Wirtschaft von oben #80 – Eigener Paketdienst So spinnt Amazon sein Verteilnetz über Deutschland

Amazons eigenes Liefernetz wächst – rasant. In nur wenigen Wochen zieht der Onlinegigant Paketzentren hoch, wie exklusive Satellitenbilder zeigen. Ein Besuch offenbart: Der Onlinehändler macht dabei einiges schlauer als die Konkurrenten DHL und Co. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Amazon baut so wie mit diesem Logistikzentrum in Sülzetal bei Magdeburg sein eigenes Liefernetz in Deutschland auf und macht DHL und Co. Konkurrenz.

Dum dum düdüdüdum, dum dum düdüdüdum, schallt es durch das nagelneue Verteilzentrum von Amazon in Magdeburg. „Jerk it out“ von Ceasars Palace läuft, ein Tanz- und Zappellied. „Die Playlists machen die Mitarbeiter selbst“, sagt Georg Oelze, Leiter des nagelneuen Paketzentrums. 120 Angestellte arbeiten hier. Jede Nacht sortieren sie Sendungen von den Laufbändern in große, rechteckige Taschen. Die Musik soll dabei helfen.

Jetzt, um 10 Uhr morgens, gibt es freilich nicht mehr viel zu sortieren. Es ist laut in der Halle, aber leer. Die Pakete sind längst von den Laufbändern verschwunden, nur noch wenige Taschen, gestapelt in Rollcontainern, warten auf ihre Abholung. „In jeder Tasche landen die Pakete für eine Straße oder eine Nachbarschaft“, sagt Oelze. Das macht es den Paketboten leicht: Sie müssen auf ihrer Tour nur noch stoppen, die passende Tasche aus dem Auto ziehen und können loslegen. Gut so, findet Oelze. Denn wenn Amazons Paketdienst für eines bekannt sein soll, dann für Schnelligkeit.

Das gilt auch für die Geschwindigkeit, mit der Amazon seinen eigenen Lieferdienst ausbaut. Satellitenaufnahmen von LiveEO zeigen: Wo Georg Oelze heute in einer Halle steht, befand sich vor wenigen Wochen nur Acker. Erst seit Ende September ist der Standort in Magdeburg in Betrieb.

Das Verteilzentrum ist damit ein kleiner Faden in dem Netz, das Amazon gerade über die Republik spinnt. Es ist ein Netz aus Lagerhallen, die größer sind als Fußballstadien und das beinahe unendlich scheinende Angebot des Onlinehändlers umfassen. Es ist ein Netz aus Lastwagen und Verteilzentren, aus Lieferwagen und Paketboten. Ein Netz, das immer mehr Gebiete in Deutschland abdeckt.

Dabei hat Amazon erst vor fünf Jahren in München das erste Paket in Deutschland zugestellt. Damals war das noch ein zögerlicher Test. Jetzt ist nichts mehr an Amazons Lieferstrategie zögerlich. Im vergangenen Herbst schätzten Logistikexperten noch, dass der Onlinehändler über 25 Verteilzentren wie das in Magdeburg verfüge. Heute sind es bereits über 40.

Das Prinzip funktioniert so: In seinen Logistikzentren sammelt Amazon die Waren. Auch Fremdanbieter können ihre Produkte direkt in den Standorten einlagern. Insgesamt 15 solcher Großlager hat Amazon mittlerweile. Erst in diesem Jahr wurden die Logistikzentren im nordrhein-westfälischen Oelde und in Sülzetal bei Magdeburg eröffnet. Der Blick aus dem All im Sommer ließ noch nicht vermuten, dass dort bald Tausende Produkte lagern würden. Doch bereits vier Monate später stehen Autos auf dem Mitarbeiterparkplatz und warten Container auf der Rückseite darauf, bestückt zu werden.

Von den Logistikzentren schickt Amazon die Produkte los. Einen Großteil der Pakete transportieren die etablierten Paketdienste wie DHL und DPD, aber immer mehr von ihnen übernimmt der Onlineversandhändler selbst. Mittlerweile hat Amazon auch eigene Sortierzentren, um die Sendungen aus den verschiedenen Logistikzentren zu bündeln und regional aufzuteilen. Im Herbst hat ein solches in Wolfhagen bei Kassel eröffnet. Wie auf dem folgenden zweiten Satellitenbild zu sehen ist, war dieses Ende Juni noch eine große Baustelle. Von dort aus verteilt Amazon Pakete auf Standorte in ganz Europa.

Doch es sind die Verteilzentren wie das in Magdeburg, die im Fokus der Expansion stehen. Von hier aus gelangen die Pakete zum Kunden. Amazon arbeitet auf dieser letzten Meile bis zur Haustür mit Subunternehmern zusammen. Die heuern die Paketboten an, die in dunkelblauer Amazon-Uniform an den Türklingeln schellen. Wie viele Zusteller mittlerweile im Auftrag von Amazon unterwegs sind, dazu schweigt der Konzern offiziell. Doch es lässt sich schätzen: Selbst, wenn an jedem Standort nur 250 Zusteller aktiv wären, hätten die Lieferpartner heute ein Heer aus über 10.000 Paketboten.

Anfangs arbeitete Amazon dabei bevorzugt mit kleinen Kurierdiensten zusammen, die bereits über Fahrzeuge, Mitarbeiter, und auch Erfahrung in der Branche verfügten. Mittlerweile sucht das Unternehmen vermehrt nach Branchenfremden, die über Führungserfahrung und Gründergeist besitzen. Die Einweisung in die Welt der Logistik übernimmt Amazon dann einfach selbst.

Etwa drei Monate schult der Onlinehändler die Gründer, weist sie in das Routensystem und die Gehaltsabrechnungen ein, gibt Sicherheitstrainings, unterstützt sie bei der Bestellung der Lieferwagen und der Rekrutierung des Personals. „DSP 2.0“ nennt Amazon dieses Programm. 25.000 Euro Ersparnisse sollten die potenziellen Gründer mitbringen. Dafür verspricht Amazon zwischen 60.000 und 140.000 Euro Gewinn im Jahr für Lieferpartner, die im Schnitt zwischen 20 und 40 Touren übernehmen. Über hundert solcher Partner hat das Unternehmen mit dem Programm in Deutschland bereits rekrutiert – darunter auch elf Frauen. Die ködert der Onlinehändler mit einer Prämie von 15.000 Euro.

Der große Vorteil für Amazon an dem Gründungsprogramm: Der Onlinehändler hat so großen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen seiner Partner. Er bietet günstigere Konditionen an, wenn die Unternehmer zum Beispiel ihre Lieferwagen über Amazon bestellen. Außerdem müssen die Partner die Gehaltsabrechnungssysteme und Routensysteme von Amazon nutzen. Das schaffe Transparenz, heißt es beim Unternehmen.

Es schafft auch Standards. Schließlich will Amazon mit seinen Lieferpartnern auch die Zustellung am selben Tag vorantreiben. Dann können die Kunden morgens einkaufen, mittags kommen die Sendungen im Verteilzentrum an und abends liefern die Paketboten sie aus. In etwa 30 Metropolregionen ist die „Same Day Delivery“ bereits verfügbar.

Magdeburg zählt noch nicht dazu. „Noch haben wir hier kein Same Day“, sagt Georg Oelze. „Aber wir sind dafür ausgerüstet“, schiebt er gleich hinterher. Soll keiner glauben, es ginge bei Amazon nur langsam voran.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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