Wirtschaft von oben #56 – Wasserstoff Hier baut Japan die erste Wasserstoff-Lieferkette

Während Deutschland Wasserstoff als künftigen Energieträger etablieren will, baut Japan bereits die weltweit erste Lieferkette für den neuen Brennstoff der Zukunft auf. Exklusive Satellitenbilder zeigen die Entstehung der einzelnen Stationen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Solarstrombetriebene Elektrolyse-Anlage für H2 in Fukushima

Der Ort und der Tag, an dem Japan die weltgrößte Produktionsanlage für „grünen“ Wasserstoff in Betrieb nahm, wählten die Beteiligten mit Bedacht. Denn die erste solarstrombetriebene Elektrolyseanlage für Wasserstoff ist 20 Kilometer nördlich des zerstörten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi entstanden. 2011 hatte der Tsunami diese Flächen am Pazifik noch überflutet. Und Premier Shinzo Abe eröffnete die Anlage im März wenige Tage, bevor sich der Atomunfall zum neunten Mal jährte. Dabei fuhr der Regierungschef mit einem Prototyp des neuen Brennstoffzellenautos von Toyota vor und kündigte die Morgendämmerung jener „Wasserstoffgesellschaft“ an, die Japan sich vor sechs Jahren auf die Fahnen geschrieben hat. Das Signal: ein radikaler Wandel der Energiepolitik.

Die Inselnation will bei dem neuen Energieträger zweigleisig fahren, wie exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen. Anders als Deutschland setzen die Japaner einerseits auf „grünen“ Wasserstoff, der wie nun in Fukushima mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne gewonnen wird. Dieser Strom ist aufgrund des teuren Bodens und des tiefen Meeresbodens in Japan jedoch relativ teuer – und treibt damit auch die Kosten von „grünem“ Wasserstoff nach oben.

Billiger könnte der zweite Ansatz der Asiaten sein: „blauer“ Wasserstoff, der mittels fossiler Brennstoffe entsteht. Das anfallende Kohlendioxid wollen die Japaner entweder chemisch weiterverwenden oder im Boden lagern und so das Treibhausgas neutralisieren „Auf nationaler Ebene zielt Japan also auf ‚blauen’ Wasserstoff, während die Präfektur Fukushima sich die höheren Kosten von ‚grünem’ Wasserstoff leisten kann“, erläutert der deutsche Wissenschafts- und Unternehmensberater Lorenz Granrath in Tokio.

Japan gehört wie Deutschland zu den ressourcenarmen Ländern. Die letzte Kohlezeche schloss das Land schon vor fast zwei Jahrzehnten, Öl und Gas vor den Küsten lassen sich nur unter hohen Kosten erschließen. Deswegen hat sich nun die Regierung in Tokio mit Australien zusammengetan, um die weltweit erste Lieferkette für Wasserstoff aufzubauen – auf Basis australischer Braunkohle. Australien wird so seine Kohlevorräte los, die für einen Transport sonst zu feucht und entzündlich sind. Und Japan hat einen preisgünstigen Ausgangsstoff für Wasserstoff.

Der Bau einer kleinen Pilotanlage im Bundesstaat Victoria auf einer Fläche von 5.000 Quadratmetern begann Anfang 2019, seit Kurzem ist sie betriebsbereit, wie auf den obigen Bildern zu sehen ist. Die Technologie, Braunkohle zu Wasserstoff zu vergasen, liefert der Mischkonzern Kawasaki Heavy Industries. Dabei wird die Kohle mit Sauerstoff unter hohem Druck und Temperaturen zu Synthesegas umgewandelt, einem Gemisch, das hauptsächlich aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff besteht. Die Pilotanlage wird in dem bald beginnenden, einjährigen Testbetrieb aus insgesamt bis zu 160 Tonnen Braunkohle bis zu drei Tonnen Wasserstoff herstellen.

Doch vom Bundesstaat Victoria ist es ein weiter Weg bis Japan. Reguläre Tanklastwagen bringen den unter hohem Druck abgefüllten Wasserstoff zunächst zum 180 Kilometer entfernten Hafen von Hastings. Dort hat Kawasaki Heavy seit dem Vorjahr die erste Verflüssigungsanlage für Wasserstoff in Australien aufgebaut, wie die Bilder zeigen.

Der extrem leichte Wasserstoff wird dafür unter hohem Druck auf -253 Grad Celsius gekühlt. Dabei nimmt seine Dichte um den Faktor 800 zu und er verflüssigt sich. Trotzdem passen in einen 20-Liter-Eimer nur 1,4 Kilogramm Flüssig-Wasserstoff, zehn Mal weniger als Benzin. Geholfen haben den Entwicklern dabei Erfahrungen aus einem ganz anderen Bereich: der Lagerung und dem Transport von Raketentreibstoff.

Den Wasserstoff über den Pazifik zu schippern ist eine Weltpremiere. Denn bislang fehlen dafür internationale Transportvorschriften. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) hatte die Probetransporte jedoch vor vier Jahren vorläufig genehmigt.

Hyogo-Ku-Werft

Auch für den Transport selbst mussten die Japaner neue Wege gehen. Denn die Behälter von regulären Gastanks sind nicht dicht genug, um Wasserstoff weitgehend verlustfrei zu transportieren. Deswegen baut Kawasaki Heavy auf einer Werft in Kobe derzeit den Spezialtanker Suiso Frontier, auf Deutsch „Wasserstoff-Front“, wie auf dem Bild zu erkennen ist. Die Schiffstaufe erfolgte im Dezember, der Stapellauf wird im Herbst erwartet.

Sein vakuumisolierter, doppelwandiger Tank kann 1.250 Kubikmeter Flüssigwasserstoff aufnehmen. Zum Vergleich: Das sind einhundert Mal weniger als in einem normalen Flüssiggastanker. Für die einjährige Pilotphase soll die „Suiso Frontier“ alle drei Monate zwischen Australien und Japan hin- und herfahren.

Den letzten Schritt haben die Projektpartner schon vor zwei Jahren getestet. Damals verbrannten sie den Wasserstoff in einem Erdgaskraftwerk in Kobe und erzeugten Strom und Abwärme. Insgesamt geben die beteiligten Unternehmen 300 Millionen Euro aus, um diese einzigartige Vision umzusetzen. Allerdings ist der ganze Aufwand noch recht hoch, sodass es noch dauern könnte, bis Wasserstoff zu einer wirklichen Alternative wird.


Einfacher hat es da der „grüne“ Wasserstoff aus Fukushima. Die Projektgruppe, an der etwa eine Tochtergesellschaft von Toshiba beteiligt ist, baute zunächst ab Juli 2018 sukzessive ein Solarkraftwerk mit einer Leistung von 20 Megawatt. Die Entwicklung auf der 180.000 Quadratmeter großen Fläche ist in den Bildern zu sehen. Neben den Solarzellen stehen nun eine Elektrolysebatterie, ein Wasserstofftank, Brennstoffzellen und einer Abfüllanlage für Tanklastwagen. Noch befindet sich die Anlage im Testlauf, der Regelbetrieb soll aber im Sommer beginnen.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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