Die geplante Metropole Neom soll zum globalen Wasserstoffzentrum werden. Satellitenbilder zeigen, wie die saudische Regierung Ortschaften des dort heimischen Howeitat-Stammes abreißt, um Platz für die Stadt vom Reißbrett zu machen. Und unweit eine riesige Anlage zur Wasserstoffgewinnung mit Thyssen-Krupp baut. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Saudi-Arabiens Königshaus macht nach Jahren der Ankündigungen offenbar Ernst mit dem Bau von Neom – einer geplanten Megacity der Zukunft und Wasserstoffhauptstadt der Welt. So zeigen neueste Satellitenaufnahmen, dass Bauarbeiter mehrere Ortschaften nördlich des Flughafens von Neom in den vergangenen Monaten abgerissen haben. Auch sind zehn Autominuten entfernt den Aufnahmen von LiveEO zufolge riesige Bettenburgen für Arbeiter entstanden, die die zukünftige Metropole bauen sollen. Und einige Kilometer südlich entsteht seit wenigen Tagen das erste Wasserstoff-Milliardenprojekt.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman hatte das Vorhaben Neom schon 2017 der Öffentlichkeit präsentiert. Es soll Saudi-Arabien den Weg aus dem Ölzeitalter hinein ins Zeitalter der erneuerbaren Energien ebnen. Dafür ist ein 26.000 Quadratkilometer großes Areal am nördlichen Ufer des Roten Meeres reserviert.

Vor einiger Zeit hatten Satellitenaufnahmen dort nur gezeigt, dass ein neuer Königspalast mit Villen und ein Golfplatz sowie ein Flughafen entstanden sind. Von der grünen Wasserstoffzukunft oder Solaranlagen noch keine Spur.



Jetzt allerdings wurden mehrere Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht. Auf Satellitenbildern des Ortes Scharma von vor zwei Jahren sind beispielsweise Hunderte ummauerte Wohnhäuser zu erkennen, wie sie typisch für die Region sind, sowie ein Hospital.

Inzwischen sind fast alle Gebäude und Mauern verschwunden, die früheren Wohngrundstücke von Wüstensand bedeckt. Die saudische Regierung hat die Einwohner zwangsumgesiedelt. Wohin, ist den Aufnahmen nicht zu entnehmen.


Nicht anders ist es offenbar den Einwohnern des Nachbarortes Alkhuraybah gegangen, der nordwestlich von Scharma liegt. Auch hier zeigen aktuelle Aufnahmen, dass sich die Zahl der Häuser in den letzten Monaten nach und nach reduziert hat, inzwischen nur noch vereinzelte stehen.

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Im April 2020 hatten saudische Sicherheitskräfte hier den Aktivisten Abdul-Rahim Al-Howaiti erschossen, als der gegen die Zwangsumsiedelung der Anwohner von Alkhuraybah protestierte und sich weigerte, sein Haus zu verlassen. Das hatte bei Kritikern des Landes Entsetzen ausgelöst. 


In der Gegend lebten bisher vor allem Angehörige des Howeitat-Stammes, der auch die Halbinsel Sinai und Teile Jordaniens bevölkert. Der britische Offizier, Archäologe, Geheimagent und Schriftsteller T.E. Lawrence, auch als Lawrence von Arabien bekannt, hatte einst während des ersten Weltkrieges mit den Stammesältesten der Gegend kooperiert.

Heute sind es auch Deutsche, die hier Geschäfte machen. Am vergangenen Dienstag fand die Grundsteinlegung für eine fünf Milliarden Dollar teure Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff statt, an der neben dem US-Unternehmen Air Products auch die Elektrolyse-Tochter von Thyssen-Krupp, Thyssen-Krupp Uhde, beteiligt ist. Die Anlage entsteht Geodaten des Unternehmens zufolge in unmittelbarer Nähe zum Tiefseehafen Duba, ungefähr 65 Kilometer südlich vom Königspalast, dem bisherigen Herzen von Neom. Das Vorhaben wird von Ex-RWE-Chef Peter Terium geleitet, der die Energiesparte von Neom aufbauen soll. Über den Tiefseehafen soll das grüne Gas ab 2026 exportiert werden.


Zudem sind in den vergangenen Monaten rund um Neom gewaltige Arbeitercamps erwachsen. Beispielsweise am Tiefseehafen. Aber auch ein paar Autominuten von Scharma entfernt, landeinwärts hinter einer felsigen Hügelkette.

Hier stehen inzwischen Hunderte zweistöckige Wohnbaracken sowie dazugehörige Fußballplätze. Ein einziges Camp soll arabischen Medienberichten zufolge bis zu 10.000 Arbeiter beherbergen.


Allerdings gibt es auch Kritik an den Wohnverhältnissen in den Camps. Menschenrechtler bemängeln, dass bis zu sechs Arbeiter, die häufig aus Pakistan und Indien kommen, auf engstem Raum zusammengepfercht werden. Die Organisation FairSquare schrieb in einem Bericht, dass saudische Bürger die Arbeit auf dem Bau als unter ihrer Würde betrachten, daher Billigarbeitskräfte aus dem Ausland in Neom eingesetzt würden. Megaprojekte wie dieses seien ohne eine gewaltige Zahl an Arbeitern mit niedrigem Einkommen nicht umsetzbar, so der Bericht weiter.

Dennoch sind Deutschland und Europa künftig wohl oder übel auf den grünen Wasserstoff aus Neom angewiesen, wenn sie ihre Klimaziele mittelfristig erreichen wollen, ohne die eigene Wirtschaft lahmzulegen. Erst recht, seit Russland mittel- bis langfristig als Lieferant von Erdgas ausfällt. Die neue Wasserstoffproduktion, die nun in Neom gebaut wird, soll 2026 das erste grüne Gas exportieren. Dieses wird sich aufgrund der billigen Sonnenenergie in Neom zu deutlich wettbewerbsfähigeren Preisen herstellen lassen als beispielsweise in Deutschland.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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