Wirtschaft von oben #192 – Mittlere Seidenstraße Hier bauen deutsche Logistiker die Putin-freie Route nach China

Quelle: LiveEO/Pleiades

Jede Menge Fracht rollt heute per Eisenbahn von China nach Europa – durch Russland über die nördliche Seidenstraße. Seit dem Ukrainekrieg suchen Logistiker nach Alternativen. Satellitenbilder zeigen, wie eine neue Route über Kasachstan, Georgien und die Türkei boomt. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Es gibt kaum ein Gut, das man nicht in den Zügen findet, die über die eiserne Seidenstraße zwischen Chinas Ostküste und Westeuropa rollen: Lederstiefel und Holzstühle genauso wie Autoteile und Laptops. Gerade für Verbraucherelektronik ist der Weg begehrt, weil Kunden so nicht lange warten müssen. Auf den über 6000 Kilometern Eisenbahnschiene fahren die Waggons von den Werkbänken Chinas direkt in die europäischen Warenlager – und das über weite Strecken durch Russland.

Doch seit Präsident Wladimir Putin seine Truppen in der Ukraine einmarschieren ließ, wachsen die Zweifel am Russlandtransit. Der sogenannte Nördliche Korridor steht in der Kritik. Logistiker wie die Eisenbahner des dänischen Konzerns Maersk wollen die Strecke nicht mehr bedienen. Auch andere verweigern den Transport, suchen nach Wegen, das riesige Land zu umfahren.

Aktuelle Satellitenbilder von LiveEO zeigen nun, wohin die Reise gehen könnte und wie auch deutsche Unternehmer von der Suche nach einer Putin-freien Route nach China profitieren. Denn damit Züge und Laster die Waren schnell befördern können, braucht es neben Eisenbahnlinien auch Straßen, Güterhäfen und Zwischenlager. Entlang der bisher unterentwickelten mittleren Seidenstraße, die durch Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien und die Türkei führt, entsteht so ein Milliardengeschäft.



Mit welcher Geschwindigkeit die auch als Transkaspische Internationale Transportroute bezeichnete Strecke ausgebaut wird, zeigen Karten aus Zentralasien. Die kasachische Ortschaft Kuryk etwa ist selbst für viele Einheimische bislang unbekanntes Terrain. Am Zipfel des Kaspischen Meeres gelegen, gab es dort vor ein paar Jahren nichts als Sand, Steine und Schotterpisten. Geht es nach den Projektplanern des kasachischen Konsortiums Kuryk Port, führt hierdurch noch in diesem Jahr Asiens „Tor nach Europa“. So heißt es zumindest in einem Werbevideo. 

Schon heute fahren Laster. Bereits in wenigen Monaten sollen Züge täglich Kohle, Getreide und Chemieerzeugnisse auf verschiedene Terminals abladen oder die Ware direkt von der Schiene mit der Fähre nach Baku in Aserbaidschan verschiffen. Ein neues Containerterminal bietet laut Broschüren dafür auf einer Fläche von 20 Hektar Platz für 180.000 Standardboxen.


Das Kuriose: Der Umschlagplatz in Kuryk befindet sich nur eine Autofahrtstunde vom eigentlichen großen Hafen in Kasachstan entfernt, dem Hafen in Aktau.

Doch dort ist es mittlerweile einfach zu eng geworden.


„Der bedauerliche Krieg in der Ukraine ist für den Ausbau des mittleren Korridors ein Rückenwind“, sagt Tobias Bartz, Chef des westfälischen Logistikers Rhenus. Das Unternehmen ist seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Region aktiv, beteiligt sich mit fast 500 Mitarbeitern an 39 Standorten in Kasachstan, Georgien und der Türkei. Allein am Terminal an der kasachischen Grenze zu China investiert das Unternehmen in Krananlagen und Flächen fast 50 Millionen Euro.

Doch gehe es nicht nur um Transporte zwischen China und Europa, betont Bartz. Sein Ziel sei auch, einen Markt mit über 90 Millionen „gut ausgebildeten Personen“ zu erschließen. Die wollen besser wohnen, arbeiten und reisen. Dafür nötig sind vor allem Waren und Wege.

Tatsächlich gelten die Länder um das kaspische Meer herum als Wachstumshoffnungen. Kasachstan und Usbekistan verfügen über Öl, Kohle und Gas – Rohstoffe, die Europa dringend benötigt. Zudem hat sich in der Region seit dem Krieg eine Vielzahl russischer und westlicher Firmen angesiedelt, die vorher in Russland tätig waren. Auch chinesische Unternehmen, für die die heimische Produktion zu teuer wird, investieren. „Man spürt einen Willen zum Wandel“, sagt der Rhenus-Chef.

Der Warentransport zwischen Europa und China führt auf dem Landweg durch Russland – und durch das polnische Dorf Małaszewicze. Sehr wahrscheinlich, dass sich die Lage hier 2023 zuspitzt. Ein Ortstermin.
von Artur Lebedew

Um die Waren und Rohstoffe einzufahren, investieren Rhenus, aber auch die Deutsche Bahn und die österreichische Spedition Gebrüder Weiss, in Terminals und Infrastruktur. Lohnend ist das vor allem da, wo der Verkehr bislang stockt oder die Kapazitäten wachsen. So wird etwa am Hafen in Baku, auf der anderen Seite des kaspischen Meers, die mögliche Menge der Container um das fünffache erweitert. Auch soll ein gigantisches Flugzeugdrehkreuz entstehen, um Waren vom Flieger auf Schiene und Straße zu bringen. Das ist nötig, weil der Luftraum über Russland aufgrund der Sanktionen gesperrt wurde und jetzt Maschinen wie ein Schwarm Fliegen über Georgien kreisen.

Ähnlich stark wächst der Hafen im georgischen Batumi. Auf Satellitenbildern sieht man, wie die Containerflächen erweitert werden. Der für Flüssiggüter bekannte Hafen wurde erst kürzlich um einen weiteren Zugang verstärkt.


Ein weiterer Gewinner ist der Mittelmeerhafen im türkischen Mersin. Seit Beginn des Ukrainekrieges sind die türkischen Exporte nach Russland um fast die Hälfte gestiegen – Mersin, der größte Hafen der Türkei, gilt dabei als der zentrale Verschiebeort für allerlei Waren nach Russland. Von hier, so Experten, bringen Containerschiffe Güter nach Noworossiisk am Schwarzen Meer. Oder Brummifahrer schaffen sie über Georgien nach Krasnodar.

Von oben betrachtet platzt Mersin heute aus allen Nähten. „Wir haben sprichwörtlich keinen Platz mehr“, sagte der Hafenchef Ezgi Bicer Ucar vor Kurzem der Zeitung „Le Monde“. Praktisch jeder freie Quadratmeter wurde in den vergangenen Monaten zugebaut. Umgerechnet 300 Laster verladen täglich die Waren.


Ein ähnliches Bild bietet sich am Schwarzen Meer etwas nördlicher der Türkei. Auch der Hafen im rumänischen Konstanza ist seit Monaten überfüllt. Satellitenbilder zeigen, wie sehr die Betreiber die Anlagen im vergangenen Jahrzehnt ausgebaut haben: Aus Grün- wurden zugepackte Containerflächen. Die Kapazitäten weiter zu erhöhen, dürfte auch hier nicht ganz einfach sein. Praktisch sämtliche Hubs entlang des mittleren Korridors von der Türkei nach Duisburg und Rotterdam gelten als zugebaut.


Nicht zuletzt durch Russlands Krieg scheint das Wachstumspotential des mittleren Korridors dennoch als unaufhaltsam. Allerdings gibt es Kritiker, die an der Nachhaltigkeit der Handelsstrecke zweifeln. Verglichen mit dem Warenfluss der transsibirischen Route zwischen China und Europa ist der mittlere Korridor bislang nicht mehr als ein Flüsschen. Knapp 1,5 Millionen Container wurden auf der Nordroute im vergangenen Jahr transportiert – den Hafen von Kuryk passiert nicht einmal ein Zehntel soviel.

Seidenstraßen-Expertin Andreea Brinza vom rumänischen Institut für Asien-Pazifik glaubt nicht, dass die mittlere Route die nördliche auf Dauer ersetzen wird. Ihr zufolge fehlten dafür noch immer die Kapazitäten für mehr Güter.

Zudem sei die Route im Süden umständlicher: sie ist länger, führt durch mehr Länder und über zwei Meere. Heißt: längere Wartezeiten an den Grenzen und höhere Kosten fürs Personal. „Der mittlere Korridor wird als eine temporäre Alternative zur Nordroute funktionieren“, sagt Brinza, „aber er wird ihn nicht ersetzen können“.

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Auch für Rhenus-Chef Bartz wird die Russland-Strecke auf Dauer wohl die wichtigere Verbindung von Europa nach China bleiben. „Das größte Problem sind die vielen Zollübergänge an den Grenzen“, sagt er. Jedes Land habe seine eigenen Abläufe, das bremse. Trotzdem habe sich aus seiner Sicht vieles verbessert. Vor allem die Behörden und lokalen Unternehmen arbeiteten jetzt transparenter. Der mittlere Korridor werde deshalb die zusätzliche Alternative, die sich viele wünschten. Schneller als das Schiff nach China und günstiger als das Flugzeug seien die Laster und Züge allemal.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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