Nicht mal halb so groß wie zu seiner Blütezeit, kaum Aussicht auf ein Ende der jahrelangen Millionenverluste, schwer erreichbar und hoher Sanierungsbedarf – wenn es in Deutschland ein unverkäufliches Unternehmen geben sollte, dann den Flughafen Hahn. Doch der Airport in der dünn besiedelten Mitte von Rheinland-Pfalz hat derzeit nicht nur einen Kaufinteressenten, sondern gleich vier, die überdies keine Hasardeure sind: den russischen Milliardär Viktor Charitonin, den Mainzer Immobilienunternehmer Wolfgang Richter, die YDA-Gruppe des türkischen Flughafenunternehmers Hamdi Güvenc und einen noch unbekannter Bieter.
Was genau die Unternehmen planen mit dem Hahn, wie der Landeplatz in der Branche heißt, ist offen. Doch klar ist: Der Umgang mit dem insolventen Flughafen spaltet die Öffentlichkeit. Für die Politik sind sie Glücksfälle. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Michael Ebling (SPD), fordert einen Weiterbetrieb und sieht den Flughafen als „Teil der kritischen Infrastruktur“. Ähnlich positiv beurteilen auch andere Provinzen ihre Pistenbetriebe, von Sylt in der Nordsee bis zu Memmingen im Allgäu. Denn am Ende, so die Rechnung, holen die Airports so viele Touristen und Unternehmen in die Regionen, dass die daraus gewonnenen Jobs und Steuereinnahmen die Defizite im Betrieb um ein Mehrfaches übersteigen.
Doch ebenso laut sind die kritischen Stimmen. Weil in Deutschland schon vor der Coronakrise bestenfalls ein halbes Dutzend Flughäfen profitabel war, halten sie viele für Geldvernichter. Ökonomen wie Matthias Runkel vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft verweisen auf Dauerverluste und bezweifeln den positiven wirtschaftlichen Betrag der Provinzpisten, weil die meisten Reisenden ohne sie auf anderen Wegen angereist wären. Deshalb hält Runkel die Hahns oder Kassels für „Zombie-Flughäfen“ und angesichts der nötigen Abbauziele beim Ausstoß von Kohlendioxid für „klimaschädlich“ – und weil nur wenige sie nutzen für „sozial nicht besonders gerecht.“
Besonders beim Flughafen Hahn geben exklusive Satellitenbilder von LiveEO den Kritikern erst mal recht.
Denn nirgends zeigt sich die Malaise der Regionalflughäfen in ihren Schattierungen so deutlich wie hier. Zuerst ging es im Hunsrück ab 1999 steil aufwärts. Angetrieben haben den Boom vor allem zwei Dinge. Wie viele Provinzpisten war die Basis ein ehemaliger Militärflughafen, bei dem Dinge wie Flugüberwachung, Bahnen oder Landesysteme nicht neu gebaut werden mussten. Also konnte er wie viele danach mit niedrigeren Kosten neue Airlines anlocken, allen voran Billigflieger. Die wollten zwar in der Regel nicht nur fast keine Gebühren entrichten, sondern für ihre Flüge bezahlt werden, etwa durch als Marketingbeihilfen bemäntelte Subventionen, wenn sie Wachstum bringen. Aber weil die Kundschaft Geld in den Parkhäusern, Imbissbuden und Shops ließ, hofften viele Airports zumindest operativ auf schwarze Zahlen und einen Aufschwung für ihre strukturschwache Umgebung.
Dazu setzte die Gesellschaft auf Frachtairlines. Die konnten im dünn besiedelten Hunsrück anders als bei den großen Airports fast rund um die Uhr auch nachts starten und damit eilige Ware einen halben Tag früher ausliefern als mit Flügen von den meist bis sechs Uhr morgens geschlossenen Großflughäfen.
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Doch das Modell kippte bald. Denn nach der Finanzkrise ab 2008 kürzten auch die etablierten Linien wie Lufthansa massiv ihre Kosten und boten mehr günstige Tickets an. Deshalb lohnte sich für viele Passagiere die vergleichsweise lange Anreise zu den Discountairports nicht mehr. Dazu senkten auch die großen Airports ihre Kosten und lockten ihrerseits die Preisbrecher mit niedrigen Gebühren. Also verlegte auch Ryanair Flieger von Hahn nach Frankfurt, weil die Deutschen eben doch nur begrenzt „für billige Tickets über Glassplitter laufen“, wie Ryanair-Chef Michael O’Leary getönt hatte.
Sogar die Cargolinien gingen nach und nach zurück in Metropolen. Für sie überwog am Ende der Vorteil, etwa in Frankfurt ihre Paletten und Container leichter in Linienmaschinen umladen zu können, die immerhin gut die Hälfte der Luftfracht befördern. Die Folge ist, dass Hahn und die Privatisierung nicht nur unter juristischen und politischen Hürden leidet, sondern auch unter den unsicheren wirtschaftlichen Aussichten.
Die Großflughäfen profitieren jedoch von der neuen Welt, wie ein Blick auf die größten deutschen Flughäfen zeigt.
Am meisten profitierte von dem Wandel der Branche zulasten der Billigairports der Flughafen München. Zwar zog Ryanair trotz großer Sprüche nicht in die bayerische Landeshauptstadt, sondern nur ins rund 140 Kilometer entfernte Memmingen. Aber dafür kamen andere Linien wie die Lufthansa-Tochter Eurowings, Transavia oder Easyjet – sowie touristische Airlines. Also baute der inoffiziell nach Franz Josef Strauß benannte zweitgrößte deutsche Airport kräftig aus.
Als einziger Großflughafen Europas gab es gleich zwei Erweiterungsbauten. Das von Lufthansa und den Partnern ihrer Star Alliance exklusiv betriebene Terminal 2 bekam 2016 einen Satelliten und das Terminal 1 einen Erweiterungsbau, der in diesem Jahr fertig wird. Beide zusammen boten Platz für 17 Millionen Passagiere. Das ist mehr als die Kundenzahl der 14 deutschen Regionalairports im Jahr 2019 zusammengerechnet. Damit die Bauten aber ihre Kapazität auch wirklich nutzen können, braucht der Flughafen wie Frankfurt eigentlich auch eine neue Startbahn. Doch deren Bau ist auch rund 20 Jahre nach Beginn der Planung nicht in Sicht.
Auch am Frankfurter Flughafen sorgen die Billigflieger für Wachstum. Dessen neues sternenförmiges Terminal 3 hat deshalb einen eigenen Low-Cost-Bereich, der eigentlich bereits 2022 und damit vor dem Rest des Baus öffnen sollte. Doch weil die Discountlinien wegen der Krise noch in den anderen Abfertigungsgebäuden unterkommen, steht der Start des Billigflugsteigs G frühestens 2024 an. Klar ist jedoch: Dies und der Rest von Terminal 3 dürften angesichts der immer strengeren Auflagen für die Branche die wohl letzten Neubauprojekte auf deutschen Flughäfen sein.
Provinzflughäfen brauchen eigenständiges Geschäftsmodell
Doch der Wandel trifft nicht alle Provinzairports gleich. Wer ein eigenständiges Geschäftsmodell hat, kommt verhältnismäßig gut davon. Das offensichtlichste davon hat Weeze.
Als die britische Royal Air Force im Jahr 1999 ihren Fliegerhorst Laarbruch zivilen Händen überließ, gab es zunächst eine mehrjährige Pause. Erst 2003 gelang der Neustart als erster wirklich privater Airport Deutschlands unter einer niederländischen Investorengruppe um den Logistikunternehmer Hans van de Lande. Anfangs kopierten die Betreiber das Modell von Hahn als Düsseldorf-Weeze und bauten kräftig aus. Aber ab 2010 kippte das Modell auch am Niederrhein.
Die Betreiber steuerten gegen. Zum einen warben sie gezielt um Kunden aus den nahen Beneluxstaaten, denen der Weg nach Amsterdam oder Brüssel zu weit und die Flüge zu teuer waren. Das minderte den Einbruch bei den deutschen Kunden. Gleichzeitig etablierte sich der Flughafen als Eventgelände. Neben Sportveranstaltungen überzeugte der Airport mehrere Festivalbetreiber und ihre Besucher mit seiner guten Erreichbarkeit und den vielen Parkplätzen. So fanden auf dem Gelände das Rockfestival Bizarre und die Electronic- und Dance-Treffs Q-Base und Parookaville mit jeweils bis zu 220.000 Besuchern statt.
Aber auch der Fokus auf die weniger stark schwankenden Teile des Flugverkehrs kann das Überleben sichern, wie das Beispiel Paderborn zeigt.
Auf den ersten Blick braucht Paderborn nicht unbedingt einen Flughafen. Die Region hat zwar rund zwei Millionen Einwohner. Doch die finden im Umkreis von weniger als 100 Kilometern mit Dortmund, Münster, Hannover und Kassel mindestens vier weitere Flughäfen.
Die Daseinsberechtigung von Paderborn-Lippstadt, wie der Airport komplett heißt, kommt von zwei legendären Unternehmern, die jeweils einen eigenen Zweig der Luftfahrt in der Region etablierten. Der erste war der Computerbauer Hans Nixdorf, der für seinen Konzern eine schnelle fliegerische Vernetzung an die weite Welt oder zumindest seine Geschäftsreiseziele wollte und den Bau des Airports forcierte. Damit legte er die Grundlage für die Anbindung anderer Weltmarktführer wie Bertelsmann und viele Mittelständler.
Der Zweite war Air-Berlin-Chef Achim Hunold. Er bot Ferienflüge in die Mittelmeerregion an. Die füllte Hunold, indem er die Kunden jener Reiseveranstalter einsammelte, die hier in der Provinz keine Maschine hätten allein füllen können. Und weil die Region dank der vielen Unternehmen recht wohlhabend ist, zahlen die Kunden auch gerne einen Aufpreis, um sich die lange Anreise und Großflughäfen zu ersparen.
Allerdings litt Paderborn auch stark unter dem Verkehrseinbruch durch Corona und musste gar in die Insolvenz. Doch dabei befreite sich der Airport von vielen Kosten, die seine größeren Wettbewerber bis heute belasten. Somit decken die Urlaubsflüge zwar nur einen Teil der Kosten. Aber zusammen mit dem positiven wirtschaftlichen Effekt der Privatflüge bleibt laut Studien unterm Strich ein Plus bei den Steuereinnahmen.
Gut funktionieren kann auch der gegenteilige Weg, Linienflüge quasi zu einer Art Nebensache zu machen. Das zeigt ein Blick nach Rostock.
Der Küstenflugplatz ist wohl der einzige deutsche Verkehrsflughafen, bei dem keiner die Daseinsberechtigung anzweifelt. Denn hier in Rostock-Laage sitzt das Taktische Luftwaffengeschwader 73 „Steinhoff“ mit seinen Eurofightern sowie die Waffenschule Luftwaffe. Und beide sichern neben dem norddeutschen Luftraum auch mit ihren Gebühren den Grundbetrieb.
Darum stand am Anfang des Ausbaus nicht nur die Hoffnung auf Billiglinien, sondern mehr auf Zubringerflügen der Lufthansa zu Drehkreuzen wie Frankfurt oder für die Kreuzfahrtschiffe im nahen Hafen. Darum hat das Terminal sogar zwei teure Fluggastbrücken. Das sollte anspruchsvolleren Gästen den bei Billigfliegern üblichen Weg bei Wind und Wetter über das Vorfeld ersparen. Doch die Hoffnung trog. Denn selbst im besten Jahr 2011 gab es nur 223.000 Passagiere, inklusive der Bundeswehr-Flugschüler. Denn wegen des besseren Angebots reiste das Gros der wenigen Einwohner in der Region lieber über Hamburg oder Berlin, zumindest als noch Tegel im Norden der Hauptstadt in Betrieb war.
Die Rettung kam aus einer unerwarteten Ecke: von Wolfram Simon-Schröter. Der flugbegeisterte Chef des Familienunternehmens Zeitfracht wollte sein Logistikgeschäft ausbauen und suchte sowohl einen Ort für die geplante eigene Frachtfluglinie und ein drittes Auslieferungszentrum des Konzerns neben Erfurt und dem niedersächsischen Heeslingen. Also übernahm er Ende 2021 den kompletten Flughafen. Auf dem rund 500 Hektar großen Gelände sollten zunächst die Lieferungen für die eigenen Beteiligungen wie die Handelskette Adler Modemärkte, den Buchhändler Koch, Neff und Volckmar (KNV), die Sauter Feinmechanik oder den Elektronikhändler First Wise angenommen, gelagert und in die Läden weiter transportiert werden. Dafür sei ein gut erreichbarer Flughafen ideal, so Simon-Schröter. „Viele unsere Waren und vor allem Textilien kommen per Flugzeug zu uns. Dazu gibt es viel freie Flächen, wenn wir expandieren wollen.“ Und das sei hier im Norden deutlich einfacher als anderswo.
Nur bei einem deutschen Flughafen ist praktisch keine Besserung in Sicht – Kassel.
Der 2013 eröffnete Landeplatz in Nordhessen galt von Beginn an als „Deutschlands überflüssigster Flughafen“, was angesichts der vielen anderen defizitären und kaum ausgelasteten Wettbewerber schon etwas heißen wollte. Dafür sorgte vor allem die Nähe zu Frankfurt mit seinem breiten Angebot – und dass selbst bei optimistischen Schätzungen ein Gewinn des Betriebs unerreichbar schien. Doch am Ende wurde der Airport dennoch gebaut, laut bösen Zungen als Gefälligkeit der Landesregierung in Wiesbaden an den sich oft vernachlässigt fühlenden hessischen Norden.
Am Ende gab es zwar viele Ankündigungen wie die einer Linienverbindung durch Turkish Airlines mit Anschluss an ihr weltweites Netz in Istanbul. Die Zahl der Flüge blieb meist so gering, dass Calden inzwischen nicht mal mehr in der Verkehrsstatistik des deutschen Flughafenverbands ADV auftaucht. Am Ende war das Terminal nie auch nur annähernd so voll wie beim Eröffnungsabend mit 700 Gästen. Darum lag das Defizit stellenweise bei 350 Euro pro abgefertigtem Passagier – mehr als eine Taxifahrt zum Flughafen Frankfurt gekostet hätte. Dass Kassel trotzdem weiter besteht, ist zumindest eine Hilfe für den Hahn. Wer immer den Flughafen im Hunsrück kaufe, so ein Insider, „etwas Besseres bekommt der in jedem Fall hin“.
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