Wirtschaft von oben #57 – Sand Mit Flächen aus ärmeren Ländern: So wächst Singapur

Satellitenbilder zeigen, wie der südostasiatische Stadtstaat seine Landfläche auf Kosten anderer Länder massiv erweitert. Weil jedoch der Import von Sand immer schwieriger und teurer wird, muss Singapur jetzt auch auf Alternativen setzen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Singapur

Ein Viertel der Landfläche Singapurs besteht heute aus künstlich aufgeschüttetem Land. Das belegen eindrucksvoll historische und aktuelle Satellitenaufnahmen von LiveEO. Den internationalen Flughafen Changi, die Hafenanlagen, Industriegebiete, gar große Teile der Innenstadt haben die Regierenden des Stadtstaates seit der Unabhängigkeit von Großbritannien dem Meer abgerungen. Ein genauerer Blick aus dem All offenbart zudem, dass die Landgewinnung längst nicht abgeschlossen ist.


Weil jedoch immer mehr Länder Sandexporte nach Singapur verbieten, härter gegen Schmuggler vorgehen und den Preis in die Höhe treiben, muss das Land jetzt seine Strategie ändern – es setzt auf Asche als Baumaterial. Zudem will die Regierung in den nächsten Jahren ähnlich wie in den Niederlanden Deichanlagen bauen, um neues Land zu gewinnen.

Eine Straße verdeutlicht die Expansion Singapurs ins Meer wie kein anderer Ort in der Stadt: die Beach Road. Wer sie heute westwärts entlangläuft, vorbei an historischen Bauten wie dem Raffles Hotel, kann sich kaum vorstellen, dass diese einst am Strand standen und Hotelgäste einen Blick auf die See hatten. Heute liegt die Straße kilometerweit vom Ufer entfernt. Ganze Stadtteile und Parks sind inzwischen dort entstanden, wo einst nur tropisches Meer schwappte. Die Fläche von Singapur wuchs so um etwa 150 Quadratkilometer. Das entspricht in etwa der Ausdehnung einer Stadt wie Augsburg.

Diese beispiellose Landgewinnung machte Singapur in den vergangenen Jahrzehnten zum größten Sandimporteur der Welt. Das Material kam vor allem aus südostasiatischen Staaten wie Malaysia, Vietnam, Kambodscha und Indonesien. Laut UN fielen der Expansion Singapurs mindestens 24 indonesische Inseln zum Opfer, die einfach abgetragen wurden. An der kambodschanischen Küste bedroht der Abbau von Sand die Lebensgrundlage der Fischer. In Vietnam brechen immer wieder Teile des Ufers in den Fluss Mekong, weil zu viel Sand aus dessen Lauf gebaggert wird.

In Singapur landete der Sand dann beispielweise dort, wo der heutige Changi Airport liegt. Rund um einen alten Militärflughafen im Osten des Stadtstaats ließ die Regierung seit 1975 massiv Land aufschütten und baute eines der größten und wichtigsten Luftverkehrsdrehkreuze der Welt auf. Bis ungefähr 2005 wurde hier noch Land dazu gewonnen, zeigen Satellitenaufnahmen.

Zwischen 1995 und 2000 entstand außerdem aus einem Dutzend kleinerer Inseln Singapurs die große Insel Jurong. Mit 30 Quadratkilometern ist sie mittlerweile auf die dreifache Größe angewachsen. Auf ihr betreiben heute vor allem petrochemische Unternehmen ihre Anlagen, darunter auch deutsche Konzerne wie Lanxess, BASF und Evonik. Der US-Ölkonzern ExxonMobile hat hier eine gewaltige Raffinerie gebaut. Dieses petrochemische Cluster macht Singapur heute zu einem der wichtigsten Ölverarbeiter der Welt.

Während der Arbeiten verbot allerdings Malaysia 1997 alle Sandexporte nach Singapur. Indonesien folgte 2008, Vietnam 2009. Geändert hat das zumindest anfangs wenig. Was nicht auf offiziellem Wege nach Singapur gelangte, wurde geschmuggelt. Vor allem in Malaysia gab es immer wieder Schmiergeldaffären in diesem Zusammenhang.

Pulau Semakau

In den letzten Jahren allerdings, auch getrieben durch einen beispiellosen Bauboom in anderen Teilen der Welt, stieg der Preis für Sand so massiv an, dass Singapur nun händeringend nach Alternativen sucht. Ähnlich wie in Jurong soll auch rund um die Insel Semakau aus vielen kleinen Eilanden ein großes entstehen. Begonnen haben die Arbeiten hier 1999 und sollen 2045 abgeschlossen sein.

Im Unterschied zu den bisherigen Landgewinnungsprojekten wird diese Insel allerdings zu einem Großteil durch Asche aufgeschüttet, die in den Müllverbrennungsanlagen des Stadtstaates entsteht. An dem Projekt beteiligt ist auch der nordrhein-westfälische Rethmann-Konzern mit seiner Düsseldorfer Tochter Remax Mineralien. Die reinigt die Asche unter anderem von Metallrückständen, bevor sie ins Meer geschüttet wird.

Ganz in der Nähe liegt die Insel Tekong. Einst wohnten hier mehrere Tausend Chinesen, Malaysier und Ureinwohner. Heute ist die im äußersten Osten gelegene Insel eine riesige Trainingsanlage fürs Militär. Und aktuelle Satellitenaufnahmen zeigen, dass die Regierung seit etwa 20 Jahren daran arbeitet, die Fläche der Insel zu verdoppeln. Neuesten Bildern zufolge ist knapp die Hälfte der Arbeit geschafft. Und die künftigen Umrisse der Insel zeigen, dass Singapur jeden Zentimeter nutzt, denn die Küstenlinie wird genau an der Grenze zu Malaysia verlaufen.

Südlich von Tekong gibt es dagegen noch Potenzial. Singapurs Regierung verkündete vergangenes Jahr, dass man hier zukünftig auch durch den Bau von Deichen Land trockenlegen will – ähnlich wie in den Niederlanden. Zudem sollen hier mithilfe von Dämmen neue Frischwasserreservoirs entstehen.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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