Wirtschaft von oben #163 – Das Schrumpfen der Seen Wissenschaftler sprechen bereits von einer „Jahrtausend-Dürre“

Das Austrocknen des Aralsees gilt als eine der größten Umweltsünden der ehemaligen Sowjetunion. Quelle: LiveEO/Sentinel

Die Erderwärmung macht den großen Gewässern der Erde zu schaffen, wie aktuelle Satellitenaufnahmen belegen. Doch ihr größtes Problem ist nicht die abnehmende Schneeschmelze, sondern die Wasserentnahme für die Landwirtschaft. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Wissenschaftler sprechen bereits von einer „Jahrtausend-Dürre“, die den Westen der USA seit mehr als zwanzig Jahren plagt. Die Forscher der Universität von Kalifornien in Los Angeles machen das anhand der Untersuchung von Baumringen fest. Je schmaler diese wegen weniger Wuchs sind, desto extremer die Wetterbedingungen. Seit 1200 Jahren, so die Wissenschaftler, sei es nicht mehr über einen so langen Zeitraum so trocken gewesen.

Und es sieht aus, als ob das Malheur noch ein Jahrzehnt andauern könnte – mit verheerenden Waldbränden, schneefreien Bergkuppen und verdorrenden Feldern. Aktuelle Satellitenbilder von LiveEO machen die Dürre auch an den schrumpfenden Seen im Westen der USA deutlich sichtbar: vom idyllischen Bergsee Lake Tahoe an der Grenze zwischen Kalifornien und Nevada und den stetig fallenden Wasserpegeln des Großen Salzsees in Utah bis zum Lake Mead, unweit von der Spielerstadt Las Vegas gelegen.

Doch ist es ein Trugschluss, das Sinken der Wasserpegel vor allem mit der Erderwärmung zu begründen. Weit drastischer ist die Entnahme von Wasser durch Menschen. Sie bewässern damit Felder und schaffen es als Trinkwasser in boomende Städte. Das betrifft nicht nur den Westen der USA, sondern viele der großen Seen der Welt wie den Aralsee in Kasachstan und Usbekistan und das Tote Meer zwischen Israel und Jordanien. Die Fotos aus dem All belegen eindrucksvoll, wie stark diese einst majestätischen Seen in den vergangenen Jahrzehnten ausgetrocknet sind. Und bald ganz verschwinden könnten.

z

50 Kilometer südöstlich von Las Vegas liegt der Lake Mead, der größte künstlich geschaffene See der Vereinigten Staaten, aufgestaut durch den Hoover-Damm. Er sammelt das Wasser des Colorado River, der den Westen der USA bis hinunter nach Mexiko mit Wasser versorgt und dient zugleich als Naherholungsgebiet.

Seit Jahrzehnten halten sich Gerüchte, dass die organisierte Kriminalität aus Las Vegas ihre Opfer nicht nur in der Wüste vergräbt, sondern auch im Lake Mead versenkt. Ein rostiges Metall-Fass, in dem die Leiche eines Mannes entdeckt wurde, hat der Spekulation jüngst wieder Auftrieb gegeben. Dass der Ermordete überhaupt entdeckt wurde, liegt am Wasserstand des Lake Mead. Er ist nur noch zu 30 Prozent gefüllt.

Lesen Sie auch: Billige Solarenergie treibt die Opiumwirtschaft an

Der Wasserstand ist mittlerweile auf den niedrigsten Stand seit der Erstbefüllung im Juli 1941 gefallen. Er beträgt nur noch 318 Meter über dem Meeresspiegel, 50 Meter niedriger als Anfang der 40er-Jahre. Wenn der Pegel weiter sinkt, muss die Stromerzeugung am Hoover-Damm eingeschränkt werden. Vor allem aber müssen die angrenzenden Bundesstaaten Wyoming, Colorado, Utah, Arizona, Nevada sowie Kalifornien die Wasserentnahme drosseln.

Das Wasser aus dem Colorado River versorgt rund 25 Millionen Menschen mit Trinkwasser und Hunderttausende Hektar von Ackerflächen mit kostbarem Nass, vor allem in Kalifornien. In Nevada und Kalifornien gibt es seit kurzem Wasserpatrouillen, die überwachen, ob Haushalte Wasser verschwenden, etwa indem sie übermäßig den Rasen wässern oder ihre Autos waschen. Die Strafen können in die Tausende von Dollar gehen.

Doch viel ausschlaggebender ist etwas anderes: Laut Patti Aaron, der Sprecherin des Bureau of Reclamation – einem dem US-Innenministerium unterstehenden Wasserverband – „werden 75 Prozent des Wassers des Lake Mead für die Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen eingesetzt“. Es speist vor allem die Landwirtschaft in Kalifornien, riesige Felder im Central Valley mit Erdbeeren, Gemüse, Salaten, Avocados, Artischocken sowie Haine mit Mandelbäumen und Weinreben. 80 Prozent der weltweiten Mandelernte weltweit stammt aus dem Golden State. Über 50 Milliarden Dollar setzt die Branche. Sie ist für 40 Prozent des kalifornischen Wasserverbrauchs verantwortlich.

Wegen einer drohenden weltweiten Hungerkatastrophe ist eher unrealistisch, dass die Landwirtschaft zurückgefahren wird. In den Westküstenstaaten gibt es schon Belohnungen für Farmer, wenn diese den Anbau von besonders wasserintensiven Früchten wie Mandeln und Pistazien senken oder einen Teil ihrer Felder stilllegen.


Ähnlich wie am Lake Mead wird auch der Große Salzsee vor den Toren der Metropole Salt Lake City im Staate Utah vor allem durch die Landwirtschaft trockengelegt. Denn das Wasser, das von den Rocky Mountains fließt, ist nicht nur durch die in den vergangenen 20 Jahren dezimierte Schneeschmelze spärlicher geworden. 65 Prozent des Wassers der drei wichtigsten Flüsse, die zum Großen Salzsee fließen, wird für das Bewässern von Feldern entnommen.

Ein Boom in der Landwirtschaft sowie der Zuzug von Menschen ins noch günstige Utah – allein Salt Lake City soll in den nächsten vierzig Jahren um rund 50 Prozent wachsen – hat die Oberfläche des Sees auf 2500 Quadratkilometer schrumpfen lassen. Vor 35 Jahren war er dreimal so groß.

Das Problem ist, dass die Gesetzgebung den großzügigen Umgang mit Wasser geradezu provoziert. Farmer verlieren Bezugsrechte, wenn sie das ihnen zugeteilte Wasser nicht nutzen. Seit Jahren wird darüber debattiert, das zu ändern. Passiert ist wenig.

Zumindest plant die Stadt Salt Lake City nun den Bau eines 800 Millionen Dollar teuren Klärwerks, das Abwasser besser behandeln kann. Das gereinigte Wasser soll dann zum großen Teil wieder in den Großen Salzsee geleitet werden. Dass etwas geschehen muss, ist den Lokalpolitikern bewusst. Nicht nur droht das Trinkwasser zu versiegen. Der Schlamm des Sees ist mit Giften wie Arsen versetzt, das über Windstürme die Umgebungsluft zu verpesten droht.


Tomaten, Paprika, Datteln und Wassermelonen – Obst und Gemüse aus Israel sind ein Exportschlager. Mit High-Tech-Landwirtschaft ähnelt das Land seinem großen Vorbild Kalifornien. Dass ausgerechnet in einer niederschlagsarmen Gegend, die von Wüsten geprägt ist, die Landwirtschaft floriert, ist dem Jordan zu verdanken. Aus dem Fluss, dessen Zuläufe im Hermongebirge entspringen, wird jährlich etwa 90 Prozent seines Volumens für Landwirtschaft und Trinkwasser in Israel und Jordanien entnommen.

Im Toten Meer, in das der Jordan mündet, kommt so nur noch ein Rinnsal an. Der Pegel des Binnenmeers sinkt deshalb jedes Jahr um mindestens einen Meter, in den vergangenen sechzig Jahren hat es ein Drittel seines Volumens verloren. Hinzu kommt noch, dass ein Teil des Wassers verdampft wird, um aus dem Schlamm Rohstoffe wie Magnesium und Jod zu gewinnen. Geht das so weiter, so Prognosen, könnte das Tote Meer gegen Ende des Jahrhunderts vollständig verschwinden.

Eigentlich hatten sich Israel, Jordanien und die Palästinenser-Behörde schon vor zwanzig Jahren darauf verständigt, einen 180 Kilometer langen Kanal zu bauen. Er sollte nicht nur Wasser vom Roten Meer ins Tote Meer befördern, sondern dabei auch noch Strom erzeugen. Vor vier Jahren sollte mit dem Bau des 400 Millionen Dollar teuren „Friedenskanals“, begonnen werden. Doch Jordanien hat das Projekt auf Eis gelegt, will sich stattdessen auf eine eigene Wasser-Entsalzungsanlage konzentrieren. Das Königreich hat ein massives Trinkwasserproblem, der Jordan allein kann nur ein Fünftel seiner Bevölkerung versorgen.

Der Niedergang des Aralsees ist verglichen mit dem Toten Meer noch viel weiter. Kürzlich hat der russische Kosmonaut Oleg Artemyev auf Telegram ein Video des Gewässers aus dem All gepostet. Oder vielmehr „das, was von ihm noch übrig ist“, so Artemyev.


Denn es ist lange her, seit der Aralsee mal der viertgrößte See der Erde war. Heute ist der Salzsee, gelegen zwischen Kasachstan und Usbekistan, als Umweltsünde der ehemaligen Sowjetunion verrufen. Diese Sünde ist ebenfalls der Landwirtschaft geschuldet. In den fünfziger Jahren fasste das Politbüro in Moskau den Beschluss, den Anbau von Baumwolle massiv auszuweiten. Das dafür nötige Wasser wurde durch den Bau eines 500 Kilometer langen Kanals aus den Flüssen Amudarja und Syrdarja abgezweigt. Weil der Kanal so billig wie möglich angelegt wurde, versickerte viel Wasser schon unterwegs.

Das Umleiten von Amurdarja und Syrdarja legte den Aralsee trocken – er bekam nur noch zehn Prozent der einstigen Wassermenge. Heute sind 90 Prozent des Sees verschwunden, der in mehrere Teile zerfiel und immer salzhaltiger wurde. Fast alle Fische starben aus. Zumindest im nördlichen Teil, in Kasachstan, konnte durch den 2005 eröffneten Kokaral-Damm der Wasserspiegel erhöht und die Versalzung reduziert werden. Auch Fischerei ist nun wieder möglich. Allerdings gibt es Risse im Damm. Die Zukunft des nördlichen Aralsees steht also wieder auf dem Spiel.


Doch nicht immer ist die Landwirtschaft schuld, wie das Beispiel des Titicacasees zeigt. Der malerische See zwischen Bolivien und Peru ist der größte Süßwassersee Südamerikas. Gespeist wird er aus den Gletschern der Anden. Doch denen macht die Erderwärmung zu schaffen, weshalb weniger Wasser in den Bergsee fließt. Seit 2000 geht sein Wasserstand stetig zurück. Der Titicaca hat Schätzungen zufolge bereits mehr als zwanzig Prozent seines Volumens verloren. Auch die Landwirtschaft hat ihren Anteil am Schrumpfprozess. Und als wäre das noch nicht genug, gelangen Gifte in das Gewässer – Abwässer und Schwermetalle aus illegalem Bergbau.

Hier finden Sie alle Beiträge aus der Rubrik „Wirtschaft von oben“

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%