Der Strand von Alang wirkt, als wolle hier eine Hollywoodcrew die Apokalypse verfilmen. Über Kilometer reihen sich die alten Handelsschiffe in verschiedenen Verwesungsstadien auf dem schmutzigen Sand aneinander. Von einigen ist kaum mehr als ein Skelett übrig. Einst wurde mit diesen Schiffen der Welthandel betrieben. Nun sind sie ausrangiert, nicht mehr zu gebrauchen, zu unprofitabel und alt.
Der Schiffsfriedhof in Indien ist der größte der Welt. 196 Schiffe fanden dort im vergangenen Jahr ihr Ende. Damit wurde 2020 jedes vierte Schiff in Alang zerlegt. Die Abwrackwerften sind umstritten, aus gutem Grund. Immer wieder sterben hier Arbeiter oder verletzen sich schwer. Giftige Abfallstoffe können von den Schiffen direkt in den Sand und ins Meer gelangen.
Die Probleme sind lange bekannt. Die EU will verhindern, dass Schiffsrecycling weitere Menschenleben kostet und Umwelt zerstört. Doch bisher greift das nur mäßig, wie Satellitenbilder von LiveEO zeigen. Denn bisher enden weiterhin die meisten Schiffe in Alang, oder an ähnlichen Stränden in Pakistan und Bangladesch.
Eigentlich hatte sich die internationale Gemeinschaft schon 2009 in der sogenannten Hongkonger Convention auf Standards für das Schiffrecycling geeinigt. Nur haben bisher nicht genügend Staaten das Abkommen ratifiziert, damit die Konvention in Kraft tritt. Die EU hat stattdessen mit einer Richtlinie ihre eigenen Regeln für das Schiffsrecycling geschaffen. Die wichtigste Regel: Schiffe, die eine europäische Flagge tragen, dürfen seit Anfang 2018 nur in zertifizierten Werften recycelt werden.
Nur gibt es nicht viele, die den Test der EU-Kommission bisher bestanden haben. Ganze 43 Werften standen im November 2020 auf der Liste. Der wichtigste Standort davon: Das türkische Aliağa. Nach Indien, Bangladesch, Pakistan und China ist die Türkei mittlerweile der wichtigste Standort für die Demontage von Schiffen. Im vergangenen Jahr erlangte Aliağa zusätzliche Bekanntheit, weil in der Coronakrise dort viele Kreuzfahrtschiffe endeten.