Wirtschaft von oben #91 – Güterverkehr Wo sich auf der Seidenstraße die Container stauen

Die Pandemie hat dem Bahntransport von und nach China einen Boom beschert – und die Grenzen der Infrastruktur aufgezeigt. Exklusive Satellitenbilder verraten, wo es hakt. „Wirtschaft von oben“ ist eine Kooperation mit LiveEO.

Der Güterverkehr via Bahn hat auf der neuen Seidenstraße auch aufgrund der Pandemie zugenommen.

Es ist eine beeindruckende Erfolgsmeldung. Während ganz Europa unter der Coronakrise leidet und die Wirtschaft in der Eurozone im vergangenen Jahr insgesamt um 7,8 Prozent schrumpfte, ist der Warentransport über die Schiene gestiegen, und zwar deutlich. Um mehr als 50 Prozent, so die offizielle Angabe der chinesischen Behörden, hat sich die Zahl der Züge auf der sogenannten neuen Seidenstraße im vergangenen Jahr erhöht. 12.400 Züge transportierten Waren im Wert von insgesamt 50 Milliarden Dollar von Ost nach West.

Damit setzt sich ein Wachstum fort, das bereits seit Jahren anhält und zuletzt noch an Fahrt gewonnen hat. Denn die Verbindung ist zuverlässiger und komfortabler geworden. So können etwa seit einiger Zeit Unternehmen auch Frachtmengen verschicken, die keinen ganzen Container füllen. Einen entscheidenden Anteil hatte aber wohl auch die Pandemie selbst. Denn die Transportkapazitäten in der Luft schrumpften aufgrund der wegfallenden Personenflüge, die immer auch Waren mittransportieren, drastisch. Auch der Transport über Land wurden wegen der vielen Grenzübertritte und der dabei jeweils unterschiedlichen Corona-Regeln deutlich aufwändiger und teurer. Die Züge hingegen blieben davon zunächst unberührt: Weil die Waren hier bereits in China versiegelt und erst in Europa wieder geöffnet werden, entfallen die Abfertigungen unterwegs seit einiger Zeit komplett.

Der Hauptstrang der neuen Seidenstraße verbindet Nordostchina über Xi’an und Peking sowie den Süden des Landes über Chongqing mit Europa mit den zentralen Anlaufpunkten Duisburg und Lodz in Polen. Der Zugverkehr auf den Strecken profitierte nun davon, dass hier in den vergangenen Jahren deutlich mehr Kapazitäten geschaffen worden sind. So entstand im chinesischen Grenzort Khorgos ein gigantisches Umschlagterminal, das erst zu einem geringen Teil erschlossen ist, wie auf den Satellitenbildern von LiveEO zu erkennen ist. Ein Gleiskörper rahmt zwar den kompletten südlichen Bereich ein, die Fläche selbst ist aber noch unbebaut. Auch das Abschlussgleis selbst scheint ungenutzt.

Das Umschlagsterminal im chinesischen Grenzort Khorgos ist erst zu einem geringen Teil erschlossen ist. Ein Gleiskörper (rote Linie) rahmt zwar den kompletten südlichen Bereich ein, die Fläche selbst ist aber noch unbebaut.

Der zweite wichtige Grenzbahnhof zwischen China und Kasachstan in Alashankou kann seit Anfang des vergangenen Jahres 14 statt zuvor zwölf Züge empfangen. Und am anderen Ende der Strecke, an der Westgrenze von Belarus, erhöhte sich die Kapazität 2019 gar um rund 50 Prozent.

Diese Entwicklungen sind vor allem deshalb von Bedeutung, weil die Grenzorte zwischen China und Kasachstan auf der einen und zwischen Belarus und Polen auf der anderen Seite die beiden großen Flaschenhälse auf der Strecke bilden. Hier wechselt die Spurbreite von der chinesischen Weite auf die russische und dann wieder zurück auf die europäische – die der chinesischen gleicht. Beide Spurwechsel kosten bisher viel Geld und Zeit – beides entscheidende Faktoren im Vergleich der Transportmittel Bahn, Zug und Lastwagen.

Und diese Gewichte haben sich auch während der Corona-Krise nicht wesentlich zugunsten des Zuges verschoben, wie nicht zuletzt die Satellitenbilder der beiden Containerbahnhöfe in Khorgos und auf der kasachischen Seite der Grenze zeigen. Auch im Sommer waren die Gleise dort zu einem guten Teil mit Zügen belegt. Im Vergleich zu der Ausnahme aus dem Winter wird aber deutlich, dass die Auslastung seither noch deutlich angestiegen ist. Das zeigt sich vor allem an der Menge der geparkten Container. Dass es sich bei beiden Stationen um reine Umladebahnhöfe handelt, lässt sich im Übrigen dadurch erkennen, dass die Verladeterminals selbst gar nicht an die umgebenden Straßennetze angebunden sind. Größere Mengen von Lastwagen sucht man ebenfalls vergebens.

Doch die hohe Auslastung der Terminals liegt nicht allein am wachsenden Transportvolumen. So warteten im Dezember nach Berichten lokaler Medien zeitweise mehr als 7000 Container auf der kasachischen Seite der Grenze darauf, nach China eingeführt werden zu dürfen. Das betraf vor allem kasachische Waren, denen wegen verschärfter Corona-Regeln die Einfuhr untersagt wurde. Bis zu 42 Tage lang standen die Container an der Grenze. Aber auch für die Transporte von und nach Europa hatten die Unstimmigkeiten Folgen: Pro Standardcontainer seien die Preise um bis zu 5000 Euro gestiegen, berichtete das Fachportal „The Loadstar“.

Solche Nachrichten sind für die Entwicklung der Eisenbahnverbindung zwischen China und Europa vor allem deshalb von Bedeutung, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Strecke trotz allen Wachstums nach wie vor umstritten ist. So dauert der Transport mit rund 15 Tagen bis nach Duisburg immer noch relativ lange, das doppelte Umladen bleibt dabei ein unberechenbarer Faktor. Die gut acht Stunden Umladezeit, die etwa Belarus garantieren will, werden in der Praxis nicht immer erreicht. Vor allem aber subventioniert die chinesische Seite die Transportpreise nach wie vor, in erster Linie um die Wirtschaftsentwicklung in den östlichen Provinzen zu stärken. Wie hoch diese Subventionen genau sind und wie wettbewerbsfähig die Strecke ohne sie wäre, ist die große Unbekannte.

Allein die Dimensionen der Erweiterungsfläche in Khorgos legen jedoch nahe, dass die chinesische Seite plant, dem Verkehr auf der Strecke auch in der näheren Zukunft zu weiterem Wachstum zu verhelfen. Deshalb setzt auch der Westen weiterhin seine Hoffnungen auf die Transportalternative. So gibt es seit gut einem Jahr auch eine Trasse von China in die Türkei. In Duisburg, wo ein Drittel aller per Zug nach Europa versandten Waren ankommen, läuft gerade der Bau eines neuen Terminals an. Bisher werden die Züge aus China auf der westlichen Rheinseite, in einer Umschlagstation im Stadtteil Rheinhausen, entladen. Das Terminal auf dem Logport genannten Gebiet, das einst Standort eines großen Stahlwerks war, ist damit inzwischen weitgehend gefüllt. Das zeigt sich auch auf den Satellitenbildern des Geländes.

Bisher werden die Züge aus China auf der westlichen Rheinseite, in einer Umschlagstation im Stadtteil Rheinhausen, entladen.

Nun soll auf der „Kohleninsel“ im Hafenteil östlich des Rheins das Duisburg Gateway Terminal entstehen. Noch wird dort zwischen der „Schrottinsel“ im Südosten und der „Ölinsel“ im Nordwesten Kohle angelandet und gelagert, die aus Übersee stammt und Energieunternehmen zum Teil in den Kohlekraftwerken der Region verfeuern. Das wird sich bald ändern, die Gleichzeitigkeit von Energiewende und das Wachstum des Seidenstraßen-Handels machen es möglich. An dem neuen Terminal ist neben der örtlichen Hafengesellschaft die chinesische Reederei Cosco beteiligt. Insgesamt wird eine dreistellige Millionensumme investiert. Auf 240.000 Quadratmetern soll das größte inländische Containerterminal Europas entstehen. Derzeit läuft die Öffentlichkeitsbeteiligung. Schon im kommenden Jahr soll das Terminal an den Start gehen.

Auf der „Kohleninsel“ im Hafenteil östlich des Rheins soll das Duisburg Gateway Terminal entstehen. Auf 240.000 Quadratmetern soll das größte inländische Containerterminal Europas entstehen.

Die Rubrik „Wirtschaft von oben“ entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.


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