Wirtschaft von oben #33 – WM-Stadien in Katar Kicken, wo es selbst Kamelen zu heiß ist

Sie bieten einen der ambivalentesten Anblicke, die sich derzeit auf der Welt bieten: Exklusive Satellitenbilder zeigen, wie in Katar die Stadien für die Weltmeisterschaft 2022 in hohem Tempo aus dem Boden sprießen. Architektonisch sind die Fußball-Arenen faszinierende Bauten. Doch zugleich stehen sie für das harte Los der Bauarbeiter, deren Arbeit diese Spielplätze erst ermöglichen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.


Als am 2. Dezember 2010 die Entscheidung des Fußballweltverbands Fifa bekannt gegeben wurde, reagierte nicht nur die Fußball-Welt schwer irritiert – eine WM in der Wüste? Kicken bei mehr als 40 Grad im Schatten? Tausende von Fans aus aller Welt, die in größter Hitze zu matt sind, ihre Teams anzufeuern – oder gar nicht erst anreisen?

Die Vergabe des hochkarätigsten Ereignisses auf dem Kicker-Kalender an einen Staat ohne Fußballtradition stand rasch im Mittelpunkt umfangreicher Korruptionsermittlungen. Fifa-Chef Blatter wurde abserviert, UEFA-Chef Platini verlor seinen Job, zwischendurch wurden immer wieder Rufe laut, dem Emirat die WM wieder abzunehmen und beispielsweise nach Europa zu verlegen.

Heute ist das nicht mehr das Thema, da die WM näher rückt. Profiligen weltweit haben ihre Spielpläne inzwischen auf die erste Weltmeisterschaft eingestellt, die statt im Sommer wegen der geringeren Temperaturen im Advent stattfinden wird. Acht Stadien sind als Spielorte geplant, ursprünglich sollten es mehr sein: Der Masterplan des Frankfurter Architekturbüros Albert Speer & Partner hatte zunächst zwölf Stadien in der Wüste vorgesehen, teilweise in Sichtweite zueinander. Teil des Konzepts: Kühlung auf jedem Sitzplatz, 20 Grad Lufttemperatur im Mittelkreis, und das selbst bei Außentemperaturen von 50 Grad. Wie weit die Kataris beim Bau der acht Stadien sind, zeigen exklusive Satellitenbilder von LiveEO.

Doch nicht nur Sinn und Unsinn der Bauten selbst standen in den vergangenen Jahren im Fokus, es hagelte auch massiv Kritik an ihrer Errichtung. Tausende von Gastarbeitern aus Bangladesch, Nepal oder Pakistan schuften auf den Baustellen. Kritiker nennen die Art und Weise, wie sie hier behandelt werden, eine moderne Form der Sklaverei. Dafür sorgt das viele Jahre im Emirat praktizierte Kaffala-System: Arbeitskräfte auch in anderen Branchen müssen ihren Reisepass abgeben und bekommen ihn im günstigsten Falle nach Ablauf ihres Arbeitsvertrags wieder ausgehändigt. Ohne den Pass können sie das Land nicht verlassen.


Dazu sind die Löhne äußerst gering, die Arbeitsbedingungen auf den in hohem Tempo voranschreitenden Baustellen gefährlich. Kritiker rechnen damit, dass eine vierstellige Zahl von Arbeitern beim Bau der WM-Stadien ums Leben gekommen ist. Von den rund zwei Millionen Gastarbeitern im Land arbeiten laut Amnesty International gut zwei Prozent auf den Stadien-Baustellen. Viele weitere der Arbeitsmigranten sind beim Bau der Infrastrukturprojekte eingesetzt – Hotels, Trainingsanlagen, dem komplett neuen U-Bahn-System sowie den Schnellstraßen. Insgesamt soll Katar nach Schätzungen rund 200 Milliarden Dollar in den Umbau und die Errichtung der Spielstätten und ihrer Umgebung gesteckt haben.

Offiziell ist das Kaffala-System inzwischen zwar abgeschafft. Tatsächlich hat das Emirat mit der International Labor Organization (ILO) der Vereinten Nationen zusammengearbeitet mit dem Ziel, ein neues verbessertes Arbeitsgesetz zu entwickeln. Das trat laut Amnesty im Januar in Kraft. Amnesty bleibt allerdings skeptisch – schließlich seien auch in den vergangenen Jahren bereits Verbesserungen in Aussicht gestellt, aber nicht eingehalten worden.

Dessen ungeachtet gehen die Bauarbeiten weiter zügig voran. Katar hält daran fest, die Stadien bereits im kommenden Jahr und damit ein Jahr vor Beginn der WM komplett fertig stellen zu wollen. Die Klub-WM, die im Dezember in Doha über die Bühne gegangen war, stellte die jüngste Generalprobe für die WM dar.

Lusail Stadium

Und was bislang sichtbar wird, dürfte Architekturfans beeindrucken. Denn bei aller berechtigten Kritik entstehen mitunter ikonische Bauten – so erinnert das Al Bayt Stadion an die traditionellen Zelte der Beduinen, das Al Rayyan ist so fröhlich bunt, als hätten sich Kinder mit Buntstiften austoben dürfen, und das Lusail Iconic Stadion, das beim Eröffnungsspiel und beim Finale über 86.000 Zuschauern Platz bieten soll, wirkt mit seinem schließbaren Satteldach schon als Baustelle schwer beeindruckend. Entworfen wurde es vom Büro des Londoner Star-Architekten Norman Foster. Teil des Konzepts ist ein Rückbau des Stadions nach dem Abpfiff des WM-Finales. Die meisten Sitze werden nach dem Turnier demontiert und an Sportprojekte auf der ganzen Welt gespendet. Geschäfte, Cafés und eine Klinik sollen stattdessen hier einziehen und den riesigen Raum füllen.

Auch die übrigen Arenen sollen nach dem Finale der Advent-WM nicht das Schicksal anderer WM-Stadien wie in Südafrika oder Brasilien ereilen, die teils völlig überteuert und überdimensioniert waren und wieder abgerissen wurden. Stattdessen sollen sie entweder komplett oder teilweise zerlegt werden. Einige hunderttausend Sitzschalen etwa wollen die Kataris auf afrikanischen Fußballplätzen verbauen. Ob das indes reicht, die vielen Kritiker des Wüstenspektakels für das Fifa-Projekt zu begeistern, ist sehr unwahrscheinlich.

Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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