Wirtschaft von oben #211 – Russische Kohle-Exporte Von wegen russische Kohle für China

Der arktische Hochseehafen von Dudinka, der Kohle nach China verschiffen soll. Quelle: LiveEO/Planet Labs PBC SkySat

Anfang Februar hatte die russische Regierung angekündigt, Kohle über Binnenschiffe ans Polarmeer und von dort nach China zu schaffen. Satellitenbilder zeigen nun, ob das tatsächlich passiert. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Wohl kaum einen Touristen verschlägt es nach Dudinka. Die 22.000-Seelen-Stadt liegt abgelegen im Norden des Westsibirischen Tieflands, 300 Kilometer nördlich vom Polarkreis, und ist nur per Flugzeug oder Schiff zu erreichen. Als Attraktionen listen Reiseportale die nördlichste Eisstadion der Welt, ein Museum mit einem mumifizierten Mammut, eine Konditorei namens Iceberg auf.

Was die wenigen Menschen, die nach Dudinka kommen, hierhin lockt, ist etwas anderes: Der Tiefseehafen. Denn die Stadt liegt, wo der Jenissei, einer der längsten Flüsse der Welt, ins Nordpolarmeer mündet. Seit 1978 halten Eisbrecher Teile der Flussmündung und des Hafens ganzjährig eisfrei. Mehrere Millionen Tonnen Güter, vor allem Metalle aus sibirischen Minen, werden hier pro Jahr verschifft.

Wenn es nach Plänen von Machthaber Wladimir Putin und der russischen Regierung geht, soll Dudinka ein zentraler Umschlagplatz für einen der wichtigsten russischen Rohstoffe werden: Kohle. Laut einem Bericht der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass von Anfang Februar sollen Frachtschiffe von diesem Jahr an viele tausend Tonnen ans Meer und durch die Nord-Ost-Passage bis nach Asien bringen. „Die Kohle wird auf Schiffe geladen und nach China transportiert“, zitiert die Agentur später den Chef der Jenissei-Schiffahrtsgesellschaft, Leonid Fedorov.


Doch auf aktuellen Satellitenbildern von LiveEO ist fast ein viertel Jahr später davon nichts zu sehen. Zwar sind im Hafen von Dudinka kleine Halden mit Kohle zu erkennen – doch die haben sich in den vergangenen Monaten in ihrer Größe kaum verändert. Und im vergangenen Jahr war es schon mal deutlich mehr Kohle. 


Es ist ein deutliches Indiz, dass der versprochene Export bisher nicht anläuft. Der angestrebte Schiffstransport über die Arktis ist ein Versuch, Russlands Rohstoffexporte am Laufen zu halten und Einnahmen zu generieren. Und es dürfte der Versuch sein, die Bevölkerung mit optimistischen Nachrichten zu beruhigen. Seit Europa am 11. August 2022 die Importe russischer Kohle gestoppt hatte, sind die Handelswege gen Westen eingefroren. Im Jahr 2021 kamen noch 50 Prozent der Steinkohle, die in Deutschland verbrannt wurde, aus Russland. Heute landet hier keine russische Kohle mehr im Stromkraftwerk oder Hochofen.

„Seit der Invasion im Februar hat Russland einen Rückgang der Exporte zu verzeichnen und verkauft Kohle mit erheblichen Preisnachlässen, um das Defizit auszugleichen“, heißt es in einer Studie des Fachmagazins „Climate Change“. „Die Invasion hat die Argumente der Kohlelobby für eine kräftige Ausweitung der Exporte in den Osten erheblich gestärkt.“ Gemeint ist vor allem nach China.

Die Binnennachfrage kann den Exportrückgang nicht ausgleichen, denn in den vergangenen Jahrzehnten hat auch in Russland Gas die Kohle in vielen Teilen der Strom- und Wärmeerzeugung ersetzt. Wurde im Jahr 2000 noch 42,1 Prozent der russischen Kohleproduktion in heimischen Kraftwerken verfeuert, waren es im Jahr 2020 nur noch 20,5 Prozent.

Die Kohleindustrie, die immerhin 138.000 Menschen beschäftigt, hängt also immer stärker von der Nachfrage im Ausland ab. Vor allem China und Indien hat Russland nun ins Visier genommen – zwei schnell wachsende Nationen, die große Mengen Kohle für die Strom- und Stahlproduktion benötigen.


Doch die Handelswege nach Osten sind lang und limitiert. Das größte Steinkohlerevier Russlands liegt im Kusnezker Becken in Südwestsibirien. Bisher wurde ein großer Teil der Rohstoffe von dort 4000 Kilometer weit mit Zügen zu russischen oder baltischen Ostseehäfen gefahren und von da per Schiff etwa nach Hamburg transportiert.

Der Weg nach Asien ist erheblich weiter. Zwar gibt es eine Gleisverbindung etwa über die Transsibirische Eisenbahn, doch die sei „ein ernsthafter Engpass bei der Beförderung von Kohle zu den Häfen an der Ostküste“, schreiben die Autoren der Climate-Change-Studie. Es gibt zwar Pläne, die Route für die Kohletransport auszubauen, doch passiert ist wenig.

Darum nimmt die Steinkohle aus Kusnezk aktuell eine andere Route nach Nordwesten – zum Hafen Murmansk am Arktischen Ozean. Wurden 2010 noch 9,5 Millionen Tonnen Kohle über Murmansk exportiert, waren es 2019 schon 16,2 Millionen Tonnen. Seit der Invasion hat Murmansk einem Bericht der Zeitung Kommersant zufolge weiter an Bedeutung gewonnen. Insgesamt seien die Kohleausfuhren über die russischen Häfen in den ersten vier Monaten 2023 um 18 Prozent gestiegen, heißt es in dem Bericht.

Doch von dort brauchen Frachtschiffe auf dem Weg durch den Suez-Kanal und den Indischen Ozean etwa 45 Tage bis zu den chinesischen Häfen. Der Transport wird also deutlich teurer als nach Westeuropa. Und genau das macht die Arktisroute für Russland so verlockend: Von Murmansk nach China dauert es nur 22 Tage, von Dudinka wäre der Weg noch kürzer.

Erst einmal muss die Kohle aber aus dem Kusnezker Becken in den Tiefseehafen gelangen. Den ersten Teil der Reise soll sie per Eisenbahn zurücklegen – zu den sibirischen Städten Lessosibirsk und Krasnoyarsk. Beide liegen am Fluss Jenissei und haben größere Hafenanlagen. Hier, so der Plan, soll die Kohle aus den Zugwaggons auf schwimmende Bargen geschüttet werden. Ein erster Transport mit 30.000 Tonnen sei nun geplant, meldete die Agentur Tass schon vor einigen Wochen. Doch Satellitenbilder zeigen: In den letzten Wochen sind auch in Lesosibirsk und Krasnojarsk keine größeren Ladungen für den Weitertransport angekommen.


In Lesosibirsk endet die Eisenbahnstrecke von Atschinks, eine Abzweigung von der Transsibirischen Eisenbahn. Sie wurde ursprünglich für den Transport von Holz gebaut. Mehrere Holzverarbeitungsanlagen haben sich in Lessosibirsk angesiedelt, noch heute werden Holzstämme auf dem Jenissei zu Flößen verbunden und stromabwärts transportiert.

Für Schiffe ist der Fluß nur begrenzt befahrbar: Von November bis April ist der Fluss zugefroren, die Schifffahrt ist weitgehend eingestellt. Der Kohleexport über die Arktisroute kommt also nur in den eisfreien Monaten in Frage. Wenn es taut im Mai, erschweren Hochwasser die Navigation, im Unterlauf steigt der Jenissei um bis zu 20 Meter an.


Neben der Befahrbarkeit des Flusses ist auch noch fraglich, ob die Häfen genug Lagerkapazität haben und ob es genug Schiffe gibt, die die Kohle transportieren können. Experten zweifeln auch an, ob die Kosten für den Export über solch weite Strecken die Kohle noch wettbewerbsfähig macht – etwa mit der aus Australien.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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