Der Klimawandel hat viele hässliche Gesichter. Eines davon: Der Nordpol erwärmt sich besonders schnell. Das schwächt die Höhenwinde ab, die sonst das Wetter vor sich hertreiben. Die Folge: Das Wetter ist beständiger als vor fünfzig Jahren, in all seinen Extremen. Deswegen bleiben Hochdruckgebiete länger am selben Fleck, bringen wolkenlose Himmel und Sonnenschein, aber damit auch lange anhaltende Trockenheit.
Ein Extrembeispiel ist Frankreich. Hier hat es seit einem Monat nicht mehr geregnet. Die Folgen für Flüsse und Seen sind deutlich sichtbar: Das Wasser zieht sich immer mehr zurück, riesige Sandlandschaften entstehen. Und die Erinnerung an den trockenen Sommer im vergangenen Jahr weckt Befürchtungen, was das für den Trinkwasser-Vorrat, die Landwirtschaft und den Tourismus bedeuten könnte.
Den niedrigen Wasserstand nur mit den letzten Monaten zu erklären, hält Andreas Marx, Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung allerdings für falsch. „Wir reden hier von Prozessen, die sich über Jahre entwickeln.“ Wie sich diese Entwicklungen auf die Gewässerlandschaft in Südeuropa auswirken, zeigen exklusive Satellitenbilder von LiveEO.
Für den Gardasee birgt die Trockenheit eine neue, ungewollte Touristenattraktion: Ein schmaler Sandweg verbindet nun die Halbinsel Punta Belvedere am Westufer des Sees mit der kleinen Insel San Biagio. Auf dem Satellitenbild ist der Pfad als dünne weiße Linie zwischen Festland und Insel zu sehen. Normalerweise müssen Besucher durch knietiefes Wasser waten, um hinüberzugelangen, oder mit dem Boot übersetzen. Auch zum oberen Teil der Insel kommt man nun trockenen Fußes. 2010 sah die Insel noch ganz anders aus, die Sandbänke um die Insel sind nur als helle Schatten unter der Wasseroberfläche erkennbar.
Die Gemeinden am Gardasee haben schon Anfang Februar auf den niedrigen Wasserstand reagiert und Sparmaßnahmen beschlossen. Unter anderem ist die Wasserzufuhr zu einigen Kanälen gedrosselt. Denn klar ist: Für den Tourismus und die Landwirtschaft ist die Region im Sommer auf das Wasser angewiesen, und die aktuelle Bilanz ist erschreckend. Im Februar lag der Wasserpegel im Durchschnitt bei 45 Zentimetern. 2022 um diese Zeit waren es noch 106 Zentimeter.
Nicht nur dem Gardasee ist der trockene Winter anzusehen. Auch die Po-Ebene im Norden Italiens ist betroffen. Die Gemeinde Castelnovo Bariano an der Grenze zwischen Venetien und der Lombardei, liegt oberhalb des Flusses. Zwischen den beiden Satellitenaufnahmen liegen zwölf Jahre. In dieser Zeit hat sich die Landschaft stark verändert. Standen die Bäume in der Flussmitte 2011 noch zum größten Teil unter Wasser, ist die Insel nun viel größer und von Sandbänken umgeben. Das Stück Land, das vorher noch ein schmaler Flussarm abtrennte, gehört nun wieder zum Festland.
Für Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist die Entwicklung sogar Anlass, einen Sonderkommissar damit zu beauftragen, die Wasserknappheit zu bewältigen.
Im Süden Frankreich lassen sich ähnliche Veränderungen beobachten. Der Stausee Lac de Montbel, östlich der Pyrenäen, wirkt, als hätte jemand den Abflussstopfen gezogen. Kleine Inseln liegen komplett auf dem Trockenen.
Viele Gemeinden in Südfrankreich verbieten ihren Bewohnern bereits, Gärten zu bewässern, Autos zu waschen und Swimmingpools zu befüllen. Zunächst einmal bis Ende April, dann wird neu entschieden.
Nördlich von Nizza liegt der Lac du Broc direkt neben dem Fluss Var. Schon 2017 kämpfte der Fluss mit der Trockenheit, aber zumindest der See war noch gut befüllt. Der dunkle Blauton, der auf dem Satellitenbild erkennbar ist, lässt eine gewisse Tiefe vermuten. Doch nach und nach verlor auch der Lac du Broc seine Wassermengen. Aktuell fehlen dem See acht bis neun Meter zum Normalpegel. Der Var ist fast komplett ausgetrocknet.
Und auch im Nachbarland Spanien ist die Trockenheit ein großes Problem. Der Pegel am Yesa-Stausee im Norden des Landes, der auch als „Meer der Pyrenäen“ bezeichnet wird, erreichte im vergangenen Herbst ein historisch niedriges Level: Sein Füllstand war so tief wie seit Jahrzehnten nicht. Schuld ist die Dürre, die in der Region auch im Herbst nicht nachließ.
Obwohl der Wassermangel ein Alarmsignal ist, lässt sich momentan noch nicht absehen, wie schlimm der nächste Sommer wird. „Die Situation heute ist ungünstig. Aber erst, wenn auch Ende April die Böden noch sehr trocken sind, ist es wahrscheinlich, dass die Dürresituation anhält“, sagt Klimaforscher Andreas Marx. Dass es nicht ganz so krass kommen muss, zeigt ein Rückblick auf das Jahr 2021. „Im Frühjahr waren die Böden knochentrocken“, erzählt Marx. Aber als im Sommer Hitzewellen ausblieben und es genug regnete, seien keine Schäden entstanden.
Für die nähere Zukunft sieht es erst mal ganz gut aus: Ein aufziehendes Tiefdruckgebiet soll Frankreich und Italien in den kommenden Tagen Regen bescheren.
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