Wirtschaft von oben #156 – Ökostrom vom Golf Wo eine Kilowattstunde Grünstrom nur zwei Cent kostet

Nahe Dubai entsteht das größte Solarkraftwerk der Welt. Die politisch Verantwortlichen in der Region liefern sich ein Wettrennen um den Ausbau grüner Energien. Quelle: LiveEO/Sentinel

Erdöl und Erdgas haben Nordafrika und die Golfstaaten reich gemacht. Nun will die Region Lieferant erneuerbarer Energien werden; der Ukrainekrieg beschleunigt den Trend noch. Exklusive Satellitenbilder zeigen den massiven Ausbau von Windkraft und Solaranlagen in der Region. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Der Plan schien erst visionär, dann größenwahnsinnig. Gut zehn Jahre ist es her, dass deutsche und europäische Energie- und Industriekonzerne sowie Großbanken mit ihrer Desertec Industrial Initiative die schier unerschöpflichen Mengen an grünem Strom aus Nahost und Nordafrika für die Energiewende erschließen wollten. Ex-Siemens-Chef Peter Löscher sprach gar vom „Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts“. Eine halbe Billion Euro hätte bis 2050 in das Projekt fließen sollen und es zum größten globalen Projekt der Energiebranche gemacht. Bis die Pläne platzten, die Träume der meisten Beteiligten zerstoben. 2014 zog sich ein Großteil aus dem Projekt zurück. Die Desertec-Vision schien gescheitert.

Schien. Denn heute sind die Ideen von damals aktueller denn je, wie exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO zeigen. In Ländern wie Ägypten, Oman oder den Vereinigten Arabischen Emiraten stemmen staatliche und private Kraftwerksbetreiber einen Milliarden-Dollar-Aufwand für neue Kraftwerke und nachhaltige Stromerzeugung.

Rund 325 Millionen US-Dollar, umgerechnet gut 300 Millionen Euro, investierte etwa das Unternehmen Lekela Power seit 2019 in den Bau der West Bakr Wind Farm, einer 252-Megawatt-Windkraftanlage rund 230 Kilometer südöstlich von Kairo direkt am Golf von Suez gelegen.


Auf den Satellitenfotos ist zu sehen, wie die langen Reihen der insgesamt 96 Windräder sich wie gigantische Finger von der Küste aus ins Land hinein erstrecken. Die erste der vom Anlagenbauer Siemens Gamesa gelieferten Windturbinen wurde Ende 2020 installiert, seit November 2021 läuft der kommerzielle Betrieb. Anfang März dieses Jahres wurde das Projekt offiziell eingeweiht. Rund 1000 Gigawattstunden Strom soll der Windpark pro Jahr liefern. Genug um zwei mittlere Kupferhütten oder mehr als 350.000 Haushalte mit Energie zu versorgen.

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Grund für den radikalen Kurswechsel, der den vermeintlich schon abgeschriebenen Desertec-Plänen neue Dynamik verleiht, sind der immer drängendere Klimawandel und die Notwendigkeit für viele westliche Staaten – allen voran Deutschland –, sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu befreien.

Dabei ist klar: Der Umbau der Stromversorgung in den Industriestaaten hin zu erneuerbaren Energiequellen und der Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft lassen sich nur erreichen, wenn Nordafrika und die Golfregion die nötige Energie liefern. „Vor zehn Jahren galt Desertec vor allem als Mittel zur Stromversorgung für Europa“, sagt Paul van Son, einst Chef der Desertec Industrial Initiative und heute Präsident des daraus hervorgegangenen Think Tanks DII Desert Energy. „Heute hingegen bekommt das Thema im Kontext des Klimawandels und der Wasserstoffwirtschaft mehr denn je Gewicht.“ Die immensen Mengen an nachhaltig erzeugtem Wasserstoff oder an Methan, ohne die der nachhaltige Umbau von Europas Industrie nicht gelingt, sie werden zum größten Teil mit Wind- und Sonnenstrom aus Nordafrika und Nahost erzeugt werden müssen.



Angst vor Verwerfungen wie nach der Lehman-Pleite

Dabei wird der erfolgreiche Umbau der Energiewirtschaft für die Abnehmer der nachhaltig erzeugten Energie mindestens so existenziell wie auch für deren Lieferanten. Denn die Staaten der Region, deren Wohlstand bisher zu großen Teilen auf dem Verkauf von Erdöl und Gas basierte, brauchen dringend ein neues Geschäftsmodell: Wenn sich die fossile Energiewelt zunehmend in eine Wasserstoffwirtschaft wandelt, könnten in der Region ökonomische und politische Verwerfungen drohen, vergleichbar mit der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite, mahnt van Son.

Das ist auch den politisch Verantwortlichen in der Region längst klar. Sie liefern sich ein Wettrennen um den Ausbau grüner Energien. Bis zu 200 Milliarden Euro Umsatzpotenzial, hat die Unternehmensberatung Roland Berger bereits Ende 2021 berechnet, könnte es der Region bringen, wenn die Wüste auf diese Weise ergrünte. Dazu kämen rund eine Million neuer Arbeitsplätze.

Ebenfalls Anfang 2022 offiziell eingeweiht und mit einer installierten Leistung von 500 Megawatt doppelt so leistungsstark wie West Bakr ist der Solarpark Ibri II, rund 100 Kilometer Luftlinie westlich von Omans Hauptstadt Maskat gelegen. Das Projekt mit einem Investitionsvolumen von gut 400 Millionen Dollar hatten der saudi-arabische Energie- und Wasserversorger Acwa Power und der kuwaitische Projektentwickler Alternative Energy Projects seit Herbst 2020 errichtet und bereits im vergangenen November technisch in Betrieb genommen.


Herzstück der Anlage ist ein etwa 13 Quadratkilometer großer Solarpark aus rund 1,5 Millionen Solarpanelen, der sich rund zwei Kilometer westlich der technischen Betriebsgebäude in der Wüste erstreckt. Damit ist das Solarfeld etwas größer als der Ederstausee in Nordhessen. Aufs Jahr gerechnet soll Ibri II rund 1600 Gigawattstunden Strom aus Sonnenkraft liefern und gegenüber konventionellen Kraftwerken 340.000 Tonnen CO2-Emissionen einsparen.

Bis 2025 will Oman mindestens zehn Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen decken und den Anteil bis 2040 auf bis zu 40 Prozent steigern. Die Aufträge für das nächste große Solarprojekt, die Sonnenkraftwerke Manah 1 und 2, sollen noch 2022 vergeben werden und mit einer kombinierten Leistung von einem Gigawatt spätestens im vierten Quartal 2024 in Betrieb gehen. Das entspräche knapp einem Viertel der Leistung des derzeit größten Kohlekraftwerks Deutschlands in Grevenbroich-Neurath am Niederrhein mit rund 4,2 Gigawatt installierter Bruttoleistung.

Das größte Sonnenergieprojekt der Welt

Dessen Leistungsfähigkeit soll der riesige Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park sogar noch deutlich übertreffen. Der Park entsteht seit dem Jahr 2013 nahe Dubai. Bis 2030 soll die Anlage, deren fünfter Bauabschnitt derzeit errichtet wird, eine Gesamtleistung von fünf Gigawatt erreichen. Damit ist der Solarpark aktuell das größte Sonnenenergieprojekt weltweit.

Die Anlage ist Teil der Pläne, die Energieerzeugung in Dubai bis 2050 zu mindestens drei Vierteln auf erneuerbare Quellen umzustellen. 2020 stammten sieben Prozent der Stromerzeugung Dubais aus Wind- und Sonnenstrom, aktuell sind es gut elf Prozent.


Der Mohammed bin Rashid Al Maktoum Solar Park ist nicht bloß wegen seiner Größe bemerkenswert. Außergewöhnlich ist auch die Kombination der dort genutzten Erzeugungstechnologien, die auf dem riesigen Baugelände in den vergangenen Jahren in mehreren Bauetappen von West nach Ost installiert wurden. Denn während der Großteil der Solarkraftwerke in Nordafrika und der Golfregion inzwischen allein auf Fotovoltaik setzt, basiert die Stromerzeugung beim vierten, 700 Megawatt umfassenden Projektabschnitt in Dubai im Wesentlichen auf Solarthermie. Dabei wird Sonnenwärme genutzt, um geschmolzenes Salz zu erhitzen und damit über Generatoren Turbinen zu betreiben.

Der Konzentrator fürs Sonnenlicht, auf den die Wärme aus dem Licht gebündelt wird, befindet sich an der Spitze eines Solarturms, der mit gut 262 Metern Höhe aktuell der höchste der Welt ist. Weil sich die Hitze zeitweise speichern lässt, kann Modul 4 der Anlage auch bis in die Nacht hinein noch über Stunden Strom liefern. Dieser Vorteil kompensiert die deutlich höheren Erzeugungskosten der Solarthermie.

Denn der Strom aus Solarthermie ist in Dubai mit etwa 7,3 Cent pro Kilowattstunde fast dreimal so teuer wie der Fotovoltaikstrom aus dem jüngsten, fünften Bauabschnitt der Anlage (2,5 Cent je Kilowattstunde). Trotzdem liegt auch die Solarthermie aus Dubai in etwa auf dem Preisniveau deutscher Steinkohlekraftwerke. Deren Kosten je Kilowattstunde liegen zwischen 6,3 und 9,9 Cent; Braunkohlestrom kostet in Deutschland zwischen 4,6 und knapp acht Cent.

Eine Kilowattstunde Grünstrom unter zwei Cent

Unterdessen fallen die Kosten für Solarstrom immer weiter. So produziert das Solarthermiekraftwerk in Dubai Strom bereits rund 25 Prozent günstiger als die solarthermische Anlage Noor im marokkanischen Ouarzazate, die bisher als eine der größten ihrer Art überhaupt gilt. Fotovoltaikstrom lässt sich dank immenser Leistungssprünge unter günstigsten Umständen in der Region sogar schon für weniger als zwei Cent je Kilowattstunde produzieren, so Berechnungen von DII Desert Energy. Windkraft kostet nur noch zwei bis drei Cent.

Da fallen auch die zunächst noch etwas höheren Anschaffungskosten für die CO2-freie Stromerzeugung nicht mehr allzu sehr ins Gewicht. Insgesamt hat der Solarpark bei Dubai ein geplantes Investitionsvolumen von umgerechnet rund 13,6 Milliarden Dollar. In die Erweiterung des Braunkohlekraftwerks in Grevenbroich-Neurath um zwei, je 1,1 Gigawatt leistende Kraftwerksblöcke hat Betreiber RWE gut 2,6 Milliarden Euro gesteckt. Die Technik für den Solarpark in Dubai ist damit in der Errichtung noch doppelt so teuer wie die für den deutschen Braunkohlemeiler.

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Doch dafür kostet jede Kilowattstunde Sonnenenergie anschließend in der Produktion nur noch ein knappes Drittel des Kohlestroms aus dem rheinischen Revier. Und der wird durch die absehbar steigenden Ausgaben für seinen CO2-Ausstoß von jährlich rund 32 Millionen Tonnen künftig immer teurer. Der Solarpark in Dubai hingegen soll künftig gegenüber fossilen Kraftwerken mehr als 6,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr einsparen.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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