Wirtschaft von oben #182 – Russischer Ölexport Russlands riskante Milliardenwette auf das Öl aus der Arktis

10.03.2022: Lieferung für den Bau eines der größten Ölprojekte der Welt: Ein Eisbrecher hat sich eine Fahrrinne zur Hafenbaustelle in der Sever-Bucht freigebrochen. Quelle: LiveEO/PlanetScope SuperDove

In der Arktis baut Russland am angeblich größten Ölprojekt der Welt. Kritiker munkeln, es könnte angesichts westlicher Sanktionen eher die weltgrößte Bauruine werden. Doch aktuell gehen die Arbeiten voran, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Baufällige Mietskasernen, ein Hafen mit heruntergekommenen Lagerhallen, Schneemobile statt Autos – wer in Dikson lebt, der weltweit nördlichsten Siedlung auf dem Festland, muss mit einem kargen Leben klarkommen. Nur noch etwa 500 Menschen harren hier an der Kara-See in Nordrussland aus, wo der Winter zehn Monate dauert, die Sonne mehr als zwei Monate lang nicht aufgeht.

Schlagzeilen macht Dikson darum nur als kurioses Reiseziel für Arktisexpeditionen – und mit Geschichten wie der im Juli, als ein Eisbär seine Zunge nicht mehr aus einer weggeworfenen Kondensmilchdose herausbekam und Tierärzte vom Moskauer Zoo anreisten, um ihn zu befreien.

Doch 40 Kilometer südwestlich von Dikson, an der Bucht Sever, passiert gerade jede Menge, wie neueste Satellitenbilder von LiveEO zeigen. Hier hat der russische Ölkonzern Rosneft im Juli offiziell verkündet, mit dem Bau eines Ölterminals und Hafens begonnen zu haben. Aber Aufnahmen zeigen, dass die Arbeiten schon vor dem Einmarsch in die Ukraine im vergangenen Jahr begonnen haben und weit fortgeschritten sind. 1,3 Kilometer lang soll die Anlage nahe der Mündung des Flusses Jenissei werden, des fünftlängsten Flusses der Welt. Ab Ende 2024 sollen hier jährlich Millionen Tonnen Öl abtransportiert werden.

Das Terminal ist Teil von Vostok Oil, dem laut Rosneft größten Ölprojekt der Welt. Der Konzern möchte mehrere Öllagerstätten in der Region Krasnojarsk auf der Halbinsel Taimyr erschließen. 2024 soll das Projekt 25 Millionen Tonnen Öl fördern, 2030 sollen es bis zu 100 Millionen Tonnen sein. Das entspricht fast einem Fünftel des Öls, das Russland 2021 produziert hat. Insgesamt erhofft sich Rosneft eine Ausbeute von sechs Milliarden Tonnen Öl.

Lesen Sie auch: Wie Russlands Ölgiganten vom Klimaschutz anderer profitieren wollen

Dem Konzern zufolge wurden im Rahmen des Pipelinebaus inzwischen 25.000 Pfähle in den Permafrostboden gerammt und mehr als 100 Kilometer Rohre geschweißt. Die Bauarbeiten am Ölterminal sind auch vorangegangen, wie Satellitenbilder zeigen. Wenn es fertig wird, sollen von dort aus Schiffe das Öl über die Nordostpassage abtransportieren.

Auf der Suche nach neuen Ölquellen muss sich Russland immer weiter nach Norden vorarbeiten. Denn die schon erschlossenen Vorkommen, von denen rund 80 Prozent in Westsibirien liegen, haben an vielen Stellen ihren Zenit überschritten, die Fördermengen gehen zurück. Seit Jahren nimmt Russland darum die Ölfelder auf der Taimyr-Halbinsel ins Visier.


Trotz des Ölembargos der USA und der EU, sowie weiterer Sanktionen, treibt Moskau das Megaprojekt voran. 770 Kilometer Pipeline sollen verlegt, drei Flughäfen gebaut, zwei Ölterminals hochgezogen, 15 Siedlungen für Arbeiter errichtet werden. Angeblich sollen 400.000 Menschen während der Bauarbeiten mitten im Nirgendwo beschäftigt werden. Geschätzte Kosten: 110 Milliarden Dollar.

Die Logistik hier im hohen Norden ist kompliziert. Anfang April hat die Sevmorput, das letzte nuklear angetriebene Frachtschiff der Welt, das Eis bis zu einem Meter Dicke brechen kann, 150.000 Tonnen Baugerät und Material zur Jenissei-Mündung transportiert. Dabei wurde die Fracht, insgesamt 6000 Tonnen schwer, direkt auf dem Eis abgeladen. Acht Monate lang liegt die Durchschnittstemperatur hier unter dem Gefrierpunkt.


Zudem lässt Rosneft zehn Tanker der Klasse Arc7 bauen, die zwei Meter dickes Eis brechen können. Auf der gleichen Route transportieren Schiffe heute schon Flüssigerdgas (LNG) von der Halbinsel Yamal nach Asien.

Die Öltransportflotte ist Teil eines größeren Plan, den Präsident Wladimir Putin verfolgt. Er will die Nordostpassage zu einer belebten Handelsroute machen. 80 Millionen Tonnen sollen schon im Jahr 2024 entlang der russischen Arktisküste transportiert werden. Im Jahr 2030 sollen es 200 Millionen Tonnen sein. Dazu will die Regierung in der Arktis zwölf neue Häfen errichten, zehn Eisbrecher bauen, sowie Krankenhäuser und Such- und Rettungseinrichtungen.



Doch die Zweifel wachsen, dass die großspurigen Pläne aufgehen. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine sind westliche Länder als Ölkunden abgesprungen, die EU und die USA haben ein Embargo gegen russisches Öl verhängt. Länder im Nahen Osten und Indien kaufen Russland nun zwar mehr Rohstoffe als vor dem Krieg ab, wie Rohstoffanalysten von Argus Media berichten. Auch China soll verstärkt beliefert werden. Doch die Abnehmer können massive Rabatte erzwingen.

Hinzu kommen Exportsanktionen des Westens auf wichtige Ölfördertechnik, die Russland teilweise nicht selbst herstellen kann. Offen ist, ob das Land dafür andere Lieferanten finden wird. Auch wichtige Partner springen ab: Der niederländische Rohstoffhändler Trafigura etwa, der im Jahr 2020 eine zehnprozentige Beteiligung an dem Ölprojekt erworben hatte, verkaufte diese im Juli an den Konkurrenten Nord Axis aus Hongkong. Obendrein fliehen viele Männer vor der Mobilisierung für den Krieg ins Ausland – auch der Ölindustrie dürfte so gut ausgebildetes Personal verloren gehen.

Lesen Sie auch: Diese Anlagen sollen Europas Stromnetze vor dem Zusammenbruch bewahren

Laut einem Bericht des „Wall Street Journal“ erwarten Analysten des Rohstoffanalysehauses Rystad Energy, dass das wichtige Ölfeld Payyakhskoye, ein Teil des Vostok-Oil-Projekts, statt 2024 erst 2029 in Betrieb gehen kann. Die aktuellen Satellitenbilder lassen aber noch nicht erkennen, dass die Bauarbeiten stocken – die Erdarbeiten gingen im Verlauf des Sommers sichtbar voran. Es wurde sogar Land an aufgeschüttet. Umweltschützer würde jede Verzögerung freuen. Greenpeace etwa macht Rosneft für unzählige Öllecks verantwortlich. In der Arktis lassen sich solche Verschmutzungen besonders schwer beseitigen.

Großaktionär des Brokers Flatex „Ich habe möglicherweise zu lange zugesehen“

Der Unternehmer Bernd Förtsch ist Großaktionär von Deutschlands wichtigstem Broker Flatexdegiro: In beispielloser Offenheit seziert er jetzt die Fehler des Konzerns. Und kündigt Konsequenzen für den Vorstandschef an.

Goldhandel Bekommt das Finanzamt von meinem Goldverkauf etwas mit?

Ein Anleger fragt sich, ob er Gold auch steuerfrei verkaufen kann, wenn er keinen Nachweis zum Kauf hat. Würde das Finanzamt überhaupt etwas mitbekommen, wenn er einen Verkauf nicht meldet?

Geldanlage Wie lege ich 100.000 Euro renditestark an?

Eine Anlegerin will eine sechsstellige Summe investieren. Soll sie alles auf Aktien setzen oder besser eine Wohnung zur Vermietung kaufen? Und was ist mit Gold?

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Thane Gustafson, Politikwissenschaftler an der Washingtoner Georgetown-Universität, hält es gar für möglich, dass sich die Erschließung von Vostok Oil um ein Jahrzehnt verzögert. „Bis dahin könnten die zunehmenden Bedenken wegen des Klimawandels zu einem Höhepunkt der weltweiten Ölnachfrage führen“, schreibt der Autor mehrerer Bücher über die russische Wirtschaft in einem Blogbeitrag. „Vostok Oil könnte dann zu einem der größten „Stranded Assets“ (gestrandete Vermögenswerte, deren Ertrag unerwartet drastisch sinkt, Anm. d. Red.) der Welt werden.“ Viele Milliarden Dollar hätte Russland dann im Arktiseis versenkt.

Hier finden Sie alle Beiträge aus der Rubrik „Wirtschaft von oben“

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%