Zukunft der Technik Die neuen Weltwunder

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Amphetamine erregen das zentrale Nervensystem und setzen im Gehirn die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin frei.

Der moderne Superheld braucht keine Muskelpakete, er muss auch nicht fliegen können. Statt mutig und stark soll er wach sein und jederzeit hoch konzentriert. Sein Gedächtnis ist phänomenal, seine Superkräfte beschränken sich auf ein Organ – das Gehirn.

Er ist ein Held des Alltags. Vor zwei Jahren ergab eine Umfrage der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), dass fünf Prozent der Befragten ihrer Gehirnleistung am Arbeitsplatz auf die Sprünge helfen – mit Medikamenten, obwohl sie gar nicht krank sind. Die Menschen wollten mehr "Auffassungsgabe, Erinnerungsvermögen, Kreativität sowie Aufmerksamkeit neben Ausdauer und Stressresistenz".

Druck von außen lässt zur Wachmachern greifen

Ob sich dieser Trend noch aufhalten ließe? Psychologen und Hirnfroscher bezweifeln es. In anderen Ländern ist er schon viel weiter: 2008 machte das britische Wissenschaftsjournal "Nature"eine Umfrage unter seinen Lesern, und heraus kam, dass jeder fünfte Umfrageteilnehmer bereits leistungssteigernde Medikamente genommen hatte. Und aus den USA kommen Berichte über einen schwunghaften Handel mit Wachmachern und Aufputschmitteln an den Universitäten. Von Ärzten, Piloten und anderen Leuten in extremen Ausdauerjobs weiß man, dass sie regelmäßig zu Wachmachern greifen.

Der Grund für all das: die steigenden Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft. Aus den bisherigen Untersuchungen über die Pillenschlucker kann man ablesen, dass die Betroffenen sich unter dem Druck einer intensiveren Arbeitswelt sehen, dass sie unter extremen Überstunden oder unregelmäßigen Tagesabläufen leiden. Anderen Kopfdopern geht es offenbar eher um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Kollegen und Konkurrenten. Viele ältere Menschen müssen noch in fortgeschrittenen Jahren arbeiten und sich dabei in einer schneller wandelnden Arbeitswelt zurechtfinden – einige versuchen, dabei die Nachteile ihres Alterns medikamentös wettzumachen.

Wirkung und Nebenwirkung sind kaum erforscht

Ob das wirklich funktioniert, ist keineswegs bewiesen. Gerne eingenommen wird etwa Modafinil – ursprünglich für Kampfpiloten entwickelt, um sie bei Langstreckenflügen hellwach zu halten. Und Ritalin: ein Mittel, das die Konzentration erhöht. Für beide Arzneien gibt es legitime arzneiliche Anwendungen, aber DAK-Zahlen legen nahe, dass in Deutschland jeder Vierte sie ohne Krankheitsdiagnose verschrieben bekommt, oft von befreundeten oder verwandten Ärzten. Weder über Wirkungen noch Nebenwirkungen bei solchem Einsatz liegen richtige Studien vor.

Ein Übergangsproblem. Das Streben nach geistiger Perfektion ist ein uralter Traum; allzu unzuverlässig erscheint das Gehirn als Partner für den modernen Menschen. Der nächste logische Schritt sind also Präparate, die von Anfang an für Gesunde konzipiert werden. Der Chefredakteur von "Nature", Philip Campbell, forderte vor einiger Zeit eine öffentliche Debatte über eine solche Zukunft: ob es nicht jedermann freistehen sollte, seinen Geist zu optimieren, ob durch Espresso, Meditation, Tabletten oder Operationen! Der Mainzer Philosoph und Neuroethiker Thomas Metzinger glaubt, dass das Hirndoping noch weit über die Konzentrationsfähigkeit hinausgehen kann: Durch Pillen könnte man auch Menschen einfühlsamer für die Nöte anderer machen – sprich, sie gleich moralisch optimieren.

Quelle: ZEIT Online

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