Wirtschaft von oben #160 – Russische Rüstungsindustrie Hier beliefert Abramowitschs englischer Stahlkonzern Putins Panzerbauer

Mehrere Kampfpanzer stehen hier zwischen den Fabrikhallen des Panzerbauers Uralwagonsawod in Nischni Tagil, Oblast Swerdlowsk, Russland. Quelle: Google Earth/Maxar

Das russische Unternehmen Uralwagonsawod ist der größte Panzerhersteller der Welt, baut aber auch Eisenbahnwaggons. Satellitenbilder zeigen, dass das Werk unmittelbar neben einem Stahlwerk des Londoner Konzerns Evraz liegt. Kommt auch das Metall für die Waffen von dort? „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Vor ein paar Tagen erst hatte der staatliche russische Panzerbauer Uralwagonsawod in der Industriestadt Nischni Tagil einen Zug auf die Reise geschickt, vollbepackt mit nagelneuen T-90M Kampfpanzern, die in Richtung Frontlinie von Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine rollten. Russischen Medien zufolge spielte bei Abfahrt Marschmusik, ein Geistlicher segnete das Kriegsgerät. Uralwagonsawod gilt mit rund 30.000 Mitarbeitern als weltgrößter Hersteller von Kampfpanzern.

Aktuelle Satellitenbilder deuten auf enge Verbindungen des russischen Panzerbauunternehmens mit dem international tätigen Stahlkonzern Evraz hin, der in Nischni Tagil ein riesiges Stahlwerk betreibt. Evraz ist eine britische Gesellschaft und an der Londoner Börse notiert. Hinter dem Konzern, der rund um den Globus 70.000 Mitarbeiter beschäftigt, stehen die inzwischen mit Sanktionen belegten russischen Oligarchen Roman Abramowitsch und Alexander Abramow. Die britische Regierung bezeichnete das Unternehmen zuletzt als „strategisch signifikant für die russische Regierung“.



Dass Evraz in den vergangenen Jahren Metall an Uralwagonsawod geliefert hat, geht zweifelsfrei aus Geschäftsberichten und Mitteilungen des Konzerns hervor. Medienberichten zufolge vermutet die britische Regierung, dass das Unternehmen dabei auch Stahl für die Panzerproduktion bereitgestellt hat. Evraz bestreitet auf Anfrage der WirtschaftsWoche, das russische Militär mit Stahl beliefert zu haben, der militärisch eingesetzt werden kann. Die Produkte würden nur für zivile Zwecke verwendet. Uralwagonsawod produziert am Standort nicht nur Panzer, sondern auch Eisenbahnwaggons und Maschinen für den Straßenbau.

Die Satellitenaufnahmen von LiveEO machen jedoch klar, dass der Verdacht der britischen Regierung durchaus nahe liegt. Nicht nur befinden sich die Fabriken beider Unternehmen in unmittelbarer Nähe zueinander und sind über Eisenbahngleise verbunden. Die Sowjetunion hatte die Werke in Nischni Tagil als gewaltigen zusammenhängenden Industriekomplex hochgezogen. Das Stahlwerk belieferte schon in den 1940er Jahren die Panzerproduktion. Die auf Sicherheitspolitik spezialisierte Denkfabrik Warschau Institut hatte im März gegenüber der britischen Zeitung „Daily Mail“ erklärt, dass die Materialien des Stahlunternehmens vor dem Ukrainekrieg für die Panzerproduktion genutzt wurden.


Auch die Aufnahmen machen deutlich, dass die Panzerherstellung bei Uralwagonsawod kaum von der Produktion der Eisenbahnwaggons und Baumaschinen zu trennen ist. Dies passiert demnach alles in den riesigen Hallen von Uralwagonsawod im Osten der rund 360.000 Einwohner zählenden Stadt.

Eine tiefere Analyse der Satellitenbilder zeigt um 2010 beispielsweise eine Art Parkplatz am nördlichen Ende des Werksgeländes, auf dem Hunderte orangefarbene Bagger und grüne Baufahrzeuge aus der Produktion von Uralwagonsawod stehen. Seit ungefähr 2014 wird der Platz jedoch vor allem benutzt, um vor Ort produzierte Panzer abzustellen. Ein Teil des Kriegsgeräts kann aber auch versteckt vor Spionagesatelliten in den Fertigungshallen lagern. In die führen die Eisenbahngleise direkt hinein.


Dass die verschiedenen Produkte von Uralwagonsawod kaum voneinander zu trennen sind, verdeutlicht auch eine Aufnahme vom Oktober 2021. Darauf ist ein Rangierbahnhof nördlich des Fabrikgeländes zu sehen, in dem offenbar von Uralwagonsawod neu gebaute oder aufgearbeitete Eisenbahnwaggons für Schüttgut stehen, und daneben fünf Wagons beladen mit Kampfpanzern.

Auch bei Aufnahmen aus dem Jahr 2020 scheinen in dem Bahnhof verladene Panzer zu stehen. Eindeutig identifizieren lassen sich die hier allerdings nicht, weil sie vermutlich mit Stoffplanen abgedeckt sind.


Uralwagonsawod produziert aber nicht nur den schon in den 1990er Jahren eingeführten T-90-Panzer, sondern neuerdings auch den T-14 Armata. Putins neuer Superpanzer soll eine Antwort auf den deutschen Leopard 2 sein, der lange Zeit als bester Panzer der Welt galt. Doch als Russland am 7. Mai 2015 den T-14 bei einer Militärparade auffahren ließ, blieb einer der Prototypen liegen, wohl mit Getriebeschaden. Seit dem halten die Probleme an.

Putin hatte ursprünglich 2300 Stück bestellt. 2020 sollten die ersten ausgeliefert werden. Nun ist der Termin auf 2025 verschoben. Und auch die Stückzahl wurde Verteidigungskreisen zufolge auf mehrere Hundert reduziert. Ob es sich bei den zuletzt bei Uralwagonsawod geparkten Panzern um T-14 oder T-90 handelt, ist anhand der Satellitenaufnahmen schwer zu ermitteln.


Dass die Geschäfte von Uralwagonsawod dennoch zu laufen scheinen, ist auch deshalb zu vermuten, weil eine der Produktionshallen aus Sowjetzeiten in den vergangenen Jahren erweitert wurde und ein Bürogebäude dazu gekommen ist. Zudem wurde ein Testgelände für Panzer im Süden der Stadt umgestaltet. Hier kann der Panzerbauer seine Waffen über einen Hindernisparcours jagen, zu dem Buckel, enge Kurven und ein Wasserloch gehören. Auch gibt es einen rechteckigen Teich, auf dem Brückenbaupanzer getestet werden können.

Die gesamte Anlage ist etwa zehn Kilometer lang. Die Satellitenbilder lassen zahlreiche gelb lackierte Fahrzeuge erkennen, die auf dem Gelände verteilt stehen und offenbar als Ziel für Schießversuche genutzt werden. So sind einige in älteren Aufnahmen offenbar weitgehend intakt, scheinen später aber zerstört zu sein. Auf den Aufnahmen sind hin und wieder Panzer auf dem Gelände zu erkennen. Russischen Medien zufolge soll die Kanone des T-90M eine Reichweite von ungefähr fünf Kilometern haben. 


Auch wenn sich aus dem Weltall nur schwer beweisen lässt, wie eng oder lose die Beziehungen zwischen Uralwagonsawod und Evraz wirklich sind, hat die britische Regierung Anfang Mai den Stahlhersteller sanktioniert. Britischen Bürgern ist es seitdem untersagt, mit dem Unternehmen Geschäfte zu machen. Die Aktien von Evraz wurden bereits im März vom Handel an der Londoner Börse ausgesetzt.

Ukrainische Truppen haben unterdessen seit Ende Februar Medienberichten zufolge mehrere Hundert russische Panzer bei Kämpfen zerstört. Vor allem tragbare amerikanische Panzerabwehrwaffen und panzerbrechende Suiziddrohnen machen Putins Armee und dem Kriegsgerät aus Nischni Tagil schwer zu schaffen. Inzwischen muss Moskau offenbar schon 50 Jahre alte Sowjet-Panzer an die Front schicken. Den Nachschub aus Nischni Tagil dürften die Angreifer daher dringend benötigen.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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