Wirtschaft von Oben #165 – Dänemark Ein paar Kilometer hinter der deutschen Grenze entstehen die größten Windkraftfabriken der Welt

Die Windkraft-Branche stirbt in Deutschland, in Dänemark lebt sie auf: In Aalborg fertigt das Unternehmen Bladt Industries Rotorblätter. Quelle: LiveEO/Google Earth

Das Vestas-Werk in Brandenburg ist zu, auch Nordex in Rostock macht endgültig dicht. Doch Satellitenbilder zeigen: Während die deutsche Windkraftindustrie darbt, wächst die Branche in Dänemark gigantisch. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Bis zuletzt kämpften die Beschäftigten im Rostocker Nordex-Werk um ihre Arbeitsplätze. Noch im April veranstalteten sie eine Großdemonstration, um die drohende Schließung noch abzuwenden. Es nützte nichts: Ende Juni 2022 verließ das letzte Rotorblatt das Werk im Hafengelände, 530 Mitarbeiter wechseln jetzt in eine Transfergesellschaft, wenn sie nicht längst nach anderen Jobs suchen. Sie ereilte damit das gleiche Schicksal, das schon die 500 Beschäftigten im Vestas-Werk Lauchhammer in der Lausitz Ende Februar traf. Auch dort wurde die Fabrik geschlossen, auch dort sollen Überkapazitäten am Markt und die Standortkonkurrenz mit Fernost schuld an der Misere gewesen sein.

Für neue Jobs im gleichen Business müssten die Angestellten so weit allerdings nicht reisen – zumindest, wenn sie ein bisschen Dänisch sprechen. Während die Windkraftindustrie nämlich in Deutschland in den vergangenen Jahren einen Niedergang erlebt, der fatal an die Entwicklungen in der Solarindustrie erinnert, spielt sich direkt nördlich der Landesgrenze die gegenteilige Geschichte ab: Die dänische Windkraftindustrie boomt, wie exklusive Satellitenaufnahmen von LiveEO belegen.

Fast jeder Superlativ, den die Branche im vergangenen Jahr vermeldete, spielt sich in Dänemark ab. Die größten Rotorblätter, die leistungsstärksten Generatoren, die größten Fundamente: Alles made in Denmark. Fast die Hälfte der gesamten in Europa installierten Offshore-Energie, so rechnete es ein dänischer Branchenverband jüngst aus, wurde über den Hafen von Esbjerg an der Westküste Jütlands abgewickelt.


Wie beeindruckend die Entwicklung tatsächlich ist, das zeigen die Satellitenbilder. Im Zentrum der dänischen Windindustrie steht der Hafen von Esbjerg, dessen Lage optimal geeignet ist, um die Offshore-Anlagen in der Nordsee zu erreichen. Von hier werden sowohl die meisten Bauteile für die Parks auf dänischem Grund als auch für jene in britischen Gewässern angeliefert. Auch der Bau des deutschen Windparks Kaskasi – der einzige deutsche Offshore-Park, der im laufenden Jahr ans Netz gehen soll – wird von hier aus abgewickelt.

Auf den Satellitenbildern ist zu erkennen, wie stark die Windkraft den Hafen inzwischen prägt: Noch vor 15 Jahren ist nur ein einzelner Turm einer Windkraftanlage erkennbar, ansonsten dominieren kleinere Werkshallen und Tanks das Bild – neben viel Grün. Im Laufe der Jahre dann wird die Fläche des Hafens um mehr als ein Drittel erweitert, die neuen Flächen sowie sämtliche Grünflächen sind nun von Rotorblättern und anderen Windkraftteilen belegt.

Noch nicht zu erkennen, aber längst in der Planung ist die nächste Entwicklungsstufe des Windkraft-Clusters Esbjerg. Bis 2026 wird die Stadt im Süden des Hafens eine weitere L-förmige Fläche aufschütten, die das Hafengelände um weitere 500.000 Quadratmeter erweitern wird, exklusiv reserviert für den Ausbau der Windenergieindustrie.

Aber auch jenseits des Hafens von Esbjerg ist die Windenergieindustrie in Dänemark längst ein bedeutender Wirtschaftszweig. Immerhin 2,3 Prozent aller privaten Beschäftigten im Land sind hier angestellt. Und damit abhängig von einer ganz speziellen Wachstumslogik. Die Windbranche nämlich ist stärker als jede anderen von Zyklen geprägt. Mit jeder neuen Rotorengeneration werden die Anlagen größer. Und damit auch all ihre Komponenten ausladender, schwerer und komplizierter zu transportieren. Entsprechend scharf ist der Ausleseprozess unter den Fabriken: Eine Fertigungsstätte, die für 80 Meter hohe Rotoren noch wunderbar geeignet gewesen sein kann, ist für 120 Meter große Anlagen nicht mehr zu gebrauchen, etwa weil die nächste Autobahnauffahrt nicht mehr ausgebaut werden kann, der Boden nicht mit weiteren Gewichten belastet werden darf.

Zumindest derzeit aber sind die meisten dänischen Standorte für die Gigantomanie der Branche offenbar gut gerüstet: Für alle Komponenten der 15-Megawatt-Klasse, die beim Bau von Offshore-Parks in den kommenden Jahren das Maß der Dinge sein wird, gibt es Fertigungsstandorte im Land. Da ist etwa der Hafen von Aalborg, an der Ostküste von Jütland.


Links am Bildrand sind die Fabrikhallen des Unternehmens Bladt zu erkennen, dem weltweiten Vorreiter beim Bau der sogenannten Monopiles: Jener Konstrukte aus Beton und Stahl, mit denen Windkraftanlagen auf Hoher See im Meeresboden verankert werden. 2018 hat der Konzern begonnen, seinen Standort so umzurüsten, dass die hier gefertigten Bauteile auch Windräder der 15-Megawatt-Klasse tragen können, gerade werden die ersten Modelle ausgeliefert. Im Verlauf der Jahre ist deutlich zu sehen, wie immer mehr Pylone auf dem Außengelände gelagert werden, auch die Dimensionen jedes einzelnen Pfeilers wachsen beständig.

Dafür hat Bladt offensichtlich Flächen vom südlichen Nachbarn übernommen: Siemens Gamesa, der seit dem Kauf des Konkurrenten Bonus Energy im Jahr 2004 große Fertigungsstätten in Dänemark unterhält. In Aalborg werden, wie auf den Bildern unschwer zu erkennen ist, Rotorblätter gefertigt. Im Zeitverlauf zeigt sich, wie jedes der dort so akkurat zwischengelagerten Blätter nach und nach immer größer wird. Auf den jüngsten Satellitenfotos ist zudem zu erkennen, dass auch für die Produkte der modernsten Klasse noch reichlich Platz ist. Im April hatte der Konzern bekannt gegeben, mit der Produktion der Rotorblätter der jüngsten Generation, die je 115 Meter lang sind, zu beginnen. Siemens Gamesa betreibt hier zudem das weltgrößte Indoor-Testzentrum für Rotorblätter, das auch anderen Herstellern offensteht.

Der große Siemens-Konkurrent Vestas hat sich in Dänemark gleich zwei ganze Buchten gesichert, um für das Zeitalter der Offshore-Giganten gerüstet zu sein. In Nakskov in Südwesten der Insel Lolland werden die Rotorblätter hergestellt, in Lindø nördlich von Odense auf der Insel Fünen die Naben. Jene Bauteile also, an denen die Rotorblätter mit dem Turm verbunden sind und wo die Windbewegung in elektrische Energie umgewandelt wird.


Aus dem All betrachtet sehen die Bauteile ein wenig aus wie eckige weiße Insektenkörper. Die auf den Bildern zu sehenden Modelle dürften noch jene der Vorgängergeneration (10 Megawatt) sein, erst im März hat Vestas bekannt gegeben, hier auch die Naben der 15-Megwatt-Generation zu bauen, die ab 2024 ausgeliefert werden sollen. Derzeit produziert der Konzern einen ersten Prototyp der Anlagen, der bald im nationalen dänischen Testzentrum im Norden Jütlands erprobt werden soll.


Neben Rotoren, Naben und Monopiles fehlt den Herstellern damit nur noch ein Bauteil für die Errichtung der Offshore-Anlagen: der Turm. Auch hier finden sich die beiden führenden Hersteller in Dänemark. Ebenso wie der Anbieter Valmont, der seine Anlagen gut 20 Kilometer nördlich von Flensburg in Rødekro fertigt, hat sich auch der Konkurrent Welcon im Landesinneren angesiedelt. Im Örtchen Give, rund 50 Kilometer östlich des zentralen Hafens von Esbjerg.


Auch hier sind die Bauteile mit den Dimensionen der Windkraftanlagen mitgewachsen. Wie lange das an diesem Standort fernab des Meeres noch machbar sein wird, ist aber umstritten. Zwar ist auf den Satellitenbildern zu erkennen, dass vor wenigen Jahren eine Autobahn errichtet wurde, die direkt an dem Standort vorbeiführt. An der Entfernung zum Meer aber ändert das nichts.

Im Nachbarstädtchen Brande fertigte Siemens Gamesa bis vor wenigen Jahren seine Rotorblätter für die an Land platzierten Anlagen. Das aber lohnt sich nun, ähnlich wie am deutschen Vestas-Standort Lauchhammer, nicht mehr. So wurde die Fabrik auf die zwar sehr schweren, aber weniger großen Naben umgestellt – die wurden zuvor in Cuxhaven gefertigt. Der Turmbauer Valmont hat sich bereits ein Grundstück im Hafen von Esbjerg gesichert, um seine Bauteile der nächsten Generation direkt aufs Schiff verladen zu können. Auch in den dänischen Windkraftstandorten findet also ein Strukturwandel statt, wenn auch mit einem Unterschied zum Geschehen in Deutschland: Für das meiste, was an Fabriken und Arbeitsplätzen verschwindet, entstehen anderswo im Land neue, größere Standorte.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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