Wirtschaft von oben #54 – Ostsee-Pipeline So weit ist die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2

Die USA kündigen neue Sanktionen gegen die umstrittene Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland an. Exklusive Satellitenbilder zeigen, wie weit das Projekt bisher fortgeschritten ist. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

NordStream2

Kurz vor dem Ziel greifen die Amerikaner erneut an. Unter der Federführung von zwei US-Senatoren, dem Republikaner Ted Cruz und der Demokratin Jeanne Shaheen, stellten die Politiker vor wenigen Tagen einen neuen Gesetzentwurf vor, mit dem sie das deutsch-russische Erdgasprojekt Nord Stream 2 doch verhindern wollen.

Der neue Gesetzentwurf sieht Sanktionen nicht nur gegen alle Unternehmen vor, die Schiffe zur Verlegung der Rohre stellen. Auch Firmen, die Schiffe für andere Aktivitäten im Zusammenhang mit den Verlegearbeiten anbieten, drohen Strafmaßnahmen. Dabei kann es sich zum Beispiel um das Ausheben von Gräben für die Gasleitung handeln, um die Vermittlung eines Verkaufs, Verleihs oder der Bereitstellung von Verlegeschiffen oder die Installation von Schweißausrüstungen für diese Schiffe und deren Nachrüstung. Auch Firmen, die solche Schiffe versichern oder die Pipeline zertifizieren, drohen Sanktionen. Von den Beteiligten könnten Vermögenswerte in den USA eingefroren werden.

Es ist ein neuer Versuch, Nord Stream 2 in aller letzter Minute doch noch zu stoppen. Denn die Gasleitung ist fast fertig. Es fehlen nur noch knapp 150 Kilometer von insgesamt 1230 Kilometern von der russischen Küste bis zur Anlandestation auf der deutschen Seite in Lubmin bei Greifswald. Die sind allerdings entscheidend.


Die Gasleitung beginnt in der russischen Narwa-Bucht in der Region Leningrad. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen, wie die Leitung in den Aufnahmen links mitten in einer grünen Flusslandschaft entsteht. Das Areal ist das russische Naturschutzgebiet Kurgalski. Für das Projekt bauten die Russen eine Straße mitten hindurch. Dann kam eine Anlandestation dazu, wie auf den Aufnahmen rechts zu sehen ist. Sie ist die Verbindungsstation zum russischen Erdgasnetz und umfasst alle Systeme wie Molchschleusen und Absperrventile zur Überwachung des einströmenden Erdgases.


In Lubmin, einem Seebad an der Ostsee im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns, und auf der Insel Rügen, wird ebenfalls seit Jahren fleißig an dem Megaprojekt gebaut. Die Aufnahmen zeigen, wie sich das Areal des Hafens von Lubmin seit 2016 entwickelt hat. Inzwischen ist für die Anlandung der Erdgasrohre aus Russland alles vorbereitet.

Westlich des Hafens von Lubmin, auf einem rund sechs Hektar großen Gelände, stehen schon Steuer- und Regeleinrichtungen für den sicheren Betrieb der Gasleitung und eine Molchempfangsstation. Die soll die neue Pipeline mit dem europäischen Fernleitungssystem verbinden. Von hier soll das Gas zunächst in die benachbarte Erdgasempfangsstation des Gasnetzbetreibers Gascade und von da aus weiter in die Nordeuropäische Erdgasleitung und Europäische Gas-Anbindungsleitung strömen.

Überwacht und gesteuert werden soll das Projekt allerdings vom Kontrollzentrum im schweizerischen Zug. Dort hat die Nord-Stream-2-Projektgesellschaft ihren Sitz, die dem russischen Energieriesen Gazprom gehört. Die neue Pipeline soll eine jährliche Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern haben – genug Erdgas für rund 26 Millionen Haushalte. Die Rohre für die restlichen Kilometer liegen unter anderem im Industriegebiet Mukran auf Rügen bereit, wobei sich deren Menge seit 2018 deutlich verlängert hat.

Schließlich fehlen nur noch 150 Kilometer der Pipeline. Die bisherigen Rohre haben spezielle Verlegungsschiffe auf hoher See auf dem Meeresboden zwischen Russland und Deutschland verlegt. Die Schweizer Firma Allseas zog allerdings wegen US-Sanktionen Ende 2019 ihr Spezialschiff zur Verlegung der Rohre kurz vor der Fertigstellung aus der Ostsee ab. Damit verzögerten die Amerikaner das Projekt schon um mindestens ein Jahr.

Russland hat daraufhin sein eigenes Schiff zur Verlegung der Rohre von Sibirien in die Ostsee geschickt. Die Akademik Cherskiy war Monate unterwegs. Erst Anfang Mai ist das russische Verlegeschiff im Hafen von Mukran auf Rügen angekommen. Um die letzten Rohre zu verlegen, muss es allerdings noch nachgerüstet werden.

Russisches Verlegeschiff Akademik Cherskiy

Die drohende Fertigstellung ist jedoch ein Dorn im Auge der Amerikaner – da sind sich sogar sowohl US-Präsident Donald Trump als auch seine Republikaner und die Demokraten in beiden Kammern des Kongresses einig. Die USA argumentieren, Deutschland begebe sich damit in Abhängigkeit von Russland. Stattdessen sollen die Europäer lieber Flüssiggas aus Amerika kaufen. Senator Cruz sagte, es gebe einen überparteilichen Konsens in beiden Kammern des US-Kongresses, dass Nord Stream 2 „eine kritische Bedrohung für die nationale Sicherheit Amerikas darstellt und nicht fertiggestellt werden darf“. Im Dezember hatten sowohl der Senat als auch das Repräsentantenhaus mit großen Mehrheiten ein „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ verabschiedet, das durch den neuen Entwurf ergänzt werden soll.

Vor allem Deutschland gerät zwischen die Fronten. Kein anderes europäisches Land hat sich so als Drehscheibe für Gasimporte aus Russland positioniert. Den osteuropäischen Nachbarländern passt das neue Energieprojekt mit Russland hingegen gar nicht, zumal auch noch deutsche Energiekonzerne vom Bau der Pipelines profitieren.

Der russische Staatskonzern Gazprom, der die Hälfte der geplanten Gesamtkosten von 9,5 Milliarden Euro stemmen soll, hatte im Jahr 2015 fünf europäische Energiekonzerne überzeugt, sich an der Finanzierung der neuen Pipeline Nord Stream 2 zu beteiligen. Engie (Frankreich), OMV (Österreich), Shell (Niederlande/Vereinigtes Königreich, Uniper (Deutschland) und Wintershall (Deutschland) finanzieren den Bau mit jeweils bis zu 950 Millionen Euro und kommen damit für die andere Hälfte der Gesamtkosten auf, ohne sich als Gesellschafter an der Nord Stream 2 Aktiengesellschaft zu beteiligen. Mit dieser Konstruktion umging der russische Staatskonzern zum Ärger der Amerikaner die schon bestehenden US-Sanktionen gegen Russland. Die verbieten es US-amerikanischen Investoren, russische Energieprojekte zu finanzieren.

Geplante Route für Nord Stream 2

Russland will trotz der neuen Drohungen mit US-Sanktionen am Bau des Megaprojektes festhalten. Die Pläne hätten sich nicht geändert, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge: „Unsere Haltung zu solchen Sanktionsübungen ist bekannt. Sie ist äußerst negativ.“ Solche Bestrebungen seien nichts anderes als eine Fortsetzung von unlauterem Wettbewerb und Handlungen, die gegen internationales Recht verstoßen, so Peskow. Ähnlich hatte sich auch die Nord Stream 2 AG geäußert und von einer „rechtswidrigen Diskriminierung europäischer Unternehmen“ gesprochen.

Die deutsche Wirtschaft warnt ebenfalls vor neuen US-Sanktionen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2. „Die Pläne sind eine direkte Bedrohung für die Rechtssicherheit in der EU und würden zu US-Sanktionen gegen Dutzende von deutschen und europäischen Unternehmen führen“, sagte der Vorsitzende des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Oliver Hermes. Der nun von US-Senatoren vorgelegte Gesetzentwurf werde „einen großen Scherbenhaufen im transatlantischen Verhältnis verursachen“. Der Ostausschuss forderte sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission auf, die Souveränität europäischer Entscheidungen zu schützen.

Haben die USA dem Megaprojekt mit ihren neuen Sanktionsdrohungen nun endgültig den Todesstoß versetzt? Die Nord Stream 2 AG teilte mit, man prüfe etwaige Auswirkungen einer Verabschiedung des Gesetzentwurfs für das Projekt. Die Bemühungen, dieses Vorhaben zu behindern, zeigten eine klare Missachtung der europäischen Verbraucher, die Milliarden mehr für Erdgas zahlten, wenn diese Pipeline nicht fertiggestellt werde.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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