Viele Familien träumen vom Eigenheim. Doch diese benötigen Fläche und haben eine schlechte Ökobilanz. In Hamburg-Nord darf seit knapp einem Jahr keines mehr gebaut werden. Sollte diese Regel bundesweit zum Standard werden, gibt es keine Neubaugebiete mehr. Erst in Ballungszentren, dann auf dem Land.
Dabei ist in den vergangenen Jahrzehnten der Schrei nach mehr Platz für die Familie – vom kleinen Garten mit Grill und Kinderschaukel – immer größer geworden. So wie in Widdersdorf-Süd, dem Prima-Colonia. Früher Acker, heute das größte Neubaugebiet Deutschlands. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen die Entwicklung. Der Stadtteil Widdersdorf an der A1 bei Köln hat sich in zehn Jahren gemessen an der Einwohnerzahl mehr als verdoppelt – von 6000 Einwohnern zu 13.000.
Das Bauprojekt Prima Colonia hat den Ort erweitert und in fünf thematisch unterschiedliche Quartiere gegliedert. Die Bebauung des 132 Hektar großen Areals begann 2007 und war 2015 nahezu fertiggestellt. Insgesamt sind in Widdersdorf-Süd 1200 Wohneinheiten entstanden.
Obwohl das Neubaugebiet den Kölner Wohnungsmarkt deutlich erweitert hat, gibt es keine Region in Nordrhein-Westfalen, die beim Bau benötigter Wohnungen so sehr hinterherhängt wie Köln. Laut einer Studie des Instituts für Wirtschaft Köln (IW) deckte die Stadt zuletzt nur 46 Prozent des Bedarfs an neuen Wohnungen – und bildet damit unter allen Kreisen und kreisfreien Städten in NRW das Schlusslicht. Statt der jährlich benötigten 6900 Wohnungen wurden in Köln in den vergangenen vier Jahren im Schnitt lediglich 3100 gebaut.
„Eine erfolgreiche Wohnungspolitik muss sich darauf fokussieren, Bauland umfangreicher, schneller und kostengünstiger zu entwickeln und einer Bebauung zuzuführen“ sagt Stefan Siedentop, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS).
Das bestehende Missverhältnis führe zu einem Anstieg von Immobilienpreisen und Mieten, investorengetriebenen Aufwertungsprozessen und einem rückläufigen Angebot an bezahlbarem Wohnraum. Und: Die sozioökonomische Polarisierung zwischen einkommensschwachen und wohlhabenden Haushalten in deutschen Großstädten werde befördert.
So lebt es sich in Widdersdorf
Das Stadtviertel Widdersdorf gehört zu den gehobenen Vororten Kölns. Auch einige prominente Persönlichkeiten, wie unter anderem Eishockeyspieler und Olympia-Silbermedaillengewinner Moritz Müller, Sänger Pietro Lombardi, TV-Moderator Elton, einige 1. FC-Köln-Spieler, wie Timo Horn, oder auch YouTube-Stars wie Gronkh, Sarazar, oder Luca haben ihren Wohnsitz in Widdersdorf.
Bekannt ist Widdersdorf aber nicht nur für die Prominenz, sondern auch für seinen Dorfcharakter. Es gibt zahlreiche Vereine und viele Feste. Doch das Neubaugebiet hat den Stadtteil im Kölner Westen gespalten. Widdersdorf trennen Poller. „Für uns Alt-Widdersdörfer hat sich einiges zum Negativen verändert“, sagt Sascha Gerlach, der bereits seit 35 Jahren dort lebt. Früher konnte Gerlach mit seinen Hunden über die weitreichenden Felder spazieren. Heute dominiert eine große Wohnanlage die ehemalige Spazierroute. Ein schleichender Prozess – der den gesamten Dorfcharakter verändert habe. Dennoch suchen die Ureingesessenen den Kontakt zu den Hinzugekommenen. Vor acht Jahren hat seine Frau, Nicky Gerlach, die Facebook-Gruppe „Widdersdorfer Familien“ gegründet. Heute tauschen sich täglich Tausende aus dem Stadtteil aus.
Ursprünglich sollten im Zuge des Neubaus Restaurants eröffnen. Doch trotz steigender Einwohnerzahl gibt es noch immer keines. Und auch Bekleidungsgeschäfte haben den Weg in den Stadtteil noch nicht gefunden. Immerhin: Supermärkte, etliche Kindergärten und Schulen, ein Drogeriemarkt, Bäcker sowie ein großer Golfplatz sind dazugekommen.
Eine Personengruppe profitiert jedenfalls stark vom Neubaugebiet: die Immobilienmakler.
So wie Engel & Völkers. Der Immobilienmakler habe sehr viele Aufträge in dem Gebiet: „Widdersdorf ist das Prima Colonia“, sagt der Mitarbeiter Georg Mallach. Es gebe Familien, die bereits das zweite oder sogar dritte Haus dort bewohnen. Hauptsächlich zieht es nach Angaben des Maklers Familien nach Widdersdorf, die im Kern von Lindenthal nichts gefunden haben oder sich dort kein Haus leisten können. Denn: Während der Quadratmeter in Widdersdorf etwa 3500 Euro kostet, zahlt der Bewohner im teuersten Stadtteil von Köln 5500 Euro. In Widdersdorf muss sich niemand über Sanierungen Gedanken machen. Das mache das Gebiet im Kölner Westen besonders attraktiv.
Und auch der Immobilienmakler Mario Kruppa hat nach eigenen Angaben in dem Neubaugebiet schon etwa 70 Immobilien vermarktet. „Widdersdorf ist ein hochattraktiver Immobilienstandort“, sagt er. Denn: Köln mangele es generell an Wohnimmobilien. Der Makler kann sich noch sehr gut an die Entwicklung des Neubaugebiets erinnern. Mit jedem abgeschlossenen Bauabschnitt sei die Nachfrage gestiegen. „Das war wie ein Sog“.
Kruppa kennt aber auch die Nachteile der Neubaustrukturierung. Häuser grenzen eng aneinander, Grundstücke sind klein und es gibt kaum Bäume. Bis die Natur zurückkehrt werde es sicherlich noch ein bis zwei Jahrzehnte dauern. Und weiter: Durch die vielen neuen Einwohner sei der Verkehr zu Stoßzeiten am Limit. Dabei sind die Ausfahrtsstraßen – so Kruppa – bereits vor dem Neubau recht stark befahren gewesen.
Noch sind die Preise im Verhältnis zu anderen Stadtteilen in Köln niedriger. Aber: Mit der Entwicklung des Gebiets steigen die Preise. Von Jahr zu Jahr. Die Nachfrage bleibt, auch wenn es keine Bauplätze mehr gibt.
Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.