Umstrittene Familienleistung Wirtschaftsforscher warnen vor Betreuungsgeld

Das Interesse am Betreuungsgeld ist gering. In großen Städten liegen erst wenige Anträge vor. Das gibt den Kritikern Rückenwind. Auch Experten sehen in der Familienleistung mehr einen Rück- als einen Fortschritt.

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Demonstranten protestieren vor dem Bundeskanzleramt gegen das geplante Betreuungsgeld (Archivbild): Auch Ökonomen halten die neue Familienleistung für kontraproduktiv. Quelle: dpa

Berlin Die Familienpolitik der schwarz-gelben Bundesregierung trägt bizarre Züge. Ab dem 1. August 2013 haben Eltern einerseits Anspruch auf ein Betreuungsgeld, wenn sie ihr Kind nicht in die Kita schicken. Andererseits haben sie allerdings auch einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter 3-jährige Kinder. An sich wäre an diesem Umstand nichts zu beanstanden, wenn die von der Union gerühmte Wahlfreiheit auch wirklich Vorteile brächte. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. „Während sich der Ausbau der Kita-Plätze für Kinder, Eltern und den Staat rentiert, wirkt das Betreuungsgeld in die entgegengesetzte Richtung“, schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Kurzanalyse.

Die Wirtschaftsforscher führen verschiedene eigene Gutachten an, denen zufolge sich der Ausbau der Kita-Betreuung für unter 3-Jährige rechnet: Zum einen können Alleinerziehende dann eher arbeiten gehen und ihre Armutsgefährdung „deutlich“ reduzieren. Kinder würden zudem in der Kita besser gefördert. „So steigt beispielsweise bei Kindern von Migranten und Alleinerziehenden die Wahrscheinlichkeit, dass sie später ein Gymnasium besuchen, um rund 10 Prozentpunkte“, schreiben die IW-Forscher.

Und auch für den Staat „verzinst“ sich sein Einsatz in der Kindererziehung mit rund acht Prozent, unterstreichen die Experten. „Denn durch die steigende Erwerbstätigkeit wachsen die Volkswirtschaft und damit auch die Steuereinnahmen. Gleichzeitig sinken die Sozialausgaben.“

Anders verhält es sich beim Betreuungsgeld. Es wirke all diesen positiven Effekten entgegen. Denn, so ergab ein weiteres IW-Gutachten, es verleitet Eltern dazu, nach der Babypause nicht schnell wieder in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. „Gerade Kinder aus bildungsfernen Haushalten hält das Betreuungsgeld so von der Frühförderung fern und Eltern stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung“, konstatieren die Forscher.

Die Konsequenzen aus den Befunden liegen für das IW auf der Hand: „Aus diesen Gründen sollte die Politik die für das Betreuungsgeld vorgesehenen Mittel – immerhin jährlich mehr als 1 Milliarde Euro – eher dafür nutzen, den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz schnellstmöglich umzusetzen“, schreiben die Experten. „Denn es hilft auf Dauer niemandem, wenn dieser einfach dadurch eingelöst wird, dass die Qualitätsstandards in den Kitas abgesenkt werden.“

Das Betreuungsgeld beträgt zunächst 100 Euro, später 150 Euro. Es kann für Kinder beantragt werden, die ab dem 1. August 2012 geboren sind - es gilt also zunächst für einjährige Kinder. Gleichzeitig tritt der Rechtsanspruch auf die Betreuung von Kleinkindern in Kitas und anderen Einrichtungen in Kraft.


Union wirft Ländern Betreuungsgeld-Sabotage vor

Möglicheise gerät das Betreuungsgeld zum Rohrkrepierer: Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa liegen jedenfalls in einigen großen Städten erst wenige Anträge vor. 40 Interessenten gibt es demnach bisher in Bremen, 15 Antragsteller in Düsseldorf. In Mainz habe noch niemand die neue Zulage eingefordert, in Potsdam lägen erst zwei Anträge vor. Selbst im CSU-regierten Bayern haben Eltern insgesamt bisher erst rund 500 Anträge eingereicht, wie ein Sprecher der auszahlenden Behörde sagte. Die meisten Städte gehen aber davon aus, dass die Nachfrage noch steigt.

Das Bundesfamilienministerium wollte seinerseits keine Prognose zum Interesse abgeben. Für die Einführung zum 1. August seien alle Vorbereitungen getroffen und alle Informationen bereitgestellt, sagte ein Sprecher. Im Gesetz sein eine spätere Bewertung vorgesehen.

Die politische Debatte über die umstrittene Leistung hat indessen schon wieder an Fahrt gewonnen. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig wies den Vorwurf aus Bayern zurück, dass die Einführung des Betreuungsgelds von einigen Ländern sabotiert werde. „Keine andere familienpolitische Maßnahme ist in den Medien so präsent gewesen“, sagte die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern der „Schweriner Volkszeitung“. „In Mecklenburg-Vorpommern informieren wir außerdem im Internet, und es gibt die Möglichkeit, es wohnortnah zu beantragen.“

Schwesigs CSU-Kollegin Christine Haderthauer hatte angesichts der geringen Nachfrage vor dem Start am 1. August vermutet, dass einige Länder aus politischen Gründen die Antragstellung bewusst nicht unterstützten. Das Betreuungsgeld war maßgeblich auf Drängen der CSU eingeführt worden, trotz heftiger Kritik.

Auch die familienpolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär (CSU), kritisierte, dass einige Länder sich weigerten, Eltern aktiv auf die neue Familienleistung hinzuweisen. „Es ist ein Skandal, Eltern diese neue Familienleistung aus wahltaktischen Gründen vorzuenthalten“, sagte Bär. „Wir fordern alle Länder auf, ihrer Umsetzungsverpflichtung bedingungslos nachzukommen. Sie täten gut daran, ihr durchsichtiges Spiel auf dem Rücken der Eltern und Kinder zu beenden und zu einem fairen Miteinander zurückzukehren.“ Vorbild für alle Länder sollte aus Bärs Sicht Bayern sein, das alle potentiell Anspruchsberechtigten angeschrieben, auf die neue Leistung hingewiesen und auch ein Antragsformular beigefügt habe.


Grüne sprechen von „Ladenhüter“-Leistung

„Ich wundere mich schon, dass die CSU den Eltern in Bayern die Anträge für das Betreuungsgeld vorausgefüllt nach Hause schickt“, konterte Schwesig. Beim „Bildungspakt für Hartz-IV-Empfänger und Geringverdiener hat man diesen Aufwand nicht getrieben. Dabei sind diese Leistungen wichtig für die Kinder.“

Bär warf indes der Opposition vor, sich anzumaßen, besser als die Eltern darüber entscheiden zu können, wo und wie die Kinder optimal betreut werden. „Sie wollen Eltern durch einseitige finanzielle Förderung dahin lenken, ihre Kinder allein in die institutionelle Betreuung zu geben“, sagte die CSU-Politikerin. Einige forderten sogar eine Kita-Pflicht. „Die Opposition hat offensichtlich ein Problem damit, die demokratisch getroffene Entscheidung für das Betreuungsgeld anzuerkennen.“

Die SPD bemängelte, dass die Leistung bei der Mehrheit der Eltern nicht ankomme. Diese wünschten sich viel eher einen wohnortnahen Krippenplatz, sagte Schwesig. Als Beispiel nannte die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern die Zahl von bislang 44 eingegangenen Anträgen in ihrem Bundesland. Schwesig kündigte einen bundesweiten Aktionstag unter dem Motto „Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld“ für den 3. August an.

Die Grünen kritisierten, das von der CSU in der Koalition durchgesetzte Instrument gehe an der Lebenswirklichkeit vorbei. Statt einer Prämie für die Erziehung daheim bräuchten Familien eine gute Infrastruktur, ausreichend Kitaplätze sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt der „Frankfurter Rundschau“. Sie nannte den Anspruch einen „Ladenhüter“.

Mit Material von dpa

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