Wirtschaft von oben #194 – Bahn-Großprojekte Diese Bahnprojekte beschäftigen Fahrgäste – und Staatsanwälte

Quelle: LiveEO/Pleiades

Bahn, Bund und Länder investieren Milliarden in die deutsche Schieneninfrastruktur. Doch Kostenexplosionen und Verzögerungen wie in Stuttgart sind die Regel. Aktuelle Satellitenbilder zeigen, wo Fahrgäste in diesen Monaten besonders geduldig sein müssen – und wo sie nun freie Fahrt haben.

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Als die Deutsche Bahn ihre neue Vorzeigestrecke von Stuttgart nach Ulm feierlich eröffnet, bleibt ein ICE erstmal stecken. Der Zug von Ulm in die baden-württembergische Hauptstadt muss wegen eines Bedienfehlers des Lokführers sogar zurückfahren. Den Fahrgästen bleibt damit auch der Blick von der neu gebauten Filstalbrücke verwehrt, die in 85 Metern Höhe das Filstal und die Autobahn 8 überquert. Die Brücke ist nur eine von 37 auf dem Tempo-250-Abschnitt Ulm-Wendlingen, aber eine besonders imposante – und umstrittene.

Denn die Panne sowie daraus entstandene Verspätungen und Umleitungen der Folgezüge beim Start Mitte Dezember sind gemessen an den sonstigen Problemen eine Kleinigkeit. Ursprünglich sollte die Filstalbrücke Ende 2018 fertig sein. Daraus wurde nichts, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Ende September 2018 sind dort nur Gerüste zu sehen. Vier Jahre länger als geplant dauerte der Bau. Für deutsche Großprojekte ist es eine fast schon übliche Verspätung. Doch sie ist nicht das einzige Ärgernis.

Wie der SWR zuerst berichtete, ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen Betrugsverdachts gegen mehrere Personen beteiligter Baufirmen. „Die Unternehmen, gegen deren Mitarbeiter ermittelt wird, gehören zu denjenigen Unternehmen, die für die Deutsche Bahn AG die Filstalbrücke errichtet haben“, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage der WirtschaftsWoche. Sie hätten ihren Firmensitz „in verschiedenen Bundesländern und auch im Ausland“.


Der konkrete Verdacht: Die Beschuldigten sollen mehr Arbeitskräfte und Material abgerechnet haben als tatsächlich benötigt. Die Ermittlungen laufen schon seit einigen Monaten. Die Deutsche Bahn selbst gehört nicht zu den Beschuldigten. Ein Sprecher betont, es sei „absolut in unserem Interesse, den Sachverhalt vollständig aufzuklären, zumal wir selbst zu den Geschädigten gehören könnten“.

Von der Erzählung einer Erfolgsgeschichte als „Herzstück der Neubaustrecke“ lässt sich die Bahn nicht abbringen. Doch auch das Projekt Wendlingen-Ulm war deutlich teurer als einst veranschlagt. Statt rund drei Milliarden Euro lagen die Gesamtkosten, in die die Filstalbrücke einfließt, offiziell bei knapp vier Milliarden Euro. Dieser Rahmen werde eingehalten, sagt der Sprecher. Wie viel die Brücke gekostet hat, teilt die Bahn nicht mit und ist nun ein Gegenstand der Ermittlungen.

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Das 485 Meter lange Bauwerk ist die dritthöchste Eisenbahnbrücke Deutschlands und besteht aus zwei nebeneinanderliegenden Bauten. Auf den Satellitenbildern ist zu sehen, wie 2020 zunächst die linke Trasse entsteht, bevor 2021 die rechte hinzukommt. Seit Inbetriebnahme profitieren Reisende zwischen Stuttgart und Ulm: Die Fahrtzeit hat sich um 15 Minuten verkürzt. Eines Tages, wenn das um Jahre und viele Milliarden fehlgeplante Großprojekt Stuttgart 21 und der neue Hauptbahnhof fertig sind, soll der ICE die Strecke in rund einer halben Stunde schaffen.


Vorerst aber bleibt Stuttgart 21 eine Riesenbaustelle, im tatsächlichen Sinne wie auch im Streit um die Kosten. Das Land Baden-Württemberg und der Konzern zanken seit Jahren. Dabei geht es um die Frage, wie stark sich das Land an den Mehrkosten von mindestens vier Milliarden Euro beteiligen muss. Die Bahn besteht auf einem „Anspruch auf weitere Finanzierungsbeteiligung“ und klagt seit 2016 vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Bis heute ist keine Entscheidung dazu gefallen.

Vor knapp einem Jahr konterte der Konzernbevollmächtigte für Baden-Württemberg Kritik und Zweifel am avisierten Fertigstellungstermin von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) damit, Hermanns Aussagen seien teils falsch. Ein Bundestagsabgeordneter von Hermanns Koalitionspartner CDU warf dem Minister eine Blockadehaltung vor. Ob Bahn und Baufirmen 2025 wirklich als Starttermin halten können, ist offen.

Von oben betrachtet nimmt der Hauptbahnhof immer mehr Gestalt an. Auf der Aufnahme von Ende Oktober 2022 sind 25 der 28 Kelchstützen, durch die Licht in den Tiefbahnhof fällt, fertig. Bis Juni will die Bahn auch die letzte betoniert haben. Bis Ende des Jahres ist geplant, das Bahnhofsdach zu schließen und zu betonieren. Das Dach mit den charakteristischen Lichtaugen wird dann zu einem Platz mit Anschluss an den Schlossgarten.


Aber Stuttgart und Umgebung sind nicht die einzige Gegend, in der die Deutsche Bahn viel baut. Eine umfassende Neuordnung des Bahnverkehrs ist auch in Hamburg in Vorbereitung.

Der Bahnhof Altona wird ebenfalls von einem Kopfbahnhof zu einem Durchgangsbahnhof. Die Bahn nutzt dafür eine bestehende S-Bahnstation, die ausgebaut wird. Ab 2027 sollen am neuen Bahnhof 380 Züge pro Tag zusätzlich halten.


Die Bahn gibt an, durch den Umzug würden am ursprünglichen Standort 138.000 Quadratmeter Fläche frei. Die Satellitenbilder zeigen, wie ringsherum bereits neue Quartiere entstanden sind, mit Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten.

Wie groß die Auswirkungen von vermeintlich kleinen Eingriffen sein können, zeigt sich an einem Knotenpunkt 120 Kilometer südwestlich von Altona: in Bremen. Weil die unscheinbare Eisenbahnüberführung an der Sebaldsbrücker Heerstraße „das Ende der technischen Nutzungsdauer“ erreicht hat, wie es im Bahnsprech heißt, enden aus München kommende ICE zwischen März und Oktober wochenlang in Hannover. Auch andere Züge aus dieser Richtung kommen nicht bis Bremen.


Im Februar und März hat die Deutsche Bahn auf den Strecken zwischen Erfurt und Nürnberg, Rostock und Stralsund sowie Frankfurt und Mannheim ähnliche Einschränkungen und Fahrplanänderungen angekündigt. Zwischen Wendlingen und Ulm läuft aber jetzt zumindest auf der Strecke alles planmäßig.
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