Wirtschaft von oben #68 – Flugzeugfriedhöfe Hier boomen die Sterbeairports

Die nicht enden wollende Coronakrise raubt mehr und mehr Fluglinien die Hoffnung auf baldige Erholung. Satellitenbilder zeigen nun, dass die Flugzeugfriedhöfe in Australien und im Südwesten der USA stark wachsen. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Roswell Airpark

Für den Chef des Roswell Airpark im US-Bundesstaat New Mexico, Scott Stark, hatte American Airlines vor anderthalb Wochen eine schlechte Nachricht. Die nach Passagieren weltgrößte Airline verkündete, dass sie die Stadt ab Oktober bis auf Weiteres nicht mehr anfliegen wird.

Doch Stark kann es verschmerzen. Denn der ehemalige Militärflughafen hat längst ein viel wichtigeres Geschäftsfeld gefunden: Das Abstellen und Wiederverwerten überflüssiger Verkehrsmaschinen. Laut einer Statistik des Schweizer Datendienstleisters CH-Aviation ist der Flughafen einer der größten in dem Feld und hat seit Beginn der Coronakrise statt bis zu 300 nun gut 600 Maschinen auf dem Gelände.

Einen ähnlichen Aufschwung erleben derzeit auch viele andere abgelegene Landeplätze in aller Welt: Von Goodyear westlich von Phoenix im US-Bundesstaat Arizona über Teruel in Ostspanien bis nach Alice Springs, ziemlich genau im Zentrum von Australien. Das zeigen exklusive Satellitenbilder von LiveEO. Alle diese, in der Branche Boneyards (Friedhöfe) genannten Plätze zum langfristigen Abstellen und Verschrotten von Flugzeugen, melden Rekordzahlen. Auf manchen, wie im Pinal Airpark bei Tucson, Arizona, hat sich die Zahl der abgestellten Jets innerhalb der vergangenen zwölf Monate mehr als verdoppelt.

„Es gab noch nie so viele still gelegte Maschinen wie in diesem Jahr“, sagt Rob Morris, Chef des auf die Reisebranche spezialisierten Datenhauses Cirium. Bereits im vorigen Jahr war es da relativ voll. Dafür sorgte das wachsende Überangebot an Flugzeugen und das Flugverbot der Boeing 737 Max nach zwei Abstürzen. Darum hatten die Fluglinien laut einer Übersicht des Schweizer Datendienstleisters CH-Aviation bereits im Januar 5800 Flugzeuge der jüngeren Generation auf längere Zeit oder gar zum Verschrotten abgestellt. Doch seitdem hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.

Ein Blick von oben auf Flugplätze wie Teruel oder Tarbes in Südfrankreich zeigt: Darunter sind auch viele neue Modelle, nicht zuletzt der Superjumbos Airbus A380 oder der sparsame A350. Anderswo stehen auffällig viele des aktuellen Boeing-Topmodells 787 Dreamliner.

Der Grund ist der beispiellose Einbruch des Flugverkehrs in Folge in der Coronapandemie. Wegen der Angst vor Ansteckung und der vielen Reiseverbote war etwa im April im Vergleich zum Vorjahr stellenweise nur noch ein Zwanzigstel der Passagiere unterwegs.

Die Aussichten, dass viele der still gelegten Jets so schnell zurückkommen wie nach früheren Krisen ist denkbar gering. Zwar waren laut CH-Aviation Ende Juli bis Mitte August bereits wieder rund 50 Prozent mehr Maschinen unterwegs als noch zum Höhepunkt der Krise im April. Doch seitdem hat die Zahl der aktiven Flieger fast nicht mehr zugenommen. Stattdessen droht sie wieder zu sinken, weil viele Airlines ihre Flugpläne wieder ausdünnen. Selbst die notorisch optimistische Ryanair, die im Herbst wieder 70 Prozent ihres Flugparks in der Luft haben wollte, geht nun von nur noch gut 60 Prozent aus.

Besonders die großen Langstreckenlinien wie British Airways und die australische Qantas legen immer weitere Teile ihrer Langstreckenflotte nicht mehr nur kurzfristig still, sondern langfristig. „Vor 2022 kommend die wohl nicht zurück“, so Qantas-Chef Alan Joyce. Selbst die nahe am wichtigsten Wachstumsmarkt China fliegende Singapore Airlines hat von ihren vor der Krise rund 220 Passagierjets nur noch 60 am Himmel – und die Hälfte mildert als Behelfsfrachter die durch die ausgedünnten Flugpläne entstandene Lücke bei der Luftlogistik.

Das facht gar eine Art Verdrängungswettbewerb an um zentral gelegene Airports, wo die Jets bei einer Erholung des Verkehrs schnell wieder in den Normalbetrieb zurückgeholt werden können. So schickte Singapore ihre Maschinen so schnell in den Friedhof von Alice Springs, dass Lokalmatador Qantas für seine Jets dort bis zum Ende des laufenden Ausbaus keinen Platz mehr bekam und seine Langstreckenflotte notgedrungen vor allem in den USA abstellen muss.

Dass nun wieder mehr Jets erneut stillgelegt werden, liegt auch an der Furcht vor weiteren Reisebeschränken rund um eine erwartete zweite Welle der Coronapandemie. Bis Anfang August wuchs die Hoffnung auf eine wachsende Reiselust durch eine zunehmende Lockerung der Reisevorschriften. Nun droht das Gegenteil. Nicht nur, dass Reiseverbote und Warnung eher verschärft werden und eine für den Herbst erhoffte Lockerung im Langstreckenverkehr kaum absehbar ist. Auch der lange optimistische Ton der Politik zum Fliegen hat sich abgekühlt. In vielen Ländern nennen Politiker wie zuletzt die deutsche Bundesregierung Flugreisen und nicht zuletzt Urlaube mehr oder weniger überflüssig. „Das trauten sich nicht mal die Klimaschützer von Extinction Rebellion“, schäumt ein führender Manager der Flugbranche.

Das sichert den Boneyards den Aufschwung. Fast alle Langzeitparkplätze bauen derzeit aus. Neben Marana im US-Bundesstaat Arizona verkündete auch Alice Springs zuletzt einen Ausbau von mehreren Millionen Dollar.

Dass diese abgelegenen Airports den Großteil des Wachstums bekommen, verdanken sie ihrer Lage. Ob Teruel, der traditionelle Abstellplatz der Deutsche-Post-Tochter DHL in Kingman, Arizona, oder der vermeintliche UFO-Hotspot Roswell, New Mexico: Ihr Klima ist ideal für ausgedehntes Parken und das Warten auf eine spätere Zerlegung der Jets. „Weil die Luft warm und trocken ist, leiden die Flugzeuge kaum unter Korrosion“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Und anders als in den sandigen Wüsten in Afrika oder Arabien ist der trockene Boden so solide, dass er für die leer bis zu 300 Tonnen schweren Maschinen fast nicht befestigt werden muss. Dazu gibt es in Arizona oder Australien weniger Sand, der in die empfindlichen Teile der Maschinen dringen könnte und vor einer Nutzung als Ersatzteil mühsam rausgeholt werden müsste.

Trotzdem bekommen auch europäische Plätze Wachstum, und sogar relativ feucht gelegene wie Cotswolds in Mittelengland. Denn hier geht es weniger um langfristiges Abstellen, sondern darum vor allem relativ neue Maschinen schnell zu zerlegen, so lange die Teile noch etwas wert sind. Früher konnten sich die Inhaber der Jets mit dem Schreddern Zeit lassen, denn in der Regel verloren Flugzeugteile kaum an Wert. Heute ist das anders. „Weil derzeit relativ viele Maschinen zerlegt werden, aber nur relativ wenige fliegen, gibt es immer mehr Ersatzteile und immer weniger Nachfrage“, sagt ein führender Manager einer Fluglinie. „Das drückt auf die Preise.“

Also lohnt es bei vielen Maschinen kaum noch, nach brauchbaren Teilen zu suchen. Denn der fachgerechte Ausbau und die Lagerung kosten schnell ein paar Tausend Euro pro Monat – und damit eventuell mehr als ein Ersatzteil bringt. Werden Jets im Hinblick auf möglichst viele Ersatzteile zerlegt, dauert das bei einer Mittelstreckenmaschine wie der Boeing 737 oder dem Airbus A320 meist acht bis zehn Wochen und bei großem Gerät wie dem Jumbojet auch das Doppelte. Allein die Parkgebühren in Europa können da auf bis zu 15.000 Dollar klettern. Dagegen geht eine Zerlegung im Wüstenplatz mit dem dafür üblichen groben Bagger in der halben Zeit bei nur 400 Euro Monatsmiete.

Die Zerlegung in Europa freut aber nicht nur Ersatzteilhändler und Platzbetreibern, sondern auch die Flugfans. Nicht nur, dass die ausgedienten Jets auf den kleineren Plätzen wie Cotswolds für Fans vom Zaun aus oder auf den hier angebotenen Touren besser zu sehen sind als auf abgelegenen und meist abgeschotteten ehemals militärischen Wüstenplätzen wie Roswell. Besucher können sich auch leichter als früher einen Teil des Jets zur Dekoration ihres Hauses kaufen. „Wir haben derzeit die zehnfache Zahl von Anfragen nach solchen Teilen“, sagt Mark Gregory, Chef der in Cotswolds tätigen Air Salvage International. „Für Dinge wie Teile der Flugzeugwand bekommen wir leicht 200 Dollar und mehr.“

Das ist mehr als manches Ersatzteil derzeit bringt.

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Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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