Wirtschaft von oben #84 – Lieferketten Diese Häfen ächzen unter dem Containerstau

Die Angst vor dem Einbruch der Schifffahrt durch das Coronavirus ist vergessen. Stattdessen quellen Häfen über, wie exklusive Satellitenbilder zeigen, Schiffe sind ausgebucht, die Frachtraten steigen und weltweit fehlen Container. Wie konnte das Containerchaos so eskalieren? „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

In Los Angeles stauen sich an der Kaikante die Container und in der Bucht die Schiffe.

In der Bucht vor dem Hafen von Los Angeles treiben die Schiffe ziellos herum. Ihr Ziel liegt so dicht vor ihnen, es ist in Sichtweite. Ihre Fracht wird heiß ersehnt von Unternehmen und Konsumenten an Land. Aber einfahren können sie trotzdem nicht. Der Hafen von LA ist überlastet, alle Anlegeplätze besetzt, alle Containerbrücken in Betrieb. Und so bleibt ihnen nur die Aussicht auf den Hafen.

Exklusive Satellitenbilder von LiveEO vom Hafen in Los Angeles zeigen, wie sehr die Coronakrise die internationale Schifffahrt ins Chaos gestürzt hat. Als die Pandemie im Frühjahr die USA und Europa erreichte, fürchtete man hier noch, dass die Wirtschaft abstürzen, die Schiffe fernbleiben und die Arbeit an den Häfen wegfallen würde.

Die Ironie: Nun ist das Gegenteil eingetreten. Schiffe sind auf Wochen und Monate ausgebucht. Die Häfen müssen auf Hochtouren rotieren, um all die Waren von der See ins Land zu schaffen. Selbst Container – die Blechkisten, in denen seit Jahrzehnten der Welthandel stattfindet – sind plötzlich knapp.

Das sorgt für Lieferverzögerungen, nicht nur im Hafen von Los Angeles. Weltweit ächzen Häfen unter dem unvorhergesehenen Ansturm: Nach Daten des Branchenanalysedienstes Drewry ist der globale Hafenumschlag seit Februar um 20 Prozent gestiegen. Die Container stauen sich bereits an den Kaimauern, weil auch die Autobahnen und Zugstrecken von den Häfen hinein ins Land verstopft sind. In dem Chaos steigen auch die Preise, sagt Michael Wax, einer der Gründer der Onlinespedition Forto. „Die Frachtraten zwischen Asien und Europa haben sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht.“ Ein Container von Asien nach Europa kostet nach Daten von Drewry bereits über 3400 Dollar.

Die wichtigste Ursache für die Engpässe liegt tausende Seemeilen entfernt in China. Im Februar noch türmten sich die Container in chinesischen Häfen, weil die Regierung nach dem Ausbruch des Coronavirus‘ die Nation in einen harten Lockdown geschickt hatte. Die Fabriken, die ohnehin schon wegen des chinesischen Neujahrsfestes die Arbeit eingestellt hatten, blieben weitaus länger als geplant geschlossen. Der Wirtschaftseinbruch, den China Anfang des Jahres wegen der harten Maßnahmen hinnehmen musste, war enorm.

Der Rest der Welt fürchtete ähnlich harte Einschläge. Fabriken verordneten Kurzarbeit. Die Reedereien ließen die Maschinen ihrer Schiffe deshalb stoppen und sagten über 400 Fahrten ab, meldete Drewry.

Zehn Monate später ist die Zwangspause für die Wirtschaft längst vergessen. China verzeichnet den vierten Monat in Folge einen Zuwachs der Exportaufträge. Insbesondere aus den USA oder Europa mehren sich die Bestellungen. Experten weisen darauf hin, dass Chinas Exporteure auch von coronabedingten Produktionsunterbrechungen in Fabriken anderer Länder profitieren. Kurzum: Die chinesische Wirtschaft boomt, weil die Volksrepublik das Virus früher als andere Staaten in den Griff bekommen hat.

Das Problem: Damit hat die Coronakrise das Handelsungleichgewicht auf den Weltmeeren noch verschlimmert. Zwar gibt es im Ausland eine reißende Nachfrage nach chinesischen Waren – aber die Hersteller der Volksrepublik benötigen weitaus weniger Lieferungen aus den USA oder Europa. Schon zu normalen Zeiten sind die Schiffe von West nach Ost deshalb weitaus weniger ausgelastet, sie transportieren vielleicht noch Weizen oder Soja, häufig sogar leere Container. Nun gibt es in China nicht mehr genug Leercontainer, um all die Bestellungen zu verpacken und zu verladen. „Die richtige Zahl an Containern vorrätig zu halten ist ein wahnsinnig komplexes Optimierungsproblem“, sagt Michael Wax von Forto. „Und in China sind eigentlich alle Häfen überlastet.“

Das Problem ist so gravierend, dass es selbst auf die Agenda der Führung in Peking gelangt ist. So versicherte ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums vergangene Woche, dass sich die Regierung dem Container-Engpass annehmen werde. Viele Hersteller von Container in China reagierten bereits und verlängerten die Arbeitszeit in ihren Betrieben von acht auf elf Stunden täglich. Teilweise werden nun auch Kühlcontainer für Waren genutzt, die eigentlich nicht frischgehalten werden müssen.

Das hilft nur begrenzt. Denn auch die Schiffe sind nicht dort, wo sie gebraucht worden. Als die Nachfrage aus den USA anzog, verlagerten viele Reeder Schiffe und Container auf den Pazifik – mit der Folge, dass nun auch die Kapazitäten von Asien nach Europa knapp sind.

Besonders kritisch ist die Situation in Felixstowe, dem größten Hafen Großbritanniens. Auf dem Satellitenbild ist der Hafen deutlich voller als im Vorjahr. Die britischen Unternehmen müssen nicht nur auf die knappen Schiffskapazitäten reagieren, sondern auch auf den nahenden Brexit. Viele Unternehmer füllen deshalb ihre Lagerbestände auf – und ordern so viel Nachschub und Ersatzteile, wie sie nur können. Mittlerweile sind jedoch auch andere Häfen wie Southampton völlig überlastet.

Überall auf der Insel zeigen sich die Folgen: Der Autohersteller Honda musste seine Produktion in Großbritannien bereits stoppen, weil dringend benötigte Lieferteile fehlten. Und auch Ikea entschuldigte sich bei seinen britischen Kunden für leere Lagerhallen.

Die Reedereien erheben mittlerweile Zuschläge wegen der Überlastung der Häfen. 175 Dollar verlangt allein Hapag-Lloyd für jeden Container, der in Felixstowe abgeliefert werden soll. Manche Container seien bereits bis nach Rotterdam umgeleitet worden, heißt es in der Branche.

Eine Besserung der Situation weltweit ist nicht in Sicht: Weil die Schiffe sich zu sehr verzögern, laufen viele aus den Häfen wieder aus, ohne die gesamte geplante Fracht mitzunehmen. Jeder vierte Container lande bereits auf einem späteren Schiff als ursprünglich geplant, sagt Michael Wax von Forto. Bis Februar, fürchtet er, könnte das Containerchaos noch anhalten. Dann feiern die Menschen in China ihr Neujahrsfest. Sie fahren nach Hause zu ihren Familien, Fabriken und selbst Häfen stehen still. Und der Welthandel? Hat dann Pause.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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